Oder sollen angehende deutsche Akademiker, Herr Porsch, zu arbeitsnomadischen Wanderern zwischen den europäischen und globalen Arbeitsmärkten werden, die ihr Leistungspotenzial in anderen Ländern und nicht hier entfalten? Dieses Phänomen, für das es den Begriff Braindrain gibt, die Abwerbung und Abwanderung hoch qualifizierter Landsleute ins Ausland, hat sich schon längst zu einer Hypothek für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes entwickelt. Im letzten Jahr verließen vor allem wegen der desaströsen Arbeitsmarktlage fast 150 000 größtenteils hoch qualifizierte Deutsche ihre Heimat, und in den Jahren 2000 bis 2004 stieg die Zahl der deutschen Auslandsstudenten auf 70 000.
Diese Köpfe brauchen wir aber hier, denn es wird trotz chronischer Massenarbeitslosigkeit schon vielerorts ein Fachkräftemangel beklagt. Es ist regelrecht unanständig, dass deutsche Köpfe wegen der wirtschaftlichen Strukturkrise oder auch wegen zukünftiger Studienordnungen ins Ausland getrieben werden und als buchhalterischer Ersatz nach Ausländern gerufen wird. Die „Computer-Inder“ von damals lassen grüßen. Diese Herstellung von Zwangsmobilität als ein Zentralanliegen des Bologna-Prozesses lehnt die NPD-Fraktion, die den Menschen in ihrer Heimat eine Perspektive für Bildung, Arbeit und Familie geben will, ab.
Nach unserer Auffassung, Herr Porsch, muss es auch noch in zehn Jahren möglich sein, dass ein heimatbewusster Sachse – oder ein heimatbewusster Österreicher etwa in Graz – das Studium beginnen und dort auch abschließen kann.
Ich wiederhole: Nach unserer Auffassung muss es auch in zehn Jahren einem heimatbewussten Sachsen möglich sein, an der Uni Leipzig sein Studium zu beginnen und dort auch abzuschließen und auch ohne semesterlangen Auslandsaufenthalt einen hochwertigen Studienabschluss zu erhalten, der für das moderne Arbeitsleben qualifiziert.
Dass die etablierten politischen Kräfte offenbar einen EUweiten studentischen Wanderzirkus initiieren wollen, wurde auf der erwähnten Konferenz in London einmal mehr deutlich.
Bundesbildungsministerin Schavan kündigte dort einen Bund-Länder-Gipfel an, auf dem eigens nur eine Rege
lung für mehr Bachelorstudiengänge verhandelt werden soll, die erst nach sieben oder acht Semestern – gegenüber jetzt sechs Semestern – zum Abschluss führen. Zur Begründung sagte Frau Schavan, dass durch diese Verlängerung der Studiendauer mehr Zeit für Auslandsaufenthalte bleiben soll. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb dazu am 21. Mai: „Gemeinsam mit der Vizepräsidentin der Kultusministerrunde Ute Erdsiek-Rave gab Schavan das Ziel aus, dass mindestens jeder Zweite während seines Studiums einmal ins Ausland geht.
BAföG und Stipendien sollen, so Schavans Wunsch, auch bei einem vollständig im Ausland absolvierten Studium gewährt werden.“
Man muss sich angesichts dieser Einlassung fragen, was die etablierte Politik eigentlich noch alles unternehmen will, um vorsätzlich junge deutsche Akademiker ins Ausland zu treiben. Reicht es Ihnen noch nicht, dass im letzten Jahr – die Zahl habe ich bereits genannt – 150 000 größtenteils hoch qualifizierte Deutsche ihre Heimat verlassen haben, um sich irgendwo im Ausland eine neue Existenz aufzubauen? Müssen Sie diesen Abwanderungsprozess auch noch vorsätzlich fördern? Ja, Sie tun es.
