Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

Die Fragen liegen Ihnen vor. Wir beginnen in der Reihenfolge mit der laufenden Nr. 2; Frau Kagelmann, bitte.

(Andrea Roth, Linksfraktion.PDS: Frau Präsidentin, Frau Kagelmann wurde entschuldigt; sie ist krank.)

Das war mir entgangen; dann bitte ich um schriftliche Beantwortung der Anfrage und um Überstellung an den Stenografischen Dienst.

Der Nächste ist Herr Petzold mit der laufenden Nr. 1; bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema lautet: Gesundheitliche Folgeschäden der Hitzeperiode im Sommer 2006 im Freistaat Sachsen.

Nach den Extremtemperaturen im Sommer 2003 kam es innerhalb eines kurzen Zeitraumes im Sommer 2006 wiederum zu einer Periode anhaltend hoher Temperaturen, die für europäische Verhältnisse untypisch sind und für viele Menschen zu starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen führten. So verzeichnete die Notaufnahme des Universitätsklinikums Leipzig im Monat Juli dieses Jahres 10 bis 15 % mehr Patienten mit Herz-KreislaufBeschwerden und Dehydrierungen.

Fragen an die Staatsregierung:

1. In welchem Umfang und in welchen Regionen im Freistaat Sachsen wurde während der Hitzeperiode im Sommer 2006 eine nachweislich klimatisch bedingte Zunahme der Mortalität sowie von Herz-KreislaufBeschwerden registriert?

2. Welche Maßnahmen zur gesundheitlichen Vorsorge erwägt die Staatsregierung, um im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht angesichts absehbarer klimatischer Veränderungen die Einwohner des Freistaates Sachsen, speziell betagte Bürger, nachhaltig vor den Auswirkungen von Extremtemperaturen zu schützen bzw. präventiv über notwendige Schutzmaßnahmen zu informieren?

Für die Staatsregierung antwortet Frau Ministerin Orosz; bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich nehme zu Ihrer Frage wie folgt Stellung: Eine allgemeine Statistik, die die Zusammenhänge zwischen Hitze und Mortalität oder Herz-Kreislauf-Beschwerden erfasst, ist der Staatsregierung in diesem Zusammenhang nicht bekannt.

Es kommt während sommerlicher Hitzeperioden natürlich bekanntermaßen zu verstärktem Auftreten von HerzKreislauf-Beschwerden und daraus resultierend zu erhöhten Aufnahmeraten in den Krankenhäusern. Wo solche Vorgänge bekannt werden, wird darüber zum großen Teil auch in den Medien berichtet.

Bei derartigen punktuellen regionalen Meldungen bleibt es aber auch. Eine Berichts- oder Meldepflicht gibt es dazu nicht, sodass der Staatsregierung über den Gesamtanstieg keine Informationen vorliegen.

Zu Ihrer zweiten Frage. Es gibt in Sachsen eine Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Deutschen Wetterdienst und dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales. Darin ist festgelegt, dass dem SMS bei erwarteter Hitzebelastung unverzüglich entsprechende Hitzewarnungen übermittelt werden. Gewarnt wird für den aktuellen und den darauffolgenden Tag. Werden längere Hitzebelastungen erwartet, wird zur generellen Einschätzung der Wettersituation eine Hitzevorinformation für die nächsten sieben Tage übermittelt.

Noch einige Aussagen zum Inhalt dieser Hitzewarnung: Sie kommt zum einen per E-Mail, geht an die Gesundheitsämter, an die Regierungspräsidien, an die Landesuntersuchungsanstalt für Gesundheits- und Veterinärwesen, an die Sächsische Krankenhausgesellschaft sowie an alle im Verteiler des SMS aufgenommenen Einrichtungen und Pflegedienste.

Es werden darüber hinaus Informationen im Internetauftritt des Sächsischen Staatsministeriums eingestellt. Dort können sowohl Informationen und Tipps für jedermann als auch fachlich fundierte Hinweise für Pflegepersonal und Ärzte eingesehen, ausgedruckt oder heruntergeladen werden.

