Protokoll der Sitzung vom 08.11.2007

Ich glaube, der eingebrachte Antrag ist die Antwort darauf. Insofern würde ich mich freuen, wenn wir dann, wenn wir den Antrag aufrufen werden, eine breite Zustimmung bekommen würden – und das wird sehr schnell passieren. Den Antrag der Linken lehnen wir ab; er geht in die falsche Richtung, er weckt vollkommen falsche Anreize,

(Zurufe von der Linksfraktion)

auch vollkommen falsche Zusammenhänge – Kollege Hahn, Lesen macht schlau! Es ist eben gerade nicht der Antrag des Bundesparteitages der SPD, sondern ein eigenständiger Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, des Abg. Thomas Pietzsch, CDU, und des Staatsministers Thomas Jurk)

Die NPDFraktion, bitte; Herr Abg. Apfel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag erweckt den Eindruck, dass er die PDS krampfhaft in die Diskussion hineinmogeln will, die in den letzten Wochen an ihr vorbeilief und beinahe schon wieder beendet ist. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass beim kommenden Koalitionsgipfel eine Einigung ansteht, da die Union der SPD das Thema aus der Hand nehmen will, um es ihr in Niedersachsen und Hessen im Wahlkampf nicht zu überlassen.

Sachlich ist die PDS mit ihrem Anliegen natürlich im Recht, denn die Befürworterposition für die bisherige Hartz-IV-Regelung basiert schon auf einer ziemlich menschenverachtenden Haltung gegenüber den Arbeitslosen. Man muss schon von einem gigantischen Beitragsdiebstahl des Staates sprechen, der mit der Hartz-IVRegelung praktiziert wird. Menschen, die zum Teil über Jahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, bekommen maximal ein Jahr – in Zukunft vielleicht ein paar Monate länger – das Arbeitslosengeld I, bevor sie zum Sozialfall werden, zum Bittsteller gegenüber dem Staat. Sie müssen Vermögenswerte veräußern, ehe sie überhaupt Anspruch auf Hartz IV erhalten.

Die angeblich empirischen Einwände, wonach eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I zu einer Verlängerung der Arbeitslosigkeit führe und damit die Sozialkassen zusätzlich belastet würden, sind sachlich falsch.

Diese Stigmatisierung von Hartz-IV-Empfängern ist ein zynisches Ablenkungsmanöver von der eigentlichen Ursache, der hohen Arbeitslosigkeit, nämlich der Tatsache, dass es zu wenig Arbeitsangebote im Vergleich zur Nachfrage nach Arbeitsplätzen gibt.

Das gilt auch heute, da die offenen Stellen immer noch weit unter der Zahl der Arbeitssuchenden liegen. Von den Millionen Beschäftigten, die nach einem regulären Arbeitsplatz suchen, brauchen wir gar nicht erst zu sprechen. Die Schuldverlagerung auf die Arbeitslosen folgt der bösartigen Sündenbocktaktik, mit der das Versagen von Wirtschaft und Politik auf die Arbeitslosen abgeladen wird.

Dieses Menschen- und Gesellschaftsbild hat nicht mehr viel gemein mit der Würde des Menschen, wie sie als elementarer Grundwert in unserer Verfassung verankert ist, und noch weniger zu tun mit dem Gedanken eines

Sozialstaates, der die Gemeinschaft durch den Staat verpflichtet, Menschen vor unverschuldeten Schicksalsschlägen zu sichern und zu schützen.

