Laut Versorgungsatlas, in dem die Basisdaten auf den Abrechnungen von 2007 beruhen, wurden die ambulanten Arztkontakte von rund 74 Millionen Patienten in der GKV ausgewertet. Im Durchschnitt gingen im Jahr 2007 die Patienten 17,1 Mal zum Arzt. Dieser Mittelwert wird aber vor allem – nun kommt es! – durch eine kleinere Gruppe von Patienten mit besonders hohem Versorgungsgrad in Anspruch genommen.
17 Arztkontakten, von denen Sie sprachen: Geben Sie mir recht, dass der Kontakt nicht unbedingt ein Arztbesuch sein muss?
Wie gesagt, ich verlese auch die Daten des Versorgungsatlasses, und wer genau recherchieren möchte – ich kann hier nicht alles aus dem Versorgungsatlas zitieren –: Es sind interessante Erhebungen, deren Lektüre ich jedem empfehle.
Ich komme nochmals auf die 17,1 Arztkontakte zurück. Die Zahl ist deshalb so hoch, weil ein wesentlich geringerer Anteil der Versicherten einen hohen Versorgungsbedarf hat. Es ist auch gut so, dass er den Kontakt bekommt, und es ist unter anderem nachgewiesen, dass die höchste Zahl der Arztkontakte gerade durch Patienten nach Organtransplantationen entsteht, und es ist gut, dass wir in Deutschland diese Möglichkeiten haben und nicht wie in Amerika bzw. Südamerika erst einmal gefragt werden, ob man die Rechnung bezahlen kann. Hier bekommen die
Patienten die notwendige Versorgung. Uns fehlt nur die Bereitschaft für Organtransplantationen, und ich rufe alle auf: Erklären Sie sich zur Organtransplantation bereit bzw. füllen Sie einen Organspenderausweis aus!
Der zweite Report ist der Barmer-GEK-Arztreport. Hierbei wurden die Werte aufgrund des Datenbestandes von 2010 ermittelt. Ich denke, Sie haben diesen Report alle bekommen, falls nicht, empfehle ich Ihnen diese interessante Studie. Dabei kam heraus, dass gesetzlich Versicherte in Deutschland erstmals seit sechs Jahren weniger zum Arzt gehen, wobei die Zahl der Behandlungsfälle recht konstant bleibt. In Auswertung der Daten wird sogar die These erhoben, dass der Trend zu mehr Eigenverantwortung der Menschen im Umgang mit ihrer Gesundheit zunimmt, Frau Lauterbach. Dieser Trend geht laut Studie vor allem auf das Bewusstsein der Altersgruppe zwischen 25 und 40 Jahren zurück. Ich möchte diese Altersgruppe nicht explizit herausnehmen. Es gibt auch ältere und jüngere Generationen, die sich sehr wohl bewusst sind, dass sie etwas für ihre Gesundheit tun müssen.
Mit der Einführung der Praxisgebühr wurde damit zumindest der Anfang geschaffen, und es gilt, die Diskussion bezüglich der Eigenverantwortung der Versicherten gegenüber dem Kostenbewusstsein weiterzuentwickeln, aber auch die Verantwortung der Leistungserbringer gegenüber den Versicherten zu verstärken. Auch die Leistungserbringer müssen sich darüber im Klaren werden, dass sie ihre Arbeit auf der Basis der Versicherten leisten – sie würden arbeitslos sein, wenn sie die Versicherten oder die Patienten nicht hätten – und die Leistungserbringer überwiegend aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden. Auch dabei fordere ich eine Verantwortung gegenüber dem Geld der Versicherten. Das ist von mir und der CDU eine klare Ansage.
Abschließend möchte ich darauf verweisen, dass die bisherigen Mängel der Praxisgebühr wirklich behoben werden müssen. Da gibt es überhaupt keine Frage, das ist notwendig. Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene ist unter anderem vorgesehen, die Praxisgebühr in ein unbürokratisches Erhebungsverfahren zu überführen, und laut Medienberichten soll dies im laufenden Jahr erfolgen. Wir gehen auf jeden Fall davon aus, dass die angesprochenen Mängel dabei erörtert werden. Unseren Beitrag werden wir dazu leisten.
