Protokoll der Sitzung vom 13.12.2007

Antrages steht. Ein Gläschen Babybrei kostet durchschnittlich 1 Euro, eine kleine Flasche Babysaft auch.

(Angelika Pfeiffer, CDU: Kochen!)

Ein Kleinstkind braucht am Tag vier bis fünf Mahlzeiten und sollte auch täglich frisches Obst bekommen. Für 2,57 Euro ist das bei aller Sparsamkeit nicht zu machen. Oder nehmen wir ein Grundschulkind, das am Schulessen teilnimmt – was wir ja gern wollen – und dafür täglich 1,40 Euro bezahlt: Dann bleiben für den Rest des Tages 1,17 Euro übrig! Ansprüche an eine gesunde und ausgewogene Ernährung kann man damit nicht stellen. Kinder haben einen anderen, in manchen Bereichen auch höheren Bedarf an das tägliche Leben, als Erwachsene ihn haben. Babys brauchen zwei bis drei Jahre lang jeden Tag Windeln. Kinder wachsen, ihre Sachen passen meistens nur eine Saison. Darüber hinaus muss man sehr viel häufiger waschen. Kinderfüße wachsen übers Jahr um zwei bis drei Größen. Kinderschuhe sind hingegen nicht wesentlich billiger als Schuhe für Erwachsene.

Manchmal hört man auch das Argument, im Eckregelsatz für Erwachsene sei auch ein Anteil für Alkohol und Zigaretten vorgesehen, den Kinder nicht bräuchten, weil sie – hoffentlich – nicht rauchen und nicht trinken. Aber Kinder wollen spielen. Das gehört nach meinen Vorstellungen zum spezifischen Bedarf eines jeden Kindes.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Es ist deshalb an der Zeit, die bisherige Regelung zu überprüfen und eine Ermittlung des spezifischen Bedarfs Heranwachsender vornehmen zu lassen. Darin stimmen wir mit Ihnen überein.

Auch das Anliegen Ihres Antrages unter Punkt 2 werden wir unterstützen. Bildung ist das beste Rüstzeug auf dem Weg in ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben. Unser Land braucht jeden klugen Kopf. Jede Investition in Bildung trägt dazu bei, dass später weniger Leistungen nach SGB II und SGB XII in Anspruch genommen werden müssen.

(Beifall der Abg. Marko Schiemann, CDU, und Dr. Gisela Schwarz, SPD)

Wir können es uns gar nicht leisten, Potenzial an klugen Köpfen zu verschenken. Deshalb wollen wir, dass alle Kinder unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern gleiche Bildungschancen haben. In Sachsen erhalten die Schulkinder die Lehrbücher kostenlos zur Verfügung gestellt. Das ist gut. Aber zusätzlich brauchen die Kinder noch spezielle Arbeitshefte, zum Beispiel für die 1. Klasse das Arbeitsheft für Rechnen und auch das Arbeitsheft für Schreiben. Jedes kostet 12,50 Euro. Dazu kommen noch Hefte, Stifte, Malzeug, Sportsachen für die Turnhalle und für den Sportplatz, später Taschenrechner und jede Menge Geld für kopierte Arbeitsblätter, die die Lehrer im Unterricht benötigen. Dieser Sonderbedarf für Schüler ist im Regelsatz nur unzureichend berücksichtigt.

Rheinland-Pfalz hat mit einem Gesetzesantrag im Bundesrat dazu einen Vorstoß gemacht. Er sieht vor, 20 % des

Regelsatzes jeweils zu Beginn eines Schulhalbjahres den Kindern zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Ob das allerdings dem tatsächlichen Bedarf entspricht, ist offen.

Wir sind froh, dass im Änderungsantrag der GRÜNEN unter Punkt 2 eine offene Formulierung gefunden wurde, die wir als Koalition gut unterstützen können. Auch dem neu hinzugefügten Punkt 3 werden wir zustimmen. Gesunde Ernährung ist gerade für Kinder in der Wachstums- und Entwicklungsphase von großer Bedeutung. Wir haben dazu schon sehr ausführlich im Landtag debattiert. Ausgewogene und gesunde Kost steigert das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der jungen Menschen, und nicht nur der jungen. Sie beugt einer ganzen Reihe sogenannter Zivilisationskrankheiten vor. Auch der Aspekt des gemeinsamen Mittagessens in ansprechender Umgebung, möglichst im Klassenverband mit der Lehrerin oder dem Lehrer, verschafft den Kindern eine Ruhepause, ermöglicht Gespräche und stärkt den Gruppenzusammenhalt.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und Beifall bei den GRÜNEN)

