Protokoll der Sitzung vom 15.09.2011

Nun sind seit dem Kabinettsbeschluss schon mehr als zwei Jahre vergangen und es ist etwas schade, dass wir in der Antwort der Staatsregierung immer noch von Prüfaufträgen und geplanten Pilotverfahren lesen.

Es ist gut, dass es eine interministerielle Arbeitsgruppe gibt, die durch die Einbindung von Umweltministerium und Innenministerium beide Aspekte des Umweltschutzes und des Planungsrechts zusammenbringen kann. Aber irgendwann muss die Staatsregierung auch einmal aus der Prüfphase herauskommen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Freistaat Sachsen die Komplexität dieses Themas erkannt hat und auch ressortübergreifend in Angriff nehmen will. Vorrangig geht es um die Bewertung und Weiterentwicklung der vorhandenen Instrumente sowie die Behebung von Vollzugsproblemen, die diese Zielsetzung unterstützen.

Wir werden diesem Antrag zustimmen, weil wir die Grundtendenz teilen. Das Problem des Flächenverbrauchs zu bewältigen, ist eine zentrale Zukunftsaufgabe. Es bleibt eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Wir müssen den Flächenverbrauch reduzieren und gleichzeitig die wirtschaftliche Entwicklung nicht vernachlässigen und das insbesondere im ländlichen Raum.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Deicke. Für die Fraktion GRÜNE Herr Abg. Weichert. Herr Weichert, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Landwirte haben ein Problem. Täglich oder stündlich geht in Sachsen landwirtschaftliche Nutzfläche verloren.

Die Koalition, meine Damen und Herren, hat aber ein noch viel größeres Problem. Sie muss sich einerseits dem Thema widmen, denn der Bauernverband ist ja einflussreich, und andererseits muss sie vermeiden, dass alle merken, wer die Verantwortung an der zunehmenden Flächenversiegelung trägt.

Meine Damen und Herren von der Koalition! Zu einem großen Teil trägt Ihre Asphalt- und Betonpolitik Schuld daran. Das darf natürlich keiner merken. Darum unterstellen Sie in Ihrem Antrag, Ausgleichsmaßnahmen würden landwirtschaftliche Fläche vernichten. Das ist, mit Verlaub, grober Unfug.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen das gern anhand der Zahlen vorrechnen, die von der Staatsregierung in ihrer Stellungnahme geliefert wurden. Dort steht:

Erstens. Seit 2000 ging die Landwirtschaftsfläche in Sachsen um rund 14 000 Hektar zurück.

Zweitens. Im gleichen Zeitraum steigt die Siedlungs- und Verkehrsfläche um 21 000 Hektar.

Drittens. Reichlich 7 000 Hektar der Siedlungs- und Verkehrsfläche sind durch Tagebau- und Braunkohlensanierung neu entstandene Erholungsflächen.

Viertens. Zieht man diese 7 000 Hektar von den 21 000 Hektar Siedlungs- und Verkehrsfläche ab, bleiben circa 14 000 Hektar neu versiegelte Fläche übrig.

Jetzt kommt das Ergebnis, meine Damen und Herren. Wenn das noch nicht zu mathematisch war, ist vielleicht aufgefallen: 14 000 Hektar neu versiegeltes Land, was natürlich 14 000 Hektar zu viel sind, stehen dem Verlust von 14 000 Hektar Landwirtschaftsfläche gegenüber. Das heißt, nicht die Ausgleichsflächen sind schuld an dem zunehmenden Verlust von Landwirtschaftsfläche, der Grund ist vielmehr die fortschreitende Versiegelung des Bodens durch Neubauten von Wohn- und Gewerbegebieten auf der grünen Wiese sowie durch Straßenneubau bzw. -ausbau.

Obwohl der demografische Wandel zu einer sinkenden Bevölkerungszahl in Sachsen führt, ist der Flächenverbrauch ungebremst hoch.

Parallel zum teuren Wohnungsabriss gibt es in Sachsen eine hohe Neubauquote in kommunalen Randlagen auf der sprichwörtlichen grünen Wiese.

