Ich bringe den Gedanken erst einmal zu Ende und dann sehen wir weiter. – Lassen Sie mich außerdem etwas fundierte Wissenschaft in Ihre Behauptung hineinbringen – Herr Hahn hat es wiederholt getan –, die Mehrheit der Deutschen befürwortet die sogenannte Einheitsschule.
Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage vom September 2009 – hören Sie bitte zu, Herr Hahn – befürworten gerade einmal 31 % der Deutschen eine Abschaffung des gegliederten Systems und 63 % wollen es beibehalten.
„Es gibt in Deutschland keine Mehrheit für die Abschaffung des gegliederten Schulwesens“, so der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes Heinz-Peter Meidinger. Interessant dabei ist, Frau Dr. Stange, dass sich auch eine Mehrheit der SPD-Anhänger, nämlich 55 %, gegen den SPD-Beschluss zur Abschaffung des gegliederten Schulsystems ausspricht.
Selbst bei den GRÜNEN herrscht in dieser Frage eine Pattsituation. Die von mir zitierte Umfrage besagt außerdem, dass eine Mehrheit, nämlich 65 %, nicht daran glaubt, dass die Leistungsfähigkeit der Schulen durch eine Einheitsschule verbessert werden kann. Schon allein deshalb ist die Einführung der zweiten Bildungsempfehlung nach der 6. Klasse unserer Meinung nach richtig,
denn sie ermöglicht es, auch künftig zu einem späteren Zeitpunkt – einfacher als jetzt nach der 4. Klasse – den Weg an ein sächsisches Gymnasium zu finden. Sie ergänzt außerdem unser Bestreben, die heutige Mittelschule zu einer wirklichen Fachkräfteschmiede weiterzuentwickeln und gleichermaßen die Qualität des sächsischen Abiturs weiter zu erhöhen.
Meine Damen und Herren! Die Schulzeit dient der Vermittlung von Wissen ebenso wie der Vermittlung von sozialen Kompetenzen. Sie begründet – auch wenn Sie das von der linken Seite hier im Haus nicht so gern hören – damit einen natürlichen Leistungsanspruch. Dieser Leistungsanspruch ist die Grundlage für einen erfolgreichen Schulabschluss und damit für reale Chancen am Arbeitsmarkt.
Lassen Sie mich deshalb – es gibt anscheinend viele Fans hier – mit einem zweiten Zitat des Präsidenten des Lehrerverbandes, Herrn Kraus, aus seinem Buch „Ist die Bildung also noch zu retten?“ abschließen.
Ja natürlich! –, aber sie ist nicht zu retten mit der Abrissbirne, sondern indem sich Deutschland endlich seiner Stärken besinnt, wegkommt von der typisch deutschen Selbstverleugnung, aufhört zu meinen, man müsse das Rad ständig neu erfinden, und vor allem Abstand davon nimmt, eine überstürzte Reform auf die andere draufzusatteln.
Vielen Dank. – Die SPD-Fraktion hat keine Redezeit mehr. Frau Dr. Stange, ich nehme an, Sie möchten eine Kurzintervention abgeben. Bitte schön.
Herr Präsident, ich möchte eine Kurzintervention machen, weil ich etwas richtigstellen möchte, denn das wäre vorhin meine Frage gewesen, Herr Schreiber. Ich habe mich zur Oberschule – zur sogenannten Oberschule, muss ich sagen – überhaupt noch nicht geäußert, weil ich nicht weiß, was hinter dieser Oberschule steht. Mit „Restschule“ habe ich diese mit Sicherheit nicht bezeichnet.
Ich möchte einen zweiten Punkt hinzufügen und noch etwas richtigstellen: Die von Ihnen beschriebene ForsaUmfrage ist eine vom Philologenverband initiierte ForsaUmfrage gewesen. Dabei ging es nicht um das gegliederte Schulsystem, sondern darum, ob die Einführung einer Einheitsschule befördert würde. Das war die eigentliche Frage. Das ist eine Diffamierung dessen, was wir unter Gemeinschaftsschule oder Gesamtschule verstehen. Das war vor den Bundestagswahlen ganz bewusst so gesetzt.
Herr Schreiber, Sie haben noch die Möglichkeit, darauf zu entgegnen. Diese Chance wollen Sie wahrnehmen.