Über das Thema SGB II und SGB XII hinaus ist es eine ernsthafte Überlegung wert, ob es nicht besser wäre, alternativ zur Erhöhung des Kindergeldes stärker auf direkt dem Kind zugute kommende Leistungen zu orientieren, damit sie wirklich bei den Kindern ankommen. Das sollte für alle Kinder gelten, unabhängig von der Einkommenssituation ihrer Eltern. Ich denke, das schafft Gemeinsamkeit und Chancengleichheit. Das schließt die Familien ein, deren Familieneinkommen nur knapp oberhalb der Hartz-IV-Grenze liegt, und das verhindert auch die Stigmatisierung von Kindern aus bedürftigen Familien.

Lassen Sie uns den Änderungsantrag der GRÜNEN beschließen und hoffen, dass es unserer Regierung gelingt, die anderen Partner im Bundesrat und im Bundestag von unseren Ideen zu überzeugen.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich rufe die Linksfraktion auf; Herr Neubert ist angekündigt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einem Monat diskutierten wir im Landtag auf Antrag unserer Fraktion in einer Aktuellen Debatte das Thema Kinderarmut. Der heutige Antrag schließt sich nahtlos daran an und das finde ich sehr positiv.

Ich möchte meinen Redebeitrag vom letzten Plenum nicht wiederholen. Trotzdem noch einmal einige Fakten zu Beginn: Das Thema Kinderarmut hat in der politischen und öffentlichen Diskussion der letzten Monate ansatzweise die Bedeutung erhalten, die dem Thema gebührt, und das ist auch dringend nötig gewesen. Denn seit der Einführung von Hartz IV hat sich die Armutsentwicklung

in Deutschland und damit die Kinderarmut weiter verschärft. Noch in der Antwort auf unsere Große Anfrage zur Kinderarmut in Sachsen im vergangenen Jahr versuchte die Staatsregierung, Kinderarmut einfach wegzudefinieren. Wer ALG II oder Sozialgeld beziehe, so die Regierung, sei per Definition nicht arm, sondern höchstens diejenigen, die es trotz Anspruch nicht beziehen bzw. nicht beantragen. Dass dies blanker Unsinn ist, weiß jeder, der sich die soziale Situation in Sachsen ansieht.

Sehr geehrte Damen und Herren! Hartz IV ist für die Kinderarmut in doppelter Hinsicht verantwortlich. Zum einen hat es die Zahl der Armen in Deutschland insgesamt vergrößert und damit natürlich die Zahl der betroffenen Kinder, zum anderen ist die ganze Logik der Sozialgesetzgebung gegenüber Kindern völlig ignorant. Man kann trefflich über den Warenkorb für Erwachsene streiten, der dem ALG-II-Bedarfssatz zugrunde liegt. Die Daten sind veraltet und viel zu niedrig angesetzt.

Aber für Kinder und Jugendliche hat man sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen halbwegs sinnvollen Warenkorb zusammenzustellen. Man hat einfach nur 60 % bzw. 80 % des Erwachsenenbedarfs angesetzt, völlig an der Realität vorbei. Glauben Sie denn im Ernst, Jugendliche hätten bei Nahrungsmitteln und Bekleidung nur einen Bedarf, der bei 80 % eines Erwachsenen liegen würde?

Genauso absurd ist es anzunehmen, dass der Bedarf an Schreibmaterial bei Kindern nur bei 60 % des durchschnittlichen Bedarfs eines Erwachsenen liegen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Der Bedarf an Schreibwaren ist bei einem Schulkind wesentlich höher als bei einem Erwachsenen. 1,63 Euro pro Monat sind da absolut lächerlich. Sie decken bei Weitem nicht einmal den Schulbedarf ab, geschweige denn etwas darüber hinaus.

