Protokoll der Sitzung vom 29.06.2011

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Anscheinend!)

Es gibt ein Erklärungsmuster, nach dem die Minister auch nicht gewusst haben, was an dem 19. Februar passiert ist.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Nicht gewusst haben wollen!)

Es kann auch deshalb eine Uninformiertheit gegeben haben, weil das gängige Praxis ist und die Polizei von vornherein gedacht hat, dass das der Minister nicht unbedingt wissen müsse. Ich muss ehrlich sagen: Mein Misstrauen wächst.

Richtig bleibt: Die Polizei muss in der Lage sein, Straftaten zu verfolgen – Punkt.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der CDU – Andreas Storr, NPD: Genau, auch gegen Blockierer sie Sie!)

Dafür darf sie die Mittel nutzen, die ihr laut Gesetz zur Verfügung stehen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der CDU)

Wer Gesetzesbrecher verfolgt, darf jedoch selbst keine Gesetze brechen. Das ist doch die Grundlage des Handelns der Polizei.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Vor allem muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Ob das geschehen ist, dahinter setze ich ein großes Fragezeichen.

Ich möchte nicht in einem Überwachungsstaat leben. Ich habe Angst vor Dimensionen, die Orwell in seinem Buch „1984“ beschreibt. So etwas möchte ich nicht. Ich möchte Vertrauen in eine Regierung haben können, die mir die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gewährt. Um diese Balance geht es. Das Vertrauen, von dem ich soeben gesprochen habe, hat die Staatsregierung zurzeit aber verspielt. Es liegt jetzt an Ihnen, den Menschen die Zusage zu geben, dass Freiheit und Sicherheit in einer Balance sind, das heißt, dass das Pendel nicht zugunsten einer Seite ausschlägt. Ich erinnere Herrn Bandmann an seine eigene Rede zum 19. Februar. Wir haben den Auftrag, Freiheit in Verantwortung zu wahren. Ich finde, das ist eine politische Diskussion über politische Verantwortung; denn der Fisch stinkt vom Kopf her.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion war das Herr Kollege Dulig. – Für die FDP-Fraktion ergreift Herr Kollege Biesok das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich den Titel der Debatte anschaut, muss man sich schon wundern. Es wird davon gesprochen, dass rechtswidrig Handydaten ausgespäht worden seien. Das ist nicht der Fall. Es gab Beschlüsse des Amtsgerichts Dresden, die die Staatsanwaltschaft beantragt hatte und die genau diese Erhebung der Daten zuließen. Es gab somit kein rechtswidriges Handyausspähen. Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal verdeutlichen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Was wir in den letzten Wochen gesehen haben, waren die Geister, die die große Koalition gerufen hatte, als sie die Vorratsdatenspeicherung im Bundestag beschloss. Es ist die dahinterstehende Geisteshaltung, einfach die Mobilfunkdaten von unbeteiligten Bürgern zu erheben, gegeneinander abzugleichen und zu schauen, wer wo was

gemacht hat, die hier dazu geführt hat, dass wir massenhaften Missbrauch rechtmäßig erhobener Daten erleben mussten.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Bitte, Herr Kollege Bartl.

Vielen Dank. – Herr Kollege Biesok, geben Sie mir darin recht, dass die Tatsache, dass ein Staatsanwalt den Antrag auf Genehmigung der Maßnahme nach § 100g Abs. 2 stellt und ein Richter die Maßnahme beschließt, noch nicht rechtssicher besagt, dass sie auch rechtens war, und dass es in der Praxis regelmäßig vorkommt, dass solche Entscheidungen im Instanzenweg aufgehoben werden müssen?

Herr Kollege Bartl, ich habe keine Kenntnis darüber, ob die Beschlüsse des Amtsgerichts Dresden angefochten worden sind oder bestandskräftig geworden sind. Ich gehe davon aus, dass die Maßnahmen, die das Gericht ergriffen hat, auf der Grundlage von § 100g der Strafprozessordnung getroffen wurden. Deshalb müssen wir uns überlegen, wie wir mit diesem Paragrafen selbst umgehen, das heißt, ob er eng genug gefasst ist, um eine solche Situation zukünftig zu vermeiden.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Wir unterhalten uns heute nicht nur über die Bekämpfung von schwersten Straftaten. Ich möchte mich meinen Vorrednern anschließen: Es darf keine Gewalt toleriert werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir müssen schwere Straftaten wie Landfriedensbruch und Bildung einer kriminellen Vereinigung mit Härte und Konsequenz ahnden. Aber wir müssen auch die Freiheit beachten. Die Freiheit hat in den vergangenen zehn Jahren keine gute Entwicklung genommen. Ich meine damit nicht die Freiheit, nach Mallorca zu fliegen, sondern ich meine die Eingriffe in Bürgerrechte. Die Zahl der Telefonüberwachungen hat sich in den letzten Jahren verfünffacht. Das Bankgeheimnis ist in wesentlichen Teilen ausgehöhlt worden. Es gibt regelmäßig Zugriffe auf Stammdaten von Kontoinhabern. Wenn man im Internet sucht, muss man aufpassen, dass man nicht selbst durchsucht wird. Wenn man in die USA reist, werden die persönlichen Daten der Passagiere schon vorab an die Behörden der USA geschickt, damit man dort schon mal gucken kann. Wenn wir demnächst die Gesundheitskarte haben, werden wir auch einen gläsernen Patienten haben. Die Polizei verfügt über Datenabgleichprogramme, die diese Daten verknüpfen und zu Ermittlungszwecken nutzbar machen können.

