Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Netz und die damit verbundene Aufmerksamkeit für Gewalt in Familien lässt sich auch auf andere Bereiche der Prävention übertragen. Ich nenne nur das Problem der Zwangsprostitution und den Menschenhandel oder auch die Frühprä

vention bei Vernachlässigung und Gewalt an Kindern. In diesen Bereichen können wir die Betroffenen nur schwer erreichen. Der Bericht zeigt, dass es möglich ist, von Gewalt Betroffenen auch dann zu helfen, wenn die Verletzungen nicht im öffentlichen Raum stattfinden, sondern zum Beispiel in der Familie. Nach dem mehrfach erwähnten Zeitungsbericht muss uns doch klar sein, dass eben nicht alle Familien der Hort der Friedfertigkeit sind. Wir können das Problem nicht negieren und meinen: Wenn wir nicht genau hinsehen, dann findet auch nichts statt. Die Situation erfordert von der Staatsregierung und von uns allen die Übernahme von Verantwortung. Dazu gehören auch die entsprechenden Rahmenbedingungen, das heißt Geld.

Im Landesaktionsplan gegen häusliche Gewalt wird versucht, eine umfassende und ganzheitliche Perspektive einzunehmen. Wir teilen diese Empfehlungen, auf die auch Frau Dr. Ernst eingegangen ist, im Allgemeinen. Sie spiegeln die fachliche Kompetenz des Lenkungsausschusses wider. Aber zwischen den Empfehlungen und den dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen klafft eine riesige Lücke. Ein Aktionsplan sollte die Basis für die Planung der Aktionen bieten. Er sollte Ressourcen nennen und Prioritäten setzen. Dazu gehören auch finanzielle Rahmenbedingungen.

Ich möchte noch zwei Punkte herausgreifen. Ein zentraler Punkt ist ein koordiniertes Netzwerk aus Polizei, Frauen- und Kinderschutzhäusern, Interventionsstellen, Täterberatung und zum Beispiel Ehe- oder Lebensberatung. Es gibt rund zehn Landkreise ohne Frauen- und Kinderschutzhäuser und eben auch ohne Ehe- und Familienberatungsstelle. Die Interventionsstellen sollen auf sieben – entsprechend den Polizeidirektionen – ausgebaut werden, aber – Frau Ernst sagte es schon – in Abhängigkeit von der Haushaltslage. Die aber kennen wir. Den Doppelhaushalt hat der Landtag im Dezember verabschiedet und aus dem Titel, aus dem bisher Frauen- und Kinderschutzhäuser finanziert wurden, sollen jetzt zusätzlich die Interventions- und Täterberatungsstellen finanziert werden. Das heißt, real werden die Mittel gekürzt.

(Beifall der Abg. Kristin Schütz, FDP)

Wir haben dazu im Dezember in der Haushaltsdebatte einen Änderungsantrag gestellt, der bei Ihnen leider nicht auf Zustimmung gestoßen ist.

Es gibt noch eine Zwischenfrage von Frau Dr. Schwarz.

Ja, bitte.

Bitte, Frau Dr. Schwarz.

Frau Kollegin Herrmann, erinnern Sie sich, dass wir in den Haushaltsberatungen in den Ausschüssen gerade bei diesem Titel zusätzliches Geld draufgelegt haben, damit alle sieben Interventions- und Koordinierungsstellen eingerichtet werden und wir

davon ausgehen können, dass sie flächendeckend vorhanden sind? Diesbezüglich kann man nicht von Kürzung sprechen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie das wahrgenommen haben.

Ich habe wahrgenommen, dass dort eine Änderung eingefügt worden ist. Trotzdem beinhaltet der Titel insgesamt eine Kürzung gegenüber den Vorjahren.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Zu Recht heißt es auf Seite 7 des Landesaktionsplanes bezüglich der Gremienarbeit: „Eine Kostenneutralität ist nicht möglich.“ – Das gilt auch für die gesamte Interventionskette. Der Nutzen, den wir irgendwann aus den Einsparungen ziehen können, wird nur langfristig zu berechnen sein. Damit die Kosten aber nicht explodieren, müssen wir an dieser Stelle heute investieren. Damit bleibt der Bericht der Staatsregierung unbefriedigend.

Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der, wenn der Antrag für erledigt erklärt wird, nicht zum Zuge kommen wird. Damit haben wir, wie ich bereits zu Beginn sagte, nicht angenommen, dass der Landesaktionsplan der Stein der Weisen ist. Uns reicht es nicht, dass dieser einmalig vorgelegt wird, sondern wir wollen, dass der Landesaktionsplan evaluiert wird und man erkennt, was man mit dem Geld wirklich erreichen kann. Deshalb wollen wir, dass dieser Landesaktionsplan einmal in der Legislaturperiode vorgelegt wird. Wenn das über den Änderungsantrag heute nicht möglich sein sollte, wird es von uns dazu einen eigenen Antrag geben.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Wird von den Fraktionen weiterhin das Wort gewünscht? – Das sieht nicht so aus. Dann bitte für die Staatsregierung Herr Minister Dr. Buttolo.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Im Oktober 2005 hat die Staatsregierung dem Landtag über den Stand der Bekämpfung häuslicher Gewalt in Sachsen berichtet. Nach fast 15 Monaten ist die Staatsregierung um eine nochmalige Stellungnahme zu diesem Thema gebeten worden. Dieser Bitte komme ich gern nach und werde Sie über die aktuelle Entwicklung auf diesem Gebiet aus der Sicht der Staatsregierung informieren. Ich sehe diese Sicht äußerst positiv.

Der Freistaat Sachsen hat sich schon frühzeitig dem Problem der häuslichen Gewalt geöffnet. Bereits im Jahr 1990 entstanden erste Frauenhäuser in unterschiedlicher Trägerschaft, von Beginn an finanziell vom Freistaat unterstützt. Auch der neue Haushaltsplan trägt dem Rechnung, wobei der Erhalt der Einrichtungen in hohem

Maße von der Bereitstellung der Mittel aus den kommunalen Haushalten abhängig ist.

Aus einer interministeriellen Arbeitsgruppe entstand mit Kabinettsbeschluss vom 1. April 2003 der Lenkungsausschuss zur Bekämpfung häuslicher Gewalt, dessen Geschäftsstelle meinem Haus, konkret dem Landespolizeipräsidium, zugeordnet wurde. Wir verfügen damit über ein Koordinierungsgremium aus Vertretern der Ministerien des Inneren, für Soziales, für Kultus, der Justiz und von Nichtregierungsorganisationen mit einem klaren Arbeitsprogramm.

Ich möchte Ihnen die Arbeitsgruppen des Lenkungsausschusses kurz benennen: Eine Arbeitsgruppe befasst sich mit der Finanzierung des Beratungsnetzes. Es gibt eine Arbeitsgruppe Kinder und Jugendliche, eine Arbeitsgruppe Gesundheit, eine Arbeitsgruppe Öffentlichkeit, eine Arbeitsgruppe Polizeiliches Handeln in Fällen häuslicher Gewalt, eine Arbeitsgruppe Stalking, eine Arbeitsgruppe Senioren und Menschen mit Behinderung und Pflegebedürftigkeit.

Der Lenkungsausschuss sah von Beginn an im Aufbau von lokalen Netzen die optimale und effektive Lösung vor Ort zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. Dies bedeutet, untereinander abgestimmte Maßnahmen aller Akteure für einen verbesserten Operschutz bzw. ein konsequentes Handeln gegenüber den Tätern umzusetzen. Früher wurde vor allem die differenziert geleistete einzelfallbezogene Unterstützung der Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen und Opferhilfeorganisationen in den Blick genommen, heute sind abgestimmte, umfassende und vernetzte staatliche und nichtstaatliche Interventionen notwendig.

Lokale Netzwerke bilden das Bindeglied zwischen staatlicher Intervention bei häuslicher Gewalt und den Beratungs- bzw. Betreuungsangeboten der freien Träger. Erste Erfahrungen konnten im Jahre 2003 im Einzugsgebiet der damaligen Polizeidirektion Grimma gemeinsam mit dem dortigen Frauenhaus des Vereins „Wegweiser“ e. V. gesammelt werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt arbeiten im Freistaat Sachsen in Anlehnung an die Strukturen der Polizeidirektionen sechs Koordinierungs- und Interventionsstellen. Eine weitere Beratungsstelle für die Bereiche der Polizeidirektion Südwestsachsen und Chemnitz, Chemnitzer Land ist im Aufbau.

Die Erfahrungen zeigen: Lokale Netze als Präventions- und Interventionsprojekte bedürfen einer institutionalisierten Koordinierung in kommunaler Verantwortung. Der Freistaat Sachsen begreift die Finanzierung eines solchen Netzes als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die das Land und die Kommunen gleichermaßen Verantwortung tragen. Als fester Bestandteil der Beratungsstruktur haben sich in Ergänzung des Hilfenetzes für Opfer die Täterberatungsstellen etabliert. Diese bedeuten zum einen bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt einen verbesserten Opferschutz und zum anderen ein konsequentes Einschreiten gegen den Täter, das heißt, man muss rechtzeitig die Gewaltspirale unterbrechen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden hierzu über das Staatsministerium für Soziales zwei Modellprojekte gefördert. Das ist zum einen in Markkleeberg die „Triade“ und zum anderen in Dresden das „Männernetzwerk“ e. V. Ein weiteres Täter-Opfer-Projekt läuft über den Justizbereich und wird von den Mitgliedern des Lenkungsausschusses begleitet.

Als Spiegelbild für die Effizienz von Maßnahmen wird oft die polizeiliche Lagedarstellung herangezogen – ich zitiere –: „Im Auswertungszeitraum 2005 wurde die sächsische Polizei zu 1 436 Einsätzen gerufen, die im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt standen. Das bedeutet einen Anstieg zum Vorjahr um 24,4 %. Der Anstieg kann im Wesentlichen damit begründet werden, dass die Betroffenen selbst, die Öffentlichkeit, aber auch die Einschaltung von Polizeibeamten zunehmend sensibilisiert sind und sich das Anzeigeverhalten hierzu verändert hat.“

Ein weiterer Grund, den ich benennen möchte, ist die kontinuierliche und spezielle Weiterbildung der Polizeibeamten zum Gewaltschutzgesetz und der damit verbundenen Befugnisnorm, der sogenannten Wohnungsverweisung.

So wie im Polizeibereich sind im zurückliegenden Zeitraum in anderen Bereichen Aktivitäten und Maßnahmen zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt ergriffen worden. Stellvertretend hierfür möchte ich benennen: Im Rahmen einer Arbeitsgruppe des Lenkungsausschusses wird ein Maßnahmenkatalog erstellt, um die Diagnosekompetenz von Ärzten im Hinblick auf häusliche Gewalt zu stärken, sie zu befähigen, Verletzungen juristisch verwertbar zu dokumentieren und ihnen Informationen über Hilfs- und Unterstützungsangebote für Opfer häuslicher Gewalt zu geben. Zu möglichen Hilfsangeboten und Ansprechpartnern für Opfer häuslicher Gewalt bietet der Freistaat auf seiner Internetseite des Sozialministeriums „Familienfreundliches Sachsen“ als auch seit Kurzem auf der Internetseite der Polizei entsprechende Informationen und Adressen an.

Noch einige Worte zum Landesaktionsplan zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. Die Landesregierung hat entsprechend der Forderung aus ihrer Koalitionsvereinbarung auf der letzten Kabinettssitzung vor den Weihnachtsferien einen Aktionsplan zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zur Kenntnis genommen. Der Plan analysiert die gegenwärtige Situation im Freistaat, stellt die rechtlichen Rahmenbedingungen dar, gibt – getrennt nach Zielgruppen – Frauen, Männern, Kindern und Jugendlichen, Senioren, Menschen mit Behinderung und Migranten Empfehlungen mit präventivem und intervenierendem Charakter in Krisensituationen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Das Schlusswort hat die Koalition. Frau Abg. Pfeiffer, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Grunde genommen waren wir uns alle einig: Über alle Parteigrenzen hinweg waren wir uns einig, dass wir häusliche Gewalt bekämpfen müssen.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Natürlich gibt es unterschiedliche Wege. Dass die Opposition das anders sieht als die Regierungsfraktionen, ist auch klar; denn dazu sind Sie in der Opposition und deshalb bekommen Sie auch das Geld, um anderer Meinung zu sein.

(Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Wichtig ist, dass wir uns darüber einig sind, dass wir häusliche Gewalt bekämpfen müssen.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Es leiden Frauen darunter, es leiden Männer darunter und es leiden Kinder und Jugendliche darunter. Bei alledem, was wir noch tun müssen, und bei alledem, was wir schon getan haben, können wir eine positive Bilanz ziehen. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich gebe zu, dass ich etwas irritiert bin. Frau Dr. Schwarz hatte den Antrag für erledigt erklärt, Sie bitten jetzt um Zustimmung. Ich wäre sehr dankbar, wenn mir die Koalition sagt, was sie wünscht. – Herr Lehmann, bitte.

Frau Präsidentin, ich bitte namens der Koalition um Abstimmung über diesen Antrag.

Gut. Wenn wir abstimmen lassen, darf ich zuvor auch den Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN aufrufen. Frau Abg. Herrmann, ich bitte Sie, den Antrag noch einzubringen, wenn Sie es wünschen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wider Erwarten komme ich mit dem Änderungsantrag doch noch zum Zuge. Ich bin vorhin bereits kurz darauf eingegangen. Wir wollen, dass über die Ergebnisse des Landesaktionsplanes zur Bekämpfung häuslicher Gewalt einmal in jeder Legislaturperiode berichtet wird. Wir haben heute hier sehr viel Kritik an diesem Landesaktionsplan geäußert, und eine Evaluation wird zeigen, inwieweit unsere Kritik berechtigt war und ist, und sie kann dann auch Wege aufzeigen, wie man anders damit umgehen kann.

Ich bitte um Zustimmung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gibt es Redebedarf? – Frau Dr. Schwarz, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir werden diesen Antrag ablehnen. Es gab, wie Sie bemerkt haben, einige Irritationen;