Weil wir gerade bei den Bildungschancen sind: 39,36 Euro im Jahr für Bücher und Broschüren sind völlig unzureichend. Vergleichen Sie das bitte einmal mit dem, was Sie allein für Weihnachten bei Büchern für Ihre Kinder und Enkel ausgeben. Nein, kindergerechte Bedarfssätze sind das Mindeste, was man verlangen kann. Deshalb unterstützen wir diesen vorliegenden Antrag und auch die Formulierung des Änderungsantrages.

Ein Kind ist eben ein Kind mit ganz spezifischen Ansprüchen und kein sechzigprozentiger Erwachsener.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Eigentlich nötig wäre eine Kindergrundsicherung – nach unseren Berechnungen – von wenigstens 420 Euro.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Sehr geehrte Damen und Herren! Fast ein Drittel der sächsischen Kinder ist arm und mit Görlitz befindet sich leider die deutsche Hauptstadt der Kinderarmut in Sachsen. 200 000 Mädchen und Jungen nutzen in Deutschland regelmäßig die Angebote der „Tafel“. Um ein Mehrfaches größer wird die Zahl derjenigen sein, die nicht die Mög

lichkeit haben, das Angebot einer Tafel zu nutzen, obwohl dies eigentlich nötig wäre.

Wissenschaftliche Institute, Verbände, Kirchen und Gewerkschaften verweisen immer häufiger auf die dramatische Entwicklung in diesem Bereich, auf die steigende Anzahl armer Kinder, auf die viel zu geringe Höhe der Regelsätze, auf die Diskriminierung armer Kinder, auf die viel geringeren Chancen armer Kinder in unserer Gesellschaft usw. usf.

Aber zwischen der widerwilligen Anerkennung des Problems „Kinderarmut“ – inzwischen hat da auch die CDU in Sachsen eine Wendung vollzogen, was ich höchst bemerkenswert finde – und dem tatsächlichen Handeln der Politik klafft leider noch immer eine große Lücke. So hat es zwar der Vorsitzende der SPD an Ankündigungen zur Problembearbeitung nicht fehlen lassen. Er wollte die Kinderarmut nicht länger akzeptieren. Er wollte über Leistungen zum Schulanfang nachdenken und tatsächlich über Lernmittelfreiheit immerhin diskutieren. Bis heute gibt es aber keine eigene Initiative. Erst den heutigen Antrag nehmen sie als Aufhänger einer kleinen Aktivität, und das nur auf Bundesebene.

Immerhin, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, hätte Ihnen der heute zur Diskussion stehende Antrag die Möglichkeit gegeben, einem Vorschlag Ihres Parteivorsitzenden Zustimmung zu zollen. Es wäre weiß Gott nur eine kleine Verbesserung. 83,20 Euro schlägt Kurt Beck für den jährlichen Schulbedarf armer Kinder vor. Nach den Erkenntnissen unserer Fraktion ist der reale Bedarf mindestens doppelt bis dreimal so hoch. Makaber ist es vor allem aus dem Grund, weil nach den Buchstaben der Sächsischen Verfassung eine prinzipielle Lernmittelfreiheit existiert. Nur hat gerade hier der Verfassungstext relativ wenig mit der erlebten Verfassungswirklichkeit der sächsischen Schülerinnen und Schüler sowie Eltern zu tun. Wir werden als Fraktion in diesem Punkt noch einmal nachstoßen, denn die Arbeitshefte, die hier von der Rednerin der CDU angesprochen wurden, fallen mit unter diese Lernmittelfreiheit. Das ist in Sachsen nicht Realität und das kann so nicht sein.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Selbstverständlich werden wir diese Bundesratsinitiative unterstützen, auch wenn sie mit dem Änderungsantrag etwas weichgespülter ist und auch ganz deutlich Abstand von der Unterstützung der Initiative von Rheinland-Pfalz nimmt.

Aber wir sind auch nicht bereit, die Koalition und die Staatsregierung aus ihrer landesspezifischen Verantwortung für dieses Thema zu entlassen. Frau Staatsministerin Orosz – sie ist nicht da –, ich habe mir das Landtagsprotokoll von der letzten Debatte noch einmal durchgelesen. Ich muss leider sagen, ich war zum zweiten Mal unangenehm berührt. Frau Orosz hat in der Debatte locker und flockig am Thema vorbeigeredet. Sie hat die Anstrengungen des Freistaates für die frühkindliche Bildung in den Kitas gelobt, aber ohne ein Wort zur besonderen Situation

der armen Kinder und auch nur mit einem Wort darauf einzugehen, dass in Sachsen in vielen Kreisen gerade die Kinder arbeitsloser Eltern nach wie vor durch Zugangskriterien von der frühkindlichen Bildung in unterschiedlichem Maße ausgeschlossen werden.

