Protokoll der Sitzung vom 16.03.2007

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Wenn ich hier den Redner der SPD höre, der seine sechs Gemeinschaftsschulen lobt – jetzt sind es vier; vielleicht werden es sechs – und diese als zentralen Beitrag gegen das Schulsterben in Sachsen darstellt, dann halte ich das für reichlich dünn.

(Martin Dulig, SPD: Acht!)

Dass sich die Probleme verschärfen – darauf hat Herr Colditz zu Recht hingewiesen –, hängt auch damit zusammen, dass die Bildungsempfehlung ohne Sinn und Verstand aufgeweicht wurde.

(Beifall des Abg. Tino Günther, FDP)

Nicht die Leistung sollte zählen. Es ging um Ideologie. Man wollte auf Teufel komm raus die Quote erhöhen. Deshalb hat man den Standard aufgeweicht. Leidtragende sind die Schüler, die Eltern und am Ende die Schulstandorte. Dann darf man sich vonseiten der SPD nicht mehr über die CDU beklagen.

(Beifall des Abg. Tino Günther, FDP)

Meine Damen und Herren! Rein rechtlich ist der Antrag der Linksfraktion.PDS problematisch, weil mit ihm einzügige Mittelschulen generell ermöglicht werden sollen. Wenn man das im Kontext des Schulgesetzes sieht, sind es keine Ausnahmen mehr, sondern der Standard. Deshalb wäre es der bessere Ansatz gewesen, das Schulgesetz zu ändern, um das Schulsterben zu stoppen. Ich weiß, verschiedene Oppositionsfraktionen – auch die Linksfraktion.PDS – haben es versucht. Ich bedauere es sehr, dass es dafür keine Mehrheit hier im Plenum gibt.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall des Abg. Tino Günther, FDP, und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Für die Fraktion GRÜNE Frau Günther-Schmidt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema der kleinen bzw. einzügigen Mittelschulen beschäftigt uns schon über die

gesamte Legislaturperiode hinweg. Auch meine Fraktion hat bereits im Mai 2005 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Sächsischen Schulgesetzes eingebracht, der einer berechenbaren Entwicklung der sächsischen Schullandschaft dienen sollte. Unser damaliger Gesetzentwurf ging davon aus, dass grundsätzlich niedrigere Mindesteinschulungs- und Mindestschülerzahlen als in der derzeitigen Regelung zum Bestand von Schulorten beitragen können. Der Gesetzentwurf sah vor, dass temporäre Unterschreitungen der Anforderungen an die Mindestschülerzahl nicht automatisch zum Mitwirkungsentzug bzw. zur Schulschließung führen müssen. Das halte ich nach wie vor für richtig. Unser Gesetzentwurf wäre eine gute Möglichkeit gewesen. Er ist damals mit Mehrheit abgelehnt worden. Meine Fraktion wird dem Antrag der Linksfraktion.PDS zustimmen.

Ich möchte noch ein paar Worte zum eigentlichen Kern des Problems verlieren. Schulschließungen in Sachsen wurden über die ganzen Jahre hinweg damit begründet, dass die demografische Entwicklung keine andere Möglichkeit offenließe. Das angepasste Schulnetz wurde mit der Halbierung der Schülerzahl begründet. Aber inzwischen, Herr Flath, haben Sie das Problem, dass immer mehr Eltern für ihre Kinder den Weg zum Gymnasium wählen. Wenn man in Sachsen die Wahl hat, dann stimmt man mit den Füßen ab und verabschiedet sich von der Mittelschule, dem ehemaligen Herzstück des sächsischen Bildungswesens. Eltern suchen ihr Heil in der Flucht.

(Zuruf des Staatsministers Steffen Flath)

Nicht „ja, ja“, sondern „ja, natürlich“. Wenn jemand in Sachsen die freie Wahl hat, dann geht er nicht auf die Mittelschule. Wenn Eltern in Sachsen die freie Wahl haben, dann schicken sie ihre Kinder nicht vorzugsweise auf die Mittelschule. Über 50 % Bildungsempfehlungen für das Gymnasium zeigen, wohin die Reise geht. Deshalb sind Sie jetzt mit unzureichenden Schülerzahlen konfrontiert.

