(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wo ist denn hier Aktualität? – Weitere Zurufe von der Linksfraktion.PDS)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten 15 Jahren hat die EU eine rasante Entwicklung genommen.
Sachsen hat durch seine Lage und Geschichte ein besonderes Verhältnis zu seinen östlichen Nachbarn. Deshalb ist es ganz natürlich, dass Chancen und Risiken des europäischen Einigungsprozesses gerade in Sachsen zu spüren und erlebbar sind. An der Grenze zu Tschechien und Polen kommt Sachsen eine wichtige Brückenfunktion in Europa zu.
Keine andere sächsische Stadt steht dabei so für ein europäisches Miteinander wie Görlitz. In Görlitz handelt es sich nicht um eine Grenze an sich, sondern dort findet eine einzigartige Kooperation von Bürgerinnen und Bürgern über Grenzen hinweg statt. Zgorzelec und Görlitz verkörpern eine große Städtepartnerschaft, die gemeinsame Ideen und Visionen, aber auch konkrete Projekte grenzüberschreitend entwickelt und realisiert. Das Faszinierende daran ist, dass in beiden Städten die Stadtverwaltung, die Wirtschaft, aber insbesondere auch die Menschen vor Ort diese Partnerschaft leben.
Auch wenn es mit der Bewerbung zur Kulturhauptstadt nichts geworden ist, so konnten solche Kooperationen, ein solches Zusammenleben im europäischen Rahmen, nur
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Aufnahme der Republik Polen in die EU war jedem klar, dass die Außengrenze der EU nicht mehr entlang des Freistaates verlaufen wird. Das gilt im Übrigen auch für die Grenze zur Tschechischen Republik.
Gebetsmühlenartige Beschwörungen von immensen Risiken, wie sie immer wieder von Einzelnen, auch aus Görlitz, zu hören sind, dienen daher weder der Sache noch entsprechen sie den Tatsachen und den Zahlen der Kriminalitätsstatistik.
Es ist daher ein gutes Zeichen, dass das erste Innen- und Justizministertreffen unter deutscher Ratspräsidentschaft gerade in Dresden stattgefunden hat. Die EUInnenminister haben hier in Dresden ein deutliches Bekenntnis abgegeben, dass es sinnvoller ist, Ressourcen zur Sicherung der EU-Außengrenzen statt entlang der mittlerweile bedeutungslosen Binnengrenzen einzusetzen. Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich die seinerzeitige Aussage von Bundesinnenminister Schily, keiner wolle die Grenzen vor Erfüllung aller Schengen-Kriterien vorzeitig öffnen, schon mit Blick auf die jüngsten Aussagen des Ministerratstreffens bewahrheitet. Die konsequente Umsetzung von Schengen durch alle Partner zeigt uns, dass sich die nationalen Polizeibefugnisse in den Binnengrenzen neben den Maßnahmen an den Außengrenzen als wirksames Instrument zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität erweisen. Sie tragen der zunehmend international verflochtenen Kriminalität und der steigenden Mobilität von Rechtsbrechern umfassend Rechnung. Mein Kollege Bräunig wird darauf noch näher eingehen.
Meine Fraktion unterstützt daher Bundesinnenminister Dr. Schäuble ausdrücklich in seinem Bemühen, einen schnellen Schengen-Beitritt von Polen und Tschechien zu ermöglichen. Dies entspricht der Verantwortung der Bundesrepublik für die innere Sicherheit im nationalen Maßstab und in dem Bekenntnis des Grundgesetzes zur europäischen Einheit, von der Sachsen nachhaltig profitiert.
Die europäische Wirtschaft ist heute so eng miteinander verflochten, dass es im Interesse unser aller Sicherheit eines einheitlichen europäischen Rechts- und Sicherheitsraumes bedarf. Dieser wird aber durch solche Aussagen gefährdet, die bewusst Ängste schüren und eine vertrauensvolle Kooperation mit unseren europäischen Nachbarn infrage stellen.
