Protokoll der Sitzung vom 17.06.2010

(Lars Rohwer, CDU: Was für eine Unterstellung!)

Das hat oft auch nur kurzzeitige Auswirkungen. Dies scheint auch in Sachen Hochwasserschutz der Fall zu sein.

Was wäre zu tun? Um Hochwassergefahren wirksam zu verringern, muss den Flüssen mehr Raum gegeben werden. Das sollte eigentlich allgemeine Erkenntnis sein. Nach Angaben der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe hat die obere bzw. mittlere Elbe in Deutschland bis heute bereits 76 % ihrer Überschwemmungsflächen verloren. Das natürliche Rückhaltevolumen hat sich damit um mehr als 2 Milliarden Kubikmeter verringert. Die gravierenden Folgen sind, dass sich die Fließgeschwindigkeit erhöht, die Hochwasserscheitel höher ausfallen und eher eintreten. Diese Erkenntnisse sind nun allerdings nicht neu.

Unmittelbar nach der Flut 2002 waren sich alle Experten und politischen Entscheidungsträger einig, dass die Hochwasserereignisse bei zukünftig häufigeren Extremwetterlagen öfter auftreten werden und deshalb unbedingt

großflächig Rückhalteflächen durch Deichrückverlegungen und Polder geschaffen werden müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Leider beweist die Praxis des zuständigen Ministeriums seit Jahren mangelnden Mut zur Umsetzung dieser Erkenntnisse in die Tat. Bereits bei der ersten fachlichen Betrachtung der entsprechenden Politik im Jahr 2008 durch den World Wildlife Fund Deutschland wurde darauf hingewiesen, dass zum Beispiel an der Elbe nur weniger als 1 % der verloren gegangenen Rückhalteflächen auf Eignung für den Hochwasserschutz überprüft worden waren. In der Studie heißt es, dass die bisherige Politik überwiegend auf Bestandserhaltung alter Deiche setzt. Dieser Trend hält leider und unverständlicherweise bis heute an. Es findet weder ein Retentionsraumausgleich statt, noch werden ausreichend Retentionsflächen geschaffen.

Deichrückverlegung und Polderbau sind zwar in aktuellen Hochwasserschutzkonzepten vorgesehen, umgesetzt wurde bisher davon kaum etwas. Die ausführende Landestalsperrenverwaltung setzt vorrangig auf technische Maßnahmen wie den Deich- und Mauerbau, wofür zwischen 2003 und 2005 allein für die Elbe und ihre Nebenflüsse 228 Millionen Euro ausgegeben wurden. Nach Medienberichten wurden nach 2002 an Elbe und Mulde sogar 350 Millionen Euro in den technischen Hochwasserschutz investiert.

Diese alleinige Ausrichtung auf den technischen Hochwasserschutz birgt neben Naturzerstörung und Beeinträchtigung des Landschaftsbildes auch regelmäßig die Gefahr von weiteren Verengungen des Abflussprofils, wie derzeit beim Bau einer Hochwasserschutzmauer an der Flöha in Olbernhau.

Aktuell ein weiteres Beispiel für ein überdimensioniertes und überteuertes Hochwasserrückhaltebecken im Osterzgebirge, im Bielatal, in Bärenstein: 31,4 Millionen Euro. Es wäre wesentlich billiger, wenn man naturnahen, ökologisch ausgerichteten Hochwasserschutz betreiben würde. Das hat hier wenig Chancen.

Im Sächsischen Wassergesetz ist von einem Aktionsplan die Rede. Er soll die Grundsätze und Ziele des Hochwasserschutzes als Gesamtkonzept für den Freistaat darstellen und sollte eigentlich schon bis 2002 vorliegen. Dann kam das Hochwasser, und alles wurde anders. Hochwasserschutzkonzepte kamen zwar, aber wesentlich kleinteiliger, und das Gesamtkonzept steht leider bis heute aus.

In den für Sachsen bisher erstellten 47 Hochwasserschutzkonzepten sind 1 596 Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes enthalten; lediglich neun Maßnahmen dienen den empfohlenen Rückdeichungen. Die wenigen bestehenden größeren Planungen sind, abgesehen vom Zwenkauer See, nicht realisierbar.

