Protokoll der Sitzung vom 02.09.2010

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Richtig!)

Volkswirtschaftlich macht deshalb die Tilgung von Krediten wenig Sinn. Hinzu kommt, dass die Tilgung die Solidarität zwischen den Bundesländern sabotiert. Wenn Hessen Kredite aufnehmen muss, damit Sachsen seine Schulden bezahlen kann, sollte es uns nicht wundern,

wenn Hessen keine Lust mehr hat, Sachsen das Image des Musterschülers zu finanzieren.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Die Höhe der Nettotilgung im Landeshaushalt ist deshalb für uns kein Dogma, das nur dem Ziel dient, die Neuverschuldung pro Kopf konstant zu halten. Das nützt den Köpfen nichts, in die wir investieren müssen, damit Sachsen auch in Zukunft innovativ und mit Fantasie seine Chancen nutzen kann.

Die geplanten Kürzungen sind aus unserer Sicht überflüssig, familienfeindlich und unmotiviert.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Aus Sicht der schwarz-gelben Koalition wird das sicher ganz anders gesehen. Da gibt es für die Kürzungen mindestens einen sehr profanen Grund: Wichtige Projekte der schwarz-roten Koalition müssen gekillt werden: der Kommunal-Kombi, das kostenfreie Kita-Jahr, das Förderprogramm Regionales Wachstum, die Jugendpauschale, die Ganztagsschulen, die Programme zur Förderung von Demokratie usw.

Besonders unsere liberalen Freunde hatten sicher diebische Freude daran, unsere guten Ideen zu streichen. Was Ihnen das genutzt hat, konnten Sie ja der Umfrage der Staatsregierung in der letzten Woche entnehmen.

Ich möchte deutlich machen: Diese Kürzungen sind konkret und sie treffen die Familien in Sachsen. Sie als Koalition haben in Ihrem Koalitionsvertrag noch den Anspruch formuliert: „Unser Ziel ist es, Sachsen zum familienfreundlichsten Bundesland zu machen.“ Von diesem Anspruch sind Sie mit dem Haushaltsentwurf meilenweit entfernt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Viele geplante Kürzungen treffen genau die Lebenssituation und die finanzielle Lage von Familien. Das wird sich negativ auswirken.

Nehmen wir die Familie Meier aus Panschwitz-Kuckau mit drei Kindern. Da haben wir das kostenfreie Vorschuljahr, das wegfällt. Es wird einfach abgeschafft und die Eltern müssen die Kosten selbst tragen. Das bedeutet konkret: Für den Besuch ihrer Tochter in der Kita des christlich-sozialen Bildungswerkes müssen sie jetzt 1 000 Euro mehr im Jahr berappen. Die Staatsregierung lässt die Familien beim Landeserziehungsgeld hängen. Das Kindergeld wird für jedes Kind gekürzt. Für Familie Meier sind das im Jahr 900 Euro weniger für ihr jüngstes Kind. Sie lässt die Familien beim ÖPNV hängen. Insgesamt sollen hier 7,5 % für die Verkehrsverbünde gekürzt werden, obwohl die Bundesregierung sogar mehr Mittel nach Sachsen fließen lässt.

(Zuruf von der SPD)

Für seine Fahrt zur Arbeit nutzt Herr Meier eine Monatskarte des VVO. Die Preise dafür werden sich durch die

Kürzungen um mindestens 3 Euro erhöhen. Das macht 36 Euro zusätzlich. Außerdem wird die Taktfrequenz des Busses gesenkt, mit dem Herr Meier abends zurück nach Panschwitz-Kuckau fährt. Damit hat er eine Stunde weniger Zeit für seine Kinder.

Die Staatsregierung lässt die Familien hängen. Sie lässt die Familien hängen, die sich um kulturelle Bildung für ihre Kinder bemühen; denn die Kürzungen bei den Kulturräumen treffen zum Beispiel auch die Musikschulen, vor allem die kommunalen Musikschulen, hart. Vor allem sorgen die Planungen für Verunsicherung. Die Verlässlichkeit der Landespolitik ist massiv infrage gestellt. Keine Kommune wird bei der derzeitigen Haushaltssituation in der Lage sein, die fehlenden Mittel zu kompensieren.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Genau!)

Das bedeutet für Familie Meier, dass ihre Tochter wohl nicht auf die Musikschule in Kamenz gehen kann, weil die Kursgebühren erhöht werden müssen.