Im selben Zeitraum, in dem in Sachsen circa 80 000 Wohnungen gefördert rückgebaut wurden, entstanden 45 000 neu, häufig mit hohem Aufwand an öffentlichen Mitteln in neu erschlossenen randstädtischen Lagen zulasten unseres Bodens.

Die Folgen sind vielfältig. Fünf Beispiele:

Erstens. Fruchtbare Böden gehen der Landwirtschaft verloren. Eine versiegelte Fläche eignet sich auch bei einer späteren Entsiegelung lange Zeit nicht mehr für die

landwirtschaftliche Nutzung. Der Boden ist somit verloren, wenn man ihn nicht aufwendig renaturiert.

Zweitens. Versiegelter Boden kann seine Funktion für die Grundwasserneubildung und die Grundwasserreinhaltung nicht mehr erfüllen. Insbesondere bei starken Regenfällen und ungünstiger Wetterlage kommt es zu erhöhtem Oberflächenabfluss und damit zu einer Beeinträchtigung des Wasserhaushaltes. Die Hochwassergefahr nimmt zu.

Drittens. Vor allem durch Verkehrswege werden Landschaft und Erlebnisraum von Tieren und Pflanzen immer stärker zerschnitten. Biotope werden beschädigt oder zerstört. Wanderkorridore werden unterbrochen und die Tiere mit größerem Aktionsradius verlieren ihren Lebensraum. Die Flächenzerschneidung gilt als eine wesentliche Ursache des Artenverlustes.

Viertens. Folge der Zersiedlung sind zusätzliche Verkehrsbelastungen durch längere Wege, somit mehr Lärm, mehr klimaschädliche und mehr gesundheitsschädliche Emission.

Fünftens. Außerdem behindern bebaute Flächen die Abkühlung bodennaher Luftmassen. Sie reduzieren den Luftaustausch und damit die regionalen Luftbewegungen.

Meine Damen und Herren! Wir BÜNDNIS-GRÜNEN fordern an dieser Stelle ein Umdenken bei Koalition und Staatsregierung. Statt neue Eigenheime auf der grünen Wiese zu fördern, ist es vielmehr unsere Aufgabe, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und bezüglich der heutigen Anforderungen in Sachen Energieverbrauch, Fassadengestaltung und Gebäudeschnitt aufzuwerten oder nicht genutzte Gebäude abzureißen und deren Flächen zu recyceln.

Doch Sachsen stellt im Bundesvergleich die geringsten Anteile aller EFRE-Mittel für die nachhaltige Stadtentwicklung bereit. Stattdessen setzt Sachsen auf ungebremsten Straßenbau. 2010 gab der Freistaat aus den Entflechtungsgeldern des Bundes noch 75 % für den kommunalen Straßenbau und 25 % für den öffentlichen Nahverkehr aus. Ab 2011 werden nun fast 86 % der Mittel für Straßenbau verwendet. Das ist der höchste Anteil im Vergleich mit allen anderen Bundesländern.

Ich halte Investitionen in nachhaltige Stadtentwicklung und Brachflächenentsiegelung für sehr sinnvoll. Die Straßeninfrastruktur mit circa 13 600 Kilometern überörtlicher Straßen in Sachsen hat eine Dichte und einen Ausbaustandard erreicht, der einen weiteren Ausbau seriös kaum begründen lässt. Die Pro-Kopf-Netzdichte überörtlicher Straßen liegt in Sachsen um knapp 30 % höher als der Bundesdurchschnitt.

Deswegen hat meine Fraktion schon während der Haushaltsdiskussion im letzten Jahr die Umwidmung von 10 Millionen Euro innerhalb des EFRE-Programms aus Straßenbaumitteln in den Titel Nachhaltige Stadtentwicklung gefordert. Die Ablehnung unseres Antrages durch die Koalition war einmal mehr beredtes Beispiel, Politik zu betreiben, die eben lieber in Asphalt und Beton investiert

statt in die Köpfe und damit in unsere gemeinsame Zukunft, meine Damen und Herren.

