Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe es nicht mehr. Warum stellt die Koalition einen Antrag zur Diskussion, in dem in der Begründung sowie der Stellungnahme der Staatsregierung von ernsthaften Problemen in diesem Bereich die Rede ist? In der Begründung ihres eigenen Antrages
schreiben Sie: „Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit der qualitativen und quantitativen Absicherung des Berufsnachwuchses in den grünen Berufen zu einer Existenzfrage.“ Das ist ein ernsthaftes Problem! Sie haben recht.
In der Stellungnahme der Staatsregierung finden sich genaue Zahlen, dass es für den Berufsstand zu problematischen Situationen in den nächsten Jahren kommen kann. Vor diesem Hintergrund bieten Sie uns eine Diskussion mit zwei Sonntagsreden und einer Schönwetterlandwirtschaft. Zu einer Landwirtschaft gehört nicht nur schönes Wetter. Dazu gehört auch ein bisschen Regen. Sonst wächst nichts. Was wollen Sie mit dieser Debatte überhaupt bewirken? Ihre Diskussion und Ihr Antrag gehen ein Stück weit ins Leere. Sie fragen nach der Qualität und Quantität und einer Sicherung der Ausbildung für diesen Bereich.
Der gesellschaftliche Hintergrund hat sich anders entwickelt. Es gibt verschiedene Probleme, auf welche die Landwirtschaft reagieren muss. Es hat sich im Rahmen der Fachkräfteproblematik ein Spannungsfeld aufgetan. Zum einen gibt es ein Spannungsfeld zwischen den Regionen innerhalb Sachsens – ich betrachte an dieser Stelle nur Sachsen. Dem zwischen dem ländlichen Raum und dem sich wieder mehr Anziehung verschaffenden urbanen Gebieten – den Großstädten – befindenden Spannungsfeld müssen wir uns stellen. Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund des drohenden Fachkräftemangels oder Rückgangs – wie auch immer man es bezeichnen möchte – eine Konkurrenz zwischen den Branchen entstehen wird.
Heute konnte man eine dpa-Meldung zur Kenntnis nehmen, dass schon die Branche, die seit 20 Jahren eines der besten Ausbildungsniveaus und Einkommensniveaus hat – die Chemieindustrie –, Probleme hat. Der nordostdeutsche Chemieverband hat geschrieben: „Der Fachkräftenachwuchs wird ein massives Problem für die Branche mit den besten Tarifbedingungen sein.“
Nun können wir uns die Frage stellen: Wie sehen die Tarif-, Arbeits- sowie Lebensbedingungen im Bereich der Landwirtschaft aus? Welche Einkommen werden gezahlt? Im Antrag steht, dass es qualitativ hochwertige Berufe mit hoher technischer Ausstattung und hohem Kapitalbedarf seien, in denen Fachkräfte benötigt werden. Wie haben Sie in den letzten Jahren Ihre Fachkräfte gepflegt – in Eigenverantwortung der Branche?
Herr von Breitenbuch, wir waren gemeinsam in Morgenröthe-Rautenkranz und haben uns die Probleme der Lehrlinge der Forstwirtschaft angehört. Die Staatsregierung hat Ihnen – als Unternehmer – in der Stellungnahme die Aufgaben klar definiert. Der Berufsstand der Land- und Forstwirte ist für die Ausbildung des Nachwuchses verantwortlich. Diesen Fragen sollten Sie sich stellen.
Ein weiterer Punkt, den ich im Zusammenhang mit Ihrem Antrag ansprechen möchte, ist: Woran liegt es in der Struktur des ländlichen Raumes, dass die Attraktivität nachlässt? Liegt es daran, dass die lebenswerten Umstän
de immer mehr abgebaut werden? Liegt es daran, dass Kultureinrichtungen und Schulen im ortsnahen Raum wegrationalisiert werden und die Lebensfähigkeit immer weiter eingeschränkt wird und dadurch das Rückgrad, was im ländlichen Raum vonnöten wäre, gar nicht mehr vorhanden ist oder immer weiter geschwächt wird? Es werden durch Ihre Strukturmaßnahmen die großen Betriebe mit wenigen Arbeitskräften etabliert. Die Ausgestaltung von modernen Ansätzen in der Landwirtschaft für regionale Wirtschaftskreisläufe mit kleineren Betrieben – auch der Ökolandbau – wurde massiv vernachlässigt. Er wurde jedenfalls nicht so gefördert, wie es notwendig gewesen wäre.
