Protokoll der Sitzung vom 13.12.2007

Der Armuts- und Reichtumsbericht auf Bundesebene, die Berichte von Wohlfahrtsverbänden und auch unser Lebenslagenbericht in Sachsen sprechen eine deutliche Sprache. Ich bin auch sehr froh, dass es hier nicht dazu kommt, dass wir uns darüber streiten, was eigentlich Armut ist, wie wir Armut definieren, denn auch das war ja oft im Mittelpunkt mancher Diskussion.

Kinderarmut ist eben auch in Deutschland ein drängendes sozialpolitisches Problem. Nicht nur in Deutschland, sondern in allen Staaten Europas gehören Kinder und Jugendliche, Alleinerziehende und kinderreiche Familien zu den am häufigsten von Armut betroffenen Personengruppen.

Kinder, die in Armut aufwachsen, erleben häufig soziale Ausgrenzung. Die negativen Auswirkungen auf Gesundheit, Bildungserfolg und Integration haben wir des Öfteren diskutiert. Auch meine Kollegin Schöne-Firmenich hat in deutlichen Bildern aus der Praxis beschrieben, worum es geht.

Der Änderungsantrag, auch der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nimmt sich der dringenden konkreten Probleme an, die da lauten: Regelsatzberechnung für den Bedarf von Kindern und Jugendlichen, Lernmittelfreiheit und gesunde Ernährung bzw. die Möglichkeit, an der Mittagsversorgung sowohl in der Kita als auch in der Schule teilzunehmen.

Alle drei Punkte hängen miteinander zusammen. Denn bei den derzeit hohen Kosten für Lernmittel und Mittagsversorgung ist der Regelsatz für Kinder aus meiner Sicht zu niedrig angesetzt. Dem müssen wir uns heute stellen.

Es wurde schon erläutert: Das Sozialhilferecht sah bis zur Reformierung sogenannter einmaliger Leistungen die Möglichkeit vor, Leistungen zur Beschaffung von besonderen Lernmitteln zu gewähren. Bei Einschulungen und zum Schuljahresbeginn konnte man auch besondere Dinge beantragen. Diese Praxis wurde aufgegeben. Die Regelsätze umfassen nun pauschal den gesamten Bedarf. Es wurden hier Zahlen genannt, die das auch deutlich beschreiben.

Dann müssen wir auch zeigen, dass wir lernfähig sind, und diese Dinge hinterfragen und nicht nur im Interesse

der Kinder, der Eltern, sondern eigentlich in unser aller Interesse bereit sind, darüber nachzudenken, wie wir Abhilfe schaffen können.

Die Initiative von Rheinland-Pfalz ist angesprochen worden. Das Problem ist aufgegriffen worden. Es wird auf Bundesebene, soweit bin ich informiert, auch in Arbeitsgruppen darüber diskutiert: sowohl über die Frage einer vollständigen Lernmittelfreiheit als auch über die Frage der kostenlosen Teilnahme am Mittagessen.

Es gibt auch in einigen Kommunen schon Initiativen, entweder teilweise oder ganz bestimmte Leistungen zu erbringen. Aber natürlich würde es mir besser gefallen, wenn diese Regelung für alle Kinder deutschlandweit existierte und nicht nur in einigen Kommunen. Denn nur so kann man zu einer tatsächlichen Chancengleichheit kommen.

Die gegenwärtige Situation, dass nicht allen Kindern ein Mittagessen angeboten werden kann, wurde in RheinlandPfalz mit dem sogenannten Modellprojekt „Ein-EuroEssen“ aufgegriffen. So wurde 2006 ein Sozialfonds eingerichtet, aus dem die Schulverpflegung für Kinder von Hartz-IV-Empfängern mit finanziert wird: Eltern ein Euro, Land ein Euro, Kommune 50 Cent; um nur einmal ein Beispiel zu nennen. Auch Nordrhein-Westfalen plant gegenwärtig, einen ähnlichen Fonds einzurichten.

