Ich habe den Eindruck, dass es im Hinblick auf die sächsische Städtebauförderung im Lande geradezu brodelt. Ich registriere ein hohes Maß an Unzufriedenheit. Die Bewohner der Städte nehmen den sogenannten Stadtumbau – dieses Wort suggeriert ja einen Plan –
zunehmend als chaotisch wahr. Zudem fühlen sie sich bei diesen wichtigen Prozessen, die schließlich massiv das Leben in ihrer Stadt verändern, ausgeschlossen. Ich habe Ihnen das Beispiel Freiberg genannt. Welch katastrophale Fehlentwicklung der Förderpolitik, wenn wertvolle, stadtbildprägende, denkmalgeschützte Gebäude lieber abgerissen als erhalten werden! Es muss Schluss damit sein, dass sich die 60 Euro je Quadratmeter Abrissprämie sowie die zusätzliche Entschuldung mehr rentieren als der Verkauf der Gebäude.
Herr Dr. Gerstenberg, Sie hatten einige Male Freiberg erwähnt. Ich gebe Ihnen zu 100 % recht, dass es natürlich bedenklich ist, historisch wertvolle Gebäude abzureißen. Meine Frage besteht jedoch darin: Wer trägt für die Stadtentwicklungskonzepte wirklich die Verantwortung? Sind das nicht die Stadträte, und sollte man nicht mit diesem Anliegen da hingehen?
Das ist völlig richtig. Ich würde Ihnen als Freibergerin auch raten, in der Kommune Ihre Stimme wegen solcher Fehlentwicklungen ganz laut zu erheben. Aber das Thema unserer Debatte ist, welchen Beitrag die Städtebauförderung des Freistaates Sachsen dazu leistet, und dieser ist, wie sich im Nachhinein in meiner Rede noch herausstellen wird, äußerst negativ.
Zu verübeln ist den Wohnungsbaugesellschaften nämlich aus wirtschaftlicher Sicht dieses Vorgehen nicht, Kollegin Raatz, denn der Fehler liegt im System. Mit den Altschulden, das heißt den Erblasten aus der Finanzierung des Wohnungsbaues in der ehemaligen DDR, wurde 1993 der gesamte Wohnungsbestand der Gesellschaften belastet
auch die Altbaubestände, in die zu DDR-Zeiten nie finanzielle Mittel geflossen waren. Dass Wohnungsunternehmen ihre wirtschaftliche Sanierung auch durch Abbruch von teilweise stadtbildprägenden, denkmalgeschützten Beständen organisieren, ist wirtschaftlich zwar nachvollziehbar, städtebaulich aber häufig eine Katastrophe. Wenn selbst Kaufangebote von sanierungswilligen Konkurrenten ausgeschlagen werden, dann wird der Ansatz des Programms „Stadtumbau Ost“ ad absurdum geführt.
Der besondere Wert der innerstädtischen Wohnformen, zum Beispiel aus der Gründerzeit, liegt doch in den geschützten, gegen die Öffentlichkeit abgeschirmten und nur den Anwohnern zugänglichen Innenbereichen der Blockrandbebauung. Unkoordinierter, punktueller Abriss in der ehemals geschlossenen Bebauung führt zu einem Verlust der diesem Stadttyp eigenen Wohnqualität.
Durch den Rückbau innerstädtischer Altbauten wird nicht nur Perforation gefördert, sondern auch der benachbarte private Vermieter und Eigentümer mit seinen umgesetzten Investitionsentscheidungen oft im Stich gelassen. Eine nachhaltige Stadtentwicklung sieht anders aus. Unbezahlbar ist nicht die Umrüstung von Großstadthäusern für lärmfreies Wohnen, Arbeiten und Schlafen, sondern unbezahlbar ist die perforierte Stadt. In der schrumpfenden Gesellschaft wird sie zu einer gesellschaftlichen Last, da kilometerlange Anfahrtswege, schwach ausgelastete Versorgungsnetze und die immer weiter ausgezogene soziale Infrastruktur die Kosten in die Höhe treiben, und zwar sowohl die Kommunalausgaben als auch die Nebenkosten.