Die Staatsregierung lässt die Familien hängen, deren Kinder freie Schulen besuchen. Bei den freien Schulen werden direkt 5 % pro Jahr gekürzt. Außerdem wird die Erstattung des Schulgeldes für sozial schwache Familien abgeschafft. Freie Schulen werden damit zu Schulen für Kinder reicher Eltern. So manche Schule ist in ihrem Bestand gefährdet.

Die Kirchen haben massive Kritik geäußert. Herr Flath, die Reaktion auf Ihr Interview innerhalb der Kirchen wird Ihnen noch heftig um die Nase wehen; denn das zeigt, welches Staatsverständnis Sie haben: die Kirche, bitte schön, nicht in Opposition zur Staatspartei CDU!

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Ja, ja!)

Zurück zu Familie Meier. Der Sohn der Familie besucht die freie Schule. Bisher hat der Freistaat mit 60 Euro einen Teil der Kosten für das Schulgeld übernommen. Das sind jetzt schon mal 720 Euro im Jahr mehr für Familie Meier. Dort wird es auch Kürzungen bei den Ganztagsschulen geben, die Nachmittagsbetreuung wird reduziert. Deshalb überlegt auch Frau Meier, ihre Vollzeitstelle aufzugeben usw.

Ich könnte die Liste der Grausamkeiten fortführen: seien es Kürzungen im Sport, der Rückzug aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik oder die katastrophale Kürzungsorgie im Sozialministerium. Bei der Familie Meier – Sie können mitrechnen – wären das schon 2 600 Euro, die im Jahr zusätzlich auf sie zukommen.

Natürlich gibt es Familie Meier nicht wirklich. Aber schauen Sie doch bitte einmal in Ihre Wahlkreise, liebe Abgeordnete von CDU und FDP! Kennen Sie nicht Familien, die betroffen sind? Egal, ob es um das kostenfreie Vorschuljahr geht oder um Kinder, die von den Kürzungen beim ÖPNV und bei den Musikschulen betroffen sind usw. – das ist konkret Ihre Verantwortung, mit der Sie jetzt umgehen müssen.

Das ist auch der Appell, den wir an dieser Stelle zum Ausdruck bringen. Ich habe deutlich gemacht, warum wir diesen Haushaltsentwurf so nicht mittragen können. Aber Sie müssen Ihrer Verantwortung gerecht werden; denn der Haushaltsentwurf wird Sachsen nachhaltig verändern. Der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft wird weiter schwinden. Sie aber haben die Möglichkeit, etwas Konkretes dagegen zu tun. Nur werden Sie, bitte, auch Ihrer Verantwortung gerecht!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Die FDP-Fraktion; Herr Abg. Zastrow, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann nicht anders, als mich meinem Kollegen Steffen Flath anzuschließen.

Bevor Sie von SPD und Linken sich hier so aufplustern, nehmen Sie doch bitte einmal die Fakten in unserem Land zur Kenntnis. Der Freistaat Sachsen wird im Zeitraum des nächsten Doppelhaushalts aller Wahrscheinlichkeit nach die heftigsten Einbrüche bei den Steuereinnahmen zu verkraften haben. Ich denke, jeder hat es gemerkt, dass die größte Weltwirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg auch auf Sachsen durchschlägt. Wir haben zwar Glück gehabt, was die Wirtschaftskraft unserer Unternehmen betrifft. Wir haben Glück gehabt, was die Entwicklung der Arbeitslosigkeit betrifft. Aber wir haben kein Glück gehabt, was die Steuereinnahmen des Landes betrifft. Ich kann Ihnen versprechen, dass es eine ganze Weile dauern wird, bis diese krisenbedingte Delle, die wir in den Steuereinnahmen haben, wieder ausgeglichen sein wird.

Zu dieser Sondersituation, für die wir alle nichts können, kommt noch hinzu, womit wir planmäßig rechnen müssen: nämlich mit dem Rückgang – und in diesem Jahr zum ersten Mal dramatischen Rückgang – der Solidarpaktmittel, die wir aus dem Westen bekommen, und den Einkommensverlusten, die wir dadurch haben, dass die Bevölkerungszahl in Sachsen weiter zurückgeht. Das sind die Fakten.

Genau deshalb und aus keinem anderen Grund muss der sächsische Staatshaushalt um circa 1,3 Milliarden Euro heruntergefahren werden. Das ist eine große Summe und bedarf eines gewaltigen Kraftaktes. Darin sind wir uns einig.