Es wundert daher auch nicht, dass die Sächsische Staatsregierung auf dieser Linie mitmarschiert, liest man doch in der Antwort des SMWK auf die Große Anfrage der GRÜNEN folgende zweifelhafte Erfolgsmeldung: „Ein weiteres Ziel“ – gemeint ist der Bologna-Prozess –, „die Verstärkung der internationalen Mobilität von Studierenden und Hochschulangehörigen, kam seit Beginn des Bologna-Prozesses in Sachsen wesentlich voran.“ So könnte man sich mit den Risiken und Nebenwirkungen des Bologna-Prozesses noch weit und breit auseinandersetzen, auch was die unsinnige Idee einer regelrechten Wettbewerbsordnung für Hochschulen angeht, so als wenn es sich bei Hochschulen um Computer- oder Autoproduzenten handeln würde. Aber das würde meine Redezeit übersteigen. Auch dazu kennen Sie bereits die Position der NPD.
(Beifall bei der NPD – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das Beste ist, sie bleiben in der Dorfschule, da wandert keiner ab!)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, mein Vorredner war gerade das beste Beispiel dafür, warum ein Auslandsstudium sinnvoll ist. Vielleicht hätte es bei ihm im Kopf etwas gebracht. Es ist bedauerlich, dass Sie hier so reden, aber auch typisch für Sie.
Ich habe jedenfalls im Ausland studiert und dies als sehr wohltuend empfunden. Es hat eine Menge gebracht. Ich glaube, viele junge Leute, die heute ins Ausland gehen, sehen das ganz genauso. Insofern, Herr Gansel, sind Sie da die krasse Ausnahme.
Bologna, meine Damen und Herren, dieser Name steht für einen tief greifenden Wandel an den sächsischen Hochschulen. Ich kann aus Sicht unserer Fraktion sagen, dass wir die Ziele teilen, wenn es darum geht, mehr Qualität an den Hochschulen zu erreichen, die Mobilität von Studierenden und Lehrkräften zu fördern, zu einer intensiven Kooperation zwischen Hochschulen beizutragen und am Ende auch eine bessere Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Es sind dann nicht nur abstrakte Ziele, sondern für Sachsen heißt es konkret, dass unsere Hochschulen die Chance haben, attraktiver für ausländische Studenten zu werden, und wir haben die Möglichkeit, auch unsere Studenten hier aus Sachsen ins Ausland zu schicken.
Globaler Wettbewerb ist heute nicht mehr nur eine Frage einer Konkurrenz zwischen einzelnen Unternehmen, sondern auch Bildungssysteme und Hochschulen konkurrieren. Konkurrenz belebt das Geschäft und führt in der Regel zu besserer Qualität. Deshalb unterstützen wir diesen Wettbewerb.
Bologna schafft mehr Transparenz. Die Kernfrage ist dabei nur, was die Studierenden in Sachsen davon haben. Bereits jetzt liegt der Freistaat nach einer Untersuchung des IW Köln beim Betreuungsverhältnis zwischen Lehrpersonal und Studenten auf dem vorletzten Platz in Deutschland. 2005 betrug das Verhältnis 20,2 Studenten je Professor, der Bundesdurchschnitt liegt bei 17,9. Nein, das ist bereits jetzt kein Ruhmesblatt für Sachsen.
Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die Umstellung infolge des Bologna-Prozesses zu einem Mehraufwand an den Hochschulen führt. Das Prüfungsvolumen verdreifacht sich zum Teil. Auch der Beratungsbedarf bei den Studierenden nimmt zu. Im Gegensatz zur Staatsregierung glauben wir den Hochschulen, dass die Umstellung personelle Ressourcen fordert. Das ist Personal, das an anderer Stelle nicht mehr zur Verfügung steht. Die Studienqualität wird durch diese zusätzliche Belastung nicht besser, sondern schlechter. Das kann nicht im Interesse Sachsens liegen.