Kommen wir zu einer weiteren Behauptung der AgendaVerfechter. Ist es wirklich so, dass die Verlängerung des Arbeitslosengeldes die Frühverrentung fördert? Die bis zum 31.12.2007 geltende 58er-Regelung – also die Wahlmöglichkeit für 58-jährige und ältere Arbeitslose, sich als Arbeitslose oder Arbeitssuchende registrieren zu lassen oder eine Frührente zu beantragen – gilt unabhängig von Hartz IV. Sie wurde eingeführt, um den Arbeitgebern Massenentlassungen zu erleichtern und den Widerstand der Arbeitnehmer politisch abzufedern. Die Sorge von Massenprotesten scheint inzwischen weggefallen zu sein, denn diese Wahlmöglichkeit soll es künftig nicht mehr geben. Durch den Wegfall dieser Wahlmöglichkeit werden aber künftig ältere Arbeitslose, die vom ALG I ins ALG II fallen, sogar in die Frühverrentung gezwungen, und das mit schwindelerregenden Abschlägen von bis zu 18 %.

Zum dritten Argument der neoliberalen Hartz-Apostel, nämlich dem, dass durch die Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I die Sozialkassen belastet und die Lohnnebenkosten erhöht würden, sei der sattsam bekannte Herr Beck angeführt, dessen Vorschlag einer relativ geringfügigen Verlängerung des Arbeitslosengeldes I die Bundesagentur für Arbeit rund 800 Millionen Euro kosten würde. Selbst wenn – wie manche sagen – dieser Beitrag deutlich über 1 Milliarde Euro ausmachen würde, könnte diese Summe locker aus den Überschüssen der Bundesagentur für Arbeit finanziert werden, denn der 2006 erzielte Überschuss in Nürnberg lag deutlich darüber.

Nun zur vierten und letzten der neoliberalen Wehklagen, dass die Verlängerung des ALG I zu höheren Steuern führe. Auch dieses Argument ist falsch, und auch hier trifft schlichtweg das Gegenteil zu: Das Arbeitslosengeld I wird aus Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert, das Arbeitslosengeld II hingegen aus Steuermitteln. Eine Verlängerung des aus Versicherungsbeiträgen finanzierten Arbeitslosengeldes I würde somit den Fiskus eher entlasten.

Meine Damen und Herren! Nach Abwägung aller Argumente spricht also nichts dagegen, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I zu verlängern. Die NPD wird dem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der NPD und des Abg. Klaus-Jürgen Menzel, fraktionslos)

Die FDP-Fraktion; Herr Abg. Morlok, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte um die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I nimmt teilweise absurde Züge an. Um Ihnen das zu verdeutlichen, möchte ich Sie zu einem Ausflug in die

Geschichte der alten Bundesrepublik einladen, um einmal zu sehen, was dort mit dem Arbeitslosengeld passiert ist.

Bis 1984 betrug die Bezugsdauer zwölf Monate. 1985 gab es eine Verlängerung ab dem 49. Lebensjahr auf 18 Monate, 1987 gab es wieder eine Verlängerung – ab dem 54. Lebensjahr – auf 28 Monate. 1987 wurde für das 57. Lebensjahr und Ältere auf 32 Monate verlängert. Wir kommen also von einem Arbeitslosengeld für zwölf Monate. Wenn Sie einmal überlegen, wer zu diesem Zeitpunkt die Regierung getragen hat und wer Opposition war, werden noch einige Dinge deutlich: Willy Brandt war offensichtlich ein Kanzler der sozialen Kälte, denn er hat nichts getan, um das Arbeitslosengeld zu verlängern. Herbert Wehner als Fraktionsvorsitzender hat die Gerechtigkeitslücke damals offenbar gar nicht erkannt; er hat sie niemals thematisiert. Und Helmut Kohl als Bundeskanzler hat den Sozialstaat aufgebaut, den Gerhard Schröder – der Genosse der Bosse – nachher wieder eingerissen hat. Das klingt doch wirklich reiflich absurd.

(Staatsminister Thomas Jurk: ‚ Und die FDP war immer dabei!)