Herr Kupfer, ich denke, es ist ein probates Mittel der Finanzeinsparung für den nächsten Haushalt. Nutzen Sie dieses Mittel! Nutzen Sie auch zukünftige Methoden beim Management von Rückhalteflächen. Das wird billiger.

Wir schlagen Ihnen dazu ein Kataster nach dem Vorbild des Öko-Konten- und Kompensationsflächenkatasters vor.

Ich will dem erbetenen Bericht nicht vorgreifen, aber unterstreiche noch einmal, dass wir eine langfristig erfolgreiche Hochwasserpolitik in Sachsen nur haben können, wenn wir vermeiden, dass das Risiko von den Oberliegern an die Unterlieger weitergereicht und nicht grundsätzlich verringert wird.

Abschließend möchte ich sagen: Es ist zu befürchten, dass die öffentliche Hand weniger Instrumente haben wird, um zum Beispiel dieser Deichrückverlegung zu entsprechen. Die Koalition möchte das Vorkaufsrecht nach Sächsischem Wassergesetz abschaffen. Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Abstimmung darüber vertagt.

Frau Kallenbach, Ihre Redezeit ist um!

Sie haben die letzte Chance, dies im Interesse des Hochwasserschutzes zu stoppen. Wenn wir die Politik nicht ändern, dann ist zu befürchten, dass zukünftig vielen von uns das Wasser wieder bis zu den Knien oder gar bis zum Hals stehen wird. Das sollten wir auf jeden Fall vermeiden. Stimmen Sie daher bitte für unseren Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Frau Kallenbach, ich danke Ihnen, dass Sie den Antrag Ihrer Fraktion eingebracht haben. Die Aussprache ist eröffnet. Für die CDUFraktion spricht Herr Abg. Hippold; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jedem von uns sind sicherlich noch die Bilder aus dem Jahre 2002 mit seinem Jahrhunderthochwasser gegenwärtig. Dieses Ereignis hat uns gezeigt, dass der Hochwasserschutz auch in den kommenden Jahren eine Priorität haben muss. Fakt ist, dass Sachsen seit dem Hochwasser 2002 erhebliche Summen – um genau zu sein: 700 Millionen Euro – in die nachhaltige Schadensbeseitigung und Prävention investiert hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Insofern ist ausdrücklich zu sagen, dass dem Hochwasserschutz in Sachsen in den letzten Jahren eine hohe Bedeutung beigemessen wurde. Der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zeichnet ein ganz anderes Bild. Auch die Koalition sieht das Erfordernis, dass zukünftig weitere Investitionen erforderlich sein werden, um Rückhalteflächen an unseren Gewässern zu erhalten und auszubauen.

Die in den letzten Jahren durchgeführten Maßnahmen wurden in Trägerschaft der Landestalsperrenverwaltung durchgeführt. Dieses Verfahren – das kann ich aus meiner Tätigkeit als Planer bestätigen – hat sich bewährt. Um durch die Praxis gewässerübergreifende Hochwasser

schutzkonzeptionen zu erstellen, konnten und können einzelne Maßnahmen künstlich geschaffener Stauräume immer in den Gesamtzusammenhang des Hochwasserschutzes und dessen Wirkung gestellt werden.

Bei den Gewässern II. Ordnung hat sich in den letzten Jahren eine gute Zusammenarbeit mit den Gemeinden entwickelt, welche ebenfalls zu diesem Ziel beiträgt. Unser Ziel muss es sein, zukünftig Schäden des Ausmaßes wie nach dem Hochwasser 2002 zu verhindern. Zum Erreichen dieses Zieles wurden in den letzten Jahren umfangreiche Planfeststellungsverfahren durchgeführt. Benennen möchte ich hier die Polder Außig, Děčín und Löbnitz. Weiterhin laufen Planfeststellungsverfahren für Regenrückhaltebecken an der Freiberger Mulde, in Muldau und in Bobritzsch. An der Neiße wird derzeit in Rennersdorf ein Regenrückhaltebecken realisiert.

