Protokoll der Sitzung vom 17.11.2006

Im Gegenzug dazu hatten sich SPD, CDU und GRÜNE im Bundestag auf eine Gesetzesnovelle geeinigt, die die Überprüfung zwar nicht ganz abschafft, aber auf wenige Spitzenposten in Politik und Verwaltung beschränkt wissen möchte. Die Birthler-Behörde hatte den Parteien diese Novellierung selbst vorgeschlagen und ist inzwischen gezwungen gewesen zurückzurudern. Die Novelle enthält einen Satz, der nicht nur bei Ex-Bürgerrechtlern für Aufregung sorgte. „Einem früheren Stasimitarbeiter“, heißt es da, „kann seine Vergangenheit im Rechtsverkehr dann nicht mehr vorgehalten bzw. zu seinem Nachteil verwandt werden.“

Dass die ehemaligen Stasimitarbeiter und ihre Interessensvertreter die Diskussion um ihre eigene Vergangenheit beendet wissen wollen, da sie angeblich nur Vertreter eines ganz normalen Geheimdienstes wie jeder andere auch gewesen sein wollen, ist durchaus rational nachvollziehbar. Wenn das Prinzip, dass Opfer- vor Täterschutz zu gehen hat, aber nicht ganz seine Berechtigung verlieren soll, dann müssen für uns die Befürchtungen der früheren Opfer eindeutig im Mittelpunkt stehen. Diese sehen sich nämlich mit dem Albtraum konfrontiert, dass sie erneut verfolgt werden, wenn sie den früheren Tätern dank des angeblich demokratischen Rechtsstaates nicht einmal mehr ihre Taten von einst vorhalten dürfen.

Dazu, meine Damen und Herren, darf es nicht kommen! Mit einer in die von mir soeben skizzierte Richtung gehenden Erklärung des Sächsischen Landtages hätten wir die Möglichkeit, der öffentlichen Debatte einen neuen Impuls zu geben. Diese Möglichkeit sollten wir nicht verstreichen lassen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Die CDUFraktion. Herr Abg. Schiemann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Sächsische Landtag hat sich mehrfach und ausgiebig für dieses Thema stark gemacht. Der Sächsische Landtag hat mehrfach darauf hingewiesen, dass für die Opfer mehr getan werden muss, und hat sich in zahlreichen Debatten auch immer wieder für die Frage der Überprüfung stark gemacht.

Ich denke, dass dieses Thema ausgiebig von den demokratischen Fraktionen diskutiert und auch in die Entscheidungsgremien nach Berlin getragen worden ist. Wir können derzeit feststellen, dass die Fraktionen im Deutschen Bundestag über den Entwurf neu nachdenken. Ich

begrüße dieses Nachdenken ausdrücklich im Namen der betroffenen Opfer und in unserem Namen, weil wir es auch aufgrund unserer Sächsischen Verfassung einfach begrüßen müssen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Ich wäre sehr dankbar, ja, ich fordere es einfach ein, dass der Geist der Revolution des Jahres 1989 nach wie vor in der Kraft der Diskussion im Deutschen Bundestag zu einer Verlängerung führen kann. Diese Verlängerung, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird unter verfassungsrechtlichen Maßstäben durchaus als verfassungsrechtlich möglich angesehen. Das Bundesjustizministerium, aber auch das Bundesinnenministerium haben in den erneuten Stellungnahmen auch seitens der Rechtspolitiker klare Positionen bezogen, sodass man eine Verlängerung um mindestens fünf Jahre als verfassungsgemäß ansehen kann.

Endgültig – das möchte ich betonen – wird der Deutsche Bundestag entscheiden. Ich gehe davon aus, dass er den Mut haben wird, für die Opfer zu entscheiden. Deshalb brauchen wir den heutigen Antrag der NPD-Fraktion nicht.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Die Linksfraktion.PDS und dann die SPD. Möchte die Linksfraktion.PDS gern sprechen oder nicht? – Nein. Dann bitte Herr Gerlach von der SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind hier beim Thema Vergangenheitsaufarbeitung. Ich denke, der Sächsische Landtag hat es sich bei diesem Thema wirklich nicht leicht gemacht. Es gab heftigste Diskussionen und wir haben das Thema in verschiedenen Bereichen ausgestritten.

