Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, es soll heute um die Diskussion zur Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals in Sachsen, konkret in Leipzig, gehen. Gleich vornweg: Meine Fraktion steht diesem Antrag nicht kontra gegenüber, sondern unterstützt dieses Ansinnen, so wie wir dieses Ansinnen auf Antrag unserer eigenen Fraktion im Bundestag im Jahr 2007 thematisiert haben. Damals wurde unser Antrag von der Koalition abgelehnt. Aber auch der Antrag hier im Landtag wurde von unserer Fraktion damals positiv unterstützt. Ähnlich werden wir auch heute handeln.
Wenn wir zu solch einem Thema sprechen, das 20 Jahre Entwicklung in Sachsen dokumentieren soll und einen historischen Scheidepunkt in der Entwicklung und Geschichte Deutschlands und konkret Sachsens bewirkt hat, dann beschämt es mich schon, dass wir in solch einer spärlichen Zusammensetzung hier sitzen. Das bekümmert mich. Wie wichtig ist dieses Thema den Fraktionen?
Es ist richtig, dass die Entwicklungen in der DDR unter dem Zeichen des Sozialismus nicht so verlaufen sind, wie es historisch notwendig und richtig gewesen wäre. Die Entwicklungen in Deutschland nach 1945 haben welthistorische Zusammenhänge, die darauf zurückzuführen sind, dass von Deutschland aus, von den geistigen Vätern dieser Fraktion hier drüben,
die historische Entwicklung in Europa an der Trennlinie hier in Deutschland so vollzogen hat, wie sie sich vollzogen hat. Nur unter dieser historischen Einordnung können wir dieses Thema behandeln.
Auch die politische Linke in Deutschland – sprich: auch unsere Partei und deren Vorgängerpartei, die PDS – hat sich wiederholt und intensiv ihrer historischen Verantwortung gestellt, ihre historische Schuld eingestanden und an diversen Stellen auch um Verzeihung gebeten.
Sie erwähnen den 17. Juni 1953. Dieser Jahrestag wiederholt sich heute. Das war eine Zäsur, die eigentlich hätte wachrütteln müssen, aber anders, als es in den Jahren danach passiert ist. Genau diese politische Verwerfung hat mit Nachdruck ein System in Diskredit gebracht, welches historisch richtig und notwendig gewesen ist.
Ich rede von der sozialistischen Entwicklung auf deutschem Boden von 1945 bis 1989. Das ist richtig.
Aber genau vor diesem historischen Hintergrund sind die Ereignisse von 1989 zu verstehen. Ich rede heute für meine Fraktion, weil ich genau wie Herr Clemen im Herbst 1989 als Student der Leipziger Universität aktiv an den Prozessen beteiligt war. Darauf komme ich später noch einmal zurück.
Was mir hier besonders wichtig ist zu erwähnen, ist folgender Umstand, der mir in der öffentlichen Diskussion oft zu kurz kommt und zu wenig betrachtet wird: Die wirklich historische Dimension ist, dass dieser Prozess friedlich vonstatten ging – außer einer ganz kleinen Ausnahme, die ich nachher noch einmal kurz zitieren werde. Der Prozess war friedlich, und das war eine zivilisatorische Leistung von uns hier in Ostdeutschland, konkret auch hier in Sachsen, wo er begonnen hat, wo die Situation in entscheidenden Tagen auch sehr brenzlig war.
Aber dass es an keiner Stelle und zu keinem Zeitpunkt in diesem Prozess im Herbst 1989 zu Gewalttaten in größerem Umfang gekommen ist, ist eine zivilisatorische Leistung aller an dem Prozess Beteiligten und nicht nur, wie verschiedentlich von politisch Verantwortlichen
hingestellt wird, in maßgeblicher Stellung, sondern von allen, die Verantwortung hatten und die auch speziell die militärischen Möglichkeiten in allen Organen des Innenministeriums und der Armee gehabt hätten.
