Protokoll der Sitzung vom 06.06.2007

oder sind nicht in der Lage, diese zu erfüllen. Das bedeutet aber, dass Eltern Hilfe brauchen, dass die Familie Hilfe braucht.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Genau! – Beifall bei den GRÜNEN)

Darauf müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Schule und Jugendhilfe sensibel reagieren. Die Übernahme der Kosten ist dazu nicht geeignet.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Zum anderen: Kinder brauchen eigene und individuelle Rechte, unabhängig von ihrer Familie. Das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft trägt nur kurzfristig zur Haushaltskonsolidierung bei. Langfristig steigt die Gefahr für Kinder, eben in die gleichen schwierigen Verhältnisse zu geraten wie ihre Eltern. Und da liegt eben ein Ansatzpunkt an einer anderen Stelle, beim Bund natürlich.

Wenn man eine nachhaltige Veränderung will, dann muss man das auch verbinden. Auch darauf sind die Kollegen schon eingegangen. Wir haben in der letzten Zeit in Zeitungsberichten viel über gesunde Ernährung, Übergewicht und Essstörungen gelesen. Niemand, der eigene Kinder in der Kita oder Schule hat, kann doch ernsthaft behaupten, dass das normale Mittagessen, das täglich zigfach ausgereicht und gegessen wird, gesund sei. Wie viele Küchen vor Ort in den Einrichtungen wurden nach 1990 geschlossen und woher beziehen Kitas und Schulen in der Regel ihr Essen?

Wie können Kinder an diesem Essen im Alltag lernen, was gesunde Ernährung ist, wie sie schmeckt und wie man sie zubereitet? Werden Kinder überhaupt gefragt, was ihnen schmeckt und was sie vorgesetzt bekommen? – Wir vermissen in Ihrem Gesetzentwurf auch die Beteiligung der Kinder.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, dass es in Sachsen auch in Zusammenarbeit der Landesstelle für Gesundheitsförderung und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung mit den Kitas und Schulen Programme zur gesunden Ernährung gibt. Aber Projektwochen allein reichen nicht. Die Erfahrungen einer gesunden Ernährung müssen Kinder im Alltag machen, sonst bleibt es etwas Exotisches.

(Beifall der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Deshalb liegt hierin eine spannende Aufgabe für Ganztagsschulen und Ganztagsangebote, über die wir heute früh diskutiert haben.

Wenn Schulen und Kitas Lern- und Lebensorte werden sollen, dann gehören die Auseinandersetzungen mit den Problemen der Kinder und Ihrer Familien dazu und auch, dass Kinder dort lernen, was gesunde Ernährung heißt, dass sie lernen, was es heißt, gemeinsam am Tisch zu sitzen und gemeinsam zu essen. Die Lösung dazu kann sehr unterschiedlich ausfallen. Auf alle Fälle kommt dabei heraus: Gemeinsames Essen macht Spaß.

Wir werden uns zu dem Antrag der Linksfraktion.PDS enthalten, weil ein richtiges Körnchen in diesem Antrag vergraben liegt.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Gibt es aus den Fraktionen noch Redebedarf? – Das kann ich nicht erkennen. Die Staatsregierung? – Frau Staatsministerin Orosz, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich glaube, die Redebeträge haben bewiesen, dass wir uns einig darüber sind, dass eine ausreichende und gesunde Ernährung für alle Kinder an jedem Tag selbstverständlich sein sollte. Wir wissen aber auch, dass dies leider noch nicht immer selbstverständlich ist, und deshalb sehe auch ich Handlungsbedarf.

