Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sachsen ist nicht am allerschlechtesten im Bundesvergleich, doch unser Vorbild sollten nicht die Länder sein, die am schlechtesten sind, sondern die, die ganz oben stehen. Dazu dient dieser
Antrag. Stimmen Sie zu, Herr Flath, dann tun Sie etwas für die sächsischen Schüler und für die Verbesserung unseres Schulsystems!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag benennt zweifellos ein grundlegendes bildungspolitisches Anliegen. Dieses Anliegen besteht darin, Schülerinnen und Schülern nicht nur eine optimale Schulbildung zu vermitteln, sondern diese auch mit leistungsorientierten Abschlüssen zu belegen. Der individuellen Förderung von leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern kommt dabei sicherlich eine große Bedeutung zu. Nur wird man, lieber Herr Kollege Herbst, dieser Herausforderung kaum durch politische Vorgaben gerecht. Vielmehr geht es doch, meine Damen und Herren, um einzelfallbezogene Maßnahmen, bezogen auf das konkrete Lernumfeld und die konkrete Unterrichtsgestaltung. Außerdem kann man auch nicht außer Acht lassen, dass sich Schul- und Leistungsversagen nicht allein am Lernen in der Schule festmachen lassen. Vielmehr sind es oft auch soziale Probleme aus dem Umfeld und die dort vorhandenen Gegebenheiten, die es zu berücksichtigen gilt.
Um Leistungsversagen entgegenzuwirken, bedarf es deshalb eben nicht nur schulischer Förderkonzepte. Die frühzeitige Diagnose von Fehlentwicklungen, die qualifizierte Schullaufbahnberatung sowie die methodischdidaktische Ausgestaltung des Unterrichts sind hier ebenfalls ins Blickfeld zu rücken. Natürlich darf auch das Vorhandensein von organisatorischen Rahmenbedingungen und Unterstützungssystemen nicht vernachlässigt werden. So wie Schul- und Leistungsversagen eben oft komplexe Ursachen haben, bedarf es auch einer Vielzahl von Maßnahmen, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Ich will einige benennen:
Erstens. Die schulpsychologische Begleitung und Beratung von betroffenen Schülerinnen und Schülern. Zweitens. Die Unterstützung und Beurteilung einer förderlichen Lernkultur durch die Schulverwaltung, insbesondere durch die Fachberater. In diesem Verantwortungsbereich ist die Unterstützung der Schulen bei der Entwicklung von schulspezifischen Differenzierungs- und Förderkonzepten zu nennen. Drittens. Gegenstand von Fortbildungsangeboten ist zudem die Qualifizierung der Schullaufbahnberatung und die stärkere Schwerpunktsetzung auf Fortbildungsangebote zur Verbesserung der methodisch-didaktischen Ausgestaltung des Unterrichts.
Meine Damen und Herren! Indem ich diese drei Initiativen punktuell und beispielhaft benenne, will ich deutlich machen, dass bereits eine Vielzahl von Aktivitäten vorhanden ist. Diese wurden entwickelt, um Leistungsschwä
chen und Lernversagen entgegenzuwirken. Diese Aktivitäten schließen konkrete Förderkonzepte im Sinne Ihres vorliegenden Antrages nicht aus, aber sie beschränken sich nicht darauf.
Meine Damen und Herren! Auch im Sinne der parlamentarischen Initiativen ist der vorliegende Antrag entbehrlich, weil gesetzliche und verordnungsrechtliche Vorgaben dazu bereits existieren, diese politisch diskutiert und verabschiedet wurden.
Ich will hier zum einen auf das Schulgesetz im § 35a und auf die aktuelle Förderrichtlinie für Ganztagsangebote verweisen und aus beiden zitieren. Zunächst ein Zitat aus dem § 35a Schulgesetz: „Die Ausgestaltung des Unterrichts und anderer schulischer Veranstaltungen orientiert sich an den individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen der Schüler. Dabei ist insbesondere den Leistungsschwächen Rechnung zu tragen.“ Weiter heißt es: „Zur Förderung des Schülers und zur Ausgestaltung des Erziehungs- und Bildungsauftrages können zwischen dem Schüler, den Eltern und der Schule Bildungsvereinbarungen geschlossen werden.“
In der aktuellen Förderrichtlinie zur Ausgestaltung von Ganztagsangeboten heißt es im Modul 1 – Angebote zur leistungsdifferenzierten Förderung und Forderung –: „Vielfältige Lernangebote richten sich an leistungsschwache und leistungsstarke Schüler. Die Angebote bauen Defizite ab und zeigen Möglichkeiten und Potenziale für weitere Entwicklungswege. Die Unterstützung beruht auf diagnostischer Grundlage und ist individuell, partnerorientiert, gruppenbezogen oder themenorientiert ausgerichtet. Die Angebote sollen über die Hausaufgabenbetreuung und den Förderunterricht hinausgehen. Sie dienen auch dem Ziel, Schüler bei einem eventuellen Wechsel des Bildungsgangs zu unterstützen.“
Meine Damen und Herren! Es ist davon auszugehen, dass sich dieses Modul auch in der neuen Förderrichtlinie zum Ausbau von Ganztagsangeboten so wiederfinden wird.
Diese Vorgaben gehen von einem ganzheitlichen Ansatz aus, anders als es der vorliegende Antrag mit dem geforderten individuellen Förderkonzept tut. Insbesondere die im Schulgesetz beschriebenen Möglichkeiten zum Abschließen von Bildungsvereinbarungen und die damit verbundene Gelegenheit der Einbeziehung der Eltern wird den zum Teil komplex vorhandenen Ursachen für das Leistungsversagen gerecht.
Fazit: Meine Damen und Herren! Wir haben bereits eine Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten zur besseren individuellen Förderung von Schülern. Diese sind gesetzlich und damit verbindlich festgelegt, was nicht heißt, dass sie in ihrer Wirksamkeit nicht weiter verbessert werden müssen. Daran ist sicherlich zu arbeiten. Wir werden aber dem vorliegenden Antrag so nicht zustimmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ist Sitzenbleiben eigentlich immer etwas Negatives? Diese Frage möchte ich hier stellen. Ja, aus unserer Sicht ist Sitzenbleiben etwas Negatives.
Ich lese in den letzten Tagen in der Zeitung, dass der Staatsminister für Kultus, Herr Flath, selbst den Ministerpräsidenten, Herrn Milbradt, sitzen bleiben lassen will, zwar erst 2009, aber immerhin.
Pädagogische und gesellschaftliche Prinzipien, die in anderen Ländern selbstverständlich sind, müssen endlich auch in Sachsen Einzug halten. Ich rede von den Prinzipien, die wir für die Kinder und Jugendlichen an unseren Schulen dringend brauchen: Kein Kind beschämen, kein Kind abschieben. Das ist aber heute an unseren Schulen noch nicht Realität.
Wir müssen den Schülerinnen und Schülern immer das Gefühl geben, dass sie wichtig sind und gebraucht werden. Es darf nicht sein, dass sie, wie es heute an unseren Schulen praktiziert wird, vermittelt bekommen: Du bist ein Versager, du erfüllst die Leistungsanforderungen nicht.
Das Leistungsversagen mündet häufig im Sitzenbleiben. Dies ist ein tief greifender Einschnitt in der Entwicklung eines Schülers, nicht nur wegen des Leistungsversagens, sondern vor allem wegen der sozialen Entwicklung des Schülers in einem ganz neuen Umfeld.
Der Antrag heißt: Sitzenbleiben verringern. Wir, die Linksfraktion.PDS, sind der Auffassung, dass an unseren Schulen Bedingungen geschaffen werden müssen, mit denen das Sitzenbleiben verhindert wird, damit wir es nicht erst verringern müssen.
Noch einmal: Keinen beschämen, keinen abschieben – das sind wichtige Prinzipien, die leider bei uns in Deutschland und bei uns in Sachsen nach wie vor nicht berücksichtigt werden.
Wie sieht es denn nun konkret an unseren Schulen aus? Ich möchte ein Beispiel nennen. Wir wissen aus der Statistik, dass das Sitzenbleiben an den Gymnasien in den letzten Jahren geringfügig, aber angestiegen ist.
Nehmen wir ein Gymnasium aus meinem Wahlkreis, Statistik März: Unterrichtsausfall und Unterrichtsvertretung. An diesem Gymnasium hat es im März nur 100 Stunden Vertretung gegeben; das ist gut. Es hat 100 Stunden Ausfall gegeben; das ist nicht gut. Aber in keiner Statistik sind die 200 Stunden verkappten Ausfalls erfasst, in denen die Schüler stillbeschäftigt wurden, ihnen Aufgaben erteilt wurden, sich die Großen allein ein Video anschauen durften und in die Bibliothek gehen konnten. Das sind Unterrichtsausfallstunden.
Ich frage Sie, Herr Staatsminister: Wie war an diesem Gymnasium – ich brauche den Namen nicht zu nennen, denn es geht in der Stadt Leipzig allen Gymnasien so – die individuelle Förderung der Schüler zum Verhindern des Sitzenbleibens? Im März dieses Schuljahres wusste man schon, welche versetzungsgefährdeten Schüler an der Schule existieren.
Herr Herbst hat es schon genannt. Auch uns geht es darum, im zweiten Halbjahr des Schuljahres die Versetzungsgefährdeten so zu fördern, dass sie nicht sitzen bleiben. Unter den Bedingungen, die hier an den Schulen herrschen, ist das nicht möglich.
Ja, und dann gibt es an dieser Schule über 20 Ein-EuroJobber, die selbstverständlich zur Betreuung von Schülerinnen und Schülern bei Unterrichtsausfall eingesetzt werden. Ist das die Methode des indviduellen Förderns im Freistaat Sachsen,
Im FDP-Antrag wird aufgeführt: Jeder fünfte sächsische Schüler muss statistisch ein Schuljahr wiederholen. An den Gymnasien der Stadt Leipzig ist es jeder dritte Schüler. Schauen Sie sich das mal in Ruhe an.
Dann gibt es das pädagogische Plus an Mittelschulen und Gymnasien, das nach dem Bezirkstarifvertrag den Schulen zusätzlich zur Verfügung gestellt werden soll. Ich habe dazu eine Kleine Anfrage gestellt, weil ich wissen wollte, wie hoch das pädagogische Plus im zweiten Halbjahr dieses Schuljahres ist, und vor allen Dingen, was die Schulen damit machen. Leider weiß das sächsische Kultusministerium überhaupt nicht, wie hoch das an den Schulen zurzeit ist und was damit konkret an den Schulen gemacht wird. Ich frage mich zunehmend, was das sächsische Kultusministerium – und auch Sie, Herr Staatsminister – überhaupt über die Schulen vor Ort wirklich weiß, außer,
Zum Schluss meiner Rede möchte ich auf die beiden Punkte eingehen, die im FDP-Antrag benannt wurden. Liebe Kollegen der FDP! Im aktuellen Schulgesetz gibt es bereits einen Paragrafen, der eigentlich Ihre Forderungen im Punkt 1 genau erfüllt. Ich muss sie nicht noch einmal wiederholen; ich wollte sie auch vorlesen, aber Herr Colditz hat es schon gemacht. Trotzdem ist Ihre Forde
rung natürlich berechtigt. Wenn dieses Schulgesetz im § 35a bereits erfüllt wäre, dann hätten wir im Freistaat Sachsen gar keine Sitzenbleiber mehr – zumindest nicht diese Zahl.
Wie sieht es in der Praxis aus? Es kann natürlich eine Vereinbarung geschlossen werden, aber immer unter den gegebenen Bedingungen, die die Schule vor Ort zur Verfügung hat, und nicht darüber hinaus. Wenn eine Schule also keine zusätzlichen Stunden zur Verfügung hat – Sie haben es gerade von meinem Gymnasium gehört, wie es dort im März aussah –, dann kann ich natürlich keine zusätzliche Förderung durchführen.
Des Weiteren fehlen uns an den Schulen für diese individuellen Förderungen und für diese Vereinbarungen Sozialpädagogen, ganz zu schweigen von den Schulpsychologen, die viel zu wenig da sind und demnächst auch noch in eine andere Struktur gehen.
Die Linksfraktion fordert Sie auf, Herr Staatsminister, den § 35a so auszugestalten, dass er den Anforderungen der Schüler und Eltern gerecht wird und nicht eine leere Worthülse bleibt.
Dem Punkt 2 Ihres Antrages, verehrte Kollegen der FDP, stimmen wir auch zu. Allerdings müssen die Kinder, die in der Probezeit versetzt werden sollen, auch eine individuelle Förderung erhalten. Wenn wir ihnen über die Sommerferien die Chance geben, sich zu verbessern, und nach den Sommerferien eine Prüfung durchführen, wie es in anderen Bundesländern passiert, haben wir keine individuelle Förderung. An dem Punkt müssen wir wirklich schauen, dass es zugunsten der Schüler passiert und für sie keine zusätzliche Belastung wird. Das heißt, hier muss es ein klares Verfahren geben.
Noch einmal zum Schluss: Wir fordern Sie auf, Herr Staatsminister: Schaffen Sie Bedingungen und Voraussetzungen, dass wir keine Sitzenbleiber im Freistaat Sachsen mehr haben!