In allen Kasernen standen Offiziere in der Verantwortung für ihre Soldaten und deren Familien und hatten einen Eid geschworen. Dennoch war es möglich, dass es an keiner Stelle – akzeptieren Sie das doch einmal! – eskaliert ist. Es ist jedem einzelnen Verantwortlichen zugute zu schreiben. Diese friedliche Entwicklung möchte ich hier einfach einmal herausarbeiten und benennen. Das ist eine zivilisatorische Leistung, die bisher nicht in dem Umfang gewürdigt wurde, wie es notwendig gewesen wäre.
Es war eine gesellschaftliche Situation – das ist historisch so gesehen worden –, in der es keine andere Möglichkeit als den friedlichen Wandel gab. Versetzen Sie sich doch in den Grenzsoldaten, der am 9. November in Berlin die Entscheidung treffen musste und sagte, ich mache den Schlagbaum auf! Da war keine zentrale Führung, da waren kein Wille und kein Zwang zur friedlichen Entwicklung. Das waren individuelle Entscheidungen, die hoch anzurechnen sind. Das muss einmal gesagt werden. Bei einer Ehrung und Würdigung dieses Ereignisses sollte darauf geachtet werden, dass ein mögliches Denkmal, ein Erinnerungsort oder welche Form auch immer durch eine zu besetzende Jury gewählt wird, alle diese Aspekte betrachtet, einbezieht und entsprechend würdigt. Das ist unser Anliegen.
Der Herbst 1989 – Sie erinnern sich an den Verlauf des Jahres – begann mit den Festnahmen zur LuxemburgEhrung in Berlin. Zu erwähnen ist – Herr Clemen wird sich vielleicht daran erinnern, er kommt ja aus der Künstlerszene – das Straßenmusikfest im Sommer des Jahres, wo es noch zu Festnahmen und zur Unterbindung des Ereignisses gekommen ist, wo Musiker, die nur gespielt haben, von der Straße weggesammelt wurden. Dann kam die Entwicklung im September/Oktober in der Nikolaikirche, und es folgten die kleinen und noch versprengten Demonstrationen und Diskussionen. Vor allem die öffentliche Diskussion, die stattgefunden hat, war offensichtlich. Es knisterte. Wer damals in der Mensa oder in den Hörsälen der Universität gesessen hat, der wusste, was passiert.
Ich war damals Student. Wir haben sofort nach der Semesterpause, als wir an die Universität zurückkamen, darüber diskutiert, wie wir uns in den Prozess einbringen können. Viele Kommilitonen waren an den Diskussionen zum Neuen Forum und zur Gründung der SDP, damals noch, beteiligt und haben in kleinen Zirkeln diskutiert. Wir waren ML-Studenten und haben diskutiert, wie wir unsere Professoren in die Pflicht nehmen, damit sie sich den gesellschaftlichen Veränderungen stellen, haben Strategien entwickelt, wer noch zu offiziellen Veranstal
tungen geht oder nicht und wer sich an den Protesten beteiligt, wer und in welcher Form. So habe ich auch am 9. Oktober in der Nikolaikirche gesessen – und nicht im Auftrag der Partei, wie es oft kolportiert wird, dass wir geschickt wurden.
Wir haben uns nur gewundert, dass auf einmal so viele mit da saßen, die wir von der Uni kannten, die vorher nicht in den Diskussionszirkeln waren.
Ich kann Ihnen, Frau Kallenbach, den Namen dessen nennen, der dann die Leute versucht hat in die Kirche zu schicken, wenn Sie es wissen wollen.
Kommilitonen aus meiner Seminargruppe haben dann maßgeblich an der Universität an der Veränderung, nämlich an der Auflösung der FDJ und der Etablierung des Studentenrates, mitgewirkt. Ich nenne hier Namen wie Pierre Pasternack, heute Wissenschaftler in Halle, oder Steffen Klatt, Kommilitone aus meiner Seminargruppe. Wir sind durch die Sektion gezogen und haben dafür geworben, einen Studentenrat zu bilden, zu gründen und auf den Weg zu bringen. Wir haben dafür gesorgt, dass die FDJ-Kreisleitung der Universität, die sich nicht an dem Prozess beteiligen wollte, entsprechend zurückgedrängt wurde, und wir haben dann in den Räumen der FDJ-Kreisleitung der Universität den Studentenrat mit gegründet.