Der Gesetzentwurf der Linksfraktion.PDS sieht eine Lösung vor – wie so oft übrigens –, und zwar in der Delegation des Problems an den Staat. Das kann weder kurz- noch langfristig funktionieren und an vielen Stellen haben wir darauf schon hingewiesen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Ich möchte kurz auf die Gründe eingehen: Erstens. Die kommunalen Spitzenverbände haben in der Anhörung

darauf hingewiesen, dass im Falle eines kostenlosen Mittagessens die Regelleistungen nach SGB II und der Regelsatz nach SGB XII zu kürzen sind. Es gibt bereits die Spruchpraxis einiger Sozialgerichte, die diese Argumentation bestätigen. Die Zielgruppen, die mit einer kostenlosen Mittagessenversorgung ihrer Kinder in der Schule begünstigt werden sollen, hätten nichts davon, sondern sie hätten unter Umständen weniger Geld in der Tasche. Die Befürchtung liegt nahe, dass die Betroffenen dafür wenig Verständnis hätten. Hier gilt der Satz: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht!

Ein zweiter Aspekt. Der Freistaat Sachsen müsste circa 30 Millionen Euro aufbringen, um eine kostenlose Mittagversorgung zu gewährleisten. Das sind 30 Millionen Euro, meine Damen und Herren, die der Bund und die Kommunen zu großen Teilen bei der Zahlung des Regelsatzes einsparen würden.

Nun kann man der Auffassung sein, dass das Anliegen diesen Preis wert sei. Aber – auch das ist schon von meinen Vorrednern gesagt worden – der Erfolg ist damit keineswegs gesichert. Wenn wir 30 Millionen Euro in die Hand nehmen wollen, dann sollten wir vom Erfolg auch überzeugt sein.

Ob alle Kinder dieses Mittagessen annehmen, würde offen bleiben, und ob sich alle Kinder dann automatisch gesund ernähren würden, ist erst recht nicht gesichert. Gesunde Ernährung, meine Damen und Herren, ist nicht nur eine Frage des Geldes. Man ernährt sich nicht automatisch gesund, nur weil ein kostenloses Essen angeboten wird. Kinder haben, wie wir alle wissen, einen eigenen Geschmack und dieser führt nicht per se zu einer gesunden Ernährung. Gesunde Ernährung ist zuallererst eine Frage der Einsicht, der Einsicht der Kinder, vor allem aber der Eltern. Den Eltern und den Kindern muss die Bedeutung der Ernährung für ihre Gesundheit stärker verdeutlicht werden. Das kann aber nur gelingen, wenn wir die Verantwortungsbereitschaft der Eltern weiter stärken. Das ist keineswegs eine Frage, die auf einkommensschwache Schichten begrenzt wäre. Wir kennen auch in wohlhabenderen Schichten Anzeichen von Vernachlässigung, von falscher bzw. ungesunder Ernährung, von Alkohol-, von Nikotin-, von Drogenmissbrauch und vielem anderen mehr.

Vor diesem Hintergrund erscheint die von Ihnen, meine Damen und Herren von der Linksfraktion.PDS, vorgetragene Eingrenzung der Anspruchsberechtigten nicht einleuchtend. Sie wirkt im Alltag der Kinder eher ausgrenzend und – wie heute schon oft festgestellt – stigmatisiert sie. Im Übrigen kommen Kinder auch ohne Frühstück in die Schule. Leider!

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!)

Ich frage Sie: Ist das immer eine Frage des Geldes? Wenn ja, dann müssten Sie auch noch ein kostenloses Frühstück fordern.

Den Eltern würden wir damit das Gefühl vermitteln, dass der Staat, die Kommune, die Schule oder die Allgemeinheit für die Befriedigung der grundlegendsten Bedürfnisse ihrer Kinder zuständig sind. Damit würden wir ihre Verantwortung nicht stärken, sondern Achtlosigkeit fördern. Das, meine Damen und Herren, kann und darf nicht unser Anliegen sein!

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Biedenkopf hat über seine Solidargemeinschaften gesprochen!)