Die NPD mutiert jetzt zur Hüterin der Gerechtigkeit. Ausnahmsweise machen Sie bei diesem Thema mal keinen Unterschied zwischen deutschen Spitzeln und „Ausländerspitzeln“. Das Wort „Ausländerspitzel“ ist eigentlich nicht meine Wortwahl, aber ich möchte es einfach mal auf die Spitze treiben mit dem, was Sie hier eigentlich tun und wie Sie es heute wieder tun.

Herr Apfel, wenn Sie vom angeblich demokratischen Rechtsstaat sprechen – das haben Sie ja gerade gemacht, das ist auch Ihre Wortwahl –, wäre es interessant zu wissen, ob Sie denn bei diesem Thema auch Ihre dumpfen, völkischen Unterschiede anlegen oder ob Sie es ausnahmsweise mal anders machen wollen.

Eine Fraktion, meine sehr geehrten Damen und Herren, die sich nicht von einem glühenden Hitler-Verehrer aus diesem Nazi-Grund distanziert, hat alle Legitimation für Vergangenheitsaufarbeitung aus meiner Sicht verloren.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Herr Apfel, Sie haben ihn angeblich wegen Geldschulden geschasst. Welche Verlogenheit! Er war Ihnen wohl selbst in Ihrem mit Demokratieanstrich versehenen Wolfspelz nicht mehr tragbar. Nun kommen Sie mit Vergangenheitsaufarbeitung.

Herr Apfel, wenn Sie Ihr eigenes gespaltenes Verhältnis zur Diktatur eines Tages geklärt haben, können Sie gern mit dem Stasithema kommen. Bis dahin sollten Sie von dem Thema Diktaturen und ihren Diktatoren und geistigen Helfern und Zuträgern besser die Finger lassen. Ihr Stecken ist noch voller Nazi-Dreck!

Nun zum eigentlichen Thema. Ursprünglich sind wir mit den Plakaten „Stasi in die Produktion!“ auf die Straße gegangen. Wir wollten damit sagen, sie sollen sich durch ehrliche Arbeit und nicht durch Spitzeldienste ihr Geld verdienen. Das war der Wille der Menschen, die damals auf die Straße gegangen sind, und – so habe ich das immer verstanden – sie wollten, dass ihre Zuflüsterer nie wieder in herausgehobenen Positionen unseres Landes tätig sind. Ich denke, das will die Bevölkerung, die uns gewählt hat, immer noch.

Nun haben wir ein Rechtssystem, das um des Rechtsfriedens willen das Prinzip der Verjährung eingeführt hat. Das sind zum Beispiel bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung 20 Jahre, bei schwerer Körperverletzung zehn Jahre usw. Vor diesem Hintergrund wird nun gesagt, es muss doch endlich mal Schluss sein mit der ständigen Kontrolle. Wir hatten das ja reichlich in diesem Land. Ich denke, und ich weiß mich da in Übereinstimmung mit der überwiegenden Mehrheit nicht nur der sächsischen Sozialdemokraten, dass für die sogenannten nicht herausgehobenen Tätigkeiten die Regelüberprüfung durchaus ihren Dienst zur Befriedung unserer Gesellschaft erfüllt hat und deshalb nicht mehr notwendig ist.

Aber, was allerdings solche Tätigkeiten wie Abgeordnete, Minister usw. – ich könnte eine lange Reihe aufführen – betrifft, möchten wir die Regelüberprüfung weitergeführt haben. Herr Schiemann hat es an dieser Stelle noch einmal betont.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Und zwar nicht, wie im genannten Gesetzentwurf in Berlin beschrieben, erst – ich zitiere – „in den Fällen, in denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst von der ersuchenden Stelle vorgebracht werden“, sondern in dem Falle, wie wir ihn jetzt haben. Diese Art, wie die Formulierung jetzt gewählt wurde, über die nach wie vor – aus unserer Sicht zum Glück – diskutiert wird, widerspricht dem von mir beschriebenen Bürgerwillen, wie ich ihn in vielen Gesprächen nach wie vor erfahre.

Aus diesem Grund werden wir durch intensive Gespräche mit den SPD-Mitgliedern des Bundestages und natürlich

auch den anderen versuchen, den Gesetzestext an dieser Stelle noch zu verändern.

Auf die Problematik der Rehabilitierung möchte ich aus Zeitgründen hier nicht eingehen. Sie bedarf ebenfalls nochmals einer intensiven Diskussion. Aber – und darauf legen wir Wert – dazu brauchen wir weder die vergangenheitsbelastete NPD noch ihre Anträge. Deshalb und nur deshalb lehnen wir den Antrag ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP, den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Die FDP-Fraktion, Herr Abg. Martens, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag der NPD hat Kollege Gerlach bereits richtig darauf hingewiesen, dass es wohl kaum der NPD ansteht, Vergangenheitsbewältigung und Umgang mit Diktaturen in der deutschen Geschichte vorbildlich darzustellen oder hier nennenswerte Beiträge zu leisten. Solange die NPD ihr Verhältnis zur schlimmsten Diktatur in Deutschland im 20. Jahrhundert nicht eindeutig geklärt hat, sollte sie uns damit verschonen, Beiträge leisten zu wollen, wie man mit der zweiten Diktatur umgeht, insbesondere dann, wenn sie selbst lauthals ankündigt, Demokratie und das parlamentarische System zugunsten eines anderen Systems beseitigen zu wollen, kurzum, selbst wieder eine Diktatur einführen zu wollen.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Alexander Delle, NPD: Das ist doch Lüge! – Zurufe von der NPD: Wo steht denn das? Das ist doch Quatsch!)

Der Antrag selbst ist inhaltlich reichlich dürftig, meine Damen und Herren. Wenn in Ziffer 1 gefordert wird, weiterhin die Verstrickung von Einzelpersonen zu ahnden und aufzuklären, wird verkannt, dass das Gesetz über die Unterlagen des ehemaligen MfS der DDR nicht einer personenbezogenen oder schuldabhängigen Sanktionierung von offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS dient, sondern dazu beitragen soll, die Vergangenheit der DDR und des Geheimdienstes der DDR als einen ihrer wesentlichen Machtapparate aufzuklären. Das ist eine Regelung, die dem Schutz der Demokratie und des Rechtsstaates dient, die Aufklärung schaffen soll über die Arbeit und Arbeitsweise des MfS und damit über das Funktionieren eines solchen totalitären Systems und seiner Mitarbeiter.

Die bloße Beibehaltung der bisherigen Überprüfungsmöglichkeiten, wie sie von der NPD gefordert wird, ist zu simpel. Denn neben der Frage der Überprüfungspraxis, der Regelanfragen, sind in diesem Gesetz weitere wichtige Fragen zu regeln, die einer Überarbeitung bedürfen. Das betrifft insbesondere Fragen des Zugangs zu Material und Akten aus dem Bereich des MfS.

Es ist bereits gesagt worden, dass der im Antrag genannte Gesetzentwurf der CDU, SPD und der Bündnisgrünen im Bundestag zurückgestellt worden ist und überarbeitet wird. Die FDP begrüßt dies ausdrücklich, denn wir halten eine weitere Überprüfung des Gesetzes für notwendig, und zwar nicht nur hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Regelanfrage, wie ihn der Gesetzentwurf in § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 vorsieht. Nein, wir sind der Auffassung, dass es zeitlich begrenzt und vielleicht auch inhaltlich präzisiert weiterer Überprüfungen bedarf. Jedenfalls solange noch nicht alle Opfer dieser Diktatur rehabilitiert sind, sollte man erfahren, wer Verantwortung getragen hat, bevor wir uns einer Schlussstrichdiskussion zuwenden, die wir sowieso für verfehlt halten würden.

Diesem Antrag, meine Damen und Herren, stimmen wir jedenfalls nicht zu.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Für die Fraktion der GRÜNEN Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Lassen Sie mich zu Beginn etwas zu der Demagogie sagen, die hinter diesem Antrag steckt.

Gestern haben wir den ersten Landtagsauftritt des Nazis und bekennenden Hitlerverehrers Menzel erlebt, zu dem die NPD bezeichnenderweise geschwiegen hat. Die NPDFraktion hat Herrn Menzel am Dienstag zwar ausgeschlossen, dies aber nicht etwa wegen seines Bekenntnisses zu einem System des millionenfachen Massenmordes, sondern als einen alten Mann mit finanziellen Verfehlungen. Das kann auch nicht anders sein. Denn das, was Herr Menzel offen in die Mikrofone des Fernsehens und des Landtages sagt, tragen die Mitglieder der NPD-Fraktion zwar nicht öffentlich auf der Zunge, aber sehr wohl in ihren Köpfen und in ihren Herzen. Fest verankert in dieser Fraktion ist der Nationalsozialismus, dieses verbrecherischste System der deutschen Geschichte, und damit auch seine gefürchteten Repressionsinstrumente wie die Geheime Staatspolizei.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Deshalb steht es Ihnen, den Neonazis, im Parlament nicht zu, sich als Vorkämpfer für die Aufklärung der menschenrechtswidrigen Praktiken des Staatssicherheitsdienstes der DDR einzusetzen. Mehr noch: Ziel der Verfolgung und Bespitzelung in der DDR waren Menschen, die sich für Freiheit, für Recht und Demokratie eingesetzt haben. Das sind Prinzipien, welche die NPD zwar wie hier im Landtag zu nutzen versteht, die sie zugleich aber verachtet und im Falle ihrer Machtergreifung sofort beseitigen würde. So ist dieser NPD-Antrag insbesondere eine bodenlose Beleidigung für die Opfer der Staatssicherheit.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Was Sie als NPD fordern, ist aber auch inhaltlich abzulehnen, da Sie die Regelüberprüfung auf Stasi-Tätigkeit schlichtweg fortschreiben wollen.

Das 1991 verabschiedete Stasi-Unterlagen-Gesetz verbindet die Öffnung der Akten des MfS mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte. Mit ihm wurden neue Wege zur Aufarbeitung eröffnet und auch international Maßstäbe gesetzt. Seit 1992 wurden auf seiner Grundlage insgesamt 1,7 Millionen Überprüfungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst durchgeführt. Diese haben in Sachsen bis zum Ende des Jahres 2004 etwa 8 700 Hinweise auf eine MfS-Tätigkeit erbracht und in knapp 4 600 Fällen zu personalrechtlichen Konsequenzen geführt. Im Ergebnis dessen wurde das Ansehen des öffentlichen Dienstes und des Rechtsstaates gestärkt. Das war und ist eine historische Leistung in einer historischen Situation. Eine einfache Fortschreibung der Regelüberprüfung würde diese Leistung eher entwerten.

Bei der Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Jahre 1991 bestand ein sehr breiter politischer Konsens, dass die Verwendung der Akten zum Zwecke der Überprüfung nach 15 Jahren enden soll. Die Mütter und Väter dieses Gesetzes waren sich einig, dass die Überprüfung auf inoffizielle Stasitätigkeit nicht für alle Zeiten fortgesetzt werden kann, sondern dass die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verjährung und der Verhältnismäßigkeit auch hier berücksichtigt werden müssen.

Unsere Fraktion hat sich stets gegen eine vorzeitige Beendigung der Überprüfung ausgesprochen. Wir halten aber eine allgemeine Verlängerung für ebenso falsch.