Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

Natürlich kann die Situation, dass sich Väter und Mütter über das Sorgerecht nicht einig sind, immer auch als Zwangsmittel missbraucht werden. Das können sowohl Väter als auch Mütter tun. Die derzeitige Situation zeigt aber, dass eher Mütter diejenigen sind, die Schutz vor Gewalt suchen. Wir müssen diesen Schutz vor Gewalt ausbauen, wenn wir weitere Schritte gehen wollen.

Wir teilen zwar die Intention, die hinter Ihrem Antrag steht; diesem Antrag, so wie er gestellt ist, können wir aber nicht zustimmen. Wir wollen eine Evaluation des Umgangsrechtes. Wir schlagen die skizzierten Schritte

vor und wir sind dafür, dass wir noch einmal umfassend im Ausschuss zu dem Thema diskutieren. Deshalb werden wir uns dem Vorschlag von Frau Werner und der Linksfraktion anschließen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Vielen Dank, Frau Herrmann. – Für die NPD-Fraktion Herr Abg. Dr. Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich meinen drei Vorrednerinnen nicht anschließen. Wir sind zunächst einmal dankbar dafür, dass die Koalition diesen Antrag auf die Tagesordnung gestellt hat. Wir sind auch für die Einstellung des Sächsischen Staatsministers der Justiz dankbar, der sich für dieses Thema auch auf Bundesebene einsetzen will; denn diese Änderungen sind aus meiner Sicht längst überfällig.

Ich zitiere einmal aus dem Grundgesetz, Artikel 6 Abs. 2: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvorderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Darin steht also nichts von einem Elternteil, sondern es steht etwas von Eltern, und „Eltern“ ist man, ob man verheiratet ist oder getrennt lebt, immer. Es ist schon Ironie und man muss wahrscheinlich schon Jurist sein, um in diesen Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz überhaupt etwas anderes hineininterpretieren zu können, als dass beide Eltern in Gänze zu diesem Kind gehören, und zwar auch im Bereich der Sorge.

Es ist sehr bedauerlich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Rechtsnorm in Deutschland vom Kopf auf die Füße stellen muss. Aber kindschaftsrechtlich ist die Bundesrepublik sowieso in etwa auf dem Niveau eines Entwicklungslandes, und manche Entwicklung geht relativ zäh vonstatten.

Wir sollten uns vor Augen halten, dass es sich um das Recht der Kinder an beiden Eltern handelt. Das ist nicht zu verwechseln mit irgendwelchen Rechten, die zwei Elternteile gegeneinander auszuspielen versuchen, sondern es ist das Recht des Kindes, es sowohl in der Sorge als auch im Umgang mit beiden Eltern zu tun zu haben, und zwar unabhängig davon, ob getrennt lebend oder in der Ehe. Das Zusammenleben der Eltern ist natürlich immer die beste Form für die Kinder, aber die Rechtsetzung ist ja nun ein Akt der Veränderungen, die nötig sind.

Änderungen sind genauso nötig in der Herangehensweise der Jugendämter und der Familiengerichte. Änderungen in den Einstellungen, die man teilweise vorfindet, wie „das läuft so, wie es immer läuft“, die man von Ämtern zu hören bekommt, und eine einseitige Orientierung an Lehrbuchmeinungen, die irgendwo aus dem letzten Jahrtausend stammen und aus den Köpfen heraus müssen, sind natürlich als zweiter Schritt auf alle Fälle auch nötig.

Um es zu wiederholen und um nicht missverstanden zu werden: Die klassische Familie ist für das Kindeswohl immer das Beste; aber die Trennungsquoten mit oder ohne Ehe sind nun einmal heute so hoch, dass Alternativen zum Erhalt beider Elternteile für die Kinder gefunden werden müssen. Dazu brauchen wir neben der Rechtsgrundlage auch entscheidungsfreudige Gerichte, die Familienrechtsprobleme nicht einfach aussitzen nach dem Motto, irgendwann werden die Eltern schon wieder zueinander finden mit einer gemeinsamen Variante, dass sie wenigstens den Umgang gewähren; sondern wir brauchen Gerichte, die klare Regelungen umsetzen. In dieser Richtung gibt es in Sachsen, Herr Staatsminister, doch ein erhebliches Gefälle zwischen den einzelnen Familiengerichten.

Deutschland ist eben nicht nur beim Thema Sorgerecht Klassenletzter; das Sorgerecht allein schafft nämlich kein ausgewogenes Verhältnis zwischen den beiden Elternteilen und den gemeinsamen Kindern. Dazu gehört ganz wesentlich das Thema Umgangsrecht. Familienpolitisch moderne Länder haben für Trennungssituationen als Regelmodell ein Wechselmodell, also einen ausgewogenen Aufenthalt der Kinder bei beiden Elternteilen. Davon sind wir in Deutschland weit entfernt. Es gibt genügend Studien, die belegen, dass diese Lösung die für die Kindesentwicklung und das Kindeswohl weitaus bessere ist als die derzeit in Deutschland praktizierte.

Gemeinsame Sorge löst das Problem nicht. Während in Deutschland, zum Beispiel im Wegzugsfall der Frau mit dem Kind, meist der Vater das Nachsehen hat und selbst bei gemeinsamer Sorge zumindest vom Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts bedroht ist, gelten in Frankreich und Italien ganz andere Regelungen. Dort verliert derjenige den Teil der Sorge, der sich vom gemeinsamen Aufenthaltsort mit Kind entfernt. Das ist also genau das Gegenprinzip. Ich denke, aus der Sicht des Kindes ist das die bessere Lösung.

Ich muss wiederholen: Es geht ausdrücklich nicht um das Recht auf Selbstverwirklichung irgendwelcher Elternteile – weder des Vaters noch der Mutter –, sondern es geht um das Recht des Kindes, beide Eltern gemeinsam – trotz Trennung – für sich zu haben.

Mit Kindern hat man, nebenbei gesagt, auch Pflichten zu übernehmen. Diese erstrecken sich auch noch auf die Zeit nach dem Trennungsfall, auch wenn das vom Bundesverfassungsgericht teilweise anders gesehen wird. Innovativ war in dieser Hinsicht zum Beispiel das Brandenburgische Oberlandesgericht, das versucht hat, dahin gehend modernere Ansätze umzusetzen, wie sie aber in weiten Teilen der Bundesrepublik noch nicht gang und gäbe sind. Wie gesagt, die Elternschaft endet nicht mit der Trennung, sondern verpflichtet Mütter wie Väter gleichermaßen auf Dauer.

In der Summe lässt sich feststellen: Es gibt neben den Rechtsänderungen noch viel zu tun. Die Ansichten von Jugendämtern, aber auch von Familiengerichten müssen da „ein bisschen“ verändert werden. Ich denke, die

Umsetzung dieser Sorgerechtsänderung ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es gibt auf den Baustellen noch viel zu tun. Packen Sie es an, Herr Staatsminister der Justiz!

Wir werden dem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Die erste Runde ist beendet. Besteht der Wunsch nach einer zweiten Runde für Stellungnahmen? – Herr Wehner, Sie haben das Wort.

Danke schön, Herr Präsident! Es ist zumindest bemerkenswert, dass die NPD inzwischen schon das Grundgesetz zitiert. Herzlichen Glückwunsch dazu, Herr Müller!

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von der NPD: Das machen wir häufig!)

Das war wohl ein Missgeschick.

Zurück zum Antrag! Angesichts der Gewohnheit, mit der die Linken und insbesondere Sie, Frau Werner, reflexartig in eine Haushaltsdebatte einsteigen und behaupten, CDU und FDP sparten in diesem Haushaltsansatz, stelle ich fest: Das gehört nun wirklich nicht zum Thema. Dabei haben doch gerade Sie in der Diskussion so viel Wert darauf gelegt, dass wir beim Thema bleiben.

Sie haben auch das Rollenbild angesprochen. Für die CDU ist es ganz klar: Natürlich wollen wir gern die Familie. Aber es gibt eben neben der herkömmlichen Familie auch nicht eheliche Partnerschaften, und genau für diese setzen wir uns in dem Antrag ein. Das dürfte Ihnen also recht sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn Sie behaupten – damit bin ich auch schon fertig, Frau Werner –, der Antrag gehöre eigentlich nicht in dieses Haus, Sie wüssten nicht so richtig, was er hier zu suchen habe, und eigentlich sei die Bundesregierung zuständig, Sie diesen Antrag aber dann in den Ausschuss überweisen wollen, dann befassen wir uns doch erst recht damit! So viel zu der Arbeit, die wir hier miteinander machen wollen.

Wenn aus der Diskriminierung, die sich für Männer durchaus ergibt, weil sie von vornherein kein Sorgerecht haben, jetzt von Frau Neukirch die Behauptung abgeleitet wird, es gebe hier eine Benachteiligung von Frauen, dann finde ich das zumindest abenteuerlich.

Zu dem Änderungsantrag. Wir als CDU und FDP beantragen punktweise Abstimmung. Ich will unsere Position begründen. Wenn der Vater erst den Antrag stellen müsste, das Sorgerecht zu bekommen, ergäbe sich ein enormer Bürokratieaufwand. Genau das wollen wir nicht. Er müsste zum Notar, zum Jugendamt etc. Ferner muss man sich Folgendes vergegenwärtigen: Nachdem die Frau das Kind geboren hat, haben die Eltern viel zu tun. Sie werden bestimmt nicht als Erstes irgendwelchen Anträgen

hinterherrennen, weil sie vieles andere zu organisieren haben. Dass diese bürokratische Hürde mit der Antragstellung aufgebaut wird, ist aus meiner Sicht nicht richtig.