Diese ungewollten Nebeneffekte der Förderpolitik der vergangenen Jahre sind mittlerweile so groß, dass der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Tiefensee in seiner neuen Funktion als Bundesbauminister nun eine Kurskorrektur vornehmen will. Er will die in straßenparalleler Blockrandbebauung vor 1949 errichteten Gebäude von der großflächigen Abrissförderung ausnehmen. Ziel des Bundes ist es, entsprechend dem Anliegen der BundLänder-Vereinbarung die identitätsstiftenden Innenstädte zu stärken. Vehementester, aber auf Bundesebene recht einsamer Gegner dieser Pläne ist der sächsische Innenminister Dr. Buttolo. Der einstige Stadtumbau-Musterknabe Sachsen ist zum Querulanten geworden. Herr Minister Buttolo, Ihr Gegenvorschlag, in den geförderten Abriss grundsätzlich alle Gebäude aufzunehmen, die nach 1850 gebaut worden sind, disqualifiziert Sie.
Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich sehen wir die Notwendigkeit von Rückbaumaßnahmen auch im Altbaubereich.
Natürlich ist nicht jedes Gebäude, welches vor 1949 gebaut worden ist, nur aufgrund dieser willkürlichen Erhaltungsgrenze auch
wirklich erhaltbar. Nur sind die Fehlentwicklungen inzwischen so dramatisch, dass wir die Neujustierung des Bundes ausdrücklich unterstützen. – Weiteres später in meinem zweiten Beitrag.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die demografische Schrumpfung und der Wegzug in unserem Lande sind in der Tat Probleme; aber wir müssen, Herr Dr. Gerstenberg, bei den Analysen schon unterscheiden: Welche Nebeneffekte sind Nebeneffekte des Schrumpfens, wie Sie sagten, und welche sind Nebeneffekte der Förderpolitik? Dies sind wohl zwei verschiedene Angelegenheiten.
Bei der demografischen Schrumpfung geschieht zurzeit eine Regionalisierung. Städte wie Dresden und Leipzig wachsen; wir haben Städte mit demografischer Konsolidierung, beispielsweise Meißen und Pirna, und wir haben auch besonders Kleinstädte, die überproportional betroffen sind. Das sind Industriestädte aus der DDR-Zeit, wie Hoyerswerda und Weißwasser, und es sind Kleinstädte, die besonders gewachsen sind, mit großen Wachstumsgürteln der Gründerzeit usw. Diese Städte sind besonders betroffen, und sie brauchen unsere besondere Aufmerksamkeit.
Der Freistaat Sachsen hat sich etwa seit dem Jahr 2000 dem Stadtumbau gewidmet – und dabei zunächst besonders dem Rückbau, das ist wahr. Ich denke, dies ist auch wichtig; denn in den wachsenden Städten wie Leipzig oder Dresden ist der Rückbau im Wesentlichen abgeschlossen; er verlangsamt sich zumindest. Aber um aufwerten zu können, muss auch rückgebaut werden. Rückbau geschieht also nicht nur zur Marktbereinigung, sondern auch zur Beseitigung sonst verfallender leer stehender Gebäude und ist eine Voraussetzung für die Aufwertung.
Wenn hier festgestellt wird, dass Innenstädte wegen des Abrisses perforiert werden, dann muss ich Ihnen sagen: Bei den bisher 47 000 abgerissenen Wohnungen handelt es sich nach neuester Auskunft der Sächsischen Aufbaubank zu etwa 2 % um Häuser aus den Innenstädten. Diese 2 % waren zudem überwiegend Häuser, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Ruin zugelaufen wären. Von Perforation durch Rückbau kann angesichts dieser Zahlen keine Rede sein. Wenn man schon darüber spricht, dann eher vom Verfall einzelner leergezogener Häuser in den kritischen Städten bzw. kritischen Quartieren. Aber ein Verfall eines leeren Hauses ist eigentlich kein Rückbau, kein Abbau; es ist ein physikalischer Vorgang.
