Protokoll der Sitzung vom 13.10.2006

Der Historiker Golo Mann sprach noch am 16. Juli 1986 in der „Frankfurter Allgemeinen“ davon, dass es sich beim Deutschlandlied um zarteste Lyrik handle, die freudiger, freundlicher und unkriegerischer als die französische, englische oder amerikanische Hymne sei. Umso unverständlicher ist es, dass dem Leitantrag des letztjährigen CDU-Landesparteitages zur Verankerung der Nationalhymne im Lehrplan an Grundschulen bis heute keine Taten gefolgt sind.

Herr Piwarz, was ist eigentlich aus dem ordentlichen Thesenpapier der Jungen Union geworden – „Ein Wert für sich. Deutschland“ –, das die JU vor über einem Jahr veröffentlicht hat? Da wurde in der Tat endlich einmal Klartext geredet und festgestellt, dass das Selbstverständnis der Deutschen das eines Volkes und nicht einer politischen Nation zu sein hat und dass das Abstammungsprinzip – man höre und staune – Teil unseres Selbstverständnisses sein sollte. Offensichtlich hat die Junge Union in ihrer Mutterpartei nicht viel erreicht, wenn man das beschämende Einknicken im jüngsten Streit um das Deutschlandlied betrachtet. Dabei wäre die tabulose Diskussion um Patriotismus und das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nation bitter nötig.

Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten einen unvorstellbaren Substanzverlust erlitten. Wir haben einen Verlust an Volkssubstanz durch Geburtenrückgang und Massenabtreibungen,

(Johannes Lichdi, GRÜNE: So ein Quatsch! – Proteste bei der SPD)

einen Verlust an kultureller Substanz und die gezielte Verächtlichmachung unserer Traditionen, einen Verlust an staatlicher Substanz durch das Wuchern des Parteiensystems und eine zunehmende Souveränitätsverlagerung an überstaatliche Organisationsstrukturen.

Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir eine nationale Rückbesinnung, einen Kampf um die Rückgewinnung unserer nationalen Identität. Vom deutschen Sozialhilfeempfänger bis zum freigekauften Entführungsopfer im Irak wissen alle, dass eine effektivere Ordnungsstruktur als der Nationalstaat bis heute nicht erfunden worden ist. Er bietet den Individuen einen Schutz- und Freiraum und sorgt nach außen für Wehr- und Handlungsfähigkeit. Ohne diese Strukturen blieben die Menschen bindungslose Individuen, die von den Stürmen der Globalisierung wie Herbstlaub umhergewirbelt würden.

Deshalb, meine Damen und Herren, darf Patriotismus nicht nur als Kulissenschieberei verstanden werden oder im Rahmen von „Du-bist-Deutschland“-Kampagnen zu Ehren kommen.

(Protest bei der SPD)

Nein, Patriotismus und Nationalstolz sind nichts Unverbindliches, sondern eine Grundhaltung, mit der sich der Einzelne zur Gemeinschaft seines Volkes bekennt. Aber dazu, meine Damen und Herren, haben Sie hier in diesem Hohen Hause ja kein Rückgrat.

(Protest des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Genauso wenig haben Sie eine echte Überzeugung. Deshalb, meine Damen und Herren, ist es auch verlogen, wenn Teile der sächsischen CDU versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass sie ein Herz für Deutschland haben und dass sie Patrioten sind.

Es hat uns deshalb nicht überrascht, dass ihr Patriotismusbeauftragter, Dr. Rößler, auch Schirmherr der USamerikanischen PallMall-Foundation ist. In einer Broschüre, die für Job-Training in den USA wirbt, sieht Herr Dr. Rößler New York als „lebendige Millionenstadt“ und als „Stadt der Millionen Möglichkeiten“. Mit dieser euphemistischen Verklärung einer wurzellosen GhettoGroßstadt zeigt der Patriotismusbeauftragte der CDU, wo seine tatsächlichen Leitbilder und Orientierungspunkte liegen, nämlich jenseits des Atlantiks, in den USA, einem Land, das für uns Deutsche auf keinen Fall Vorbild sein kann.

(Beifall bei der NPD)

Herr Dr. Rößler und die CDU haben kein Herz für Deutschland, sie sind keine Patrioten. Längst erreicht auch die CDU die Herzen der Deutschen nicht mehr. Die meisten von ihnen sind genauso wie die Vertreter der anderen Blockparteien in diesem Hause vaterlandslose Gesellen, die unser Volk abwickeln wollen. Ihrem seelen

losen Weltbürgertum stellen wir deshalb unseren aufgeklärten, zukunftsorientierten Patriotismus entgegen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der NPD – Johannes Lichdi, GRÜNE: So ein Schwachsinn! – Martin Dulig, SPD: Sie sind eine Schande für Deutschland! – Jürgen Gansel, NPD: Gehen Sie einmal zu Ihrem Psychiater, Herr Lichdi!)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Schiemann, bitte.

(Heftige Proteste bei den Fraktionen zu dem vorangegangenen Beitrag)

Ich darf jetzt wieder einmal um Sachlichkeit gegenüber dem Redner der CDU-Fraktion, Herrn Schiemann, bitten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube nicht, dass es angemessen ist, sich selbst so aus der Kontrolle zu bringen, und besonders nicht bei einer Debatte, die hier von der NPD-Fraktion anberaumt ist.