Allerdings – Prof. Unland hat bereits einen Ausblick gegeben – ist das noch nicht alles. Berücksichtigt man alle fiskalischen Rahmenbedingungen ganz seriös, dann wissen wir, dass bis zum Jahr 2020 mit einem Rückgang des Haushaltsvolumens auf 12 bis 13 Milliarden Euro in Sachsen gerechnet werden muss. Das ist eine Summe, die in etwa dem Haushaltsvolumen von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz entspricht. Nun sind Niedersachsen und Rheinland-Pfalz durchaus keine erfolglosen Länder.

Deshalb warne ich vor der These, die gerade von der linken Seiten immer wieder gebracht wird: dass unsere Sparbemühungen in die Steinzeit führen. Dazu wird es nicht kommen. Aber wir müssen uns darauf einstellen, mit anderen Größenordnungen in unserem Haushalt klarzukommen. Diese Fakten müssen wir zur Kenntnis nehmen.

(Dirk Panter, SPD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sehr geehrter Herr Abg. Zastrow, Sie sprechen über Fakten. Ich frage Sie, ob Ihnen bewusst ist, dass sich laut einem aktuellen Ausdruck aus der Oberfinanzdirektion Chemnitz die Steuereinnahmen des Freistaates bis zum 1. September 2009 auf 5,4 Milliarden Euro und bis zum 1. September 2010, also im gleichen Zeitraum dieses Jahres, auf 6,1 Milliarden Euro belaufen, also 700 Millionen Euro mehr? Sind Sie sich dessen bewusst?

Dessen bin ich mir bewusst. Aber wir müssen selbstverständlich auch die mittelfristige Finanzplanung im Blick haben. Wie Sie sicher aufgrund Ihrer volkswirtschaftlichen Kompetenz wissen, wirken Steuereinnahmen auch zeitversetzt. Eines können wir nicht einfach wegdrücken: Viele Unternehmen haben die Krise auch dank staatlicher Hilfe – ich spreche das Thema Kurzarbeit an – recht gut bewältigt. Aber wir müssen uns darauf einstellen und ich denke, darin wird mir niemand in diesem Raum widersprechen wollen, dass die Steuerfähigkeit unserer sächsischen Wirtschaft, die immer noch in ihrer Masse klein- und mittelständisch geprägt ist, in den nächsten Jahren nicht so sein wird, wie sie es ohne Krise gewesen wäre.

Wir haben im Moment einen glücklichen Zustand und können froh darüber sein, dass die ersten Prognosen nicht so dramatisch eingetroffen sind, wie sie noch vor einem bis eineinhalb Jahren vorausgesagt wurden. Trotzdem warne ich ausdrücklich davor, zu denken, als wenn diese Krise einfach so an unserer Wirtschaft vorbeiginge. Dem ist nicht so. Wenn ich in mein eigenes Unternehmen schaue, merke ich das ebenfalls.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, Linksfraktion)

Wie bitte?

(Sebastian Scheel, Linksfraktion: Diese Krise haben Sie uns vorgeworfen!)

Was habe ich gemacht?

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, Linksfraktion – Weitere Zurufe von der Linksfraktion)

Herr Scheel, gehen Sie doch ans Mikrofon; dann verstehen wir Sie alle besser. Ich weiß nicht, was ich Ihnen vorgeworfen haben soll.

Fakt ist aber: Einen Großteil des Geldes, von dem wir unseren Staatshaushalt bestreiten und den wir für verschiedene Leistungen auf den Gebieten Kultur, Soziales und Bildung ausgeben, bekommen wir nach wie vor aus den westdeutschen Ländern als Transferleistung. Das ist insgesamt etwa die Hälfte des Haushaltes. Das wird bis 2020 so nicht mehr der Fall sein.

Deshalb müssen wir zu Kenntnis nehmen, dass wir im Moment über unsere Verhältnisse leben. Genau das muss sich bis 2020 ändern. Jetzt mag der eine oder andere denken, bis 2020 ist es noch lange hin und mit solchen Zeiträumen muss man sich nicht befassen; wir denken ohnehin nur von Legislatur zu Legislatur. Diese Staatsregierung macht das eben genau nicht, Herr Scheel. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wir denken eben ein Stück weiter.

(Gelächter bei der Linksfraktion)

Deshalb ist es für uns sehr wichtig, dass wir bereits jetzt die Einnahmen- und die Ausgabenseite des sächsischen Staatshaushaltes unter die Lupe nehmen. Genau deshalb ist dieser Haushalt ein Haushalt der Zeitenwende, meine Damen und Herren.