Wenn man als Liberaler in diesem Zusammenhang auf die Bürgerrechte hinweist, wird man oft als „Sicherheitsrisiko“ hingestellt. Wir machen es trotzdem! Wir Liberale haben immer vor einer Ausweitung der Eingriffe in die bürgerlichen Freiheiten gewarnt. Wir waren gegen die Vorratsdatenspeicherung und werden das weiterhin sein. Hier in Dresden gab es das erste große praktische Beispiel, das zeigt, was passiert, wenn man eine Vorratsdatenspeicherung zulässt. Wenn wir weiterhin darüber diskutieren, Daten zu speichern, um sie besser auswerten zu können, dann wird das auf den erheblichen Widerstand der Liberalen treffen.

(Beifall bei der FDP – Vereinzelt Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Bitte.

Vielen Dank. Meine Zwischenfrage an Sie: Wie vereinbaren Sie denn Ihr Engagement für die Bürgerrechte mit Ihrer in diesem Hause erteilten Zustimmung zur Extremismusklausel?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kollegin, das kann ich sehr gut vereinbaren. Die Extremismusklausel soll davor schützen, dass verfassungsfeindliche Organisationen, die nicht auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen, auch noch Kohle vom Staat kriegen – um es einmal ganz deutlich zu sagen.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Lachen bei den LINKEN und den GRÜNEN – Johannes Lichdi, GRÜNE: Das ist Bandmann-Niveau!)

Meine Damen und Herren! Wir haben gesehen, was mit den Rechtsgrundlagen, die momentan im Gesetzblatt stehen, möglich ist. Die Telekommunikationsüberwachung ist in der Strafprozessordnung bereits vorgesehen. Sie kann zur Anwendung kommen, um gegen schwere Straftaten vorzugehen. Dabei muss man aber das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachten.

(Beifall des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gesagt: Immer dann, wenn grundrechtsrelevante Telekommunikationsdaten erhoben werden sollen, darf das nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geschehen. Das, was wir im vorliegenden Fall erlebt haben, ist das Gegenteil davon. Hier gab es rechtmäßige Beschlüsse eines Amtsgerichts. Danach ist die Polizei mit einem Datencontainer zu den Telekommunikationsanbietern gefahren und hat ihn sich richtig vollmachen lassen. Das war nicht in Ordnung.

Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen wurde mir oftmals der Satz vorgehalten: „Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten.“ Wer so denkt, macht sich zum Untertan.

(Beifall bei der FDP, den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wer so regiert, macht sich zur Obrigkeit. Nicht der Staat gewährt den Bürgern die Freiheit, sondern die Bürger gewähren dem Staat eine Einschränkung ihrer Freiheit, damit wir alle in einer freien und fairen Gesellschaft zusammenleben können. Deshalb sagen wir Liberale: Gerade weil ich nichts zu verbergen habe, verbitte ich es mir, vom Staat wie ein Krimineller behandelt zu werden und mich unter Generalverdacht stellen zu lassen.

(Beifall bei der FDP, den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Bitte.

Herr Kollege Biesok, vor dem Hintergrund Ihrer Kritik an den gefüllten Datencontainern und angesichts des Hinweises, dass es möglicherweise eine engere Fassung des § 100g der Strafprozessordnung geben müsste, frage ich Sie: Sind Sie der Auffassung, dass es auch eine Neufassung des Verfahrens, genauer: der Formulierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung, im Rahmen der Beantragung der Herausgabe solcher Daten geben müsste, da die Kritik doch daran festgemacht worden ist, dass es sich um eine inhaltlich nicht geprüfte, im Standardverfahren getroffene Entscheidung zur Verhältnismäßigkeit gehandelt haben muss.

Das würde ich etwas differenzierter sehen. Ich glaube nicht, dass wir eine grundsätzliche Diskussion darüber haben müssen, wie wir zur Bekämpfung von schwerster Kriminalität auf solche Daten zugreifen müssen. Für mich ist es in Ordnung, dass man dann, wenn man einen konkreten Verdächtigen hat, wenn man seine Handynummer hat, fragt, ob der Betreffende zu diesem Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle gewesen ist.

(Beifall der Abg. Klaus Tischendorf und Thomas Kind, DIE LINKE)

Nicht in Ordnung aber ist es, wenn man sich anlässlich einer Großdemonstration von in weiten Teilen friedlichen Demonstranten einfach diese Daten herunterlädt, gegeneinander abgleicht und zu ermitteln versucht, wer wo gewesen ist, und anschließend die Bestandsdaten erhebt. Das geht für mich zu weit.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)