Meine Damen und Herren! Es gilt nicht nur, systemimmanente Probleme offen anzusprechen, sondern die Verantwortung jedes Einzelnen zu stärken – ob es der Versicherte, der Leistungserbringer oder der Mitarbeiter in den Kassen ist. Wir haben ein gutes solidarisches System, und wir werden dafür von anderen Ländern international beneidet. Wir sollten dieses System nicht schlechtreden. Sicher ist die Praxisgebühr nicht besonders beliebt. Sie hat sich etabliert und muss deutlich verbessert und überarbeitet werden, aber eine ersatzlose Streichung – ohne eine Kompensation und ohne Klärung, wie man die
Verantwortung entwickeln und das System so, wie es sich jetzt gut entwickelt hat, sichern kann – ist mit uns nicht zu machen.
Ich möchte abschließend noch Folgendes für die CDU in Sachsen sagen: Es ist richtig, dass ein Polster, eine Reserve entwickelt werden muss. Lassen Sie mich nur drei Zahlen nennen: 2010 betrugen die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung 165 Milliarden und 2011 bereits 180 Milliarden Euro. Laut Prognose von Herrn Prof. Beske werden sie im Jahr 2060 bei nur einprozentiger Steigerung bei circa 270 Milliarden Euro liegen. Bei zweiprozentiger Steigerung – darüber sprechen wir lieber nicht – wären wir bereits bei über 400 Milliarden Euro. Wenn ich dann sehe, wie unsere Bevölkerungszahl zurückgeht, die Bevölkerung überaltert und damit natürlich auch die Fälle der Multimorbidität zunehmen, dann möchte ich die Lasten für die Generation meines Sohnes bzw. der Jüngeren nicht ausrechnen. Aus diesem Grund ist unsere Generation, sind wir, die wir hier sitzen, jetzt dafür verantwortlich, dieses gute System perspektivisch zu sichern, damit die Kinder und Jugendlichen, die jetzt heranwachsen, nicht später unsere Lasten tragen. Dieses Augenmaß müssen wir halten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Strempel, es geht, denke ich, in der heutigen Debatte niemandem darum, das Gesundheitssystem schlechtzureden. Wir wissen alle, dass wir ein leistungsfähiges Gesundheitssystem haben und der Punkt pro oder kontra Praxisgebühr nicht das Gesundheitssystem insgesamt infrage stellt, sondern wir sprechen über einen kleinen Teil dieses gesamten Gesundheitssystems, über die Praxisgebühr.
DIE LINKE kommt damit alle Jahre wieder, und ich denke, in den bisherigen Jahren hatte sie noch nie so gute Karten wie in diesem Jahr; denn das einzige stichhaltige Argument dagegen war immer, dass der Wegfall von 2 Milliarden Euro zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung geht. Die Zahlen sind bereits genannt worden. Ich möchte nur kurz wiederholen: Wir sprechen gerade darüber, dass wir im Fonds 9 Milliarden Euro mehr und bei den Kassen ebenfalls 9 Milliarden Euro mehr haben. Herr Bahr erwartet ja auch von den Kassen, dass Versicherte über – aus meiner Sicht eher aufwendige – Prämienzahlungen entlastet werden. Ich denke, man sollte die Zeit nutzen, um andere Instrumente der direkten Entlastung von Versicherten auf den Prüfstand zu stellen, wie die Entlastung über Beitragssätze oder Zuzahlungen.
Wir sprechen bei der Praxisgebühr nicht über eine Gebühr, sondern wir sprechen schlicht und einfach über eine Zuzahlung. Ich verrate auch nichts Neues, wenn ich die
Skepsis der sächsischen SPD hinsichtlich dieses Instruments nochmals betone. Gleiches hat mein Kollege Gerlach in der vergangenen Legislaturperiode an dieser Stelle ebenfalls getan.
Ursprünglich war die Idee der Praxisgebühr eine andere. Das Modell der SPD nahm damals einen Vorschlag des Sachverständigenrates auf und wollte für jeden Facharztbesuch, der ohne Überweisung erfolgt, eine Zuzahlung verlangen. Aus meiner Sicht hätte diese Regelung auch eine größere Steuerungswirkung entfaltet, aber auch das kann ich nur mutmaßen, denn Belege habe ich dafür nicht. Dass es im Zuge der Bundesratsvermittlungen mit der CDU keine Einigung gab und die jetzige Praxisgebühr dabei herausgekommen ist, wissen in diesem Saal auch alle.