Ich denke schon, dass wir nicht wieder 16 unterschiedliche Regelungen in 16 Bundesländern brauchen. Deswegen ist es zunächst erst einmal richtig zu schauen, was auf Bundesebene getan werden kann. Das enthält dieser Antrag.

Natürlich müssen wir auch sehen, dass dieser Prozess nicht zu lange dauert und möglichst schnell ein positives Ergebnis auf dem Tisch liegt.

(Beifall des Abg. Falk Neubert, Linksfraktion)

Ich teile auch die Auffassung meiner Kollegin, dass wir steuernd eingreifen müssen, nicht unbedingt mit mehr Geld für die Eltern, obwohl natürlich verfassungskonform die Anpassung des Kindergeldes zurzeit geprüft wird. Aber ich denke, die Sachleistungen müssen den betroffenen Kindern zugute kommen. Ich unterstütze auch, dass es nicht nur die Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II sein müssen, sondern auch diejenigen, die wir gerade in unserem Land haben: die trotz Erwerbstätigkeit nur über geringe Einkommen verfügen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und des Abg. Horst Wehner, Linksfraktion)

Sie sind in einer ähnlichen Situation.

Sollte auf Bundesebene, im Bundesrat und weitergehend im Bundestag, keine Verständigung möglich sein – was ich im Interesse der Betroffenen dieses Antrages nicht hoffe –, dann müssen wir uns überlegen, was wir in Sachsen tun können.

(Beifall bei der SPD, der CDU und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Danke schön. – Für die NPD-Fraktion spricht Frau Schüßler.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz vor Weihnachten möchten die GRÜNEN also noch etwas Gutes für die armen Kinder tun. Allerdings bin ich schon etwas verwundert, dass Sie unseren Antrag vom Juni dieses Jahres – der hieß „Den sozialen Kahlschlag wehren – Jetzt Maßnahmen gegen die Kinder- und Jugendarmut ergreifen“ mit der Drucksache 4/9231 –, den Sie damals in namentlicher Abstimmung alle abgelehnt haben, nun aufgreifen, ja praktisch in Teilen sogar wörtlich übernehmen; dafür trotzdem recht herzlichen Dank.

Natürlich kann man Kinderarmut nicht getrennt von der Armut ihrer Eltern betrachten, und natürlich hatten die GRÜNEN damals in der Koalition selbst mit Verantwortung für die Hartz-Gesetze. Aber wir werden jeden Antrag unterstützen, der sich unseren Positionen annähert.

Schauen wir uns doch einmal an, was Sie am 6. Juli damals ablehnten und als GRÜNEN-Kopie jetzt wieder einbringen.

Punkt 1: Anpassung der Leistungen. Neben der Tatsache, dass die Regelsätze zumindest entsprechend der Inflationsrate für alle Hilfebedürftigen angehoben werden müssen, ist es absurd, dies lediglich für die Kinder einzufordern, die Eltern und alle anderen Hilfebedürftigen aber auszuklammern.

Punkt 2: Besondere Versorgung mit Lern- und Schulmaterialien. Meine Damen und Herren, Sie waren es alle gemeinsam, die die Versorgung mit Lern- und Schulmaterialien in namentlicher Abstimmung vor nicht einmal einem halben Jahr ablehnten. Wir wollen das noch einmal ganz klar in Erinnerung rufen.

Punkt: 3: Erleichterung auf Zugang und Nutzung der Mittagsverpflegung. Auch hier verweise ich wieder auf unseren Antrag Drucksache 4/9231, der genau diese Forderung hier im Hause einbrachte.

Ich möchte mich jetzt noch einmal kurz auf den zweiten Punkt – Gewährung von Sachleistungen für Lern- und Schulmaterial – beschränken. Im Regelsatz nach SGB in Verbindung mit der Hilfesatzverordnung sind im Gegensatz zu der von Ihnen proklamierten und in der ersten Version, die jetzt nicht mehr gültig ist, Ihres Antrages verbreiteten Auffassung keine Leistungen für Lehr- und Lernmittelfreiheit enthalten, da der Gesetzgeber ja von einer Lehr- und Lernmittelfreiheit ausgeht.

