Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

Herr Bläsner, ist Ihnen bekannt, dass es sich um einen Schulversuch und nicht um einen Klassenversuch handelt? Ist Ihnen bekannt, dass ein Schulversuch eine gesamte Schule, ein pädagogisches Konzept umfasst, das man nicht zwischenzeitlich abbrechen kann?

Das ist mir bekannt und der Schulversuch wird auch nicht abgebrochen.

(Zuruf von der SPD: Sondern? – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Beendet!)

Er wird planmäßig zu Ende geführt. Genau.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Aber Sie von der SPD sollten wirklich überlegen, ob Sie hier so laut auftreten. Immerhin hat doch Ihnen die Kraft gefehlt, in der letzten Legislaturperiode eine gesetzliche Verankerung zu bekommen – übrigens anders als Ihre Kollegen in Thüringen in der jetzigen Koalitionsvereinbarung. Da sollten Sie in sich gehen und fragen, was Sie denn in der letzten Legislaturperiode getan haben.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Lachen bei der SPD)

Herr Bläsner, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?

Nein. Ich möchte langsam mal vorankommen,

(Beifall bei der FDP und der CDU)

denn ich bin noch lange nicht am Ende meiner Ausführungen. – Die SPD hat von Anfang an gewusst, dass dieser Schulversuch keine Bildungsreform ist, sondern ein Schulversuch. Dieser ist – und es gibt genügend Beispiele dafür, auch in der sächsischen Schulgeschichte – eben auf Zeit und nicht auf Dauer angelegt. Ich halte es auch nicht für fair, wenn immer der Eindruck erweckt wird, es sei für immer und das sei die Umstellung auf die Gemeinschaftsschule in Sachsen gewesen. Das war es nicht, sondern es war von Anfang an ein Schulversuch.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage ganz ehrlich: Die Politik muss sich auch entscheiden, wie es nach einem solchen Schulversuch weitergeht, und die Koalition von CDU und FDP hat sich entschieden.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Abbruch!)

Wir haben uns dafür entschieden, unser Schulsystem weiterzuentwickeln und es mit Formen und Inhalten des längeren gemeinsamen Lernens zu verbinden. Gerade deshalb sind auch die Ergebnisse des Schulversuchs für uns so wichtig. Es ist übrigens eine Bildungsreform, die eine der größten seit 15 Jahren ist – anders als das, was die SPD in Sachsen in den letzten fünf Jahren hinterlassen hat –,

(Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD)

eine Bildungsreform, in deren Kernstück die Mittelschule zur Oberschule aufgewertet wird und die jedem Schüler die Möglichkeit bietet, erst nach Klassenstufe 6 auf das Gymnasium zu wechseln. Wir geben Schülern, die aus unterschiedlichen Gründen nach Klassenstufe 4 bisher nicht auf das Gymnasium konnten oder wollten, eine echte weitere Chance.

Wenn Sie jetzt einwenden – Frau Hermenau, die jetzt nicht da ist, hat das kurz nach den Koalitionsverhandlungen gemacht –, das gebe es doch jetzt schon, sollten Sie

den Blick einmal heraus aus den Verordnungen und hinein in die schulische Praxis nehmen,

(Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD)

denn die Möglichkeit existiert nur auf dem Papier.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion)

Ganze 66 Schüler haben es im letzten Jahr geschafft.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Bei Ihnen werden es noch weniger!)

Wir werden das ändern. Wir wollen den Wechsel auf das Gymnasium nach Klassenstufe 6 zur Realität machen.

(Beifall bei der FDP)

Durch eine verlässliche zweite Bildungsempfehlung nach Klassenstufe 6, die Ausweitung der zweiten Fremdsprache und – auf die Anmerkung von vorhin – selbstverständlich eine schrittweise Ausweitung der zweiten Fremdsprache in Klassenstufe 6 in den Mittelschulen sowie die Einführung von Leistungsangeboten ebnen wir nicht nur formell, sondern auch pädagogisch den Weg auf das allgemeinbildende Gymnasium nach Klassenstufe 6. Damit machen wir die Mittelschulen durchlässiger, unser Bildungssystem gerechter und bieten auch sogenannten Spätstartern gute Chancen für den Weg auf das Gymnasium.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion)

Das zukünftige sächsische Bildungssystem wird eine Schullandschaft hervorbringen, die vor allem eines bietet: Chancen.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD, steht am Mikrofon.)

Die zur Oberschule aufgewertete Mittelschule wird das Herz dieses Systems sein, eine Schule, die allen Schülern alle Chancen bietet, den für sie besten Abschluss zu erreichen.

Herr Bläsner, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Nein. Ich bin fertig.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Als Nächstes ist die NPD-Fraktion an der Reihe. Frau Schüßler, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schulversuche – Herr Bläsner hat eigentlich schon alles gesagt, ich wiederhole es trotzdem – „Schule mit besonderem pädagogischen Profil“/„Gemeinschaftsschule“ wurden in der letzten Legislaturperiode unter dem Druck des kleinen Koalitionspartners SPD zeitlich begrenzt eingeführt. Nachdem die SPD nun nicht mehr mit im Boot ist, laufen diese Versuche mit der Mindestlaufzeit von sechs Jahren aus und werden evaluiert. Die Ergebnisse sollen, wie es auch in der Stellungnahme der Staatsregierung zum Antrag der Linken steht, in die Weiterent

wicklung der Mittelschulen zu Oberschulen einbezogen werden. Das ist alles schon besprochen worden.