Um das einmal zu verdeutlichen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir uns Gedanken darüber machen, was der Sinn und Zweck des Arbeitslosengeldes ist: Ist es eine Versicherung oder ein Sparvertrag? Ist es ein Rechtsanspruch auf Auszahlung, der davon abhängt, wie lange man eingezahlt hat oder wie alt man ist – nach dem Motto: Wer viel eingezahlt hat, bekommt viel Stütze heraus, wie bei einem Sparvertrag? Oder – Kollege Pietzsch, Sie hatten das auch angesprochen – ist es wie bei der Krankenversicherung, mit der man sich eigentlich für ein Risiko absichert, von dem man hofft, dass es nicht eintritt, nämlich der Krankheitsfall? Sonst würde es ja bedeuten: Wer viel in die Krankenversicherung einzahlt, hat nachher Anspruch, viel herauszubekommen, und wer wenig eingezahlt hat, bekommt nur wenig Versicherungsleistungen. Das ist das Wesen einer Versicherung. Da hilft auch, Herr Kollege Brangs, das subjektive Gefühl nicht weiter.

Ich gebe Ihnen recht, dass das subjektive Gefühl vorhanden ist, wir müssen uns aber fragen, warum das so ist. Das hat mit der Länge der Bezugsdauer nichts zu tun, denn Arbeitslosengeld dient der finanziellen Absicherung des Risikos, den Arbeitsplatz zu verlieren. Es soll eine Chance eröffnen, nach Verlust des Arbeitsplatzes in sozialer Sicherheit einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Es ist also eine Versicherung. Wenn man die Bezugsdauer von irgendetwas abhängig macht, müsste man sie logischerweise von den Problemen abhängig machen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden und nicht von der Frage des Alters oder der Einzahlung. Die Bezugsdauer sollte so gestaltet sein, dass es einem Arbeitslosen in der Regel ermöglicht wird, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Eine Verlängerung ist dann überlegenswert, wenn dadurch die Chance für den Betroffenen erhöht wird, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Ein halbes Jahr länger ALG I bedeutet größere Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz. Dann würde so etwas Sinn machen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, durch eine längere Bezugsdauer allein entsteht noch nicht ein einziger Arbeitsplatz. Arbeitsplätze entstehen zum Beispiel, wenn Arbeitnehmer netto mehr in der Tasche haben, weil sie dann konsumieren können. Arbeitsplätze entstehen, wenn Arbeitgeber weniger Lohnzusatzkosten zahlen müssen, weil sie dann wettbewerbsfähiger werden. Da wir bei der Bundesanstalt für Arbeit Überschüsse haben, wäre es doch der Königsweg, die Versicherungsbeiträge für die Arbeitslosenversicherung zu senken und die Überschüsse an die Beitragszahler zurückzugeben, anstatt ALG I zu verlängern.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Lassen Sie uns die Effekte auf dem Arbeitsmarkt anschauen. Das ist auch schon Thema gewesen. Die Zahl der Arbeitslosen ist von September 2006 zu September 2007 bundesweit um 16,4 % gesunken. Das ist eine erfreuliche Zahl. Die Zahl der Arbeitslosen über 55 Jahre ist bundesweit um 20,4 % gesunken. Das zeigt – allen Unkenrufen zum Trotz –, dass die Maßnahmen gewirkt haben, sonst hätte man diesen Effekt bei den über 55-Jährigen nicht. Wenn wir nach Sachsen schauen, stellen wir fest, dass die Arbeitslosigkeit im gleichen Zeitraum um 12,6 % gesunken ist, allerdings bei den über 55-Jährigen nur um 10,9 %. Das hat Kollege Pietzsch leider vergessen, als er seine Erfolgszahlen dargestellt hat. Die FDP-Fraktion hat immer gesagt, dass Hartz IV nicht auf die Probleme der neuen Bundesländer passt.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Das stimmt!)

Hartz IV war ein Gesetz für die Probleme in den alten Bundesländern. Dort hat es auch gewirkt. Wir haben aber ganz andere Rahmenbedingungen, zum Beispiel eine viel höhere Arbeitslosigkeit, sodass Hartz IV nicht in dem Maße wirken konnte, weil die Möglichkeiten gar nicht vorhanden waren. Das war immer schon unsere Kritik an Hartz IV, die sich auch hier wieder bestätigt hat.