Eine Unterstützung der Hochschulen für den Umstellungsprozess ist in der Tat überfällig. Wir sehen es ja. Wenn mehr Aufgaben mit gleichem Personal zu erledigen sind, dann wehren sich die Hochschulen auf ihre Art:
mehr NC-Studiengänge und dann insgesamt ein verringertes Angebot. 2006 haben beispielsweise an der Universität Leipzig 25 % weniger Studenten angefangen als ein Jahr zuvor. Das ist keine gute Entwicklung.
Wir wissen, dass die Akkreditierung von Studiengängen zu einem enormen bürokratischen und finanziellen Aufwand führt. Wir hatten hier im Landtag eine Anhörung zu einem Antrag unserer Fraktion. Dort hat Herr Hilmer von der Hochschule Mittweida vorgestellt, welchen Aufwand die Akkreditierung von acht Studiengängen verursacht. Es waren neun Kisten Papier, 4 000 Seiten, und 16 Monate Arbeit seiner gesamten Fachbereichsverwaltung. Ich glaube, dass das nicht so einfach nebenbei erledigt ist. Wir wissen auch, dass die Akkreditierung eines Studienganges zwischen 7 600 und 12 800 Euro kostet. Das Geld muss auch irgendwo herkommen.
Mit unseren 37 % Bachelor- und Masterstudiengängen, die aktuell akkreditiert sind, liegen wir im bundesweiten Mittelfeld. Das wurde zu Recht angesprochen. Das ist weder ein Grund zum Jubeln noch ein Grund zur Panik. Ich denke, entscheidend ist im Moment nicht die formale Quote, entscheidend ist, was das in puncto Studienqualität bedeutett. Wenn es einzelne Hochschulen gibt, die der Meinung sind, dass sie beispielsweise für ihre Masterstudiengänge zusätzliche Kriterien einführen müssen, dann sollten wir das auch den Hochschulen überlassen. Man kann nicht auf der einen Seite immer die Freiheit der Hochschulen fordern, ihnen auf der anderen Seite aber ständig ins operative Geschäft hineinregieren.
Das düstere Bild, das hier gerade von den GRÜNEN gezeichnet wird, spricht auch ein Stück weit für Misstrauen in die Leistungsfähigkeit der Hochschulen. Immerhin haben wir mit der Umstellung noch bis 2010 Zeit. Ich glaube, die sächsischen Hochschulen werden diesen Prozess bis dahin auch bewältigen. Der Bologna-Prozess und die Umstellung der Studiengänge sind ja nur ein Baustein in einer insgesamt zunehmenden Herausforderung für die Hochschulen. Angesichts der Demografie, angesichts der zurückgehenden Zahl von Schulabsolventen hier in Sachsen müssen wir uns natürlich Gedanken machen, wie die Hochschulen attraktiver werden, sonst werden wir in wenigen Jahren Kapazitäten leer stehen haben und über diesen Abbau reden.
Wir müssen attraktiver werden einerseits für Studenten aus anderen Bundesländern und andererseits für Studenten aus anderen Nationen. Uns muss es gelingen, auch mithilfe der Hochschulen die hellsten Köpfe nach Sachsen zu locken. Ich glaube, dafür ist tatsächlich noch einiges zu tun.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, ist es ein Armutszeugnis, dass das neue Hochschulgesetz nach wie vor in der ideologischen Blockade zwischen CDU und SPD feststeckt. Wer so fahrlässig Parteipolitik auf dem Rücken unserer Hochschulen und Studierenden
Haben die Fraktionen noch Redebedarf? – Dann frage ich die Staatsregierung. Frau Staatsministerin Dr. Stange, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich ganz herzlich bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die Große Anfrage und die Debatte bedanken, die wir dadurch heute im Landtag zu einem der wichtigsten und zentralen Umstellungs- und Entwicklungsprozesse nicht nur in den sächsischen Hochschulen, sondern in allen Hochschulen Deutschlands derzeit haben.