(Zuruf der Abg. Dagmar Neukirch, SPD)

Frau Neukirch, wenn Sie mir noch ganz kurz zuhören, dann wissen Sie auch, warum. Wenn Sie es nicht möchten, ist es auch okay. – Unser Antrag ist einfacher, unbürokratischer und

(Stefan Brangs, SPD: Und falsch!)

im Sinne der Väter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsministerin Christine Clauß)

Meine Damen und Herren, gibt es weitere Wortmeldungen? – Für die FDP Herr Biesok, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Werner, die Regelung, die Sie angesprochen haben, ist noch nicht im Bundesgesetz umgesetzt. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir heute hier in Sachsen darüber debattieren. Wir verzeichnen in den neuen Bundesländern eine etwas andere Situation als noch in einigen alten Bundesländern. Dort ist der Anteil der Kinder, die in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften geboren werden, tatsächlich geringer. Es gibt einige Landstriche, in denen man immer noch das Familienbild von vor 30 oder 40 Jahren pflegt, das ich vorhin beschrieben habe. Das ist hier eine andere Situation. Wir sollten deutlich sagen, dass wir es hier anders sehen.

Sie von der Opposition kritisieren einerseits, dass wir über das Thema hier debattieren, obwohl es auf Bundesebene schon etwas Ähnliches gebe. Andererseits fordern Sie eine Anhörung. Wenn es tatsächlich ein Bundesthema ist, dann sollte auch dort die Anhörung stattfinden. Uns geht es zunächst einmal darum, darzulegen, wie wir die Situation sehen und was wir uns für Sachsen vorstellen.

Sie haben ferner gesagt, dass Sie jegliche Privilegierung der Ehe aufheben möchten. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Da werden Sie in mir einen Vorkämpfer finden, insbesondere dann, wenn es um die Kinder geht. Die Kinder können nämlich nichts dafür, dass die Eltern verheiratet oder unverheiratet sind, sondern sie leben einfach mit ihren Eltern zusammen, mit allen Problemen, die aus Trennung, Zusammenleben und großen Entfernungen resultieren. Wir dürfen die Kinder nicht dafür bestrafen, dass die Eltern nicht verheiratet sind. Deshalb ist insoweit eine Privilegierung der Ehe nicht angebracht. In anderen Bereichen kann ich sie mir auch nur schwer vorstellen.

Ich möchte auch ganz deutlich sagen: Wir sind für eine gesetzliche Begründung des gemeinsamen Sorgerechts, weil wir darin einfach den Normalfall sehen. Normalerweise kümmern sich beide Elternteile um das Kind. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände, insbesondere dann,

wenn das Kindeswohl gefährdet ist, ist es angezeigt, das gemeinsame Sorgerecht nicht vorzusehen. Wer sollte besser darüber entscheiden können, ob es Anlass gibt, das zu überprüfen, als die Mutter? Die Mutter ist diejenige, die am besten beurteilen kann, ob es überhaupt Anlass gibt, hierüber nachzudenken.

Deshalb sind wir gegen eine Antragspflicht, ob beim Jugendamt oder beim Familiengericht. Es kann nicht sein, dass man erst einen Antrag stellen muss und dann eine Stelle prüft, ob das Kindeswohl gefährdet ist, weshalb man dem Antrag nicht stattgeben könne, sondern zunächst einmal ist das gemeinsame Sorgerecht da. Nur dann, wenn die Mutter feststellt, dass eine gemeinschaftliche Sorge für das Wohl des Kindes nicht das Richtige ist, gibt es überhaupt einen Anhaltspunkt für den Staat, einzugreifen und in eine nähere Prüfung einzutreten. Die Mutter ist es, die die besten Kenntnisse hat. Ein Grund, der gegen das gemeinsame Sorgerecht spricht, können zum Beispiel räumliche Unterschiede sein, angesichts derer man sagen muss, dass es nicht geht. Es können aber auch besondere Umstände der Partnerschaft selbst sein, die sich auf das Kind niederschlagen. Die Gründe können vielfältig sein. Aber eine kann das am besten beurteilen: die Mutter.

Es wird sicherlich auch Väter geben, die kein Interesse an der Erziehung des Kindes haben. Dann liegt es aber auch im Interesse des Kindeswohls, das gemeinschaftliche Sorgerecht nicht vorzusehen, und dann ist es wiederum die Mutter, die das einer staatlichen Stelle mitteilen sollte. Wir verwahren uns gegen ein umständliches bürokratisches Antragsverfahren.

Herr Biesok, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich.

Frau Herrmann, bitte.

Danke, Herr Kollege. Warum soll nicht der Vater dem gemeinsamen Sorgerecht widersprechen können?

Das gemeinsame Sorgerecht verstehen wir nicht nur als Recht, sondern auch als Pflicht des Vaters, gemeinsam mit der Mutter für das Kind zu sorgen. Der Vater soll sich dieser Verpflichtung nicht einfach dadurch entziehen können, dass er sich durch diesen Antrag davon lossagt. Dieses Recht geben wir der Mutter auch nicht. Es ist eine gemeinsame Verpflichtung, die Kinder zu erziehen.

(Beifall bei der FDP)