Protokoll der Sitzung vom 15.12.2006

Herr Kupfer, ich will gern die Debatte mit Ihnen führen, aber warum sprechen Sie nicht zum Thema? Das Thema lautet „Die Entwicklung des Rechtsextremismus im Lande“.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Herr Kollege Porsch, ich habe zum Thema gesprochen. Durch die Zwischenfragen sind wir in der Tat etwas davon abgekommen.

(Beifall bei der CDU)

Die Sächsische Staatsregierung versicherte bereits Anfang dieses Jahres aus Anlass eines Antrages der Koalitionsfraktionen „Bekämpfung des Rechtsextremismus in Sachsen“, dass sie weiterhin alles in ihrer Macht Stehende unternehmen wird, um Präsenz zu zeigen und den Kampf gegen Rechtsextremismus fortzusetzen. Jedoch wurde schon in dem Bericht der Staatsregierung darauf verwiesen, dass eine nachhaltige Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus nur erfolgreich sein kann, wenn der Ursprung der Bestrebungen nicht der Staat allein ist, sondern wenn der entschlossene Wunsch, sich dem Extremismus entgegenzusetzen, aus der Mitte der Gesellschaft von engagierten Bürgern mit Zivilcourage kommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Freie Bürger, die sich nicht einschüchtern lassen, sondern friedlich und auf demokratische Weise gegen Extremismus eintreten, sind wichtige Bausteine in dieser Auseinandersetzung.

(Zuruf von der NPD: Herr Porsch, haben Sie gehört: friedlich!)

Demokratie, meine Damen und Herren, lebt vom Mitmachen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kupfer?

Ja, bitte.

Herr Kupfer, ich habe folgende Frage. Sie bauen mit dem Begriff Extremismus hier einen Popanz auf, und ich frage Sie: Hat der Linksextremismus in Sachsen einen relevante politische Größenordnung,

(Zurufe von der NPD)

sodass es sich lohnen könnte, ihn zum Gegenstand einer Aktuellen Debatte zu machen?

(René Despang, NPD: Ja! – Unruhe im Saal)

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe!

Diese Frage kann ich mit einem einfachen Ja beantworten.

(Beifall bei der CDU und der NPD)

Extremismus ist ein Angriff auf unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung. Gerade wir in Ostdeutschland sind in der friedlichen Revolution 1989/1990 entschieden für unsere Freiheit eingetreten. Jegliche extre

mistische Tat – ganz gleich, ob von Rechts oder Links – ist daher für die CDU-Fraktion inakzeptabel. Die Lösung des Problems wird nicht von heute auf morgen möglich sein, geht es doch darum, tief sitzende Überzeugungen bestimmter Bevölkerungskreise zu ändern. Es ist ein schwerer Weg zu gehen, meine Damen und Herren.

Nur ein weltoffenes und tolerantes Sachsen wird in der Lage sein, ausländische Investoren für uns zu begeistern, Touristen einzuladen und damit wirtschaftlich zu gedeihen. Wir werden diese Herausforderungen auch weiterhin annehmen und die Fahne des Rechtsstaates hochhalten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort; Frau Köditz, bitte.

(Starke Unruhe – Zuruf von der NPD: Jetzt kommt das Thema Linksextremismus! – Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, darf ich um Aufmerksamkeit für die Rednerin bitten!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Debatte lautet „Aktuelle Entwicklungen des Rechtsextremismus in Sachsen“. Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichheitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus.

Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen.

Manchmal ist es auch ganz günstig, einer Debatte eine Definition voranzustellen, damit man weiß, worüber gesprochen wird. Ich habe mich für den Begriffsinhalt entschieden, wie er in der Decker/Brähler-Studie „Vom Rand zur Mitte“ durch eine Konsensusgruppe anerkannter und seit Jahren am Thema arbeitender Wissenschaftler formuliert wurde. Diese Definition bestätigt die Ansicht der Linksfraktion, dass es keine Reduzierung des Problems Rechtsextremismus auf die NPD und ehemalige NPD-Mitglieder geben kann und darf und schon gar nicht nur auf Problemlagen hier im Landtag.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Gestern konnten wir alle im Pressespiegel unter der Überschrift „Studie: Fremdenfeindlichkeit im Osten größer“ lesen, dass in Sachsen 59,4 % der Bevölkerung glauben, dass es im Freistaat zu viele Ausländer gibt. Im Text werden viele erschreckende Zahlen zu Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit aufgeführt. Diese Bielefelder Studie steht aber unter einer viel tiefer greifenden Fragestellung. Wilhelm Heitmeyer

stellt seinen Forschungsbericht in der „Zeit“ unter die Aussage – ich zitiere: „In manchen Gegenden Deutschlands ballen sich die gesellschaftlichen Probleme – es herrschen Abstiegsängste, Orientierungslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit.“

Auf einige Aussagen dieser Studie, die sich auch mit den Ergebnissen von Decker und Brähler decken, möchte ich kurz eingehen. Seit Jahren untersucht Heitmeyer verschiedene Elemente gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Jetzt muss er feststellen, dass die höchste Zustimmung zu feindseligen Äußerungen in dörflichen Gemeinden und Kleinstädten Ostdeutschlands zu finden ist. Dabei wird insbesondere der Einfluss der Abwanderungsraten deutlich, so Heitmeyer. Ich zitiere weiter: „Je mehr Familien-, Arbeitsplatz- oder Ausbildungsplatzwanderer eine Region verlassen, umso niedriger ist das Bildungsniveau und ausgeprägter das Desintegrationsklima. Die Folge: Desto größer ist das Ausmaß an feindseligen Mentalitäten.“

Heitmeyer geht noch weiter: „Wo solche Problemzonen verdichtet sichtbar werden, geht es auch um die Substanz der demokratischen Ordnung; Demokratieentleerung entsteht.“

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

„Mehr noch: Probleme können sich zu Strukturen entwickeln, also auf Dauer gestellte Verhältnisse werden, die nicht mehr umkehrbar sein können“. Hier wird offenkundig, dass Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg, soziale Sicherheit und Zukunftsperspektiven für die Menschen wichtig sind.

Ich empfehle allen hier im Hohen Haus, sich das Fazit des Forschungsberichtes zu Herzen zu nehmen, wenn wir Demokratie und Gleichheit aller in allen Teilen Sachsens erhalten wollen. Im Fazit wird der Politik nämlich empfohlen, weniger auf Kampagnen zu Patriotismus und Nationalstolz zu setzen und dafür mehr konkrete Antworten zu geben, wo es um die Ausgrenzungen und Diskriminierungen, um benachteiligte Landstriche und Kommunen sowie um die Angst in der Mitte vor Absturz und Deklassierung geht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das kann die CDU nicht!)

Wenn man flapsig behauptet „Du bist Deutschland!“, dann muss man das den Menschen auch durch Fakten glaubhaft machen. Ein Patriotismusbeauftragter nützt nichts gegen Sozialabbau – im Kampf gegen Rassismus und Nationalismus schadet er.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wenn sich die demokratischen Parteien nicht den Herausforderungen sozialer Schieflagen stellen, wird der Kampf um eine Zurückdrängung fremdenfeindlicher und rechtsextremer Einstellung nicht zu gewinnen sein. Die NPD wittert gerade in diesem Bereich ihre Chance. Herr Gansel fordert lauthals die Nationalisierung der sozialen

Frage. Dass es dabei in Deutschland um die Ausgrenzung von 15 Millionen Menschen gehen soll, hat er uns gestern vor Augen geführt.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort; Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man über die Entwicklung des Rechtsextremismus in Sachsen diskutieren will, darf man dies nicht nur an der NPD festmachen,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist richtig!)

und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist der Rechtsextremismus nicht nur über eine organisierte Form wie die einer Partei, sondern vielmehr über die Einstellungsmuster der Menschen zu definieren.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!)

Zweitens gibt die NPD gerade hier im Landtag ein so jämmerliches Bild ab, dass man fast meinen könnte, wenn die so weitermachen, erledigen die sich von selbst.