Schade, dass Herr Colditz nicht da ist. Ich weiß nicht, ob er fahnenflüchtig geworden ist oder gerade eine Schule schließt.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Ich würde gern noch auf seine Äußerungen von vorhin eingehen.

Sie haben im Moment mehrere Möglichkeiten zur Lösung des Dilemmas: Sie können Schulverbünde zulassen, Außenstellen ermöglichen oder schlicht und ergreifend Ausnahmeregelungen nach § 4a Sächsisches Schulgesetz zulassen. Ihre Argumentationslinie, dass Sie natürlich auch relativ große Mittelschulen erhalten müssten, um ein gewisses Qualitätsniveau zu sichern, halte ich für fadenscheinig. Kleine Schulen sind nicht zwangsläufig schlechte Schulen. Warum sollte man in Sachsen nicht die Beschulung an Zwergschulen ermöglichen? Wenn Sie nicht wollen, dass die Mittelschule zur Restschule verkommt, müssen Sie in den nächsten Jahren ohnehin handeln. Ich

denke, der Einstieg in das längere gemeinsame Lernen ist insoweit die einzige Möglichkeit.

Was bieten Sie den sächsischen Schülern an? Die Versagerquote liegt immer noch bei 10 %. Die Zahl der Hauptschüler ist immer noch zu hoch. Diese Woche war in der Zeitung das Ergebnis der Umfrage „Wie schätzen Betroffene den Wert des Hauptschulabschlusses ein?“ zu lesen. Die Eltern von Hauptschülern sagen zu fast 50 %: Ja, die Hauptschule befähigt zu einer Ausbildung. Hauptschüler selbst schätzen zu fast 80 % ein, dass sie in der Lage sein werden, eine Lehre zu bestehen. Aber nicht einmal 10 % der Personalchefs sagen: Hauptschüler sind fähig, eine Ausbildung zu absolvieren.

Sie kämpfen also im Moment an mehreren Fronten: auf der einen Seite mit dem quasi natürlichen Schülerrückgang, auf der anderen Seite mit der Entwicklung, dass derjenige, der die freie Wahl hat, nicht mehr zur Mittelschule geht.

Sie haben die Lösung – die Gemeinschaftsschule – als Modellversuch im Schulgesetz festgeschrieben. Ich rate Ihnen dringend, die eingereichten Anträge nicht zu lange zu prüfen, sondern sehr gewissenhaft damit umzugehen und den Eltern eine klare Perspektive zu geben.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Gibt es aus den Fraktionen noch Redebedarf? – Von der CDU-Fraktion noch jemand? – Im Moment nicht.

In der Reihenfolge kommt jetzt die Linksfraktion.PDS. Frau Bonk, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dulig, Sie halten uns vor, wir würden unseren Antrag vom letzten Jahr erneut einbringen. Ist Ihnen eigentlich klar, wie sich die Situation im Land – auch noch zum jetzigen Zeitpunkt – darstellt?

(Kopfnicken des Abg. Martin Dulig, SPD)

Spricht man mit Schülern der 8., 9. und 10. Klassen von Mittelschulen, erzählen sie nicht selten, dass sie während ihrer Schullaufbahn ein- oder zweimal den Schulstandort wechseln mussten. Darüber, welche Auswirkungen das auf die Schulqualität, auf die Identitätsbildung, überhaupt auf die gesamte Bildungsbiografie hat – einfach nur wegen einer unkreativen und finanzpolitisch motivierten Demografiepolitik –, wollen Sie nicht sprechen. Genau deswegen setzen wir diesen Antrag heute wieder auf die Tagesordnung.