Bereits im Jahr 2005 wurden alle Pflegeverbände, Gesundheitsämter und die Sächsische Krankenhausgesellschaft über die Möglichkeit zur Information und Teilnahme an diesem Hitzewarnsystem informiert. Während länger andauernder Hitzeperioden werden auch in der Presse Hinweise zu angemessenem Verhalten bei extremen Temperaturen weitergegeben.

Danke schön.

Die laufende Nr. 6 ist an der Reihe; Herr Lichdi, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Frage betrifft die Vereinbarkeit der Anti-Terror-Datei mit der Verfassung des Freistaates Sachsen.

Herr Staatsminister Dr. Buttolo hat sich für eine Mischform zwischen Index- und Volltextdatei als Anti-TerrorDatei ausgesprochen (Pressemitteilung vom 03.09.2006).

Ich frage die Staatsregierung:

Aus welchen Gründen hält die Staatsregierung eine solche Mischform zwischen Index- und Volltextdatei für vereinbar mit Artikel 83 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen (Trennungsverbot zwischen Polizei und Verfassungsschutz), der von dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof dahin gehend ausgelegt wurde, dass Artikel 83 SächsVerf nicht dadurch unterlaufen werden darf, dass

1. das Landesamt für Verfassungsschutz unter Einsatz seiner nachrichtendienstlichen Befugnisse, Aufgaben von Polizei und Strafverfolgungsbehörden wahrnimmt und

2. infolge dieser Aufgabenwahrnehmung erhaltene Daten dann zumindest teilweise diesen Behörden zur Verfügung stellt, die dann auf Grundlage dieser Daten Maßnahmen anordnen können (Urteil vom 21.07.2005, Vf. 67-II-04)?

Für die Staatsregierung Herr Dr. Buttolo, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie gestatten sicherlich, dass ich etwas weiter aushole.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Ich gestatte!)

Ich hatte die Frau Präsidentin gefragt.

Ich gestatte auch.

(Beifall des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS, und des Staatsministers Thomas Jurk – Leichte Heiterkeit)

Die geplanten Kofferbombenattentate von Dortmund und Koblenz haben es deutlich gezeigt: Die von den Sicherheitsbehörden auch für Deutschland festgestellte Gefahr terroristischer Anschläge hat sich in der bisher deutlichsten und unmittelbarsten Weise konkretisiert: Den Tätern ist es gelungen, ihr Tatvorhaben in Gänze – gleichwohl ohne den beabsichtigten Erfolg – umzusetzen.

Der Terrorismus ist in Deutschland angekommen. Auf einer Sondersitzung Anfang dieses Monats habe ich mich mit meinen Ressortkollegen der anderen Bundesländer sowie dem Bundesinnenminister über den Aufbau einer gemeinsamen Anti-Terror-Datei verständigt. Der Einigung vorausgegangen ist eine nahezu fünfjährige Diskussion. Diskutiert wurden Versionen, wie reine Volltextdatei, Indexdatei oder eine Mischform. Nun haben wir folgende Eckpunkte festgelegt: In der Anti-Terror-Datei wird es einen Grunddatensatz geben, der zur Identifikation einer Person wichtig ist. Dieser Grunddatensatz soll für alle relevanten Sicherheitsbehörden einsehbar sein. Neben diesen Grunddaten werden das Aktenkennzeichen und die Behörde, die die Daten eingegeben hat, angezeigt. Die Grunddaten dürfen grundsätzlich nur zu zwei Zwecken verwendet werden: zur Identifikation einer Person und für ein Ersuchen auf Übermittelung weiterer Daten an die Behörde, die die Daten eingestellt hat.