Den Kommilitonen der Bereiche Medizin, Physik und Mathematik musste man im Dezember 1989 erst einmal erklären, was draußen überhaupt losgeht. Das waren reine Erstinformationsveranstaltungen, die wir durchgeführt haben. Davon war auch kaum jemand bei den Demonstrationen dabei. Sie wollten in Ruhe weiter studieren und den Abschluss ihres Studiums durch diese unsägliche und unruhige Zeit da draußen nicht gefährden.
Jetzt ein kleiner Schwenk zur Friedlichkeit der Revolution, einen kleinen historischen Exkurs. Herr Zastrow, Ihre historische Einordnung stimmt nicht ganz mit „Wir sind das Volk!“ und „Wir sind ein Volk!“. Sie sprechen ja den 4. November an. Als in Berlin Stefan Heym und Christa Luft und andere – –
Auch Markus Wolf und andere haben gesprochen, das ist richtig, auch Gregor Gysi, der heute ein geachteter Politiker in Deutschland ist.
Zu diesem Zeitpunkt – ich möchte nur auf Ihre historischen Fehler hinweisen – war in Leipzig noch lange nicht Thema „Wir sind ein Volk!“. Der Wechsel von „Wir sind das Volk!“ zu „Wir sind ein Volk!“ begann nicht am 4. November, sondern im Januar, sodass Sie Berlin nicht
gegen Leipzig setzen können. Das ist historisch einfach falsch. Aber warum erwähne ich „Wir sind ein Volk!“? Zu dieser Zeit haben sich in Leipzig, nachweislich mit Fotos dokumentiert, die ersten Nazihorden unter die Demonstranten gemischt, die mit der Reichskriegsflagge mit um den Ring zogen. Ich will die friedlichen Demonstranten nicht unerwähnt lassen. Es kommt gleich die Pointe, auf die ich hinaus will und mit der ich einfach die historischen Fakten darlege. Es haben sich Horden von Nazis unter die Demonstranten gemischt und am Ende der Demonstration die Demonstranten der friedlichen Demonstration durch die Stadt gejagt, so wie sie es heute noch tun, immer und immer wieder in diesem Land. Sie haben die Studenten in die Zentralmensa zurückgedrängt, in die sie geflüchtet sind, und dort haben diese Vertreter – unter der Reichskriegsflagge eindeutig als Nazi erkennbar – einen Mitarbeiter der Mensa so schwer am Kopf verletzt, dass er zwei Tage später seinen Verletzungen erlegen ist. Es gab also in diesem Zusammenhang Tote – es war nicht alles friedlich –; und es ging wieder von den Nazis in diesem Land aus.
(Andreas Storr, NPD: Jetzt müsste eigentlich Herr Krauß kommen! – Jürgen Gansel, NPD: Und Sie brauchen Tabletten! Die Nazigespenster bei Ihnen sind ja nicht mehr heilbar!)
Nun zum Antrag selbst. Wir werden dem Antrag mehrheitlich zustimmen, denn der Zivilcourage der sächsischen Bevölkerung ist ein Denkmal zu setzen. Meine Frage ist an dieser Stelle nur – und deshalb haben wir in der Diskussion Bedenken –, ob der Zeitpunkt der richtige ist – eine Zeit, in der maßgeblich finanzielle Kürzungen verabschiedet werden und gestern wieder durch eine große Demonstration entsprechend quittiert wurde, dass das so nicht gewollt ist.