Man muss wieder Attraktivität herstellen. Es muss dort wieder lebenswert werden. Das gilt vor allen Dingen in Bezug auf die jungen Leute, die wenigen, die noch dort sind. Wir müssen sie – in dem von mir am Anfang beschriebenen Spannungsfeld – motivieren, sich in diesem Bereich eine Zukunft aufzubauen. Es ist einiges zu tun. Hier sind Sie in der Pflicht.
Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen, dass sich unsere Fraktion bei diesem Antrag enthalten wird.
Ich möchte Ihnen Folgendes mit auf den Weg geben: Der zuständige Ausschuss sollte nicht nur die Eintagsfliege eines Antrages sehen, sondern es als ständigen Prozess betreuen und die fachliche Aussprache im zuständigen Ausschuss weiter verfolgen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Freistaat Sachsen sind rund 3 400 Ausbildungsplätze unbesetzt – so ließ die IHK Ende April verlautbaren. Der Hauptgeschäftsführer der IHK zu Leipzig sprach von einer Trendwende auf dem regionalen Ausbildungsmarkt. Nach einer deutschlandweiten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages wird das Angebot an Ausbildungsplätzen in Zukunft sogar noch steigen. Und da sind wir beim Kern des Problems: Wir haben mittlerweile eine Konkurrenzsituation auf dem Ausbildungsmarkt, und zwar nicht zwischen den Lehrlingen, sondern eine Konkurrenzsituation der Unternehmen untereinander um die Lehrlinge. Es sind nicht mehr die Lehrlinge, die verzweifelt eine Lehrstelle suchen, sondern die Wirtschaft, die Lehrlinge sucht. Das Problem wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen.
Was also ist in Anbetracht dieser Tatsache das Besondere an dem Antrag der Koalition? Die Antwort der Staatsregierung führt aus, dass bei einem prognostizierten Bedarf von 472 Berufsnachfolgern pro Jahr für den Bereich der
sogenannten grünen Berufe im Ausbildungsjahr 2010/ 2011 ein Defizit von 252 Auszubildenden besteht. Hinzu kommen die von der IHK genannten 3 400 freien Ausbildungsplätze in Sachsen. Die Auswirkungen des Fachkräftemangels betreffen aber nicht nur die Wirtschaft. Das Problem wird noch viel massiver in den Bereichen einschlagen, die für unser soziales und gesellschaftliches Leben bedeutend sind, zum Beispiel der Fachkräftemangel in der Pflege oder im Kita-Bereich.
Was also ist das Besondere am Fachkräftebedarf der Land- und Forstwirtschaft? Haben es die sogenannten grünen Berufe etwa schwerer als andere Bereiche? Nein, haben sie in der Regel nicht. All die Maßnahmen, die die Staatsregierung in ihrer Antwort aufzählt, ließen sich genauso gut auf jede andere Branche übertragen. Das geht los mit einer guten schulischen und außerschulischen Berufsberatung und führt über die Förderung von Personalentwicklungskonzepten bis hin zur Durchlässigkeit der individuell unterschiedlichen Bildungswege. Das ist ein Punkt, bei dem Sie bei uns offene Türen einrennen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe eben gesagt, dass der Fachkräftemangel bei den grünen Berufen keine Besonderheit darstellt. Das trifft auch auf die Frage der Attraktivität eines Berufsfeldes zu. Sicher ist es richtig, dass junge Menschen oftmals ein etwas verschrobenes Bild von einem landwirtschaftlichen Beruf haben. Das Bild reicht von der viel zitierten lila Kuh bis zur unrealistischen Landromantik. Die Staatsregierung versucht hier, mit einer Plakatkampagne – ich zitiere den Landwirtschaftsminister Herrn Kupfer – „ein attraktives Bild von moderner Landwirtschaft als Hightech-Branche“ zu schaffen. Das ist ohne Zweifel auch der Fall.