Hier sind von Sachsen aus ein deutliches Bekenntnis und aktives Handeln gefordert. Ich hoffe, dass auch wir dazu beitragen, dass wir zu unseren Nachbarn ein entspanntes und gutes Verhältnis haben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Glaubte man das, was uns einige immer wieder glauben machen wollen, dann käme alles kriminelle Übel über die Grenzen zu uns. Und wie jüngst in der Oberlausitz geschehen: Bei im Grenzgebiet umgehenden Diebesbanden kommen freilich zunächst unsere polnischen und tschechischen Nachbarn in Generalverdacht. Im konkreten Fall war es dann wieder einmal ganz anders: Es waren sozusagen einheimische Diebe.
Meine Damen und Herren! Hat sich eigentlich schon einmal jemand der Verantwortlichen bei unseren Freunden und Partnern in der Region Liberec und in der Woiwodschaft Dolny Śląsk in dieser Angelegenheit entschuldigt?
Meine Damen und Herren! Die Koalition hat heute eine Aktuelle Debatte zum Thema „Sachsen – europäisch und sicher“ beantragt. Das ist nicht schlecht, wobei allerdings bei einem Blick in Medienverlautbarungen von Vertretern der Staatsregierung der Eindruck entsteht, es spuke dort in einigen Köpfen „europäisch oder sicher“ umher.
Für die Linksfraktion.PDS geht es darum, wie Sachsen europäisch sicher sein und bleiben kann, indem Sachsen mit Sicherheit – will sagen, mit Gewissheit und Verlässlichkeit – europäischer wird.
Die erste EU-Fachministertagung unter deutscher Ratspräsidentschaft, der Rat für Inneres und Justiz in Dresden, hat die Schwierigkeit einer europäischen Innenpolitik aufgezeigt, aber wohl noch deutlicher die Schwierigkeiten sächsischer Politiker mit einer solchen abgestimmten europäischen Innenpolitik.
Zu Recht berichten daher die „EU-Nachrichten“ – Zitat –: „Ein Problem europäisch zu lösen, bei dem sich noch nicht einmal die Innenminister der deutschen Bundesländer einig sind, ist schwierig.“ Wie wahr!
Zudem sind sich nicht nur die Innen- und Justizminister der Bundesländer uneinig, sondern auch zwischen den Aussagen der beteiligten sächsischen Fachminister klaffen arge Lücken. Während Innenpolitiker der CDU, assistiert vom Chef der Staatskanzlei, die Gefahren der Grenzkriminalität an die Wand malen und sich für den „Schutz der Bürger vor grenzüberschreitender Kriminalität“ medial äußern, meldet der sächsische Justizminister, sachlich korrekt, „dass Sachsen im Zuge der EUErweiterung keine größere Zunahme der Kriminalität registriert hat und dass sich hier für 2006 sogar ein Rückgang andeutet“. Man scheint sich in der Staatsregierung in dieser Sache nicht so recht sicher zu sein, und so richtig europäisch geht es dabei wohl auch nicht zu.
Meine Damen und Herren! Ich verkenne dabei nicht, zumal in der Grenzregion zu Hause, dass Kriminelle fleißige Grenzgänger sind. Kriminalität kennt nun einmal weder im Ausmaß des Vergehens noch in der Fläche des Agierens eine Grenze. Es ist schon richtig, der in Europa – und nicht nur in Osteuropa, wie oft kolportiert wird – bestehenden Kriminalität rechtsstaatliche und moralische Grenzen zu setzen. Dazu gehört die grenzüberschreitende Verfolgung von Straftätern, was wiederum schwerlich gelingen kann, wenn die Verständigung zwischen denjenigen, die die Verfolgung der Kriminellen durchführen, nicht recht klappen will. Dabei wird auch die von Bundesinnenminister Schäuble gewünschte Überführung des Vertrages von Prüm in den EU-Rechtsrahmen, bei der seine Kollegin vom Justizressort Frau Brigitte Zypries rechtliche und technische Bedenken hat, das Problem nicht vollständig lösen können.