Was bleibt übrig? Man hat damit eine Stärkung der Eigenverantwortung, eine Reduzierung der Selbstüberweisung und eine finanzielle Entlastung erwartet. Zur finanziellen Entlastung habe ich schon etwas gesagt. Was ist mit den anderen beiden Punkten? Wir wissen, dass ein kurzfristiger Rückgang im Steuerungseffekt relativ schnell verpufft ist und aus Patientensicht mittlerweile als sogenannte Flatrate dient, weil dann in dem Quartal, in dem bezahlt wurde, zum Arzt gegangen wird, ohne irgendeine Eigenverantwortung daraus zu ziehen.
Zum anderen wirkt die Praxisgebühr gegenteilig zu dem Effekt, den sie bewirken sollte. Mit dieser Praxisgebühr wurde die Notwendigkeit geschaffen, dass man sich seine Überweisungen abholt. Damit werden Arztkontakte geschaffen, die vorher nicht notwendig waren. Hierzu einen direkten Zusammenhang herzustellen – das weiß man heute –, ist relativ schwierig.
Wir wissen aus anderen Ländern, dass Zuzahlungen eine bestehende soziale Diskriminierung verstärken. Das heißt nicht, dass man jetzt sagen kann: Aufgrund der Zuzahlung geht ein sozial benachteiligter Mensch nicht mehr zum Arzt. Das ist in dieser Weise noch nicht belegt. Wir wissen aber, dass Zuzahlungen soziale Diskriminierung verstärken. Wir wissen auch, dass die Steuerungswirkung, wenn es zu einem Rückgang kommt – unabhängig von sozialen Faktoren –, auch einen unerwünschten Rückgang bewirkt. Wir wissen, dass zum Beispiel bei dem Diabetes der Therapieerfolg umso höher ist, je häufiger derjenige zum Arzt geht. Wenn bei einem solchen Patienten der Arztkontakt wegfällt, dann ist das nicht gewünscht, weil das nicht im Interesse einer gesundheitlichen Behandlung des Patienten ist.
Deshalb ist die Zuzahlung, die für einen Arztkontakt erhoben wird, nicht im Sinne einer Steuerung, die die Gesundheit der Bevölkerung im Blick hat. Das als Anmerkung, wenn Sie die Zuzahlung weiterentwickeln wollen.
Die Bertelsmann-Studie hat im Gesundheitsmonitoring festgestellt, dass es im Gesundheitsbereich keinerlei Moral-Hazard-Effekt gibt, das heißt, es gibt keine Mitnahmeeffekte nur aufgrund dessen, dass die Leistung kostenfrei ist. Das kann man genauso wenig nachweisen, wie dass eine Zuzahlung sozial Schwache blockiert.
Deshalb darf man nicht den Schluss ziehen, dass Zuzahlung Eigenverantwortung bewirkt und wenn keine Zuzahlung zu leisten ist, die Leute zum Arzt gehen, ohne sich Gedanken darüber zu machen. Diesen Zusammenhang gibt es nicht. Im Gegenteil, die Bertelsmann-Studie hat festgestellt, dass es umgekehrt auf der Anbieterseite eine Art Hamstereffekt gibt, wenn man die Anreize anders setzt.
Wie kann man besser steuern? Frau Strempel hat so sehr auf die Eigenverantwortung abgestellt. Wir wissen doch, dass der Patient im Gesundheitsbereich keine Konsumentensouveränität hat. Er selbst kann nicht sagen, welche Diagnose er hat und ob er Leistungen benötigt oder nicht. In einem solchen Bereich – wenn ich Eigenverantwortung stärken und steuern will – nun gerade bei der Nachfrage anzusetzen ist relativ unsinnig. Das weiß jeder, der sich einmal mit Volkswirtschaft beschäftigt hat. Man muss auf der Angebotsseite ansetzen. Darauf hat Frau Strempel auch hingewiesen. Es ist viel erfolgversprechender, bei den Ärzten anzusetzen und das Angebot zu steuern, als bei den Patienten, also auf der Nachfrageseite.
Wenn wir bei der Eigenverantwortung sind, ist es besser, die Patientenquittung verpflichtend zu machen. Ich glaube, das ist ein Weg, wie man die Kosten für Gesundheitsleistungen transparent machen könnte, die jedem Patienten und jeder Patientin eindeutig zeigen, wie man kostengünstiger damit umgehen kann.