Das SMUL hat diese Plakatkampagne von Studenten der TU Dresden entwerfen lassen. Das an sich ist erst einmal unverfänglich löblich. Schaut man sich aber die Plakate einmal an, dann kommen mir zumindest einige Zweifel, ob zum Beispiel eine Mohnblumenwiese und der Slogan „Lust auf Flowerpower“ ein realistisches Bild einer modernen Landwirtschaft vermitteln.
Weil wir gerade beim Realismus sind: Wenn wir über Berufswerbung reden, dann müssen wir auch die späteren Lebensbedingungen im Blick haben. Das Arbeitsfeld der sogenannten grünen Berufe ist der ländliche Raum. Junge Menschen, die einen Beruf in der Landwirtschaft, im Forst oder im Gartenbau ergreifen, werden ihr berufliches und privates Leben auf dem Land verbringen. Zur Attraktivität eines Berufsfeldes gehört daher auch, dass die Randbedingungen stimmen. Finde ich in diesem Berufsfeld später einen Job, um meine Familie zu ernähren? Stimmt der Lohn? Werde ich mich dort, wo ich arbeite und lebe, später auch wohlfühlen?
Da sind wir bei der Lebensqualität im ländlichen Raum. Das reicht von Kindergarten und Schule über die verkehrstechnische Anbindung bis hin zur kulturellen Infrastruktur. Das sind Querschnittspolitikfelder, aber sie gehören dazu, wenn man sich der Frage der Motivation für grüne Berufe ernsthaft widmen will.
Die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz hat kürzlich eine Befragung gestartet, um herauszufinden, was Jugendliche motiviert, einen bestimmten Beruf zu ergreifen, und welche Rolle dabei die sogenannten grünen Berufe spielen. Die Befragung endete im April und müsste jetzt in der Auswertungsphase sein. Ich kann der Staatsregierung daher nur wärmstens empfehlen, sich die Ergebnisse genauestens anzuschauen, bevor weitere Maßnahmen geplant werden.
Dann gibt es noch einen Punkt, bei dem in der Antwort der Staatsregierung nur die halbe Wahrheit genannt wird. Das ist die Verantwortung des Staates. Das betrifft zum Beispiel den Forstbereich. Die Mehrzahl der Azubis findet bisher ihren Ausbildungsplatz im Staatsbetrieb Sachsenforst. Sicher ist es wünschenswert, auch andere Partner für die praktische Ausbildung zu gewinnen. Aber die Struktur der Branche ist derart kleinteilig, dass eine praktische Berufsausbildung außerhalb des Staatsbetriebs Sachsenforst kaum möglich erscheint. Obwohl der Bedarf an Berufsnachwuchs da ist, wird die Ausbildungsplatzkapazität im Staatsbetrieb Sachsenforst halbiert. Im Sinne des Gemeinwohls und der Bedeutung des sächsischen Waldes – egal, ob Privat-, Kommunal- oder Landeswald – ist die geplante Reduzierung der Ausbildungsplätze kontraproduktiv.
Meine Damen und Herren! Trotz dieser Mängel werden wir Ihrem Antrag dennoch zustimmen, weil jede Initiative zu unterstützen ist, die einem Fachkräftemangel entgegenzuwirken versucht. Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren von der Koalition, dass Sie das gleiche Engagement auch in anderen gesellschaftlich wichtigen Bereichen zeigen und entsprechende Initiativen unsererseits zukünftig unterstützen.
„Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.“ – Herr Präsident! Meine Damen und Herren vor allen Dingen von den antragstellenden Koalitionsfraktionen, Ihnen geht es beim Thema Fachkräftesicherung in der Land- und Forstwirtschaft ähnlich wie dem hilflosen Zauberlehrling bei Goethe.
Denn in der Stellungnahme der Staatsregierung stehen sie alle drin – die Rede ist von den vielen Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Ausbildung, von all den Projekten, mit denen Jugendliche dazu bewegt werden sollen, einen land- oder forstwirtschaftlichen Beruf zu erlernen. Trotzdem finden sich zu wenige, die Lust darauf haben, in der Land- und Forstwirtschaft zu arbeiten.