Ich wiederhole es an dieser Stelle: Wer kooperieren will, muss nicht nur kommunizieren dürfen, sondern er muss es auch können, also die Sprache des Partners, des Nachbarn beherrschen. Das gilt auch für die Dresdner Übereinkunft der Justizminister der EU, die Chancen der grenzüberschreitenden Unterstützung der Justiz durch Informations- und Kommunikationstechnologien – Kurzformel: EJustice – zu nutzen. Wie jeder im Internet merken kann, überwinden Informationstechnologien ohne Hindernisse Grenzen, aber lesen und verstehen können muss man schon, was zum Beispiel die tschechischen und die polnischen Kollegen von der Staatsanwaltschaft und der Polizei schreiben. Mit Englisch allein wird man nicht in jedem Fall weiterkommen.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, wenn Polizeibedienstete, die aus Sachsen stammen und teilweise slawische Sprachen sogar als Muttersprache beherrschen, in Bayern und nicht in Sachsen ihren Dienst tun müssen.
Meine Damen und Herren! Ein besonderes Problem scheint für die Sächsische Staatsregierung und die sie tragende Koalition die Erweiterung der sogenannten Schengen-Zone zu sein. Mit Händen und Füßen wehren sich CDU-Landtagsabgeordnete und Staatsminister gegen den vertragsgemäßen Wegfall der Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien. Es entsteht der Eindruck: Entweder soll die Schengen-Debatte zur Absicherung sachfremder Ziele, zum Beispiel auf dem Gebiet der Arbeitnehmerfreizügigkeit, missbraucht werden – was wir als Linksfraktion klar ablehnen – oder die Staatsregierung ist sowohl vom EU-Beitritt unserer Nachbarn als auch von der vertraglichen Regelung zur Schengen-Erweiterung überrascht worden, was ich wiederum nicht hoffe und nicht glaube. Schengen ist doch kein Überraschungsei, das in das europäische Vertragswerk gelegt worden ist.
Ich fordere die Staatsregierung daher erneut auf, sofort einen Regierungsplan für die Vorbereitung Sachsens auf den Wegfall der unmittelbaren Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien vorzulegen.
Hierbei müssen auch die Chancen berücksichtigt werden, die aus dem faktischen Wegfall der Grenzen erwachsen.
Die Schengen-Erweiterung kommt, und das ist gut so. Die Bürgerinnen und Bürger der Grenzregion, aber auch die Angehörigen der Bundespolizei brauchen klare Worte, Planungssicherheit und gegebenenfalls auch Hilfe. Wer die EU als Union freier Bürger will, wer eine Union von unten wachsen lassen will, der kommt nicht umhin, so zu verfahren. Dann wird es vielleicht auch etwas mit dem von Staatsminister Winkler in der „Lausitzer Rundschau“ erträumten „Imagegewinn Sachsens in ganz Europa“.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Aktuellen Debatten von CDU und SPD handelt es sich oft um recht plumpe Versuche der Selbstbeweihräucherung der Regierung. Beim heutigen Thema „Sachsen – europäisch und sicher“ ist aber wohl die Grenze zur Realsatire überschritten, denn diese Aussage wird allein durch den Streit zwischen Sachsen und dem Bund über den am 01.01.2008 geplanten Verzicht auf Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien konterkariert.
So äußerte Herr Bandmann noch zwei Wochen vor der Innenministerkonferenz – ich zitiere: „Wer behauptet, die Öffnung sei im Interesse Deutschlands, hat keine Ahnung von der Situation an den Grenzen.“ – Diese Aussage zeigt, dass selbst die Regierungsfraktionen nicht an die Sicherheit des Freistaates Sachsen glauben. Immerhin zeigen einige CDU-Politiker damit einen Rest an Realitätswahrnehmung. Leider führt das aber nicht dazu, dass erkannte Gefahren wirklich konsequent abgestellt werden. Stattdessen liefert man sich nur peinliche Schaukämpfe mit dem eigenen Bundesinnenminister, um die besorgten und immer wieder neu betrogenen Wählerinnen und Wähler bei der Stange zu halten.