Ich habe der Diskussion sehr aufmerksam zugehört und stelle doch immer wieder fest, dass einige – vielleicht kann Herr Herbst das auch mit aufnehmen – sich etwas in Widersprüchen verstricken. Zum einen wollen wir die Autonomie der Hochschulen bis dahin, dass sich der Staat vollständig aus der Fachaufsicht der Hochschulen herauszieht, was nichts anderes bedeutet, als dass kein Einfluss genommen wird, Herr Herbst, auch nicht auf die Qualität der Studiengänge im Detail. Diese Botschaft richte ich auch ausdrücklich an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Auf der anderen Seite sollen wir in einer Großen Anfrage mit den Hochschulen gemeinsam genau zu jener Qualität der einzelnen Studiengänge bis hin zur Überschneidung von Modulen in einzelnen Studiengängen detailliert Auskunft geben können. Das ist ein Widerspruch, den wir in den nächsten Jahren vermutlich öfter erleben werden, wobei wir auf der einen Seite sagen, es ist Angelegenheit der Hochschulen, zum Beispiel für die Qualität der Studiengänge Sorge zu tragen; sie genehmigen selbst die Studien- und Prüfungsordnungen, das haben wir in der letzten kleinen Novelle des Hochschulgesetzes hier im Landtag beschlossen. Auf der anderen Seite wird immer wieder die Forderung an den Staat gestellt, genau diese Kontrolle und Einflussnahme zu wahren. Diese Gratwanderung müssen wir wahrscheinlich gemeinsam hinbekommen.
Zum Zweiten sehe ich es auch als einen Widerspruch an, über die Umstellung auf internationale, zumindest europaweite Studiengänge zu diskutieren und gleichzeitig Bachelor-/Masterstudiengänge in ihrem Ansatz, in ihren Strukturen infrage zu stellen. Das kann nicht funktionieren. Auch das war in der Debatte an einigen Stellen deutlich zu spüren.
Ich will vorwegschicken – Herr Wöller hatte das bereits in seinen Ausführungen deutlich gemacht und auch Frau Raatz –: Wir haben es derzeit mit dem größten Umstrukturierungsprozess in den Hochschulen – man kann eigentlich sagen: nach 1945 – zu tun. Der Umstrukturierungsprozess erfasst ausnahmslos alle Studiengänge
hier in Sachsen sind das derzeit 750 Studiengänge – in einem relativ kurzen Zeitraum, den die Bildungsminister im Rahmen der Bologna-Konferenz beschlossen haben, der sich Deutschland, der sich Sachsen angeschlossen hat, nämlich bis 2010 diese grundlegende Umstrukturierung der Studiengänge vorzunehmen. Daraus ergibt sich eine Zeitschiene. Aber – und da kann ich nur mit einigen der Vorredner übereinstimmen – ich habe seit meinem Amtsantritt und bei allen Gesprächen mit den Hochschulen deutlich gemacht, ich glaube auch hier im Landtag schon: Es gibt keine Medaille für die Sieger der Umstellung, sondern es kommt auf die Qualität der neuen Studiengänge an.
Denn es ist nicht nur ein einfacher struktureller Umstellungsprozess auf gestufte Studiengänge, sondern es ist ein grundsätzlich inhaltlicher Veränderungsprozess. Ich will das an einem Punkt, der noch nicht angesprochen worden ist, deutlich machen.
Bisher war es in der Regel üblich, dass Studiengänge, insbesondere in den Geisteswissenschaften, so erstellt worden sind, dass man zwar ein grobes Raster hatte, es aber im Wesentlichen davon abhängig war, welche Hochschullehrer mit welchen Angeboten genau an dieser Fakultät für diesen Studiengang zuständig waren. Die Frage, was die Studierenden anschließend mit diesem Angebot in ihrem Arbeitsleben anfangen können, musste sich die Universität – und da spreche ich jetzt insbesondere die Universitäten an – nicht unbedingt gefallen lassen.