Deswegen war unser Ansatz heute, eine sachliche Diskussion zu führen. Dass Sie das nicht zulassen, verstehe ich nicht. Dass wir Ihnen jetzt zu spät kommen, lieber Kollege Scheel, mag sein. Man kann alles eher machen. Wir haben die Prioritäten innerhalb der Regierung erst einmal ein wenig anders gesetzt. Wir haben, wie Sie wissen, heute noch ein paar wichtige Themen auf der Tagesordnung, über die wir noch entscheiden werden. Das wollten wir erst einmal schaffen. Jetzt widmen wir uns in der Mitte der Legislaturperiode diesem Punkt. Ich glaube, dass das der richtige Zeitpunkt ist. Das sollten wir jetzt machen. Machen Sie mit!
Das war die Reaktion auf die Intervention von Herrn Kollegen Scheel. – Wir fahren jetzt in der Rednerreihung fort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Flath, ich habe auch eine erzgebirgische Großmutter. Ob sie bei dem Spruch „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ unbedingt an die Schuldenbremse in der Verfassung gedacht hat, wage ich zu bezweifeln.
Ich weiß gar nicht, ob sie genau wusste, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Zeitpunkt zum Beispiel die Möglichkeit der Nettokreditaufnahme ganz bewusst vorsah. Darüber hätte sie seinerzeit nachdenken sollen.
Was unser Problem ist – ich will es schlicht und ergreifend sagen –: das Angebot, unter allen demokratischen Kräften, allen demokratischen Fraktionen über Verfassungsänderungen zu reden, das zum ersten Mal seit 21 Jahren kommt. – Wenn ich richtig gezählt habe, haben wir 13 oder 14 Gesetzentwürfe eingebracht, mit denen wir
wesentliche Verfassungsänderungen erbeten haben. Zum Beispiel, die Rechte der Kinder nach der Kinderkonvention in der Verfassung zu verankern und dergleichen mehr. Jetzt wird es aufgerufen.
Was uns stutzig macht und was uns Sorgen bereitet, ist genau die Formulierung, Kollege Zastrow und Kollege Michel: Sie wollen „Prioritäten“ setzen – die Schuldenbremse eben. Wir wollen die Debatte über die Änderung der Verfassung unter einer grundsätzlichen Voraussetzung: dass die Staatsgrundsätze, die in Artikel 1 der Verfassung verankert sind, erhalten bleiben, dass das Schuldenverbot nichts an dem Fortbestehen der Definition ändert: „Der Freistaat Sachsen ist … ein demokratischer, dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Kultur verpflichteter sozialer Rechtsstaat.“
Diese Staatsgrundsätze müssen finanzierbar bleiben. Diese Staatsgrundsätze dürfen, wenn die Schuldenbremse aufgenommen wird, nicht in irgendeiner Form in Gefahr geraten. Deshalb ist eine einseitige Debatte um die Änderung der Verfassung nicht möglich, deshalb muss die Debatte um diese Fragen ehrlicherweise offen geführt werden. Da muss man wissen: Was bringt, was nutzt, was hilft die Aufnahme des Neuverschuldungsverbotes in die Verfassung des Freistaates Sachsen trotz der vorgegebenen Konstellation aus dem Grundgesetz heraus, die uns ohnehin bindet, oder trotz der jetzt bereits durch die entsprechenden Haushaltsgesetze aufgenommenen Regelungen? Was kann unter Umständen bei einer Absolutheit der Formulierung in der Verfassung, wenn nicht parallel zum Beispiel die Frage der Verlässlichkeit der Finanzierung der Kommunen und Ähnliches mehr aufgenommen wird, an dieser Sache sogar schadhaft sein?
Man kann vortrefflich darüber streiten, ob die Aktuelle Debatte der richtige Weg ist, das Thema aufzugreifen. Ich bin aufseiten derer, die sagen, man hätte das dezenter anmoderieren können. Wenn die Aktuelle Debatte ehrlich so gemeint ist, dass sie zu einer offenen Debatte führen soll, dann werden wir uns diesem Weg mit Sicherheit nicht verweigern. Ob der Weg, den die jeweiligen Fraktionen und Parteien gehen, über eine Mitgliederbefragung oder anders gegangen wird, ist, nebenbei bemerkt, völlig sekundär.
Aber unser entscheidendes Problem bleibt: Auf dem Weg zur Aufnahme in das Grundgesetz gab es aus verschiedensten Kreisen, zum Beispiel aus dem Sachverständigenrat, viele mahnende, erinnernde, letztlich auch abwägende Stimmen, die gesagt haben: Erhofft euch keine Wunder von einer verfassungsgestützten Aufnahme eines Neuverschuldungsverbotes, sondern denkt komplex und glaubt nicht, dass man eindimensional mit der Aufnahme dieser Frage zum Beispiel die Generationengerechtigkeit herstellen kann.
Unsere Hoffnung ist, dass der Auftakt der Debatte zumindest dazu beitragen wird, dass die Bereitschaft zur Bedingungsfreiheit in dem Disput tatsächlich gilt. Dann werden wir sehen, wohin uns dieser Weg zu der Debatte über eine
Gibt es weiteren Redebedarf seitens der Fraktionen? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Entschuldigung! Herr Michel, bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal ganz kurz auf zwei Aspekte eingehen.
Wenn wir uns in unserer Ausgabenwut selbst beschränken, dann sind wir gezwungen, Prioritäten zu setzen, Kollege Bartl. Kollege Bartl, es ist wichtig, wenn nicht unendlich viel Geld zur Verfügung steht, zu entscheiden, wofür das Geld verwendet werden soll. Das ist Nummer 1.
