Protokoll der Sitzung vom 19.01.2005

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den vorliegenden Richtlinien liegen uns die formalen Regelungen für die Arbeit des Bewertungsausschusses vor. Wie mein Vorredner begrüße auch ich im Namen unserer Fraktion ausdrücklich, dass es diese Regelungen gibt. Es sind Regelungen, die auch dem Datenschutz Rechnung tragen, die notwendige Geheimhaltungen im Detail regeln. Es sind aber auch Regelungen, die zugleich die Rechte der Betroffenen wahren und ihre Eingriffs- und Beteiligungsrechte sichern. Darüber sollte hier, denke ich, auch kein Streit entfacht werden. Wir halten es deshalb für richtig und notwendig, diese Richtlinien zu verabschieden und werden ihnen auch zustimmen. Das, was von Ihnen, Herr Bartl, angesprochen wurde, ist ja nur die Grundlage dieses Ganzen. Die Grundlage dieser Richtlinie ist der Auftrag, der im Artikel 118 der Sächsischen Verfassung erteilt wird, ein Auftrag, der auch in § 1 des Abgeordnetengesetzes aufgenommen wurde und der sich im Wahlgesetz nahezu wortgleich wiederfindet.

Dieser Artikel 118 wird jetzt – dieser Vorgang steht mit im Raum – durch den Gesetzentwurf der PDS-Fraktion infrage gestellt. Nicht in diesem Gesetzentwurf, aber im Umfeld der Diskussionen wird ja oft der Ruf nach Rechtsfrieden erhoben und die Forderung „Einmal muss Schluss sein mit diesen Geschichten!“

Es muss eine Verjährung geben. Verjährung gehört zu den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit. Aus diesem Grund hat ja auch das Stasi-Unterlagen-Gesetz 15 Jahre als Zeitraum gesetzt, in dem die Unterlagen herausgegeben werden. Das heißt, Ende des Jahres 2006 ist Schluss. Ich kenne bisher keinerlei politische Initiative und ich sehe auch keine, die darauf hinzielen würde, diesen Zeitraum auszudehnen. Ich würde aber auch keinerlei Initiative unterstützen, ich kritisiere sie sogar scharf, die darauf abzielt, diesen Zeitraum zu verkürzen und jetzt zu beenden, wie Sie es mit Ihrem Gesetzentwurf getan haben.

Die formalen Richtlinien beschreiben den Weg, sie setzen einen gewissen Rahmen. Ich finde es bemerkenswert, wenn Sie sich hier für eine saubere gesetzliche Regelung einsetzen. Ich muss Ihnen aber offen sagen: Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie saubere gesetzliche Regelungen wollen. Ich glaube, Sie wollen gar keine.

(Klaus Bartl, PDS: Wollen wir nicht!)

Ich glaube, Sie wollen gar keine. An diesem Nachmittag sprechen mir hier zu viele Abgeordnete des Sächsischen Landtages in eigener Sache, zu wenige objektiv,

(Beifall bei der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

mit einer Emotionalität, die solchen diffizilen Fragen wie der Arbeit eines Bewertungsausschusses und der schwierigen Arbeit der Mitglieder dieses Ausschusses, die abzuwägen und die die schwierige Frage des Vorschlages der Aberkennung eines Mandats zu entscheiden haben, überhaupt nicht gerecht wird. Ich glaube, das ist der falsche Ton für diesen Nachmittag, auch gerade von den falschen Rednern.

Ich sage nochmals im Namen meiner Fraktion: Wir werden dieser Richtlinie zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

Das war die Abgeordnetenrunde. Ich frage die Staatsregierung. – Kein Aussprachebedarf. Dann frage ich noch einmal das Plenum. Gibt es weiteren Aussprachebedarf? – Es gibt mehrere Bewerbungen darum. Bitte, Herr Abg. Bartl.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gerstenberg, ich will wirklich keinen Streit darüber, wer entscheidet, wer der richtige oder der falsche Redner ist. Ich denke einmal, das ist das Allerletzte, dass Sie sich auch nur zuordnen könnten, darüber zu befinden. Sie verfolgen auch sehr wohl ununterbrochen seit 1990 politische Ziele mit dem Thema.

(Beifall bei der PDS)

Sie sind weit weg von einer sachlich-kritischen Distanz zum Thema. Weit weg. Das ist auch nicht der Punkt.