Frau Dr. Stange, ich halte hier Ihre Pressemitteilung vom 7. Dezember in der Hand. Dort steht – ich zitiere –: „Schwarz-Gelb schaut offensichtlich nur auf die Gymnasien und Abiturienten und macht damit die Mittelschulen, die dann einmal Oberschulen werden, zu Restschulen.“ – Das sind die Worte in Ihrer Pressemitteilung. Sie müssen schon zu dem stehen, auch wenn es vier Tage alt ist, was Sie irgendwann einmal gesagt haben.
Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte für die Staatsregierung Herr Prof. Dr. Wöller; Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Freude verfolge ich diese lebhafte Diskussion, die sicherlich nicht die letzte in diesem Hohen Haus gewesen ist. Schulen mit besonderem pädagogischem Profil, Gemeinschaftsschulen, ermöglichen die Erprobung neuer pädagogischer Konzepte, insbesondere zur individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler, und ein Schulversuch ist naturgemäß zeitlich befristet.
Er wird wissenschaftlich und schulaufsichtlich begleitet, um zu klären, welche der entwickelten und erprobten Unterrichtskonzepte zur individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler in das Regelschulwesen übernommen werden können. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung werden in Zeitabschnitten dokumentiert und ausgewertet. Einige konzeptionelle Elemente der Schulversuche haben sich bereits herauskristallisiert, die in die vorgesehene Weiterentwicklung der Mittelschule zur Oberschule einbezogen werden könnten. Elemente der pädagogischen Konzepte sind eine stärkere individuelle Förderung, die Arbeit in Leistungsgruppen und das Anbieten der zweiten Fremdsprache ab der Klassenstufe 6. Letzteres wurde parallel zu den Schulversuchen bereits an den Mittelschulen schrittweise eingeführt.
Diese Elemente werden eine Vorbildwirkung für die Weiterentwicklung der Mittelschule entfalten. Sie erhöhen das, was wir beabsichtigen, nämlich die Durchlässigkeit und die Anschlussfähigkeit. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler an den Schulen mit Schulversuchen zeigt, dass sich der Wettbewerb mit guten Konzepten auszahlt und die inhaltliche Qualität der Konzepte Eltern sowie Schülerinnen und Schüler überzeugt.
Somit bieten sich die Versuchsschulen als mögliche Konsultationsschulen für die Weiterentwicklung der Mittelschulen zur Oberschule an. Um die nachhaltige Wirkung der guten pädagogischen Ansätze zu dokumentieren, können alle Schülerinnen und Schüler, die jetzt eine Schule besuchen, welche am Schulversuch teilnimmt, ihre Schulausbildung zu den Konditionen abschließen, wie sie diese begonnen haben. Das gilt auch für die Schülerinnen und Schüler, die im nächsten Jahr in diese Schulen aufgenommen werden. Selbstverständlich – damit möchte ich dem in der Öffentlichkeit bestehenden Eindruck entgegentreten – können diese Schulen auch nach dem Schuljahr 2010/2011 unter den regulären Bedingungen Schülerinnen und Schüler in der Eingangsklasse aufnehmen sowie – das ist besonders wichtig – ihre pädagogischen Konzepte, sofern sie sich als erfolgreich herausgestellt haben, in die Weiterbildung des sächsischen Schulwesens einbringen.
Aus der Historie erwachsen, haben wir bei den Schulversuchen zwei Sonderfälle, auf die ich eingehen möchte: die Leipziger Nachbarschaftsschule und das Chemnitzer Schulmodell, die bereits seit Anfang der Neunzigerjahre Jahre bestehen. Beide Schulen nehmen Kinder bereits in der Grundschule auf, das heißt, hier gehen die Schüler nicht nur sechs, sondern zehn Jahre gemeinsam zur Schule. Die Aussage, dass alle Kinder die Schule zu den Konditionen abschließen können, wie sie sie begonnen haben, gilt auch hier. Wir stellen die Zukunft dieser beiden Sonderfälle nicht infrage. Sie können auf der Grundlage ihres Modells Schülerinnen und Schüler über die Jahre 2010/2011 hinaus aufnehmen.