Lassen Sie mich einen dritten Aspekt benennen. Eine ausgewogene, gesunde und vor allen Dingen vollwertige Ernährung ist für alle Kinder wichtig. Eine Ungleichbehandlung der Kinder nach dem sozialen Status ihrer Erziehungsberechtigten erscheint mir in diesem Fall nicht zielführend. Für mich als Gesundheitsministerin ist das Problem in erster Linie ein inhaltliches. Man muss sich damit in den Einrichtungen immer wieder beschäftigen. Erzieher, Lehrer, Eltern und Kinder sind hierbei gleichermaßen gefordert. Nicht die Vollversorgung bringt uns weiter, sondern Lernen und Wissensvermittlung. Deshalb bildet die Gemeinschaftsverpflegung in den Schulen und in den Kindertageseinrichtungen einen Schwerpunkt in der Arbeitsgruppe „Ernährung“ beim Gesundheitsziel „Gesund aufwachsen“.

Ich will die Projekte nicht wiederholen, denn meine Vorrednerinnen haben schon viele aufgezählt. Ich will vielmehr an die Ausführungen von Frau Herrmann anknüpfen. Wir haben bereits über Jahre viele Ernährungsfachfrauen und -männer in den Kindereinrichtungen, die genau das vorbereiten, was wir für die Kinder brauchen, nämlich tagtäglich gemeinsam mit den Kindern, mit den Erziehern und zunehmend mit den Eltern über gesunde Ernährung nicht nur zu sprechen, sondern diese Speisen auch vor- und zuzubereiten. Damit können wir hoffentlich erreichen, dass alle Beteiligten mit dem entsprechenden Interesse und der Verantwortung bei diesem Thema mitwirken.

Mir ist dabei bewusst, dass die Qualität der Verpflegung noch nicht den Stand erreicht hat, den wir haben möchten. Wir möchten Verbesserungen. Dazu gibt es einen regen Austausch über Maßnahmen mit meinem Kollegen Steffen Flath. Darüber hinaus ist für Oktober 2007 eine große Fachveranstaltung zu diesem Themenkomplex geplant. Zielgruppen sind Speisenanbieter, Schulen, Kindertageseinrichtungen, Kommunen und die Eltern, kurzum alle Beteiligten zu diesem Thema. Ich hoffe, dass das ein Stück weit dazu beiträgt, dass das Thema der gesunden Ernährung – nicht nur im Haushalt, sondern auch in den Kitas und Schulen – noch mehr diesem Qualitätsstandard entspricht und vor allen Dingen die Verantwortlichen sich einem ausreichenden Angebot für die Kinder verpflichtet fühlen.

Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser inhaltlichen Herangehensweise einer gesunden Ernährung bei Kindern

besser gerecht werden, als es der vorliegende Gesetzentwurf der Linksfraktion.PDS tun würde.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Es gibt noch Redebedarf. Herr Abg. Neubert für die Linksfraktion.PDS.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nicht gesagt, dass in diesem Bereich nichts getan wurde, sondern ich habe nur darauf verwiesen, dass das eine Möglichkeit wäre, etwas Weiteres zu tun.

Ich finde die Argumentation wichtig, Eltern einzubeziehen. Zu der Frage der Erhöhung der Qualität der Essenversorgung hat die Linksfraktion.PDS am Freitag einen eigenen Antrag auf der Tagesordnung. Aber wenn ich die Qualität erhöhe, wenn ich die Kinder beteilige und sie am Ende nichts zu essen bekommen, dann hilft das einfach nicht. Das ist das Problem dabei, das Spannungsverhältnis.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Zu Beginn hatte ich das Gefühl, dass die CDU einen Änderungsantrag „Ausweitung auf alle Kinder“ einbringt. Dies hätten wir unterstützt. Ich hatte das Gefühl, dass die SPD den Antrag einbringt, den ersten Schritt im Kindergarten zu beginnen. Auch das hätten wir unterstützt. Aber es ist leider nichts gekommen. Vor diesem Hintergrund – ich habe gesagt, wir haben ein Problem – ist das unser Angebot, mit diesem Problem umzugehen. Wir hätten gern auch andere Angebote in der Diskussion gehabt.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Gestatten Sie mir, etwas zu der Frage der Stigmatisierung, die sich wie ein roter Faden durch die Diskussion zog, zu sagen. Kinder werden heute schon ganz praktisch vielfältig stigmatisiert: durch ihre Kleidung, durch ihr Taschengeld, möglicherweise durch die Bildungsferne ihrer Eltern und letztendlich natürlich auch dadurch, dass einige Kinder kein Mittagessen bekommen, dass sie nicht an der Mittagessenversorgung teilnehmen. Warum soll gerade, wenn wir die Möglichkeit schaffen, dass sie an der Mittagsversorgung teilnehmen, eine Stigmatisierung ein Problem sein? Ich hatte ausgeführt, dass die Eltern schon heute über die Hortermäßigung erfasst sind. Es ist ja nicht so, dass das Kind mit einem roten Button durch die Schule gehen muss.