Ich will es noch einmal zu verdeutlichen versuchen. Wir wollen tatsächlich, dass eine Änderung im materiellrechtlichen Normenbereich, im Eingriffsbereich erfolgt. Das ist der Artikel 118. Wir wollen ihn nicht abschaffen. Wir wollen den Rechtsfrieden. Wir wollen, dass wir das machen, was wir im Strafrecht sehr wohl machen, Herr Gerstenberg. Dort beginnt die Verjährung nämlich immer mit dem Tag, an dem die Tat endet, und nicht mit dem Tag, an dem das Gesetz in Kraft tritt. Das ist eine ganz originäre Rechtsschöpfung, die es nur beim StUG gibt. Es ist falsch, wenn ich die 15 Jahre ansetze, ab dem soundsovielten … 1992, als ich das Gesetz verabschiedet habe, obwohl ich genau weiß, spätestens am 27.10.1989 – dort endete nämlich nach allen Regeln, die ansonsten in bundesdeutschen Gesetzen angenommen werden, mit dem Rücktritt Honeckers die Diktatur – war, meinethalben noch im Januar 1990, die letztmögliche Involvierungsmöglichkeit des MfS. Sie rechnen ja von vornherein zwei Jahre dazu, weil Sie das machen, was es sonst nirgends im Recht bei der Verjährung gibt. Sie setzen nicht bei der Tat an, sondern Sie setzen in dem Fall bei der Rechtskraft des Gesetzes an. Das lassen Sie einfach weg, Herr Gerstenberg.

Apropos Lauterkeit und kritische Distanz und Sensibilität! Wir wollen die Änderung im Normengehalt, wir wollen es ja nicht abschaffen, wir haben kein Problem damit, wir haben ja nur gesagt, wir wollen es dann auf strafrechtswidriges Handeln beschränken.

Herr Bartl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich spreche meinen Satz nur noch zu Ende. Wir wollen dann, wenn der Normenbereich so oder so, ob er geändert ist oder nicht geändert ist, auch und unbedingt, sagen wir seit 1991, genauso, wie eine materiellrechtliche Norm da ist, eine prozessuale Norm. Es ist einfach nicht wahr, das haben wir immer gesagt. Inso

fern wollen wir es auch. Insofern, habe ich vorhin gesagt, ist der Beschluss ohne Zweifel zu begrüßen. Aber es geht nicht auf der Ebene des Beschlusses. Diese Frage müssten wir klären.

Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Herr Bartl, stimmen Sie mir zu, dass der Vergleich in Bezug auf Verjährung völlig unangebracht ist? Stimmen Sie mir zu, dass es hier zum Teil um Taten geht, die bereits verjährt gewesen wären, bevor das Stasi-Unterlagen-Gesetz überhaupt geschaffen werden konnte?

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

– Nein, da stimme ich Ihnen nicht zu, und zwar aus zwei Gründen nicht. Erstens ist bekanntermaßen durch den Bundestag ein Gesetz geschaffen worden, das gewissermaßen die Verjährung vom 7.10.1949 bis zum 2.10.1990 unterbrochen hat. Die Frage ist einfach damit beantwortet. Der Bundestag hat in seiner Mehrheit entschieden, dass während der Zeit bei allen politisch intendierten Delikten die Verjährung geruht hat. Seitdem berechnen wir in dem Beitrittsgebiet seit dem 3.10.1990 neu. Deshalb sind all die Daten noch verfolgt worden: Körperverletzung, Untersuchungshaft oder wie auch immer. Das ist einfach falsch, wir sind informiert. Zweitens. Sie haben es vorhin ins Gespräch gebracht, Sie haben vorhin gesagt, dass es in allen Rechtsverhältnissen eine Verjährung gibt. Deshalb habe ich daran angeknüpft. Ich habe gesagt, jawohl, aber in allen Rechtsverhältnissen beginnt die Verjährung letzten Endes beim Strafrecht mit allem Drum und Dran mit dem Tag der Tat. Nun wissen wir genau: Wir haben einen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der ist im Artikel 20 eines der justiziellen Grundrechte, gewissermaßen einer der Ausflüsse des Rechtsstaatsprinzips. Dort ist ja das Problem, dass Sie inzwischen alle mittelschweren Delikte nicht mehr verfolgen können, weil sie verjährt sind. Darunter fällt meinethalben der schwere Raub, darunter fällt der Überfall mit Waffen und ähnliche Dinge mehr. Darüber streiten sich nun die Gelehrten, da gebe ich Ihnen Recht. Darüber streiten sich Gelehrte, Politiker, Verfassungsrechtler, Strafrechtler, Verwaltungsrechtler. Am 31.1., nehme ich an, geht es hier anders herum. Mit anderen Worten darf hier die Verhältnismäßigkeit länger durchgreifen als beim Strafrecht. Das kann man so herum und so herum beantworten. Das will ich auch nicht vorwegnehmen. Aber die Frage zu stellen ist doch legitim. Das ist letzten Endes das Problem, dass ich jetzt bei Ihrer Argumentation nicht erkennen kann, warum ich auf die Frage, wenn Sie die Verjährung wie beim Strafrecht anmelden, nicht so antworten darf. Das wäre die Antwort auf die Frage gewesen. Noch einmal auf den Punkt gebracht: Wir wollen, bitte schön, wenn es so oder so wegen der Mehrheitsverhältnisse bei Artikel 118 bleibt, meinethalben bis zum Ende