Freilich, im Vergleich des Programmteils Stadtumbau allein sind fast 90 % rückgebaut worden. Nehmen wir
aber alle Förderprogramme zur Stadtentwicklung, dann sind das nur noch 10 %. Meine Damen und Herren, am Rückbau führt schon deshalb kein Weg vorbei, weil ein Haus, das auf Dauer leer steht, dem Verfall preisgegeben ist, steht es nun in der Innenstadt oder am Rand, ist es nun ein Baudenkmal oder nicht. Da helfen auch keine politischen Beschlüsse, das ist ein rein physikalisches Problem.
Mit diesem Problem sind wir auch noch längst nicht am Ende. Wir bekommen eine Regionalisierung und mit dieser Regionalisierung müssen wir umgehen. Der Rückbau wird in Zukunft auch stärker in die Innenstädte ziehen. Wenn man weiß, dass knapp 70 % der Häuser in Privatbesitz sind, und wenn man weiß, dass diese Privathäuser in Innenstädten stehen, liegt die Schlussfolgerung auf der Hand: Auch in Innenstädten muss abgerissen werden und wir müssen private Vermieter genauso in den Abriss einbeziehen wie gesellschaftliche und wir müssen private Vermieter genauso in die Aufwertung einbeziehen.
Die Klammer des Ganzen sind die städtebaulichen Entwicklungskonzepte, die integrierte Konzepte sein müssen. Dort müssen die Infrastrukturen, die technische und die soziale Infrastruktur, ebenso einbezogen werden wie auch Betroffene, die Mieter, die Vermieter, die städtischen Unternehmen usw. Wir müssen auch darüber reden, ob die Qualität dieser städtebaulichen Entwicklungskonzepte noch stimmt; das ist wahr. In der Debatte im Januar 2006 hatte ich darüber gesprochen, dass mir nicht in allen Städten die Qualität der Konzepte ausreicht. Darüber müssen wir mit den Bürgermeistern sprechen und dann müssen wir prüfen, ob vielleicht in den Förderrandbedingungen noch einiges geändert werden muss, um die Städte zu einem guten Konzept zu zwingen. Dort scheint mir ein großer Teil des teilweise zu Recht beschriebenen Problems zu liegen.
Herr Dr. Gerstenberg, Sie haben eine Studie bei dem Institut – Moment, ich habe es gleich – in Auftrag gegeben.
Sie wissen, welches Institut ich meine. Ich würde mir wünschen, Sie stellten uns diese Studie zur Verfügung, damit wir gemeinsam – auch außerhalb dieser Debatte – darüber diskutieren können. Das Thema ist interessant, das Thema ist wichtig, –
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich mich für diese Debatte bedanken, die ich ausdrücklich begrüße – nicht nur, weil ich heute Geburtstag habe
und weil ich mich freue, wenn ich so etwas geschenkt bekomme, sondern auch weil ich glaube, dass es Zeit ist, darüber nachzudenken.
Bevor ich beginne, möchte ich kurz auf meine Vorredner eingehen. Herr Dr. Gerstenberg hat gesagt, dass es Konsequenzen aus den Verfehlungen geben muss, die da passiert sind. Ich möchte nur auf eine hinweisen, die sehr wichtig ist, wenn man das Gesamtprojekt Stadtumbau betrachtet. Natürlich kann man Stadtabbau nicht gleich Stadtumbau setzen. Ich bin überhaupt der Überzeugung, dass es Siedlungsentwicklung heißen müsste und nicht unbedingt Stadtumbau. Eine weitere Konsequenz ist der völlige Verlust des Korrektivs Preis. Wenn ich das vergesse, wird Stadtumbau in den Stadtzentren schwierig, gerade wenn es um denkmalgeschützte Gebäude und um das Eigentum privater Vermieter geht.