Protokoll der Sitzung vom 23.06.2006

Es widerspricht allerdings unserer parlamentarischen Erfahrung, dass Sie noch ein Fünkchen von Brüssel losgelöster eigener politischer Willensbildung besitzen. Genau aus diesem Grund haben wir unsere Antragsforderungen dreigeteilt und fordern, Herr Präsident, punktweise Abstimmung zu unserem Antrag.

Ich gestehe, dass wir gespannt sein werden, mit welcher Akrobatik Sie unseren Antrag ablehnen werden, besonders die Punkte 2 und 3, die genau den Aussagen anderer Parteien hier im Hause entsprechen.

Vielen Dank erst einmal für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Für die FDPFraktion Herr Abg. Morlok, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! An dieser Stelle nach der NPD ist es mir besonders wichtig, deutlich darauf hinzuweisen, dass die FDP selbstverständlich für den Abbau von Diskriminierung und Intoleranz eintritt. Wir sprechen uns dafür aus: Gleiches Recht und gleiche Chancen für alle Bürger.

(Beifall bei der FDP)

Ich denke, das unterscheidet uns – gemeinsam mit den anderen demokratischen Fraktionen in diesem Hause – von der Position der NPD.

(Uwe Leichsenring, NPD: Dann haben Sie die Anträge nicht gelesen!)

Deswegen, Herr Leichsenring, werden wir Ihrem Antrag auch nicht abschnittsweise zustimmen können.

(Beifall bei der FDP – Uwe Leichsenring, NPD: Können Sie bitte noch einmal erklären, warum nicht?!)

Der Abbau von Diskriminierung jedoch lässt sich nicht allein und ausschließlich per Gesetz verordnen. Abbau von Diskriminierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe; sie zielt auf Bewusstseinsveränderung. Was wir in Deutschland wieder machen, ist – in typisch deutscher Gründlichkeit –, alles wieder per Gesetz und Verordnung zu regeln – der typisch deutsche Fehler; wir haben heute Morgen in der Debatte schon darüber diskutiert.

Bei der Umsetzung der EU-Vorgaben schießt Deutschland wieder einmal über das Ziel hinaus. Die Folge: Standortnachteile für Deutschland, insbesondere für Sachsen.

Wir sprechen über Bürokratieabbau – das war heute Morgen Thema der Aktuellen Debatte – und in der Umsetzung machen wir das Gegenteil: Statt Eins-zu-einsUmsetzung gehen wir über die Vorgaben hinaus: Arbeitsrecht, eigenständiges Klagerecht für Betriebsrat und Gewerkschaften.

(Demonstrativer Beifall bei der SPD)

Ja, Sie finden das gut. Ich werde Ihnen noch einmal sagen, wozu das führen wird:

(Zurufe der Abg. Stefan Brangs, SPD, und Johannes Lichdi, GRÜNE – Unruhe)

Entschädigungsobergrenzen nur bei Einstellungen, Beweislastregelungen, die dazu führen, dass eine Entscheidung nur mit Mühe nachvollzogen und bewiesen werden kann, dass man nur mit Mühe seine sachgerechte

Entscheidung darlegen kann. Im Zivilrecht geht die Bundesregierung von Nachteilskriterien aus, und der Anwendungsbereich geht weit über das hinaus, was in der EU-Vorgabe gefordert wird.

Was sind denn die Folgen für unsere Unternehmen? Der Betriebsfrieden wird gestört, wenn Gewerkschaftsfunktionäre von außerhalb – –

(Lachen bei der SPD und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Genau das ist der Punkt, darüber lachen Sie, aber das zeigt, wie weit Sie an der Realität vorbei sind.

gegen den Willen des vermeintlich Diskriminierten klagen können.

(Starke Unruhe bei der SPD – Beifall der Abg. Wolfgang Pfeiffer und Horst Rasch, CDU)

Das wollen Sie als SPD, aber das stört den Betriebsfrieden. Ich denke, dass man deswegen die Sache ablehnen sollte.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Wolfgang Pfeiffer und Horst Rasch, CDU)

Ich denke mit Entsetzen an die Aktenberge, die den Unternehmen entstehen werden, wenn die Personalentscheidungen, wie jetzt erforderlich, bis ins Kleinste hinein dokumentiert werden müssen – nur um irgendwann einmal nachweisen zu können, nicht diskriminiert zu haben. Ich wüsste gern, wie viele von denen, die an dem Gesetz mitgewirkt haben, schon einmal Einstellungsgespräche mit Bewerberinnen und Bewerbern geführt haben.

(Stefan Brangs, SPD: Mehr als Sie denken!)

Vermutlich sehr, sehr wenige, denn sonst wüssten Sie nämlich, wie es praktisch abläuft. Letztendlich können Sie sich für jeden Bewerber nur eine gewisse Zeit nehmen. Sie haben meist vorher nach Kriterien ausgewählt, wen Sie zum Gespräch einladen, aber in einem solchen Gespräch hängt natürlich sehr, sehr viel – ob Sie den einen oder die andere nehmen – von einem subjektiven Eindruck ab. Da hat auch das Bauchgefühl eine gewisse Rolle zu spielen, das ist einfach so. Und weil dem so ist, können gewisse Entscheidungen auch nicht in Akten dokumentiert werden, um nachher nachzuweisen, warum man den einen oder die andere genommen hat, wenn man einen persönlich positiven Eindruck von jemandem hat oder auch nicht. Aber Sie wollen, dass dies alles dokumentiert werden soll.