Es gibt Umfragen in Leipzig, ob das Denkmal jetzt und heute in dem Umfang errichtet werden soll, die uns zeigen: Es gibt erhebliche Bedenken, in dieser gegenwärtig schwierigen, angespannten Situation solche Prestigeobjekte nach außen herzustellen und zu errichten; ob wir wirklich historisch sensibel mit dem Thema umgehen und uns jetzt für eine Errichtung entscheiden sollten. Es sollte noch einmal öffentlich diskutiert werden, ob es wirklich gut und klug und richtig ist, es hier und heute so zu tun. Aber das ist kein Widerspruch dazu, dass man dieses ehrende Gedenken entsprechend zelebrieren und umsetzen sollte.
Es ist richtig, dass dafür eine Jury einzusetzen ist. Es soll ein künstlerischer und vor allem historischer Entwurf gefunden und umgesetzt werden. Aber es ist schon fraglich, warum die Staatsregierung dies zu ihrem Thema machen möchte, wenn eigentlich die Kommune in Leipzig gefragt ist und es eigentlich Entscheidungen auf Bundesebene gibt. Die Zustimmung des Landesparlaments ist ein Stück weit fraglich; aber wenn es der Sache dient, dann haben Sie unsere Unterstützung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Um gleich darauf zu antworten, wo ich meine Kollegen gelassen habe: Sie sitzen gerade mit Herrn Gauck zusammen. Es hat sich so ergeben, dass sich Herr Gauck heute hier im Landtag vorstellt, und ich glaube, dass das eine sehr interessante Diskussion ist.
Ohne die Leipziger Montagsdemonstrationen wäre die Mauer in Berlin nicht gefallen. Es findet die grundsätzliche Unterstützung der SPD, in Leipzig als Ausgangspunkt der friedlichen Revolution zu gedenken. Daher haben wir gemeinsam mit der CDU im Dezember 2007 einen Antrag in den Landtag eingebracht, mit dem es uns darum ging, in Korrespondenz zu dem Denkmal in Berlin auch in Leipzig ein Denkmal zur Würdigung von Mut und Zivilcourage der sächsischen Bürger beim Einsatz für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte im Jahr 1989 zu errichten. Unser Antrag hatte damals die gleiche Überschrift, wie sie heute im Antrag vorgelegt wurde.
Der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig hat durch mehrfache Schreiben dieses Ansinnen mit vorangetrieben – unterstützt durch den Stadtrat von Leipzig und eine übergreifende Initiative vieler Leipziger und ostdeutscher Politiker.
Im Dezember 2008 erneuerte der Deutsche Bundestag seinen Beschluss von 2007 zur Errichtung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals und sprach sich dafür aus, die friedliche Revolution auch in Leipzig zu würdigen.
Seitdem gab und gibt es in Leipzig eine breite Debatte, und es gibt einen Beschluss des Stadtrates, den Wettbewerb für drei Standorte auszuloben. Dem ist ein Beteiligungsverfahren vorangegangen. Für jeden der Standorte gibt es sicher sehr gute Argumente, deren Wertigkeit wir hier in Dresden nicht bewerten können. Problematisch ist sicher das Auslobungsverfahren an diesen drei Standorten; aber die Frage, wo das Denkmal errichtet werden soll, muss in Leipzig erörtert und entschieden werden.
Der Bund und das Land Sachsen waren in alle Etappen einbezogen. Es ist sicher kein Zufall, dass der Antrag von CDU und FDP an einem symbolischen Tag wie dem 17. Juni eingebracht wird. Der Aufstand am 17. Juni 1953 wurde blutig niedergeschlagen; der späte Sieg kam 1989, als in dem ganzen Gebiet der ehemaligen DDR Millionen Menschen den Mut hatten, auf die Straße zu gehen und mit einem friedlichen Protest das SED-Regime in die Knie zu zwingen.
Daher – auch das gehört zur Debatte um das Gedenken der friedlichen Revolution – haben wir mit Joachim Gauck einen würdigen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl. Gauck wird heute in Leipzig eine Gedenkrede zum Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 halten.