der Legislatur oder bis zum Ende der Verfolgbarkeit der Anträge von StUG, ein geregeltes Verfahren und halten schon allein deshalb jede Entscheidung, die hier getroffen wird, wenn die Grundlage im prozessualen Verfahren nicht da ist, für rechtswidrig, für nicht haltbar.

Das Verfassungsgericht hat doch in allen Verfahren, ob man Dürrschmidt, ob man Bartl, ob man Kosel, ob man Goliasch nimmt, immer gesagt: Die Frage brauchen wir nicht zu entscheiden, weil sie vorher schon unzulässig war. Aber in einem Verfahren in Thüringen ist definitiv gesagt worden, was ich versuche einmal klarzumachen: Das Thüringer Verfassungsgericht hat am 25. Mai 2000, nachdem der dortigen Abgeordneten das Abgeordnetenmandat aberkannt worden war, auf der Grundlage eines Beschlusses definitiv formuliert: „Damit ist dem Beschluss des Landtages vom 29. April 1999 der Rechtsboden entzogen, denn eine andere, das Vorgehen des Landtages gegen die Antragsgegnerin tragende Gesetzesbestimmung existiert nicht und allein der Landtagsbeschluss über den Mandatsfluss, den Verfahrensausgang der Abgeordnetenüberprüfung, kann eine solche Rechtsgrundlage nicht schaffen“. Sie haben gesagt, materiellrechtlich und prozessrechtlich brauchen wir ein Gesetz, und nur das wollten wir schlicht und ergreifend in der Debatte gemacht haben. Wenn Sie sich trotzdem anders entscheiden, ist es Ihre Sache.

(Beifall der Abg. Prof. Dr. Peter Porsch und Dr. Volker Külow, PDS)

Meine Damen und Herren! Wir sind in der zweiten Runde der allgemeinen Aussprache. Für die CDU spricht noch einmal Herr Schiemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verweise noch einmal auf die Regelungsmaterie, der wir uns hier mit diesem Antrag gewidmet haben. Auf alle anderen Diskussionspunkte möchte ich nicht eingehen.

Dem Artikel 118 haben die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die FDP-Fraktion, die SPD-Fraktion und die CDU-Fraktion am 27. Mai 1992 mit der Verfassung in dieser Form zugestimmt. Sie hatten das erst in Ihrem Verweis darauf verwechselt, Herr Bartl.

Das ist für uns natürlich eine Verpflichtung, die aus der friedlichen Revolution hervorgegangen ist.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind es den Menschen schuldig – nicht denen, die ab und zu mal hier im Landtag unter schwierigen Diskussionen standen –, sondern wir sind es als Sächsischer Landtag den Menschen schuldig, die die Freiheit für die neuen deutschen Länder erkämpft haben. Das lassen wir uns auch in der Diskussion zum Artikel 118 nicht kleinreden, denn es waren die Frauen und Männer dieser neuen deutschen Länder.

