Protokoll der Sitzung vom 06.06.2007

Falls diese Bestandsaufnahme vorgenommen wurde, warum wurden die schockierenden Ergebnisse nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet? Hätte nicht zumindest die grundsätzliche Kenntnis solcher Vorgänge zu einer verschärften Dienstaufsicht seitens des zuständigen Ministeriums führen müssen, und in welchem Maße ist dies tatsächlich der Fall gewesen? Und vor allem: Was kam dabei heraus? – Fragen über Fragen, die in jedem Fall die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses rechtfertigen.

Diese ganzen Widersprüche wurden in den bisherigen – nur vorgetäuschten – Aufklärungsbemühungen noch gar nicht ernsthaft thematisiert. Stattdessen wird – wir haben es gestern vor allem von Staatsminister Mackenroth gehört – der eigenen Justiz im Voraus ein moralischer Persilschein ausgestellt, obwohl noch niemand weiß, ob und wie viele Justizmitarbeiter in die Mafia-Affäre verstrickt sind. Das bisherige Verhalten der Staatsregierung steigert unzweifelhaft das Misstrauen in Regierung, Justiz und Staat noch weiter, anstatt es abzubauen, und, Herr Martens: Wenn hier jemand zur Delegitimation dieses Systems beiträgt, dann sind es die politische Klasse und der Justizapparat selbst. Darüber sollten Sie einmal kritisch nachdenken. Wenn sich jemand diesen Staat delegitimiert, dann sind es die tonangebenden Kreise und erst in zweiter Linie eine kleine Oppositionspartei, die das aber natürlich mit Interesse zur Kenntnis nimmt.

Wenn der Korruptionsexperte Jürgen Roth in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ feststellt, in Sachsen herrsche „ein Gebräu aus politischer Unterwürfigkeit in Polizei und Justiz einerseits und autoritär-bürokratischem Gehabe in den mittleren Leitungsebenen der Ministerien, das die Entstehung der kriminellen Netzwerke in Sachsen erst möglich gemacht hat“, dann ist dies 17 Jahre nach der Wende das schlimmstmögliche Zeugnis, das man der politischen Klasse in Sachsen ausstellen kann.

Was wir jetzt brauchen, ist die denkbar rückhaltloseste Aufklärung, die nur durch einen Untersuchungsausschuss gewährleistet werden kann. Erst vor zwei Wochen wurde noch mit großem Tamtam der 15. Jahrestag der Verabschiedung der sächsischen Landesverfassung begangen. Die erst in Umrissen zu erkennende Mafia-Affäre zeigt uns nun, dass die größte Gefährdung für diese Verfassung, für Rechtsstaat und Demokratie nicht von außen kommt und auch nicht von den sogenannten Rechtsextremisten, sondern von innen – von innen durch die Käuflichkeit von Teilen von Politik, Justiz und Polizei sowie durch mafiöse Geflechte, die sich den Staat zur Beute gemacht haben.

Lassen Sie uns jetzt parteiübergreifend das tun, was getan werden muss! Die Zeit drängt; denn täglich kann auf wundersame Art und Weise belastendes Aktenmaterial verschwinden, wie Klaus Bartl vorgestern noch in einem Interview selbst sagte. Umso erstaunlicher ist, dass die PDS erst im Juli einen eigenen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses einbringen wird.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion.PDS: Das ist populistisches Geschwätz!) )

Frau Runge, tief Luft holen, sonst steigert das auf ungute Art und Weise Ihren Blutdruck!

Wieder einmal geht es nur darum, nicht einem NPDAntrag zustimmen zu müssen, obwohl er sachlich geboten ist.

(Zuruf des Abg. Heinz Eggert, CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte, Herr Bartl.

Herr Gansel, geben Sie mir darin recht, dass die Beiziehung der Akten der PKK zum Zwecke der Verfolgung strafrechtlich Verantwortlicher bzw. Verdächtiger tatsächlich einzig und allein Sache der Staatsanwaltschaft ist und nicht Sache des Untersuchungsausschusses sein kann und dass demzufolge die Frage, ob Akten verschwinden, letzten Endes von der Staatsanwaltschaft jetzt in eigener Verantwortung bewertet werden muss – sprich: vom Kabinett und vom Justizminister – und es eben in dessen Handlungsverantwortung liegt zu unterbinden, dass dies geschieht, und dass dies ein Untersuchungsausschuss ohnehin nicht verändern kann?

Darin gebe ich Ihnen einerseits recht; aber auf der anderen Seite wäre es die Aufgabe des Untersuchungsausschusses, das Verhalten der Staatsanwaltschaft – wie Sie richtig sagen –, die die Akten auszuwerten und zu sichten hat, kritisch zu verfolgen. Von daher ist das kein Widerspruch. Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss, und wir brauchen ihn bald.

Wieder einmal geht es also darum, einem NPD-Antrag nicht zuzustimmen, nur weil er von uns kommt. So war es schließlich auch bei der Affäre um die Sächsische Landesbank, zu der die NPD dreimal – dreimal! – den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gestellt hat, bevor sich dann auch die PDS mit ihrem Quorum diesem Ansinnen angeschlossen hat.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Es scheint dabei zu bleiben: Hohle antifaschistische Abgrenzungsrituale sind der PDS wichtiger als ein sach

politisches Anliegen von größter Bedeutung. Dabei scheinen die Genossen selbst die Warnung ihres Herrn Bartl in den Wind zu schlagen, dass schnell und umfassend parlamentarisch untersucht werden muss, da, wie gesagt, täglich Material „verschwinden“ kann und ein Untersuchungsausschuss die Staatsanwaltschaft in ihrem Tun kritisch zu begleiten hat.

Das PDS-Gebaren ficht uns aber nicht an; denn es muss nicht überall NPD draufstehen, wo NPD drin ist. Lassen Sie uns die Aufklärung über diese den Staat in seiner Substanz bedrohende Affäre neben der Aufklärung durch die sächsischen Strafverfolgungsbehörden und die Bundesanwaltschaft auf eine dritte Säule stellen: auf die Aufklärungsarbeit, die von sächsischen Landtagsabgeordneten selbst geleistet werden kann. Stimmen Sie also bitte für den NPD-Antrag auf Einsetzung des längst überfälligen Untersuchungsausschusses.

(Beifall bei der NPD)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – Dies ist ebenfalls nicht der Fall. Meine Damen und Herren! Der Sächsische Landtag hat gemäß Artikel 54 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen und § 2 Abs. 1 Satz 1 des Untersuchungsausschussgesetzes das Recht und auf Antrag von einem Fünftel seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Der vorliegende Antrag, Drucksache 4/8867, wurde von der NPD-Fraktion gestellt. Eine Pflicht zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist nicht gegeben. Der Landtag muss deshalb einen förmlichen Beschluss über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fassen.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Einsetzung des Untersuchungsausschusses seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer Stimmenthaltung und Stimmen dafür ist die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mehrheitlich abgelehnt worden. Meine Damen und Herren, damit ist Tagesordnungspunkt 1 beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 2

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: Förderung von Ganztagsangeboten

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

2. Aktuelle Debatte: Lehrstellenmangel in Sachsen

Antrag der Linksfraktion.PDS

Die Verteilung der Gesamtredezeit hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 39 Minuten, Linksfraktion.PDS 31 Minuten, SPD 14 Minuten; NPD, FDP und

GRÜNE je 12 Minuten; Staatsregierung 20 Minuten. Meine Damen und Herren! Wir kommen zu

1. Aktuelle Debatte

Förderung von Ganztagsangeboten

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Als Antragstellerinnen haben zunächst die Fraktionen von CDU und SPD das Wort, danach Linksfraktion.PDS, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass ein Vertreter der Fraktion der CDU das Wort nimmt. – Herr Colditz, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung, der Aufbau und das Angebot von Ganztagsangeboten hat in Sachsen eine gute Tradition, die bis in das Jahr 1997 zurückreicht und damit eine mittlerweile zehnjährige Entwicklung umfasst. Das ist für uns Anlass, im Zusammenhang mit der kürzlich veröffentlichten Förderrichtlinie für Ganztagsangebote diese Entwicklung zu diskutieren. Dies erscheint aktuell vor allem deshalb sinnvoll und notwendig, weil in der politischen Auseinandersetzung die positive Entwicklung in diesem Bereich oftmals zu Unrecht diskreditiert wird.