Die Stellungnahme der Staatsregierung – übrigens vielen Dank, Herr Staatsminister Kupfer – macht deutlich: Der vorliegende Antrag ist schon im Ansatz falsch. Ich verstehe nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, warum der Antrag auf der heutigen Tagesordnung überhaupt auftaucht.

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Haben Sie die Stellungnahme der Staatsregierung nicht gelesen?

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Nee!)

Sie sind gut beraten, den Antrag noch einmal zu qualifizieren. Wir GRÜNEN helfen Ihnen natürlich gern dabei. In der vorliegenden Form können wir nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Und nun die NPDFraktion. Herr Abg. Dr. Müller, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, über das Thema Senkung des Flächenverbrauchs herrscht in diesem Haus weitestgehend Konsens, auch wenn die Herangehensweise vielleicht teilweise unterschiedlich ist. Die Argumente sind schon von vielen gekommen. Auch Zahlen möchte ich nicht wiederholen.

Ich denke, man sollte sich eines vor Augen halten: Wir haben in der BRD nach der Wende nicht nur monetär über unsere Verhältnisse gelebt, sondern auch beim Flächenverbrauch. Ich möchte ein Beispiel nennen, das man der Seite „Umwelt Sachsen“ entnehmen kann: Im Zeitraum 1993 bis 2007 ist in Sachsen die Siedlungs- und Verkehrsfläche um 39 311 Hektar gestiegen. Das ist im Grunde genommen auch der Verlust an land- und forstwirtschaftlicher Fläche und macht 2 % der Landesfläche aus. Gleichzeitig haben wir seit 1992 einen Einwohnerverlust von etwa 10 % zu verzeichnen. Das macht ganz deutlich, dass es unser Ziel sein muss, an unsere Enkel- und Urenkelgenerationen zu denken und uns in unseren Ansprüchen auch einmal einzuschränken. In diesem Sinne werden wir dem Antrag zustimmen.

Ich möchte noch kurz auf das eingehen, was Frau Kagelmann und Herr Weichert vorgebracht haben. Ich bin selbst auch Stadtrat. Es liegt natürlich im Interesse der Kommunen, Brachflächen oder verfallene Gebäude wegzubekommen, die Flächen zu revitalisieren und dafür lieber in der Innenstadt etwas zu machen. Aber viel stärker als an irgendwelchen Fördermöglichkeiten scheitern wir als Kommune immer daran, dass es sehr komplexe Eigentumsverhältnisse gibt, Erbengemeinschaften und Ähnliches, bei denen man auf dem Papier ein Vorkaufsrecht haben kann, aber in der Praxis solche Dinge nicht umgesetzt bekommt. Also, da ist es, denke ich, sicherlich

sinnvoll, über weitere Fördermöglichkeiten nachzudenken, aber das wird nicht das Allheilmittel sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren, das war die erste Runde. Gibt es Wortmeldungen für eine zweite? – Für die CDU-Fraktion Herr Abg. Meyer. Herr Meyer, Sie haben das Wort.

Danke, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn sich die Spannung hier im Hause in Grenzen hält, ist es schon ein wichtiges Thema, den Flächenverbrauch zu reduzieren. Deswegen haben mich manche Ausführungen von Frau Kagelmann und von Michael Weichert doch irritiert, die sehr einseitig und wirklich nicht aus ganzheitlicher Sicht diese Thematik beleuchtet haben. Wenn Frau Kagelmann beispielsweise davon spricht, dass die B 178 (neu) nicht notwendig sei, frage ich mich schon, wie sich Ostsachsen entwickeln soll.

(Zuruf der Abg. Kathrin Kagelmann, DIE LINKE)

Also, man muss auch bei allen Investitionsmaßnahmen daran denken, dass sie häufig zu einer Erhöhung der Lebensqualität führen und natürlich auch für eine wirtschaftliche Entwicklung sorgen. Deswegen sind auch die Aufrechnungen von Michael Weichert an dieser Stelle nicht unbedingt hilfreich.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP)