Protokoll der Sitzung vom 10.12.2004

meiner Einschätzung nach die Grenze zum Blödsinn deutlich überschritten worden.

(Beifall bei den GRÜNEN, der PDS und der SPD)

Wir sollten es nicht kleinreden; ich möchte darauf Wert legen. Ich erwarte auch von den anderen Demokraten hier im Hause, dass wir es deutlich und laut sagen, wenn Grenzen überschritten werden.

Ich möchte jetzt zu „Pisa“ kommen.

(Vereinzelt Beifall bei der NPD)

Der Übergang ist ein wenig heftig; ich muss es gestehen. Das tut mir auch Leid.

Wir haben „Pisa“ und die soziale Auslese, die von Herrn Colditz bestritten wurde, zu besprechen. Herr Colditz, ich bin der festen Überzeugung, dass es eine soziale Auslese gibt. Das lässt sich empirisch belegen. Ich kenne die Quelle, auf die Sie sich beziehen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich gestatte Ihre Zwischenfrage, Herr Colditz.

Herr Colditz, bitte.

Frau Günther-Schmidt, Sie haben mir unterstellt, ich würde die sozialen Disparitäten, die durch das Schulsystem in anderen Ländern möglicherweise erzeugt werden, leugnen.

(Dr. André Hahn, PDS: Bei uns!)

Anhand von zwei Zitaten, die nicht von mir stammen, sondern von Wissenschaftlern, die aus der Pisa-Studie heraus diese Analyse getroffen haben, habe ich deutlich gemacht, dass sich diese Aussage für Sachsen relativiert. Können Sie nachvollziehen, dass sich das für Sachsen möglicherweise etwas anders darstellt, als es in anderen deutschen Ländern der Fall ist?

Herr Colditz, ich kenne Ihre Quelle. Ich muss Ihnen sagen: Wir haben neue Erkenntnisse und können unsere Einschätzung auch empirisch belegen. Es öffnet sich eine soziale Schere: Der soziale Unterschied verschärft sich.

(Thomas Colditz, CDU: Das ist die Pisa-Studie!)

Ich möchte mit meinen ursprünglich geplanten Ausführungen fortfahren.

Wir vertreten die Auffassung – und sehen uns in dieser Erkenntnis bestärkt –, dass Bildungserfolg auch in Sachsen vom sozialen Status abhängt. Ein Fünftel unserer Schüler gehört zur so genannten Risikogruppe.

Sie haben vorhin Bremen als Beleg für Ihre Aussage herangezogen. Dort gibt es einen deutlich höheren Migrantenanteil. Dieses Phänomen haben wir bei uns nicht. Wir schaffen das ganz allein. Das halte ich für bedenklich.

Das sollten wir im Hinterkopf behalten. Wir sollten uns Gedanken machen, wie wir damit umgehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Auch „Pisa II“ belegt: Wir haben zu wenig Höchstleistungen und ein zu schwaches Mittelfeld. Der interne bundesrepublikanische Vergleich steht noch aus. Es steht zu erwarten, dass wir dort nicht abgefallen sind. Aber wir müssen feststellen: Im internationalen Vergleich sind wir immer noch schwaches Mittelfeld. Das darf nicht sein. Lesekompetenz ist eine Voraussetzung für die erfolgreiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Darauf müssen wir unser Augenmerk richten.

Die Kultusbürokratie sollte sich hüten, die Verbesserungen von „Pisa I“ zu „Pisa II“ schönzureden. Einige Länder, die bei „Pisa I“ noch vertreten waren, haben nicht mehr teilgenommen. Zudem wurden, was günstig war, Schulen gezielt auf die Pisa-Tests vorbereitet.

Festzustellen bleibt: Wir brauchen neue Konzepte in der Schulpolitik. Wir brauchen eine Schule für alle. Wir brauchen eine Gemeinschaftsschule.

Wir greifen den Gedanken im Koalitionsvertrag auf und unterstützen ihn. Aber wir wollen, dass die Vereinbarung im Koalitionsvertrag mit Leben ausgefüllt und nicht auf dem Amtsweg erledigt wird.

Gestern habe ich gehört, der Antrag zur Gemeinschaftsschule sei ein Beleg dafür, dass wir das Schulsterben verhindern wollten. Das ist nicht der Ansatz. Hier werden hehre Absichten kleingeredet. Es geht darum, ein neues Schulkonzept, eine neue Schulkultur durchzusetzen. Ich verlasse mich auf die Kollegen von der SPD, dass sie ein waches Auge darauf haben. Wir brauchen diese neue Schulkultur.

Wir haben einen Sieben-Punkte-Plan entwickelt, mit dem wir das Gemeinschaftsschulkonzept unterstützen wollen: Regelgenehmigung von Anträgen unter vertraglichem Vorbehalt, das heißt, nicht nach Gutsherrenart; freiwillige Selbständigkeit ab dem kommenden Schuljahr; proaktive Begleitung der Gemeinschaftsschulen; Neuorientierung, Neuorganisation und Ausbau von Beratung und Evaluation; Bündelung und Ausbau der Weiterbildung; vertragliche Regelungen mit Gemeinschaftsschulen; verlässlicher Rahmenplan für alle.