Nummer 2 ist: Wenn hier gesagt wird, dass wir an die Kommunen und an diese oder jene denken müssen, dann ist das richtig. Aber den Kommunen kann nichts Besseres geschehen, als dass der Freistaat auf soliden finanziellen Füßen und den Kommunen verlässlich zur Seite steht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will es noch einmal zusammenfassen: Sollten Sie, CDU und FDP, der Auffassung sein, dass Sie mit dieser eindimensionalen Fragestellung in diesem Haus wirklich eine ordentliche Verfassungsdebatte führen können,
dann werte ich das einfach so, dass die CDU im Wissen darum, dass ihr die FDP bald abhandenkommt, nach neuen Koalitionspartnern sucht.
Die GRÜNEN sind bereit, die SPD versucht da gerade ein paar Bocksprünge. Wir haben eine klare Position:
Was ist denn das Kennzeichen einer nachhaltigen Haushaltspolitik? Ich versuche das kurz zu formulieren. Das ist, der nachfolgenden Generation eine faire Chance zu geben, ihr eigenes Leben und ihr eigenes Schicksal selbst gestalten zu können.
(Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. André Hahn, DIE LINKE: Und die Lebensgrundlagen nicht zu erschüttern!)
Ein Kernelement ist das Neuverschuldungsverbot, das in die Sächsische Verfassung aufgenommen werden soll. Die Debatte, ob wir es aufnehmen oder nicht, ist, wenn man sich die bundesgesetzliche Situation anschaut, überflüssig. Da ist im Artikel 109 Abs. 3 des Grundgesetzes geregelt, und zwar verfassungsrechtlich geregelt, dass die Haushalte des Bundes und der Länder auszugleichen sind, und zwar ohne Kreditaufnahme. Die Länder haben dabei noch Zeit, dies bis zum Jahr 2020 umzusetzen.
Die Kernfrage, die noch offen ist, lautet: Wann wird das umgesetzt und wie wird das in den einzelnen Ländern umgesetzt?
Wir haben in Sachsen eine Sondersituation. In der Praxis leben wir das Neuverschuldungsverbot schon seit dem Jahr 2006. Seit dem Jahr 2009 haben wir einfach gesetzlich dieses Neuverschuldungsverbot im § 18 der Sächsischen Haushaltsordnung geregelt. Wir gehen allerdings noch einen Schritt darüber hinaus. Seit dem Jahr 2006 tilgen wir nämlich Schulden, und zwar bevölkerungsproportional. Damit schaffen wir es, die Pro-KopfVerschuldung des Landes in etwa konstant zu halten.
Ich möchte kurz auf die Zahlen eingehen. Im Jahr 2005 hatten wir noch 12,2 Milliarden Euro Schulden. Ende letzten Jahres, also im Jahr 2011, hatten wir aufgrund der zum Bevölkerungsrückgang proportionalen Tilgung noch 11,7 Milliarden Euro Schulden. Wenn uns nicht die Konjunktur einen Strich durch die Rechnung macht oder sonstige Katastrophen eintreten, dann wird diese Entwicklung auch in diesem Jahr fortgesetzt werden.
Was ist das Kernargument für das Schuldenverbot? Das Kernargument ist, dass wir die junge Generation langfristig vor einer Überforderung schützen müssen. Die Verantwortung liegt bei der Elterngeneration, also bei uns.
Hier ist es wichtig, dass wir die Generationengerechtigkeit gewährleisten und die Schuldenbremse in der Verfassung verankern. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass wir Folgendes beachten müssen: Es gibt nicht nur die expliziten Verschuldungen, die wir ausweisen, sondern auch noch die impliziten. Diese müssen wir, was die Schuldenbremse anbelangt, mit berücksichtigen.
Mit der Generationengerechtigkeit gibt es ein grundsätzliches Problem. Meist merkt man das nicht sofort. Wir müssen viele Jahre abwarten bis wir merken, ob wir verantwortungsvoll mit der jungen Generation umgegangen sind oder nicht. Es gibt allerdings Probleme, die schon eher auftauchen. Wir sitzen gerade in solch einem
Megaproblem. Die Finanzkrise lässt uns seit einigen Jahren nicht mehr los. Inzwischen sind wir mitten in die Staatenkrise hineingeschlittert. Da gibt es viele Maßnahmen – ich denke nur an die Rettungsschirme –, die bestenfalls an den Symptomen herumkurieren, aber nicht die Ursachen beseitigen.
(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Wurden die Hedge-Fonds verboten? Die Transaktionssteuer? Nichts kommt! Nur Gerede!)
Wie können wir dieses Problem überwinden? Eine Lösung ist, zu ausgeglichenen Haushalten zurückzukehren, dann ein strenges Regime zu führen, was die Budgetkontrolle anbelangt. Aber ich will meine Meinung nicht verhehlen, dass das wahrscheinlich nicht ausreichend sein wird. Wahrscheinlich wird nur dann wieder Ruhe in das gesamte Staatensystem einkehren, wenn wir zeigen, dass wir Schulden zurückzahlen können, wenn wir also die Schulden auf ein erträgliches Niveau zurückführen. Deshalb ist das geeignete Instrument, die Schuldenbremse verfassungsrechtlich zu verankern.
Was ist zu tun? Das Neuverschuldungsverbot sollte schon in dieser Legislaturperiode eingeführt werden. Aber – ich will das auch nicht verhehlen – das wird nicht ausreichend sein. Ich glaube, es sind ganz bestimmte flankierende Maßnahmen notwendig, um das Neuverschuldungsverbot verfassungsrechtlich abzusichern.