Der NPD-Fraktion ist klar zu sagen, dass der Nationalsozialismus an dem Lied der Deutschen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 großen Schaden angerichtet hat. Es ist schon anmaßend, dass die NPD-Fraktion, die sich ja in der Weiterführung der Nationalsozialisten fühlt, gerade diese Hymne immer umgedeutet und missbraucht hat. Dies disqualifiziert die NPD-Fraktion als Wortführer für Patriotismus, für nationales Gedankengut und für dieses Deutschlandlied. Das eigentlich Peinliche ist nicht das Lied, sondern dass es viele Jahre lang von den Nazis missbraucht und verunglimpft worden ist.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Von ihnen lassen wir uns nicht in der Frage der nationalen Symbole belehren. Sie sind nicht die Vorbilder für Deutschland. Sie haben es in der Geschichte bewiesen, dass sie nicht die Vorbilder für nationale Symbole sein können.

(Klaus-Jürgen Menzel, NPD: Die CDU ist das!)

Die jubelnden Massen im Nationalsozialismus verstummten ganz schnell in den Trümmern der Städte. Für 20 Millionen Deutsche gab es am Ende nur ein einziges nationales Symbol: das Holzkreuz auf dem Grab.

(Jürgen Gansel, NPD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, die gestatte ich nicht.

Wir weisen diese Art von Parolen zurück. Es hat nichts mit Gemeinschaft, es hat nichts mit Patriotismus und Überzeugung zu tun. Die Nazis haben Gemeinschaft nur unter ihresgleichen gesehen, nur unter den Mitgliedern, die sich ihrem Führer zu Füßen geworfen haben. Sie

haben alle Andersdenkenden in die Lager geschickt, und sie haben alle Andersdenkenden aus dem Volksdenken ihrer Überzeugung herausgestoßen.

(Jürgen Gansel, NPD: Gehen Sie doch einmal zur Gegenwart über!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jedes Volk braucht Symbole. Symbole repräsentieren den Staat, die Souveränität des Staates und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bürger, unabhängig davon, welche Überzeugung die Bürger auf dem Boden ihrer Verfassung letztendlich darstellen.

Die Geschichte des Liedes der Deutschen ist sehr alt. Es ist in einer Zeit entstanden, als die Menschen in den deutschen Ländern versucht haben, eine Einigung aus der Vielstaaterei heraus zu erreichen. Deshalb ist auch die erste Strophe durchaus im Zusammenhang mit dem damaligen Territorium des deutschen Bundes zu sehen, die zweite Strophe aus dem romantischen Wunsch und aus dem Denken von Hoffmann von Fallersleben, dessen Sehnsucht sich letztendlich in der dritten Strophe nach den Forderungen einer deutschen Verfassungsbewegung und auch später in der Revolution durchaus wiedergefunden hat: Einigkeit, der Freiheitsbegriff, Abschaffung der Zensur, Abschaffung der Einschränkung der geistigen und bürgerlichen Freiheit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vieles wurde von den Nationalsozialisten missbraucht und ins Gegenteil verkehrt. Dies gilt ganz besonders für das Deutschlandlied. Es wurde der nationalsozialistischen Ideologie nachempfunden als ein Lied, das Deutschland die Position eines Herrschaftsvolkes und eines Herrschaftslandes bestätigte. Vor allem die erste Strophe wurde national umgedeutet. Die zweite Strophe passte in ihrer romantischen Verherrlichung nur bedingt in das Konzept der Nationalsozialisten. Im Dritten Reich wurde nur noch die erste Strophe gesungen, gefolgt vom nationalsozialistischen Horst-Wessel-Lied, zusammen als Hymne. Bei der dritten Strophe, meine sehr geehrten Damen und Herren, bekamen die Nationalsozialisten ihre Zähne nicht mehr auseinander.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!)

Einigkeit und Recht und Freiheit – noch nicht einmal dem eigenen deutschen Volk wollten sie Einigkeit, Recht und Freiheit gewähren. Wie soll das eine Diktatur auch anders gestalten?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte es für anmaßend, dass die NPD-Fraktion hier mit diesen Symbolen hantiert, und wie eine Fraktion, die sich nicht mit der Verfassung identifiziert und die Verfassung abschaffen will, letztendlich diese Debatte angezettelt hat.

Bitte zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir sollten uns dieses Thema nicht von denen

vorschreiben lassen, die das deutsche Volk schon einmal ins Bodenlose gestürzt haben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Herr Prof. Porsch, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich über den aktuellen Anlass nicht weiter auslassen, der der braunen Seite in unserem Landtag wieder einmal die Gelegenheit gegeben hat, sich als Gralshüter alles Deutschen und der nationalen Symbole aufzuspielen. Aber wir sehen schon, welchen Schaden wild gewordene Provinzialität anrichten kann.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Karl Nolle, SPD)

Im Duden-Bedeutungswörterbuch wird „provinziell“ mit „von geringem geistigem und kulturellem Niveau zeugend“ definiert. Dies trifft allerdings auch und ganz gewiss auf die Einreicher dieser Aktuellen Debatte zu.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Gerade deshalb spreche ich der NPD das Recht ab, sich nationaler Symbole zu bemächtigen oder sich gar die Definitionshoheit darüber anzumaßen, was denn ein solches Symbol sei – und das nicht, weil ich vielleicht ein besonders sentimentalisches Verhältnis zu nationalen Symbolen oder gar zum sogenannten Deutschlandlied, noch dazu in allen seinen drei Strophen, hätte.

Ihnen, meine Damen und Herren von der NPD-Fraktion, wird jedes wirkliche oder von Ihnen erfundene Nationalsymbol zum Bestandteil eines schrecklichen Mummenschanzes, der zu oft in nationalistischer Ekstase und gefährlicher Überhöhung des Eigenen vor dem anderen endete und endet.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)