Die Befürchtungen der Rechtsunsicherheit, wie sie aus dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ersichtlich sind, können nicht nachvollzogen werden. Die
maßgeblichen Voraussetzungen für die Durchführung der bis zum 1. August 2009 genehmigten Schulversuche sind insbesondere im Hinblick auf die sächlichen und personellen Erfordernisse sowie die Anforderungen an das pädagogische Konzept in den von den Antragstellern angegebenen Vorschriften normiert, nämlich von der Leitlinie, die Sie selbst in Ihren Ausführungen zitiert haben. Es ist eine Verwaltungsvorschrift, die veröffentlicht wurde.
Auf deren Grundlage erhielten die Schulen, die vom Schulträger mit der Durchführung des Schulversuchs beauftragt wurden, nach Beratung und Unterstützung durch die Kultusverwaltung einen entsprechenden auf mindestens sechs Jahre befristeten Genehmigungsbescheid. Insoweit sind die verbindlichen Rahmenbedingungen festgelegt und einer rechtlichen Überprüfung zugänglich.
Weil diese Debatte bisher sehr lebhaft war und die Schulversuche im Fokus hatte, möchte ich hinzufügen: Ja, wir brauchen Experimente, auch im sächsischen Schulsystem, was sich bewährt hat und was wir fortentwickeln wollen, und wir brauchen auch weiterhin Schulversuche. Aber ich möchte hier nicht den Eindruck stehen lassen, dass wir im Land nicht noch 1 300 andere staatliche Schulen hätten, die ebenfalls eine hervorragende Arbeit mit engagierten Pädagogen leisten und denen ich für ihre Arbeit herzlich danken möchte. Ich denke, wenn wir uns weiter so anstrengen, können wir unser sächsisches Schulsystem noch einmal einen entscheidenden Schritt voranbringen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zu den Schlussworten, zuerst die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Giegengack, ich erteile Ihnen das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei dieser zum Teil sehr emotional geführten Debatte habe ich kein Argument gehört, weshalb die Schulversuche jetzt, zu diesem Zeitpunkt, abgewickelt werden müssen. Ich habe kein Argument gehört, weshalb die Zusage aus den Leitlinien für die Gemeinschaftsschule, dass die Gemeinschaftsschulen bei Erfolg regulär weiterlaufen dürfen, nicht eingehalten wird. Ich habe kein Argument gehört, weshalb man die neuen pädagogischen Konzepte nur in die Oberschule übernehmen kann, indem man die Gemeinschaftsschulen schließt. Ich habe von der FDP eine grundlegende Antwort vermisst, wie dieser Widerspruch zustande kommt, dass Sie in Ihr Wahlprogramm schreiben, Sie möchten einen eigenen gesetzlichen Status für die Gemeinschaftsschule, und sich jetzt für die Beendigung der Gemeinschaftsschule aussprechen. Von daher ist die Diskussion für mich nicht erschöpfend gewesen.
Trotzdem möchte ich auf einen wesentlichen Unterschied zwischen unserem Antrag und dem Antrag der Linksfrak
tion hinweisen. Mit unserem Antrag möchten wir lediglich den Status quo weiterführen. In unserem Antrag fordern wir die Staatsregierung auf, die Schulversuche „Schulen mit besonderem pädagogischen Profil – Gemeinschaftsschulen“ gemäß den bereits erlassenen Leitlinien und dem Rahmen für Gemeinschaftsschulen des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus vom 15. Juli 2005 ergebnisoffen weiterzuführen. Wir wollen Sachsen nicht völlig mit Gemeinschaftsschulen überziehen, sondern wir wollen den Status quo erhalten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Giegengack, ich hoffe, dass Sie sich jetzt nur auf Ihren Antrag bezogen haben und nicht grundsätzlich der Auffassung sind, dass Sie das längere gemeinsame Lernen nicht weiterführen wollen. Das möchte ich noch einmal klarstellen.
„Emotional“ ist das richtige Wort. Wenn ich aus dem Mund eines CDU-Abgeordneten bei Schule – Mittelschule oder Oberschule – Worte höre wie Fachkräftebedarfsdeckung oder Fachkräfteschmiede, dann frage ich mich zunehmend, was die CDU unter Schule eigentlich versteht.