Beim Thema „Gesundheitsrisiken armer Kinder“ bestand das Konzept der Ministerin darin, den Eltern zu empfehlen, ihre Vorbildfunktion zu überprüfen. So weit, so gut, aber kein Wort zu den Untersuchungen, die belegen, dass mit dem Regelsatz für Kinder eine ausgewogene Ernährung nicht finanzierbar ist.

Auf eine Kleine Anfrage von mir hat Frau Orosz nur lapidar darauf verwiesen, dass sie die Schlussfolgerungen des Institutes für Kinderernährung in Dortmund nicht teilen könne. Das ist einfach nur makaber.

Wir haben als Opposition nun wirklich alles in unserer Macht Stehende getan, um Ihnen als Koalition auf die Sprünge zu helfen. Ich erinnere an unsere Große Anfrage zur Kinderarmut und an die Anhörung im Ausschuss. Ich erinnere an zahlreiche Anträge zu verschiedenen Aspekten von Kinderarmut und ich erinnere nicht zuletzt an unseren Gesetzentwurf zum kostenlosen Mittagessen für bedürftige Kinder.

Sehr geehrte Damen und Herren der Koalition! Dass Sie unsere Initiativen allesamt abgelehnt haben, gehört bei Ihnen zum Ritual. Daran haben wir uns gewöhnt, auch wenn es gerade bei einem so ernsten Thema völlig unangemessen ist. Aber ich habe seit Wochen darauf gewartet: Wann startet Frau Ministerin denn nur selbst einmal eine Initiative oder wann nehmen Sie einen unserer Vorschläge auf und geben ihn leicht abgewandelt als Ihren eigenen aus? Ich hatte mir so gedacht, sie würde das vor Weihnachten machen. Da kommt es immer gut an. Nun sind wir in der letzten Plenarwoche vor Weihnachten, aber nein, nichts von der Ministerin, nichts von der Koalition und nichts von der SPD, die es vollmundig angekündigt hat. Die Sozialministerin scheint sich seit Wochen nur noch mit dem Dresdner Wahlkampf zu befassen. Auf dem Stollenfest wurde sie gesehen. Ob sie auch bei der Dresdner Tafel war, werden wir heute mangels ihrer Anwesenheit wohl nicht erfahren.

Sehr geehrte Damen und Herren! Den von Armut betroffenen Kindern in Sachsen muss schnell geholfen werden, nicht erst irgendwann einmal. Ich verspreche Ihnen, wir werden Sie auch künftig bei diesem Thema nicht aus der Verantwortung entlassen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für die SPDFraktion spricht jetzt Frau Dr. Schwarz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Neubert, manchmal verstehe ich Ihre Welt nicht mehr. Sie kritisieren die Koalition, dass sie hier nicht weitergehende eigene Initiativen vorgelegt hat. Sie kritisieren die Koalition,

dass sie angeblich keinem Antrag der Opposition zustimmt. Jetzt stimmen wir einem Antrag der Opposition zu und das gefällt Ihnen auch wieder nicht. Wir zeigen doch damit, dass wir hier in einem politischen Diskurs sind, in dem es um die Sache geht. Deswegen bin ich für diesen Änderungsantrag der Fraktion die GRÜNEN dankbar, mit dem wir uns in der Sache um eine Initiative kümmern. Sie mag manchem nicht weit genug gehen. Es ist aber wichtig, dass wir diese Initiative unterstützen.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Da wir dem Änderungsantrag zustimmen, könnte ich mich eigentlich auch relativ kurzfassen, aber das Thema ist schon so wichtig, dass ich mir ein wenig Zeit dafür nehme.

Der Armuts- und Reichtumsbericht auf Bundesebene, die Berichte von Wohlfahrtsverbänden und auch unser Lebenslagenbericht in Sachsen sprechen eine deutliche Sprache. Ich bin auch sehr froh, dass es hier nicht dazu kommt, dass wir uns darüber streiten, was eigentlich Armut ist, wie wir Armut definieren, denn auch das war ja oft im Mittelpunkt mancher Diskussion.