Dass diese Handlungsmuster auch heute wieder greifen, beweist die routinierte Abwicklung des BandmannVorstoßes durch Herrn Buttolo, der bereits mitteilen ließ, dass es im Jahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wenig Chancen zur Verlängerung der Kontrollen gebe. Dabei wären diese Kontrollen absolut notwendig. Wenn man sich anschaut, dass man selbst nach einem Bericht der „Freien Presse“ am 9. Januar 2007 nicht umhinkommt, über den Anstieg der Kriminalität in den Grenzregionen auf 15 % zu berichten, dann ist dies das Resultat der überstürzten Erweiterungsrunde im Jahre 2004, aus der die Europäische Union nichts gelernt zu haben scheint. Damals wurden gleich zehn Staaten aufgenommen, obwohl an der EU-Reife bei einigen von ihnen erhebliche berechtigte Zweifel bestanden.
Nun strebt Brüssel die Ausweitung des Schengener Abkommens auf die neuen Mitglieder an, was den Wegfall der Grenzkontrollen zu eben jenen Neumitgliedern zur Folge hätte. Ob diese zehn Neumitglieder überhaupt
„schengenreif“ sind, spielt wieder einmal keine Rolle, so wie es bei der Erweiterungsrunde im Jahre 2004 schon egal war, ob sie die Beitrittsbedingungen erfüllen oder nicht.
Schließlich müsse es das Ziel sein, auf Teufel komm raus – so die finnische Ratspräsidentin, ich zitiere – „die Kontrollen an den Grenzen zwischen den alten und den neuen Mitgliedsstaaten so rasch wie möglich abzubauen“.
Überlegungen, wie in diesem Prozess die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet werden kann, finden dazu bei der abgehobenen EU-Pseudo-Elite offenbar nicht statt.
Wie groß der bestehende Handlungsbedarf ist, bestätigte zum Beispiel das österreichische Verteidigungsministerium. So wurden auf österreichischem Staatsgebiet per Stichtag 18. September 2006 im Rahmen des Assistenzeinsatzes des Bundesheeres an den Grenzen zu Ungarn und zur Slowakei 1 640 illegale Grenzgänger aufgegriffen und weitere 450 Personen an einem illegalen Grenzübertritt gehindert. Wie vielen Illegalen die Einreise in den Schengener Raum gelungen ist, darüber kann nur spekuliert werden. Würde die Bundeswehr mit einem ähnlichen Einsatz bei der Sicherung der Grenzen des Freistaates helfen, die Zahlen, meine Damen und Herren, wären sicherlich erschreckend.
Wenn nun, wie die Innenminister schon vor Monaten beschlossen haben, nach einer halbjährigen Probephase über den endgültigen Wegfall der Grenzkontrollen entschieden werden soll, dann handelt es sich dabei wohl um nichts anderes als um eine Beruhigungspille für die zu Recht besorgten Bürgerinnen und Bürger. Wenn die Einhaltung der Schengener Standards nicht gewährleistet wird, drohen eine neue Welle an illegalen Zuwanderern und ein Kriminalitätsimport ungeahnten Ausmaßes.
Da der Freistaat Sachsen das deutsche Bundesland mit den längsten Außengrenzen ist und Außengrenzen zu zwei EU-Mitgliedern aufweist, werden die Bürgerinnen und Bürger Sachsens am stärksten unter der Kriminalitätswelle leiden, die durch den EU-Pfusch auf uns zurollt.
Schon heute kann es den in den Grenzregionen lebenden Bürgerinnen und Bürgern passieren, dass ihnen ihr Auto buchstäblich vom eigenen Hof heruntergeklaut wird, einige Kilometer weiter nach Polen oder Tschechien gebracht wird und dort auf Nimmerwiedersehen verschwindet.