Lassen Sie mich auf einige Fragen, die in der Runde aufgekommen sind, antworten. Der eine Punkt – die Rechnung mit den 30 Millionen Euro; Frau Dr. Schwarz: wir haben in Sachsen 97 000 Kinder, die einen Hort besuchen. Das sind 67 %. Wenn ich das auf 100 % hochrechne, bin ich bei 140 000 bis 150 000. Wenn ich ein Drittel nehme, bin ich bei 50 000 und wenn ich das mal 600 Euro nehme, bin ich bei 30 Millionen Euro.

Zu der Frage, dass nicht geregelt ist, wie es genau umgesetzt wird: Ich fand es bemerkenswert, dass der SSG im Ausschuss beklagte, dass es nicht ausgeregelt ist – genau der Verband, der immer sagt: Regelt mal bitte nicht zu viel aus und überlasst es der kommunalen Selbstverwaltung. Wir geben das Geld, ihr seid dafür verantwortlich; macht euch Gedanken, wie ihr es umsetzt.

Der letzte Punkt, den ich hier ansprechen möchte, ist die Frage der Gegenrechnung auf Hartz IV, die monströs aufgebaut und das ganze Gesetz sprengen würde. Es ist relativ eindeutig vonseiten des Sächsischen Städte- und Gemeindetages und auch jetzt von Ihnen, Frau Orosz, dargestellt worden, dass es gegengerechnet werden muss und es dafür Gerichtsurteile gibt. Es gibt genauso viele Gerichtsurteile, die deutlich machen, dass es nicht gegengerechnet werden muss. Vor diesem Hintergrund gibt es ein breites Spektrum und nicht nur eine einseitige Betrachtungsweise.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Ich möchte auf eines in dieser Argumentation verweisen: Kürzungen beim ALG II sind nur bei Einkommen möglich. Kostenloses Mittagessen wird aber nicht als Einkommen gewertet. Dazu möchte ich auf eine Entscheidung des Sozialgerichtes Mannheim verweisen, in der es um das Krankenhausessen bei ALG-II-Empfängern ging. Ich zitiere: „Beim Geldwert muss es sich aber um einen Marktwert handeln, das heißt, die Sachleistung muss jederzeit in Geld tauschbar sein. An dieser Tauschbarkeit fehlt es, denn der Kläger hatte keine Möglichkeit, die erhaltene Verpflegung“ – in dem Fall im Krankenhaus – „in einen entsprechenden Barbetrag zu tauschen.“ Wenn wir weiterdenken, was Sie hier ausführten, so würde dies bedeuten, dass jedes Kind – denn es gibt inzwischen, das ist schlimm genug, Kindertafeln, die Frühstück und Mittagessen für Kinder anbieten –, das dort hineingeht, beim Hinausgehen etwas vom ALG-II-Regelsatz abgezogen bekommt. Ich meine, das ist doch eine absurde

Konstruktion und darf auf keinen Fall ein tragfähiges Argument zur Ablehnung dieses Gesetzes sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)