Nur ein Beispiel: Entlassungen, Sozialauswahl. Wir haben hier Richterrecht. Wie schwer fällt es denn den Unternehmen heute, objektiv nachzuweisen, dass sie die Sozialauswahl richtig getroffen haben – und das, obwohl im Betrieb oft Betriebsvereinbarungen mit den Betriebsräten abgeschlossen werden?! Selbst da ist es sehr schwer für die Unternehmen, dies gerichtsfest hinzubekommen.

(Zurufe von der SPD)

Sie erwarten jetzt, dass eine nicht diskriminierende Einstellungsentscheidung problemlos von einem Unternehmen dokumentiert werden kann, dass es nachher auch gerichtsfest ist. Das ist vollkommen an der Realität vorbei.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist doch so, dass hier gerade ein Problem für kleine und mittlere Unternehmen entsteht, wie wir sie hier in Sachsen im Verhältnis zu ganz Deutschland viel stärker haben. Welches von den sächsischen Unternehmen hat denn die großen Personalabteilungen, die Stäbe, die die Dinge dokumentieren und vorbereiten können? Wer von den aufstrebenden Mittelständlern in Sachsen hat denn einen Hausjuristen, um bei solchen Fragen beraten werden zu können?

Für ein Unternehmen in Baden-Württemberg ist das sicher leistbar, aber in Sachsen ist es viel schwerer oder gar nicht zu leisten. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns in Sachsen gegen dieses Gesetz aussprechen, weil es im Verhältnis zu anderen Bundesländern für unsere Unternehmen größere Nachteile bringt. Wir haben in einer der letzten Sitzungen darüber diskutiert, mit welchen Kosten eine Arbeitsstunde durch Bürokratie belastet ist. 2,20 Euro belasten jede sächsische Arbeitsstunde aufgrund von Bürokratiekosten. Wir fügen durch diese Regelung weitere Kosten hinzu. Denken Sie daran, Sachsen ist das Bundesland mit der längsten Außengrenze zu den neuen EU-Beitrittsstaaten. Auch dadurch ist Sachsen von einer Erhöhung der Bürokratiekosten im Wettbewerb viel stärker betroffen als Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen. Deswegen ist es mein Anliegen, dass wir uns in Sachsen gegen diese Regelungen aussprechen.

(Beifall bei der FDP)

Letztendlich führen diese Regelungen zu einer Abwanderung von Arbeitsplätzen Richtung Osten, und angesichts von 376 000 Arbeitslosen in Sachsen ist das der absolut falsche Weg.

(Beifall bei der FDP)

Man sollte meinen, die Staatsregierung hätte das Problem erkannt. Schließlich haben wir in der Koalitionsvereinbarung eine Formulierung, dass man bei der EU-Umsetzung darüber hinausgehende Standards ablehnt. Man könnte meinen, man ist problembewusst in der Staatsregierung. Herr Minister Mackenroth hat am 3. März 2005 erklärt, dass bereits die europäischen Richtlinien diesbezüglich für seinen Geschmack die Grenze des Hinnehmbaren deutlich überschreiten. Herr Mackenroth sagt – er ist heute leider nicht mehr da –, dass selbst das, was in den Richtlinien steht, für uns schon nicht mehr zumutbar ist. Wie er als Minister im Bundesrat mittragen kann, dass man noch über die Richtlinien hinausgeht, ist für mich nur schwer zu verstehen.

(Beifall bei der FDP)

Mir ist sehr wohl klar, dass es angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag – Zweidrittelmehrheit von Schwarz-Rot – sehr schwer sein wird, dieses Gesetz im Bundesrat noch zu ändern, zu Fall zu bringen oder zu verbessern. Aber angesichts der hohen Betroffenheit insbesondere von Unternehmen in Sachsen ist es wichtig, dass wir im Parlament in dieser Frage nichts unversucht lassen. Das sind wir den Arbeitslosen schuldig. Deswegen appelliere ich an Sie, unserem Antrag zuzustimmen, damit die Staatsregierung einen ganz klaren Auftrag erhält, wie sie sich im Bundesrat Anfang Juli zu verhalten hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Für die CDUFraktion spricht Herr Abg. Prof. Bolick.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In § 1 des Entwurfs zum Allgemeinen Gleichstellungsgesetz ist formuliert: „Ziel des Gesetzes ist, die Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“ Diesem Tenor schließt sich unsere Fraktion an und trägt den Grundsatz dieses Gesetzes mit.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Der NPD-Fraktion erkenne ich jedoch den tatsächlichen Willen, Benachteiligungen zu verhindern, ab. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.

Nun zum Antrag der FDP-Fraktion. Die Bundesrepublik Deutschland ist angehalten, die EU-Vorgaben zur Vermeidung von Benachteiligung sowie zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in nationales Recht zu überführen. Darin sind wir uns alle einig. Wie wir dies im Einzelfall tun, darüber besteht jedoch noch keine hinreichende Einigkeit. Gerade deshalb hat der Bundesrat in seiner Sitzung am 16. Juni den Beschluss gefasst, von der Bundesregierung Korrekturen am Entwurf des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes zu verlangen, und dies in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf hinreichend dokumentiert. Insofern kommt der Antrag der FDPFraktion etwas spät.

Herr Prof. Bolick, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Zu dem Vorgang, den Sie gerade erwähnt haben: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass führende Politiker der Koalition im Bund gesagt haben, dass es ihnen egal sei, dass der Bundesrat diesen Entschließungsantrag gestellt hat, und dass sie unverändert die Sache verabschieden wollen?