Ich frage mich jetzt: Hat dieses Experiment etwas gebracht außer Verwirrung bei betroffenen Lehrern, Eltern und Schülern und der künstlichen Empörung linker Schulpolitiker, weil es nicht – Zitat – „unverzüglich und offensiv“ weitergeführt wird? Man wirft Herrn Wöller vor, die mit dem Schulversuch verbundene Evaluation nicht abgewartet zu haben und pauschal Reformpädagogik gegen die sogenannte Qualitätspädagogik auszuspielen. – Ich beziehe mich hierbei auf die Anfrage von Frau Giegengack. – Dabei wartet man selbst nicht ab und leitet aus leicht besseren Ergebnissen laut Zwischenbericht 2008 die auf Dauer besseren Lernerfolge ab. Der Schulversuch wird nicht als besonderes Biotop wahrgenommen, das von selbst besondere Resultate produziert, und negative Erfahrungen mit den Gesamtschulen hessischer, Hamburger oder nordrhein-westfälischer Prägung bleiben außen vor, ebenso die Denkansätze, die das gemeinsame Lernen auf die fünfte und sechste Jahrgangsstufe erweitern, aber auch darauf beschränken wollen.

Mit den betroffenen Lehrern, Eltern und Schülern werden zwar Gespräche geführt, jedoch oft nur zur Sammlung von Fakten, die den eigenen Standpunkt untermauern. Befürworter des gegliederten Schulsystems werden kaum berücksichtigt. Dabei wäre es wirklich dringend erforderlich, ergebnisoffen heranzugehen. Denn es ist egal, wie sich ein Schulmodell nennt – wenn es erfolgreich ist, dann liegt das an den daran beteiligten Schülern und der Unterstützung ihrer Eltern, und natürlich tragen gerade in Sachsen die auf eher traditioneller Grundlage wirkenden Lehrer wesentlich zu den Erfolgen in allen Schulformen bei.

Eine wichtige Rolle spielen auch die materiellen Voraussetzungen, die Stärke und Zusammensetzung der Klassen. Mit dem zweigliedrigen Schulsystem hat Sachsen bislang gute Ergebnisse erzielt, sodass es ohne Not nicht zur Disposition gestellt werden sollte. Der immer wieder geforderte Vertrauensschutz muss auch hier gelten.

Das Konzept der Gemeinschaftsschule und ideologisch ähnlich gestrickter Bildungsmodelle geht nur bei überdurchschnittlichen Voraussetzungen auf. Die damit insbesondere in sozialen Brennpunkten verbundene Senkung des Niveaus hat bislang stets zu einer Schülerwanderung in die Privatschulen geführt, so die Erfahrungen aus anderen Bundesländern, Berlin und Hamburg. Hier koppeln sich nämlich wohlhabende Eltern ab. Hier werden soziale Unterschiede wirklich zementiert, und zwar mehr, als es ein gegliedertes Schulsystem je tun könnte.

Was aus unserer Sicht wirklich wichtig ist: Der Blick muss auf die von Ausbildern bemängelten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen – für einen Teil der Schulabsolventen wenigstens – gerichtet werden. Sie beeinträchtigen die Ausbildungsfähigkeit genauso wie unterentwickelte Sekundärtugenden, die für die Anforderungen des Berufslebens auch im

21. Jahrhundert unabdingbar sind. Anderswo gescheiterte Varianten der Reformpädagogik dürfen nicht erneut zur Richtschnur des Handelns werden, diesmal in Sachsen.

Wir lehnen beide Anträge ab.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Bevor wir in die zweite Runde eintreten, frage ich die Staatsregierung. – Sie möchte noch nicht sprechen. Damit treten wir in die zweite Runde ein. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? – Nicht. Sie hätten noch eine Minute und 40 Sekunden Redezeit. Die Linksfraktion in der zweiten Runde? – Das ist auch nicht gewünscht. Die CDU-Fraktion? – Herr Abg. Schreiber.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Da heute noch nicht Freitag ist, kann der Drang, nach Hause zu wollen, sicherlich auch noch nicht so groß sein. Lassen Sie mich bitte auf einiges, was von den Vorrednern angesprochen worden ist, noch erwidern.

Mit der Weiterentwicklung der sächsischen Mittelschulen hin zu Oberschulen wird es unserer Meinung nach in den kommenden Jahren gelingen, den entstehenden Fachkräftebedarf der sächsischen Wirtschaft zu decken. Die heutige Mittelschule und künftige sächsische Oberschule muss weiterhin das Herzstück der sächsischen Bildungslandschaft sein. Umso unverständlicher ist, sehr geehrte Frau Dr. Stange, Ihre Kritik an unserem Kultusminister, die künftige Oberschule würde hinkommen zu einer Restschule, vor allen Dingen deshalb unverständlich, da es doch die SPD gewesen ist, die das Zugangskriterium zum Gymnasium auf 2,5 abgesenkt hat, und so ist der von Ihnen so betitelte Rest an den Mittelschulen verblieben.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD, steht am Mikrofon.)