Die Bundesratsdrucksache 676/07, auf die Sie sich ursprünglich bezogen, geht davon aus, dass in Abteilung 9 der EVS eine entsprechende Berücksichtigung vorhanden ist. Dem ist aber nicht so. Der § 20 SGB II regelt das ganz eindeutig. Sie müssten es nur einmal nachlesen. In Verbindung mit dem zum 01.07.2006 an § 23 SGB II Abs. 1 angefügten Satz werden zugleich jedwede weitergehenden Leistungen ausgeschlossen. Aber auch das hätten Sie schon im Juli von uns erfahren können.

Im Übrigen ist es halbherzig, lediglich von Sachleistungen zu sprechen, auch wenn Sie nun in der neuen Fassung das „gegebenenfalls“ eingefügt haben, weil damit immer eine Stigmatisierung gegenüber den hilfebedürftigen Kindern und den Familien stattfindet. Es kann auch nicht sein, dass die Kinder bzw. deren Eltern Sachleistungen jedes Mal neu beantragen und damit als Bittsteller auftreten müssen; ganz abgesehen vom bürokratischen Aufwand.

Der Umstand, dass § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II eindeutig festhält, dass – ich zitiere – „die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben“ vom Einkommen abzusetzen sind, bedeutet, dass bei konsequenter Anwendung auf Hilfebedürftige ebendiese Aufwendungen eines zukünftigen Einkommens schon jetzt erstattet werden müssten. Und Schulmaterialien werden ja benötigt, um Voraussetzungen für die zukünftige Erzielung eines Einkommens zu schaffen. Das ist ganz klar. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht das im Übrigen genauso.

Durch die pauschale Ausrichtung des SGB II und XII müssten Leistungen in der Abteilung 10 der EVS, also der Abteilung Bildung, erfasst werden und nicht in der Abteilung 9, Freizeit, Unterhaltung und Kultur, wenn man Ihren Antrag konsequent fortführt.

Insgesamt, meine Damen und Herren, ist der Antrag schon etwas oberflächlich. Da er aber von den angesprochenen sachlichen Fehlern abgesehen unserem Antrag weitgehend nachempfunden ist, werden wir trotzdem zustimmen.

(Beifall bei der NPD)

Die Runde der Fraktionen beschließt Frau Schütz von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte eines voranstellen: Ich halte es schon für mutig, dass – wie man jetzt aus der Diskussion gehört hat – GRÜNE gemeinsam mit der Regierungskoalition einen Antrag formuliert haben, in den man alles hineingeschrieben hat, gegen das sich die Regierungskoalition, speziell die CDU, im Einzelnen doch bisher so vehement gewehrt hat.

Ich denke, so einfach, wie sich die GRÜNEN hier die Welt vorstellen, ist sie nicht. Den erhöhten Regelsatz auf Bundesebene zu fordern reiht sich nahtlos in die beschlossenen Anträge Ihres Bundesparteitages in Nürnberg ein. Dort haben Sie schnell einmal 60 Milliarden Euro in fragwürdige Sozialleistungen umverteilt. Ich stelle fest: Neben SPD und Linkspartei nehmen auch Sie jetzt am sozialpolitischen eBay teil: Wer am meisten bietet, der gewinnt die Wahl.