Meine Damen und Herren! Schauen Sie sich doch einmal an, was die Politik in den letzten 20 Jahren aus dem ländlichen Raum in Sachsen gemacht hat. Da eine richtige Entwicklungsstrategie bis heute fehlt und an deren Stelle nur Allgemeinplätze verlautbart werden, dreht sich die Abwärtsspirale im Vogtland, in Nordsachsen und der Oberlausitz immer weiter. Überdimensionierte Straßenneubauprojekte sind die hilfslose Antwort der Staatsregierung auf die Herausforderungen bei der Gestaltung des Freistaates außerhalb der Ballungszentren.
Weil die Politik des Schneller-Weiter-Höher zum Grundverständnis der Regierungskoalition gehört, unterstützen CDU und FDP auch die industrialisierte Form der Landwirtschaft mit Massentierhaltung, welche schwer mit den Erwartungen vieler Jugendlicher an das Berufsbild Landwirt in Einklang zu bringen ist. Dazu kommen harte Arbeit bei Niedriglöhnen, die nicht selten zu prekären Beschäftigungsverhältnissen führen, und die monotonen Tätigkeiten in der industrialisierten Landwirtschaft.
Die hohe Gefahr, zumindest in den Wintermonaten arbeitslos zu sein, trägt ebenfalls nicht dazu bei, die Attraktivität eines landwirtschaftlichen Berufes zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, kommen wir jedoch zum eigentlichen Übel. Stellen Sie sich vor, Sie wären jung und auf der Suche nach einem abwechslungsreichen und spannenden Leben. Der Fachkräfte- bzw. Lehrlingsmangel macht es Ihnen zudem leicht; denn Sie können sich die passende Lehrstelle heraussuchen. Angebote gibt es genug. Würden Sie in den ländlichen Raum ziehen, wo es kaum Gleichaltrige gibt,
wo das kulturelle Highlight der abendliche Treff an der Tankstelle ist, wo man schon mal sechs Monate
auf einen Facharzttermin warten muss, weil es viel zu wenige gibt, wo der ÖPNV so weit ausgedünnt wurde, dass man ohne eigenes Fahrzeug schlicht aufgeschmissen ist, wo junge Männer keine Frauen finden, weil die vor ihnen fortgezogen sind und man es schließlich bei „Bauer sucht Frau“ probieren muss?
Wenn man dann eine Frau gefunden hat, hat man keine Schule am Ort, in die die Kinder gehen können. Meine Damen und Herren, diese Situation ist eine Folge der Ideenlosigkeit, mit der hier in Sachsen Politik für den ländlichen Raum gemacht wird.
Seit 20 Jahren höre ich Sätze wie: Wir müssen die knapper werdenden öffentlichen Mittel so einsetzen, dass sie möglichst zu selbsttragenden Entwicklungen führen. Nur: Bisher hat mir niemand gesagt, wie er das konkret machen will. Stattdessen ist die Botschaft: Wir haben weni
ger Geld, wollen damit aber mehr machen, ohne etwas an den Strukturen zu verändern. Man muss also kein Prophet sein, um zu erkennen, dass es so nicht funktioniert, meine Damen und Herren.
Ausbaden müssen es diejenigen, die in unseren ländlichen Regionen leben und arbeiten, so zum Beispiel die Bauern, die sich um den Nachwuchs sorgen müssen, obwohl aus Sicht der Bevölkerung der Beruf des Landwirtes zu den drei Berufen gehört, die für die Gesellschaft am Wichtigsten sind. Dies belegt eine Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstitutes Emnid vom Frühjahr 2007.
Um an diesem Widerspruch etwas zu ändern, ist allerdings auch die Landwirtschaft selbst gefragt. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Gerd Sonnleitner stellte kürzlich fest – ich zitiere –: „In den grünen Berufen liegt sehr viel Zukunft. Landwirtschaftliche Ausbildungsberufe sind modern, attraktiv und zukunftsorientiert.“ Herr Sonnleitner fordert die Bundesagentur für Arbeit im gleichen Atemzug auf, diese Botschaft stärker zu kommunizieren. Die Verantwortung auf andere abzuwälzen wird aber nicht genügen. Wann beginnt auch der Bauernverband, mehr für ein positives Image der Landwirtschaft zu tun?