Neben den Grunddaten sollen die Sicherheitsbehörden jeweils für ihren Bereich diesen Grunddatensatz mit weiteren Informationen ergänzen können. Zu diesen sogenannten erweiterten Daten zählen Angaben, die eine Gefährdungseinschätzung ermöglichen sollen. Allerdings wird dieser Teil immer verdeckt gespeichert. Die anfragende Behörde erhält im Trefferfall nur Zugriff auf Aktenzeichen und eingebende Behörde, nicht aber Zugriff auf erweiterte Daten. Damit kann beispielsweise das LKA Sachsen sehen, ob zu der relevanten Person noch von einer anderen Sicherheitsbehörde, zum Beispiel dem Verfassungsschutz, Informationen vorliegen, ohne jedoch diese Information selbst einsehen zu können. Der Zugriff auf die erweiterten Daten setzt das eingangs erwähnte Ersuchen voraus. Ob auf das Ersuchen hin weitere Daten übermittelt werden, beurteilt sich nach dem derzeit schon geltenden Recht.

Die bestehende Rechtsgrundlage für die Tätigkeit der Polizeibehörden und der Nachrichtendienste des Bundes und der Länder, wie zum Beispiel das Bundesverfassungsschutzgesetz, das Bundesnachrichtendienstgesetz, das MAD-Gesetz, enthalten jetzt bereits Vorschriften, die detailliert die Voraussetzungen regeln, unter denen personenbezogene Daten an andere Behörden übermittelt werden dürfen bzw. sogar übermittelt werden müssen. Nur im Fall einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit einer Person und Sachen von erheblichem Wert können die Grunddaten auch zur Gefahrenabwehr verwendet werden und die erweiterten Daten sofort freigeschaltet werden. Ob ein solcher Eilfall vorliegt, ist durch den Behördenleiter der anfragenden Behörde zu entscheiden. Der Zugriff auf die erweiterten Daten wird

jedoch protokolliert, ist also nachprüfbar. Die speichernde Behörde wird automatisch über den Zugriff informiert und um Zustimmung ersucht. Wird die Zustimmung versagt, sind die angefragten Daten zu löschen bzw. zu sperren.

Ausdrücklich möchte ich nochmals betonen: In der AntiTerror-Datei werden keine neuen Daten gespeichert. Die Anti-Terror-Datei ist lediglich eine technische Erleichterung des Austauschs von Daten, die bereits jetzt zwischen den beteiligten Behörden ausgetauscht werden können. Der für die Einzelabfrage gesetzlich geltende Rahmen bleibt bestehen. Jede Behörde darf nur auf der Grundlage der für sie geltenden Übermittlungsvorschriften abfragen. Es müssen somit immer die Voraussetzungen der Übermittlung vorliegen und die vorgesehene Verwendung der Daten muss zulässig sein. Ersucht zum Beispiel das LKA Sachsen aufgrund eines Treffers beim Landesamt für Verfassungsschutz um Freigabe der erweiterten Grunddaten, so hat das Landesamt für Verfassungsschutz zu prüfen, ob auf der Grundlage des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes Übermittlungsverbote bestehen. Hierzu zählen zum Beispiel Verwendungsbeschränkungen aufgrund besonderer gesetzlicher Übermittlungsregelungen. Dies ist beispielsweise bei den Daten aus einer G-10Maßnahme immer zu überprüfen. Ob im Übrigen die Voraussetzungen für die Datenübermittlung vorliegen, ist wiederum durch die ersuchende Stelle nach geltendem Recht zu prüfen. Auch Kennzeichnungspflichten sind zu beachten. Vor diesem Hintergrund steht die Anti-TerrorDatei mit dem Grundgesetz im Einklang.

Sehr geehrter Herr Abg. Lichdi, die von Ihnen aufgeworfene Frage, ob die Anti-Terror-Datei mit Artikel 83 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen, nämlich dem Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz, vereinbar ist, stellt sich so nicht. Das wissen Sie auch. Artikel 31 des Grundgesetzes schreibt wörtlich vor, das Bundesrecht Landesrecht bricht. Dies gilt auch für die Landesverfassung. Schreibt der Bundesgesetzgeber die Einführung der Anti-Terror-Datei bundesrechtlich vor, geht diese Vorgabe unserer Verfassung vor.