Ich warne davor, hier eine Scheindebatte zu führen. Vorhin wurde in mehreren Beiträgen gesagt: Wir haben ja in die frühe Förderung investiert; für den Grundschulbereich gibt es ein Plus von 800 Lehrerinnen und Lehrern. – Es geht nicht um das Gegenüberstellen von früher Förderung und Strukturreform, sondern wir müssen beides haben. Den ersten Schritt haben Sie getan. Wir hoffen immer noch auf den zweiten; wir fordern ihn ein.

Wir brauchen eine Strukturreform. Die Dualität von Gemeinschaftsschule und mehrgliedrigem Schulsystem kann auf Dauer nicht fortbestehen. Auch bei uns würde ein Phänomen auftreten, das es in den alten Bundesländern gibt: Die Gesamtschule steht immer schlechter da, weil sie mit dem gymnasialen Zweig konkurriert und sich immer nur eine gewisse Klientel von Schülern dort trifft. – Das müssen wir vermeiden. Langfristig lässt sich diese Dualität nicht aufrechterhalten.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der PDS)

Wird von der Staatsregierung das Wort gewünscht? – Bitte, Herr Minister Flath.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es war wie immer in den letzten drei Wochen – seit dieser Zeit widme ich mich intensiv der gesamten Schulthematik –: Es wurde über alles gesprochen, aber relativ wenig über Sachsen und über sächsische Schulen. Eines ist wohl unbestritten – ich wende mich zunächst einmal an Frau Bonk; denn die PDS-Fraktion hat die Aktuelle Debatte „Pisa und die soziale Auslese im Bildungswesen“ beantragt –: Sachsen steht insoweit in Deutschland nicht schlecht da.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: „Nicht schlecht“ ist doch nicht gut!)

Wir warten den Sommer nächsten Jahres ab, wenn die Pisa-Studie 2003 regionalisiert vorliegt. Alles deutet darauf hin, dass wir dort nicht schlecht abschneiden.

Es ist unbestritten, dass uns das nicht ausreicht. Es ist aber auch wichtig, hier festzustellen, dass wir es im Sächsischen Landtag nicht nötig haben, uns alle Debatten, die in den letzten Jahrzehnten im Westen stattgefunden haben, reinzuziehen. Wir sollten unseren sächsischen Weg finden.

(Beifall bei der CDU)

Ein Weiteres ist unbestritten: Wir sind dabei, in einer CDU/SPD-Koalition einen gemeinsamen Weg zu finden. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir noch nicht für alles die Lösung gefunden haben. Ich meine aber, auch die heutige Debatte hat gezeigt, dass wir uns bemühen.

(Dr. André Hahn, PDS: Wir helfen Ihnen!)

Wir würden nicht gut fahren, wenn wir auf Ihre Hilfe zurückgreifen würden.

(Beifall bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das zeigt, dass Sie noch nicht viel von der Sache verstehen!)

Ich denke, wir kommen gut miteinander zurecht. So will ich auch das, was Herr Abg. Colditz und Herr Abg. Dulig hier gesagt haben, nicht wiederholen – es wird durch Wiederholung nicht richtiger –, sondern ich will mich dem anschließen.

(Heiterkeit bei der CDU – Vereinzelt Beifall bei der PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Es bleibt falsch!)

Frau Abg. Bonk, man kann Interviews, von denen es üblich ist, dass man sie freigibt, durchaus in die Debatte einbeziehen. Aber es wird sehr schwierig, wenn wir je

den Zeitungsartikel, der zur Schulthematik in Sachsen zu finden ist, heranziehen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das hat Herr Colditz gemacht!)

Ich will die Behauptung, ich hätte 100 Anträge zurückgewiesen, richtig stellen. Mir ist nicht bekannt, dass es 100 Anträge gibt. Ich will nicht ausschließen, dass es 100 Interessierte in Sachsen gibt; das kann schon sein. Aber hier den Eindruck zu erwecken, es lägen 100 Anträge vor, die das Ministerium unbearbeitet liegen lasse, ist nicht richtig.

Dann war die Rede davon, ich hätte gesagt, es solle nicht mehr als 50 bis 60 Schulen geben. Wir haben uns gerade darauf verständigt, die Zahl offen zu lassen. Nicht dieses Hohe Haus oder das Ministerium legt sie fest, sondern das überlassen wir dem Engagement vor Ort.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Wie viele Schulen in fünf Jahren entstanden sein werden, können wir heute nicht vorhersehen.

Sie haben ferner gesagt, die Gemeinschaftsschulen sollten sich auf ein gemeinsames Lernen bis Klasse 6 beschränken. Auch diese Behauptung finde ich nur in einer Zeitung. Ich erkenne keine Quelle; ich bin sie jedenfalls nicht.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)