(Beifall bei der CDU und ganz vereinzelt bei der NPD)

Nun zur Frage des Verfahrens. Ich verweise noch einmal darauf, dass dieser Sächsische Landtag darauf hingewiesen hat, er möchte ein rechtsstaatliches Verfahren; ein Verfahren, das diejenigen, die von Artikel 118 betroffen sind, vielleicht in ihrem alten System oft den damals Betroffenen verwehrt haben. Wir haben nie nach Hass geschaut, sondern wir haben ein Verfahren vorgelegt und auch hier beschlossen. Wenn Sie darauf verweisen, der Landtag hätte das nicht getan, dann schauen Sie in die Protokolle. Meines Wissens hat am 20. Mai der Sächsische Landtag ein ähnliches Verfahren beschlossen: die Richtlinien zur Tätigkeit des Bewertungsausschusses des 3. Sächsischen Landtages, die jetzt mit den Richtlinien, die wir hier vorgelegt haben, die jetzt auch diskutiert worden sind, die wir qualifiziert haben, bei denen wir uns bemüht haben, auch den Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes Rechnung zu tragen.

Ich glaube, wir sollten uns jetzt nicht mehr mit Nebelbomben befassen, sondern wir sollten bei der Wahrheit bleiben.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wir haben in unserem von der SPD-Fraktion und der CDU-Fraktion vorgelegten Antrag die Fragen aufgenommen, die der Verfassungsgerichtshof kritisiert hat. Wir haben die Richtlinien aus der 3. Legislaturperiode qualifiziert und jetzt zur Diskussion gestellt.

Ich habe in meiner Rede darauf hingewiesen, dass diese Richtlinien zur Rechtssicherheit der Arbeit des Bewertungsausschusses beitragen. Der Bewertungsausschuss hat ein rechtsstaatliches Verfahren, das die Mitglieder dieses Hohen Hauses selbst festgelegt haben, das wir von Artikel 118 der Sächsischen Verfassung ableiten, vom Abgeordnetengesetz und vom Wahlgesetz des Freistaates Sachsen.

Ich habe auch darauf hingewiesen, dass der Änderungsantrag, der allen Mitgliedern des Hohen Hauses vorliegt, Nr. 1 Buchstabe f streichen soll. Ich weise darauf hin – Herr Präsident, Sie werden mir an der Stelle sicherlich helfen –: Wenn der Änderungsantrag das Begehr hat, die Nr. 1 Buchstabe f zu streichen, dann sind natürlich auch die Verweisungen, die sich in Nr. 1 Buchstabe h und Nr. 2 Buchstabe e befinden, hinfällig, weil der Buchstabe f nicht mehr in der Richtlinie vorkommt. Sollte das, was ich vorgetragen habe, falsch sein, dann wäre ich sehr dankbar, wenn Sie mich an der Stelle berichtigen würden.

Nein, ich berichtige Sie nicht; Sie haben grünes Licht, Sie haben Recht.

Ich bedanke mich, Herr Präsident. Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesem Fall würde ich Sie ganz herzlich bitten, dem Antrag, der Ihnen vorliegt, gemeinsam mit dem Änderungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der NPD und der Staatsregierung)

Ich stelle trotzdem an das Plenum die Frage: Besteht bei den anderen Fraktionen Bedarf zur allgemeinen Aussprache? – Dies ist nicht der Fall. Ich glaube, Herr Schiemann, Sie dürfen gleich wieder sprechen, denn jetzt käme das Schlusswort, oder wollen Sie verzichten? – Gut, dann ist seitens der Koalition auf das Schlusswort verzichtet worden und wir kommen zur Behandlung des Antrages an sich und damit erst einmal zum Änderungsantrag. Der Änderungsantrag begehrt, dass im Abs. 1 der Buchstabe f des Antrages gestrichen werden möge, und das stelle ich jetzt zur Abstimmung. Wer stimmt dem Begehr, dies zu streichen, zu? – Danke schön. Die Gegenstimmen! – Keine. Stimmenthaltungen? – Ich stelle eine größere Anzahl von Stimmenthaltungen fest, aber mit

übergroßer Mehrheit des Hauses ist die Änderung beschlossen.

Somit stelle ich den Gesamtantrag inklusive der eben beschlossenen Änderung zur Abstimmung. Wer dem Antrag in Drucksache 4/0469 mit der soeben beschlossenen Veränderung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenstimmen! – Danke. Gibt es Stimmenthaltungen? – Die Stimmenthaltungen von soeben wurden zu Gegenstimmen, aber ich stelle fest: Eine übergroße Mehrheit hat dem Antrag zugestimmt und damit ist er beschlossen und dieser Tagesordnungspunkt beendet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich rufe auf