Wir wissen auch, dass die Umstellung von einem Honorarsystem auf Pauschalen, also als Beleg auf der Angebotsseite zu steuern, einen Steuerungseffekt hatte, weil die Ärzte ihre Termine anders vergaben. Die Ärzte haben zu Beginn des Quartals eine höhere Terminvergabe als am Ende des Quartals. Das heißt, die Steuerung der Arztkontakte über die Angebotsseite, über die Ärzte, ist zielführender und vielversprechender als die Patientennachfrage.
Deshalb muss es bei den Steuerungsinstrumenten darum gehen, über einen Ausbau des Hausarztsystems, über stärkere Kooperationen von pflegerischem und ärztlichem Personal eine bestehende Überversorgung und Fehlalokation in den Griff zu bekommen und nicht auf das Pferd „Zuzahlung“ zu setzen, weil dort die sozialen Folgen noch nicht absehbar sind und eher gegenteilige Effekte haben.
Aus unserer Sicht ist es derzeit zielführend, dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zuzustimmen. Das werden wir auch tun.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen Abgeordneten! Liebe Fraktion DIE LINKE, so wichtig, wie Ihnen das Thema scheint, hat es dann doch nicht so viel Mühe gekostet, den Antrag von 2008 noch einmal komplett abzuschreiben. Es ist festzustellen: Auch wenn man Forderungen wiederholt, ändern sich dadurch nicht die Tatsachen, und Ergebnisse kommen auch nicht von mantraartigen Wiederholungen.
Deutschland liegt mit dem Blick auf den Anteil an privater Zuzahlung zu den Gesundheitsleistungen, gemessen an den Konsumausgaben privater Haushalte, unter dem OECD-Durchschnitt. Die finanziellen Belastungen sind durch die Praxisgebühr gesetzlich begrenzt. Auch ist es wichtig, noch einmal klar zu sagen: 10 Euro sind die Grenze!
Genau, die wollen Sie ja nicht! – Bei den vorherigen Aufzählungen fehlten aber die Bereiche, bei denen man keine Gebühren bezahlt. Das gilt für Vorsorgeuntersuchungen – das ist besonders bei den Kindern wichtig –, denn dort fallen keine Kosten an. Ebenso ist es bei dem Kontrollbesuch beim Zahnarzt. Die Gebühr entfällt bei sämtlichen Schutzimpfungen. Auch das ist wesentlich. Bei Kindern unter 18 Jahren entfällt sie ebenfalls.
Es sind eben nicht nur die Selbstzahler und die Privatzahler. Über 7,2 Millionen Menschen lagen im Jahr 2010 über der Belastungsgrenze und konnten sich von den Zuzahlungen befreien lassen. Auch das ist wichtig, an dieser Stelle zu erwähnen.
Es gibt – auch das möchte ich erwähnen – keine einheitlichen belastbaren Zahlen, dass Menschen mit geringem Einkommen – darauf sind meine Vorrednerinnen schon eingegangen – weniger Arztkontakte haben, also weniger den Arzt aufsuchen und damit auch weniger Zugang zu ärztlichen Leistungen in Anspruch nehmen. Deshalb kann von unsozial an dieser Stelle keine Rede sein. Jeder, der einer medizinischen Behandlung bedarf, kann sie in Anspruch nehmen. Das heißt, bei einem Verkehrsunfall wird jeder versorgt. Es geht nicht darum, als Erstes zu fragen, wie ist die Kassensituation, wo ist man versichert und ist man versichert. Das ist ein wesentlicher Bestandteil.
Frau Lauterbach sprach das vorhin an. Mir fallen genügend Gründe ein, warum jemand nicht zum Zahnarzt geht, und es sind nicht die 10 Euro Praxisgebühr. Ich denke, dass wir in dieser Debatte ehrlich sein sollten. Es ging immer um die Steuerungswirkung, auch darauf sind die Vorrednerinnen eingegangen. Sie war Ziel, sie hat sich so nicht umsetzen lassen und sie weist ganz klar Defizite auf.
Es war ein erklärtes Ziel der damaligen rot-grünen Regierung, bei der Einführung im Jahr 2004 die unnötigen Leistungsfälle zu vermeiden, aber ohne die wichtigen
Arztkontakte zu verhindern. Es gibt im System der GKV keine empirische Datengrundlage. Auch das war allen bekannt. Es gibt in der Theorie sowohl die negativen als auch die positiven Elemente der Steuerungswirkung. Deshalb kann der ausschließliche Blick auf diese Steuerungswirkungen nicht der Grund dafür sein, die Praxisgebühr aufzuhalten oder einzustellen, sondern man muss die Gesamtsituation betrachten.