Die Förderung und Entwicklung von Ganztagsangeboten ist im novellierten Schulgesetz von 2004 verbindlich geregelt. Ich will es an dieser Stelle in Erinnerung bringen. In § 16a dieses Schulgesetzes ist festgeschrieben: „Mittelschulen und Gymnasien können von der 5. bis zur 10. Klasse Ganztagsangebote einrichten. Dazu arbeiten die Schulen mit außerschulischen Einrichtungen zusammen. Formen von Ganztagsangeboten sind insbesondere Schulklubs, Arbeitsgemeinschaften, zusätzlicher Förderunterricht oder Angebote der Schuljugendarbeit.“

Meine Damen und Herren, mit dieser gesetzlichen Festlegung wurde letztlich eine Entwicklung, die bis ins Jahr 1997 zurückreicht, aufgegriffen und fortgeführt. Bereits seit jenem Jahr bestand für sächsische Schulen die Möglichkeit, am Landesprogramm Schuljugendarbeit teilzunehmen. In den Jahren 1997 bis 2002 wurden 19,5 Millionen Euro für die Förderung dieses Programms zur Verfügung gestellt und rund 400 Projekte einmal oder mehrmals gefördert. Diese Angebote konnten in der Folge problemlos zu Bestandteilen von Ganztagsangeboten

weiterentwickelt werden. Formen von Ganztagsschulen in offener Form haben sich entwickelt.

Es war, ist und bleibt für uns wichtig, dass diese Angebote überwiegend in offener Form und damit auf freiwilliger Basis realisiert werden, wird damit doch am ehesten dem Anliegen entsprochen, unterrichtliche und außerunterrichtliche Inhalte miteinander zu verbinden und konzeptionell wirksam werden zu lassen.

Die Zielvorgaben für die Ganztagsangebote haben sich im Laufe der Zeit immer weiter qualifiziert. Aktuell können wir dabei hier in Sachsen auf wertvolle Erfahrungen zurückgreifen und diese auch in die zukünftige Entwicklung einbringen und dort verallgemeinern. Ganztagsangebote leisten bei uns einen Beitrag zur Entwicklung und Sicherung der Schulqualität, insbesondere zur Entfaltung der Schulkultur.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Frau Bonk.

Herr Kollege Colditz, Sie haben von der offenen Form und von der Verbindung des Vormittags- und des Nachmittagsunterrichts gesprochen. Können Sie mir darlegen, wie Sie im Sinne einer Rhythmisierung bei verbindlichem Vormittagsunterricht, aber freiwilligen Nachmittagsangeboten eine Verknüpfung und Rhythmisierung herstellen wollen?

Kollegin Bonk, das ist meines Erachtens eine Frage der Auslegung der Konzeption an den einzelnen Schulen. Ich denke, das, was bisher an Programmen bzw. an Konzeptionen seitens der Schulen vorliegt, gibt uns das Recht zu der Annahme, dass diese offene Form die richtige Form ist.

(Beifall bei der CDU)

Wir sollten das weniger vor dem Hintergrund irgendwelcher Dogmen diskutieren, sondern vor dem Hintergrund dessen, was wir im Laufe der Zeit an Erfahrungen gesammelt haben. Wenn man sich die Anhörung in der letzten Sitzung des Schulausschusses diesbezüglich ansieht, stellt man fest, dass uns diese Anhörung recht gegeben hat.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Steffen Flath)

Meine Damen und Herren, unter Berücksichtigung der Gegebenheiten verwirklichen Schulen damit auch ihr schulpolitisches Profil. Die Initiative eröffnet vielfältige Möglichkeiten zur Verantwortungsübernahme und zur Schülermitbeteiligung und ist damit ein wichtiges Feld für demokratisches Lernen. Ganztagsangebote dienen der Gestaltung der Schule als Lern-, Lebens- und Erfahrungsraum. Durch Ganztagsangebote in Sachsen wird die Schule zu einem Ort, an dem mehr stattfindet als nur Unterricht. Es werden Möglichkeiten für Kommunikation und Partizipation, aber auch Erfahrungsräume geschaffen, die sich an den Interessen der Kinder und Jugendlichen orientieren.

Meine Damen und Herren, im Jahr 2003 existierten im Land bereits 600 Hortangebote, die von 60 % der Grundschüler genutzt werden konnten. Etwa 7 % aller öffentlichen Schulen haben zum damaligen Zeitpunkt Ganztagsangebote realisiert, und an den Förderschulen wurde in den Klassen 1 bis 4 ebenfalls Ganztagsbetreuung umgesetzt, in die auch Schüler der anderen Klassenstufen einbezogen werden konnten – insgesamt also eine gute Grundlage, auf der aufgebaut und weiterentwickelt werden kann.