Die Verfahren nehmen allerdings viel Zeit in Anspruch. Zum einen liegt das an der Akzeptanz von Hochwasserschutzmaßnahmen, welche in den letzten Jahren stark nachgelassen hat, zum anderen ziehen solche Verfahren meistens lange Rechtsstreitigkeiten nach sich.

Insgesamt wurden in Sachsen in den letzten Jahren Retentionsräume mit einem Gesamtvolumen von 50 Millionen Kubikmetern geschaffen. Ich würde dies nicht als „blaues Auge“ und „halbtrockenen Fuß“ bezeichnen.

Sachsen verfügt des Weiteren über mehrere Trinkwassertalsperren mit einem Rückhaltevolumen von 160 Millionen Kubikmetern, welche im Einzugsgebiet der Elbe Hochwasserscheitel zurückhalten und somit die Hochwassergefahr verringern. Der im Antrag angeführte Stauraumverlust mag vielleicht für den oberen und mittleren Teil der Elbe zutreffen, Tatsache ist jedoch, dass die Zahlen zu den Retentionsflächen aus den vorgenannten Gründen im Gesamtzusammenhang des Hochwasserschutzes und in Bezug auf die historischen Rückhalteflächen und künstlich geschaffenen Stauräume zu sehen sind.

Alles in allem stand und steht dem Freistaat in den Jahren von 2002 bis 2015 rund 1 Milliarde Euro für den Hochwasserschutz zur Verfügung. Davon werden allein für die Schaffung von Rückhalteflächen und Rückhalteräumen 550 Millionen Euro eingesetzt. In den letzten sieben Jahren betrug die Summe 110 Millionen Euro. Sachsen stand bzw. steht mit diesen Mitteln im Vergleich zu den anderen Bundesländern in der Spitzengruppe. Für die nächsten beiden Jahre sollen entsprechend der derzeitigen Planung circa 250 Millionen Euro zur Verfügung stehen.

Das Argument, derzeit würde kein Retentionsraumausgleich bei der Realisierung der Maßnahmen zur Verfügung stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ist nicht zutreffend. Bereits am 26. Januar 2009 wurden die sächsischen Landesdirektionen durch das SMUL darauf hingewiesen, dass bei allen Maßnahmen des Hochwasserschutzes ein Retentionsraumausgleich zwingend vorzusehen ist. Es ist eine Tatsache, dass derzeit kein Hochwasserschutzvorhaben

planfestgestellt würde, wenn nicht die Frage des Retentionsraumausgleichs geklärt wäre. Mit der Novellierung des sächsischen Wasserrechts sind die Vorkaufsrechte abgeschafft worden.

(Gisela Kallenbach, GRÜNE: Noch nicht!)

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass das einen bürokratischen Aufwand darstellt, welcher in keiner Relation zum Nutzen steht. Hinzu kommt, dass das Instrument nur zum Erwerb von Splitterflächen beigetragen hat. Solche Flächen können jedoch nur schwer sinnvoll für den Hochwasserschutz genutzt werden. Die Ziele des Hochwasserschutzes lassen sich durch die Vorkaufsrechte nicht erreichen, da sie regelmäßig nicht das gesamte Gebiet, sondern nur kleine Teilflächen erfassen.

Seit Inkrafttreten des novellierten Sächsischen Wassergesetzes im Jahr 2005 wurden durch die LTV nur in elf Fällen Vorkaufsrechte nach Kategorie 1 und 2 ausgeübt. Dem gegenüber stehen 20 000 Anträge pro Jahr. Bei dem Nutzen von einer Hand voll Fällen war es aus meiner Sicht die richtige Entscheidung, dieses Instrument abzuschaffen. Das ist ein guter Beitrag zum viel angemahnten Bürokratieabbau.

Die Forderung nach einer entsprechenden Datenbank für den Ausgleich von Retentionsraumverlusten ist grundsätzlich nachvollziehbar. Es zeigt sich jedoch zum Beispiel an den Erfahrungen im Bundesland Hessen, dass eine solche Datenbank nicht zielführend ist. Vor dem Aufbau einer solchen bürokratischen Hürde sollten wir lieber bei dem Prinzip der gewässerübergreifenden Hochwasserschutzkonzeptionen in Zuständigkeit der Landestalsperrenverwaltung bleiben. Dieses Vorgehen hat sich in den letzten Jahren bewährt.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass schon viel in Sachsen passiert ist. Auch seitens der Koalition und der Staatsregierung wird ein weiteres Erfordernis von Präventionsmaßnahmen im Freistaat gesehen. Insofern wird sich dies auch im Haushaltsentwurf der Jahre 2011 und 2012 widerspiegeln. In den nächsten Jahren werden im Freistaat zusätzliche Retentionsflächen mit einem Volumen von 90 Millionen Kubikmetern geschaffen. Allerdings soll dies grundsätzlich im Einvernehmen mit den Betroffenen erreicht werden.

Solche Maßnahmen nehmen, wie schon gesagt, viel Zeit in Anspruch. Nicht zuletzt ist dies darauf zurückzuführen, dass Hochwasserschutzmaßnahmen auch auf den Schutz von Leben und Gesundheit der Anwohner und von Sachwerten auszurichten sind.

Den Flüssen mehr Raum zu geben wäre sicher die Lösung des Problems. Allerdings stellt sich in Sachsen aufgrund unserer Topografie die Schaffung neuer Rückhalteflächen schwierig dar. Bei den teilweise engen Flusstälern ist es nicht unbegrenzt möglich, Retentionsraum zu schaffen. Hinzu kommt, dass man Rücksicht auf in Jahrhunderten gewachsene Siedlungen nehmen muss. Der erforderliche Eingriff in Privateigentum stellt eine zusätzliche Schwierigkeit dar. Weiterhin können bedeutsame Retentionsräu

me an der Elbe, im Übrigen morphologisch bedingt, erst ab Riesa geschaffen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Aus Sicht der Koalition tragen die Forderungen des Antrages der GRÜNEN nur zur Schaffung zusätzlichen bürokratischen Aufwands und nicht zur Verbesserung des Hochwasserschutzes bei.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Oh!)

Wir werden den Antrag aus diesem Grund ablehnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war Herr Hippold für die Fraktion der CDU. Nun spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau Abg. Dr. Pinka; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Debatte um die Rückhalteflächen oder Retentionsräume von sächsischen Flüssen wurde bereits vor einem Jahr von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in diesem Parlament angestoßen.

Im Grunde ist dem Anliegen zuzustimmen. Praktisch müssen die in den Maßnahmenplänen zu den Hochwasserschutzkonzeptionen dargestellten Retentionsausgleiche und die verstärkte Schaffung von Rückhalteflächen forciert werden.

Ich denke, dass sich seit dem Antrag von vor einem Jahr nicht viel mehr in diesem Land getan hat, als dass weitere Hochwasserrückhaltebecken gebaut wurden. Von daher könnten wir dem ersten Teil des Antrages wegen des Berichtscharakters durchaus zustimmen. Insbesondere ein Verweis auf das dauerhaft notwendige Vorkaufsrecht im Sächsischen Wassergesetz sei mir hier noch einmal erlaubt. Ich möchte daran erinnern – Herr Hippold sagte es soeben –, dass die Staatsregierung plant, dies in Vereinfachung des Landesumweltrechtes gerade abzuschaffen.

Die Pflicht zur Erhaltung und Wiederherstellung früherer Überschwemmungsgebiete ist im neuen § 77 Wasserhaushaltsgesetz gefasst. Dort heißt es: „Frühere Überschwemmungsgebiete, die als Rückhalteflächen geeignet sind, sollen so weit wie möglich wieder hergestellt werden, wenn überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit dem nicht entgegenstehen.“

Unter Hochwasserschutz verstehe ich, neben der Sicherung und Rückgewinnung von Auen, Rückhalteflächen in überschwemmungsgefährdeten Bereichen oder den Rückhalt von Niederschlagswasser in der Fläche, aber auch bauliche Maßnahmen zur Hochwasserabwehr wie den Bau von Poldern, die Rückverlegung von Deichen sowie den Bau von Talsperren und Regenrückhaltebecken.