(Beifall bei der FDP)

An die Damen und Herren von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerichtet: Sie können und werden hier nichts

gewinnen, wenn Sie sich der CDU in Sachsen einfach so anbiedern; denn das, was hier im Änderungsantrag geschrieben ist, ist im Punkt 1 sicher nachvollziehbar, ganz klar. Es zeigt sich jeder Reparaturversuch – nichts anderes ist es – an Hartz IV, denn das wurde damals versäumt. Wir brauchen also keine weitere Reparatur an Hartz IV, sondern eigentlich eine Generalrevision. In den Punkten 2 und 3 delegieren Sie einfach mal Aufgaben des Landes an den Bund weiter. Lern- und Schulmittelfreiheit ist Sachsens Aufgabe,

(Beifall bei der FDP und der Abg. Cornelia Falken, Linksfraktion)

auch der Zugang zu Angeboten der Mittagsverpflegung. Bisher findet das ja immer noch in Kindertageseinrichtungen und Schulen selbst statt. Schul- und Kita-Träger sind entweder die Kommunen oder freie Träger. Auch hier wäre es Landessache, a) den Zugang zu sichern, und b) müsste die Nutzung dessen – über einen Mittagessenpreis, der Landesaufgabe ist und der auch kommunal unterstützt werden kann –eigentlich hier erledigt werden.

Doch noch einmal zurück zu den Forderungen bezüglich Regelsatz. Ich glaube, wir müssen eines deutlich herausstellen: So wichtig und notwendig es ist, diesen Regelsatz zu überprüfen, neu zu definieren und sicherlich auch entsprechend anzupassen, so notwendig ist es auch, sich darüber zu unterhalten, ob dieses Geld dann auch tatsächlich bei den Kindern ankommt. Wie wir sicherstellen können, dass dieses Geld in Form von besserem Essen und mehr Ausgaben für Bildung und Kultur auch bei den Kindern ankommt, darauf haben Sie, denke ich, nicht wirklich eine Antwort.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir stärker direkt die Kinder und nicht nur die Eltern in Geldleistungen unterstützen müssen. Gerade Kinder aus sozial schwachen Familien haben besondere Risiken und Nachteile. Ihnen müssen wir die besseren Chancen zur Teilnahme an Bildung und Kultur geben. Für sie müssen wir auch die gesunde Ernährung in Kindertageseinrichtungen und Schulen besser fördern und eine medizinische Versorgung sicherstellen – aber eben nicht nur für sie, sondern für alle Kinder. Wir müssen Kinder vor Gewalt und Missbrauch schützen – alles Themen, bei denen Frau Orosz als Staatsministerin hier immer sehr deutlich darlegt, was wir auf Landesebene tun müssen und wo unsere Schwerpunkte liegen.

Aber wie sieht unsere Politik für Kinder tatsächlich aus und was können wir in Sachsen tatsächlich tun? Ausbau der frühkindlichen Bildung in Kindertageseinrichtungen und vor allem auch der Wegfall von Zugangskriterien, die immer noch in einzelnen Landkreisen bestehen, sowie gesündere Schul- und Kita-Speisung nach klaren Vorgaben. Die letzte Auswertung dessen hat gezeigt: Wir haben nach wie vor eine klare Definition der Nährwerttabellen bei der Bundeswehr, aber schon lange nicht mehr in Kindertageseinrichtungen oder Schulen. Wir brauchen echte Lernmittelfreiheit in Sachsen für alle Schüler,

(Beifall der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion)

den Ausbau der Ganztagsschulen und -angebote und vor allem besser personell und finanziell ausgestattete Jugendämter und Familienberatungszentren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Liste ließe sich ohne Weiteres fortsetzen. Das alles sind Maßnahmen, die den Kindern direkt zugute kommen. Es sind Maßnahmen und Aufgaben, die wir hier in Sachsen erledigen können. Ich denke, wir sollten dafür gemeinsam streiten. Wie ich es am Anfang dargestellt habe, möchte ich hier um punktweise Abstimmung bitten; denn ich halte es nicht für gerechtfertigt, einfach mal so alles an den Bund weiterzudelegieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. – Das war die erste Runde. Meine Damen und Herren, gibt es seitens der Fraktionen weiteren Aussprachebedarf? – Das kann ich nicht sehen. Wer vertritt heute Frau Orosz? – Wiederum Herr Prof. Wöller.