Auch angesichts der Entwicklung rund um die Gemeinschaftsschule ist dieses Thema für uns wichtig. Die Unruhe, die in das System gekommen ist – das haben meine Kollegin Frau Falken und andere Rednerinnen und Redner angesprochen –, hat ihre Ursache nicht zuletzt in der veränderten Bildungsempfehlung.

Herr Colditz hat darzulegen versucht, wie wichtig ihm die Mittelschule ist. Wenn dem so ist, warum lassen Sie die Mittelschule dann durch unabgestimmte und in der Konsequenz unabsehbare Reformen wie diese langfristig ausbluten? Durch die veränderte Bildungsempfehlung ist genau diese Situation entstanden. Es ist keineswegs widersinnig, dass wir uns trotzdem für die Mittelschulstandorte einsetzen; denn wenn wir wollen, dass Eltern und Schüler eine Wahl haben – perspektivisch auch für eine Gemeinschaftsschule –, dann müssen wir zunächst einmal weiterhin für den Erhalt der Schulstandorte einstehen.

Die Aussage des Herrn Flath, die Wahl von Mittelschule oder Gymnasium sei keine Entscheidung fürs Leben, ist angesichts des sozial selektiven Schulsystems weit und breit zumindest wirklichkeitsfremd zu nennen.

Wenn Sie sagen, das zweigliedrige Schulsystem sei gerade der Exportschlager, dann verkennen Sie den eigentlichen Trend der gesellschaftlichen Diskussion. Der Trend geht nicht in Richtung Akzeptanz der Aussage, die Zweigliedrigkeit sei super, sondern hin zu integrativen Modellen. Die Zweigliedrigkeit ist dabei nur ein Schritt. Dass jetzt wieder nur so wenige Gemeinschaftsschulen eine Zulassung bekommen haben, zeigt, wes Geistes Kind diese Regierungspolitik eigentlich ist. Damit sich das ändern kann, setzen wir uns für den Erhalt weiterer Schulstandorte ein.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die unterschiedlichen Entwicklungen der Schülerzahlen und Klassengrößen sind aber nicht nur auf die insgesamt sinkenden Anmeldungszahlen zurückzuführen. In Gymnasien, Abendgymnasien und Colleges im Sekundarbereich I weisen noch 3,9 % der Klassen mehr als 28 Schüler aus; vorher waren es 6,8 %. Im Durchschnitt lernen hier 24 Schüler pro Klasse, während für Mittelschulen ein Schnitt von 22 Schülern angegeben wird.

Es ist nicht so, dass wir die Verringerung der Klassengrößen begrüßen würden, auch wenn dadurch ein besseres Betreuungs- und Gesamtschulstandortverhältnis gewährleistet wird. Ich muss dabei leider immer noch im Konjunktiv bleiben.

Für einige Mittelschulstandorte jedoch wird diese an und für sich positive Entwicklung zur Existenzbedrohung. Das liegt nicht etwa an den Fähigkeiten der Lehrerschaft oder an faulen Schülerinnen und Schülern, sondern einzig und allein an einer inflexiblen Handhabung der von Ihnen normierten Klassenmindestgröße.

Bereits jetzt werden in 84 Mittelschulen die Mindestgrößen nicht erreicht. Aber gerade in Bezug auf Mittelschulen kann man sagen, dass aus pädagogischer Sicht ein günstigeres Betreuungsverhältnis und kleinere Schulen sehr wünschenswert sind, um eine bessere individuelle Betreuung zu erreichen. Darüber gibt es keinen Streit. Das ist lediglich eine Frage der finanziellen und politischen Ausstattung.

Wenn Sie sich immer so hinstellen und sagen, man könne die entsprechende Profilbildung an den Mittelschulen nicht mehr gewährleisten, dann ist das im Grunde nur ein Ausdruck Ihrer verkappten Sachzwangargumentation, die die Menschen im Unklaren lässt, welches die eigentlichen Grundlagen der Politik sind.

Natürlich könnte man die Mindestbetreuungsschlüssel auch für die Profile locker verändern. Man könnte zu klassenübergreifendem und jahrgangsübergreifendem Unterricht und zur Kooperation von Schulen kommen, wenn nur eine gewisse Flexibilität an den Tag gelegt würde. Diese ist der Grund, weshalb wir heute diesen Antrag stellen. Sie ist auch nicht unsystematisch, sodass es eigentlich einer Schulgesetzänderung bedürfte.

Sie alle wissen – auch Herr Dulig, Herr Colditz und alle Partner, die wir hier diese Fragen regelmäßig diskutieren –, dass wir das im Schulgesetzentwurf versucht haben. Das jetzige Schulgesetz bietet im § 4a die Möglichkeit, für besondere Härten bei den Schulwegen und öffentlichem Bedürfnis, auch wegen eines pädagogischen Konzeptes, trotzdem festzustellen. Das ist das, wozu wir Sie politisch miteinander zu bestimmter Verbindlichkeit durch einen Beschluss dieses Hauses auffordern. Denn bei den Entscheidungen, die Sie heute fällen – auch weiterhin Schulen zu schließen –, werden sich verschlechternde Schulwegbedingungen und partiell wieder steigende Schülerzahlen nicht berücksichtigt.

Ich muss darauf zurückkommen: In der Umfrage, die meine Fraktion bei Schülerinnen und Schülern im ländlichen Raum gemacht hat, gaben auch deren Eltern an, dass der Schulweg und die dazugehörigen Fahrtkosten zunehmend über die Wahl der weiterführenden Schule entscheiden.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Das kann doch ein verantwortungsvoller Kultusminister in einer entwickelten Gesellschaft, die an sich Ansprüche in Bezug auf Zugang zu Bildung stellt, nicht akzeptieren.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist ein Rückfall!)

Deswegen ist eben die Frage des Schulweges und des wohnortnahen Schulnetzes eine Grundlage für die generelle Entwicklung unseres Schulwesens.

Da wir gerade bei dem Stichwort Schulwegbedingungen und Kosten sind: Der Herr Staatsminister hat in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage geschrieben, dass die statistischen Daten der vergangenen Jahre gezeigt haben, dass die Schließung von Schulstandorten verbunden mit deutlich sinkenden Schülerzahlen zu keinem Mehraufwand bei der Schülerbeförderung geführt habe. Der Freistaat ist ja auch an dieser Stelle aus dem Schneider. Dazu eine Antwort aus einer anderen Kleinen Anfrage: Die Kosten der Schülerbeförderung „haben die Landkreise und kreisfreien Städte im Rahmen des Gesamtde

ckungsprinzips aus ihren Einnahmen zu finanzieren“. Da liegt der Hase im Pfeffer, denn es zeigt sich, dass sich die Situation tatsächlich infolge der Schließung von Mittelschulen verändert hat. Ein Ausgleich erfolgt lediglich über das Finanzausgleichsgesetz. Sehen wir genauer hin, so erkennen wir, dass vor Ort tatsächlich höhere Kosten für die Verkehrsunternehmen entstanden sind, beispielsweise durch zusätzliche Fahrten, Linienverlängerung und den Einsatz größerer Buskapazitäten. Dadurch sind im Landkreis Riesa-Großenhain zusätzliche Kosten von immerhin 33 100 Euro auf den Landkreis entfallen, 10 000 Euro für zusätzliche Monatskarten der Schülerinnen und Schüler, die bisher nicht mit dem Bus fahren mussten, und weitere 8 000 Euro durch weitere Fahrtstrecken des Verkehrsverbundes Oberelbe.

Auch wenn Sie es nicht hören mögen: Die Schulschließungen haben eine tatsächliche Auswirkung auf die Länge der Schulwege, auf die Kosten der Schülerbeförderung und es zeigt sich, dass sich der Freistaat auf Kosten von Kommunen und Kreisen weiterhin sanieren möchte.