Ich komme nun auf das subjektive Gefühl zurück, Herr Brangs, das Sie beschrieben haben. 1984 gab es Hartz IV noch nicht, sondern zwölf Monate Arbeitslosengeld und danach Arbeitslosenhilfe. Das heißt, wer aus dem Arbeitslosengeld herausgefallen ist, konnte Arbeitslosenhilfe beziehen, und zwar nach anderen Kriterien, wie man heute Sozialhilfe beziehen kann. Mit Hartz IV gab es eine Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe.

Auch wenn die Kritik an Hartz IV berechtigt war, musste dieser Verschiebebahnhof zwischen den Kommunen und Arbeitsämtern beendet werden. Die Folge war, dass die Arbeitslosen, nachdem die Bezugsdauer von ALG I beendet war, sofort unter die Regelungen der Sozialhilfe gefallen sind, nämlich Offenlegung und Einsatz des Vermögens. Dadurch entstanden Ängste.

Das ist das subjektive Gefühl, Herr Brangs, das Sie beschrieben haben, womit wir jetzt Probleme haben. Menschen haben nach lebenslanger Arbeitsleistung Sorge, die Arbeit zu verlieren und ins Bodenlose zu fallen.

Dieses Problem lösen wir nicht durch eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I. Wir verschieben das Problem dann um drei Monate bzw. sechs Monate, je nachdem, wie viel wir oben drauflegen. Das Problem als solches wird dadurch nicht gelöst.

Deswegen wäre es viel sinnvoller, statt über eine Verlängerung von Arbeitslosengeld I zu diskutieren, die Kriterien beim ALG II zu überprüfen, ob Zuverdienstmöglichkeiten ausgebaut werden können. Das würde die Existenzängste und das subjektive Gefühl, Herr Kollege Brangs, das Sie beschrieben haben, aufgreifen. Eine Verlängerung von ALG I verschiebt das Problem um Monate.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Das Wort erhält die Fraktion GRÜNE. Herr Weichert, bitte.

(Staatsminister Thomas Jurk: Es kann Ihnen gar keiner Beifall zollen, Herr Weichert!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag zeigt, dass die Pawlowschen Reflexe der Linksfraktion in unserem Hause noch funktionieren;

(Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD – Caren Lay, Linksfraktion: Wir sind gesund!)

denn, meine Damen und Herren, mit der Debatte innerhalb der SPD und deren Entscheidung auf dem Hamburger Parteitag war ich mir ziemlich sicher, dass die Linksfraktion einen solchen Antrag stellen würde.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Wir haben ihn vorher schon gestellt!)

Ich kritisiere das nicht, denn wie wir wissen, ist der Pawlowsche Reflex in der Politik eine natürliche Reaktion, der uns Politikern das Leben manchmal vereinfacht. Warum nicht die Gelegenheit nutzen, den Streit aus der Berliner Koalition auch einmal in Dresden zur Uraufführung zu bringen? Von unserer Fraktion, so hoffe ich jedenfalls, erwarten Sie aber bitte keine tragende Rolle in diesem Stück.

(Caren Lay, Linksfraktion: Das ist richtig!)

Schon der Anstoß der Debatte durch den SPD-Vorsitzenden Kurt Beck verlief doch nach der Devise: Populisten aller Länder, vereinigt euch!

(Beifall der Abg. Gesine Matthes, CDU)

Dass sich die Linksfraktion ganz vorn in diesen Demonstrationszug einreiht, habe ich nicht anders erwartet. Hier geht es um das Verteilen von viel Geld, da dürfen Sie nicht fehlen. Davon verstehen Sie etwas.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Gehen wir einmal davon aus, es sei genug Geld da. Ich sehe das zwar im Bundeshaushalt nicht, aber nehmen wir

es der Einfachheit halber an. Hat unter diesen Bedingungen die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes oberste Priorität, oder stehen nicht erst einmal sozialpolitische Aufgaben an, denen wir uns widmen sollten? Ich nenne beispielsweise Korrekturen bei Hartz IV.