Dies hat auch der Sächsische Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung zum Verfassungsschutz berücksichtigt. Er betont in dieser Entscheidung, dass eine Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz „nicht über den nach dem Bundesrecht notwendigen Umfang“ hinausgehen dürfe. Die Anti-Terror-Datei steht deshalb in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes.

Insofern verwahre ich mich auch gegen den in den letzten Tagen verschiedentlich geäußerten Vorwurf, ich hätte mit meiner Zustimmung zur Anti-Terror-Datei gegen die Sächsische Verfassung verstoßen. Dies ist nicht richtig. Die Sächsische Verfassung ist ein hohes Gut, das zu wahren ich mit meinem Amtseid verpflichtet bin. Ich kann aus den genannten Gründen nicht erkennen, dass die Anti-Terror-Datei unserer Verfassung widerspricht. Ich sehe daher keinen Grund, warum sich Sachsen nicht an

dieser bundesweiten Anti-Terror-Datei beteiligen sollte. Sachsen darf auch nicht nach außen signalisieren: Wenn sich Terroristen in Deutschland ansiedeln wollen, dann sollten sie dies in Sachsen tun, da man sich hier nicht an der Anti-Terror-Datei beteiligt.

Herzlichen Dank, Frau Vorsitzende.

Es gibt noch zwei Nachfragen. Bitte, Herr Lichdi.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich haben den langen Ausführungen entnommen, dass Sie die Zustimmung zur Anti-Terror-Datei dadurch rechtfertigen, indem Sie auf Artikel 31 Grundgesetz verweisen. Es ist zweifellos richtig, dass Bundesrecht Landesrecht und auch der Sächsischen Verfassung vorgeht. Aber ich frage Sie, warum Sie von sächsischer Seite bei den Beratungen keinen Vorbehalt, wie es meiner Meinung nach Ihrer Pflicht entsprochen hätte, aufgrund der spezifischen sächsischen Verfassungsrechtslage eingebracht haben.

Herr Lichdi, das ist im Moment noch nicht notwendig gewesen. Die Bundesregierung wird erst einen Gesetzentwurf ausarbeiten. Es ist davon auszugehen, dass dieser Entwurf Ende des Monats vorliegt. Erst wenn dieser Entwurf tatsächlich ausgearbeitet vorliegt, kann man prüfen, ob er gegen eine Regelung verstößt, die im Freistaat Sachsen in der Verfassung festgesetzt ist, oder nicht.

Bitte, noch eine Nachfrage.

Darf ich Ihre Ausführungen so verstehen, dass Sie prüfen werden, ob Sie einen Vorbehalt gegen den Gesetzentwurf anbringen?

Die Überprüfung des Gesetzentwurfes wird dann stattfinden, wenn er uns vorliegt. Vorher ist es mir nicht möglich. Ich kann jetzt nicht spekulativ sagen, wir werden dies oder jenes tun. Zunächst muss die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf vorlegen. Ich darf an dieser Stelle sagen, dass der Bundesinnenminister auch nicht ohne Abstimmung mit der Bundesjustizministerin gehandelt hat. Der Vorschlag, der letztlich zur Anti-Terror-Datei geführt hat, wurde – so hat sich Herr Dr. Schäuble geäußert – auch von der Bundesjustizministerin akzeptiert.

Es gibt weitere Nachfragen. Herr Bartl, bitte.

Herr Staatsminister, mich würde interessieren, worauf sich Ihre Rechtsauffassung stützt, dass Bundesrecht die Verfassung des Freistaates Sachsen brechen kann. Wollen Sie damit sagen, dass wir ohne Änderung der Verfassung in Zukunft das Bundesgesetz in Sachsen anwenden können? Auf welche Verfassung sind Sie denn hier vereidigt worden?