Protokoll der Sitzung vom 18.10.2012

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 65. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages.

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Frau Klepsch, Frau Giegengack, Herr Prof. Gillo, Frau Klinger, Frau Kagelmann, Frau Bonk, Herr Nolle, Frau Kliese, Herr Dr. Pellmann, Frau Nicolaus, Herr Schowtka.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 3 bis 8 folgende Redezeiten festgelegt: CDU bis zu 100 Minuten, DIE LINKE bis zu 72 Minuten, SPD bis zu 44 Minuten, FDP bis zu 44 Minuten, GRÜNE bis zu 40 Minuten, NPD bis zu 40 Minuten, Staatsregierung 68 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf diese Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden.

Bevor ich zu den Änderungsanträgen zur Tagesordnung komme, möchte ich den Hinweis einschieben, dass der Tagesordnungspunkt 11, Kleine Anfragen, zu streichen ist; das ist ein gutes Zeichen.

Es liegt mir ein als dringlich bezeichneter Antrag der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion der SPD in der Drucksache 5/10375 vor: „Öffentliche Erklärung des Staatsministers des Innern zu den Umständen der bekannt gewordenen Abhörmaßnahmen im Jahre 2000 bis 2010 gegen Mitglieder der Terrorgruppierung ‚NSU‘ und die diesbezügliche Informationspolitik gegenüber dem

Landtag und seinen Gremien“.

Der Landtag hat die Möglichkeit, gemäß § 53 Abs. 3 der Geschäftsordnung die Dringlichkeit des vorliegenden Antrags festzustellen; dann müsste er noch in dieser Sitzung abschließend behandelt werden. Voraussetzung für die Dringlichkeitserklärung ist, dass im üblichen Verfahren eine rechtzeitige Entscheidung des Landtags über den Antrag nicht mehr erreichbar ist.

Ich bitte jetzt um die Begründung dieser Dringlichkeit. Wie gesagt, Herr Kollege: Es geht um die Begründung der Dringlichkeit des Antrags. Darauf will ich noch einmal ausdrücklich hinweisen. Ich erteile Ihnen das Wort. Bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident! Die Dringlichkeit ergibt sich – erstens – aus Anliegen und Zielrichtung dieses Antrags. Die Antragsteller wollen, dass die Öffentlichkeit und die Mitglieder des Landtages unverzüglich durch den Innenminister über die Umstände der in dem Beitrag der Tageszeitung „Die Welt“ vom 13. Oktober 2012 – „Die heikle Operation ‚Terzett‘“ – dargestellten Vorgänge und die diesbezügliche Informationspolitik gegenüber dem Landtag und seinen Gremien

im Kontext mit der Aufklärung der NSU-Straftatenserie – Morde und sonstige schwere Straftaten – unterrichtet werden.

Zweitens. Die Tatsachen und Fakten betreffs des Beobachtungskomplexes „Terzett“ und die Informationspolitik des SMI dazu wurden dem Landtag und der Öffentlichkeit erst nach dem 13.10.2012 und mithin nach der Präsidiumssitzung vom 10. Oktober 2012, in der die Tagesordnungen für die 64. und die 65. Plenarsitzung beschlossen wurden, bekannt.

Drittens. Die von den Vorsitzenden der drei demokratischen Oppositionsfraktionen mit deren Schreiben vom 15. Oktober 2012 erbetene Unterrichtung des Landtages durch den Innenminister aus eigener Veranlassung über diesen Komplex, dessen Aufklärung von evidentem bundesweitem Öffentlichkeitsinteresse ist, lehnte der Innenminister mit Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und DIE LINKE vom 16.10.2012 ab.

Viertens. Die Darstellung in diesem Ministerschreiben zu dem „Welt“-Beitrag vom 13.10.2012 „Die heikle Operation ‚Terzett‘“ und die Reaktion auf dessen Inhalt haben hinsichtlich der Sachverhaltsschilderung dazu geführt, dass der Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ und Mitverfasser des Beitrags in einem Schreiben an den Innenminister vom 17.10.2012, das auch den betreffenden Fraktionsvorsitzenden vorliegt, mitgeteilt hat, dass die Stellungnahme in erheblichen Teilen unzutreffend sei, bis hin zu dem Vorwurf, dass der Minister die Fraktionsvorsitzenden über Fakten des Ablaufs der Abhör- und Beschränkungsmaßnahmen nach dem G-10-Gesetz und der Entscheidung der G-10-Kommission des Landtages nicht korrekt informiert habe.

Fünftens. Hinzu kommt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen am 15.10.2012 über seinen Pressesprecher eine Presseinformation „Stellungnahme zur aktuellen Presseberichterstattung im Zusammenhang mit dem ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ (NSU) “,

betreffend die Berichterstattung der „Welt“ über den Beobachtungskomplex „Terzett“, herausgab, die nun im öffentlichen Raum steht und unbeantwortet ist.

Nach § 53 Abs. 3 Satz 3 unserer Geschäftsordnung – der Herr Präsident hat es festgestellt – sind Anträge dann als dringlich zu betrachten, wenn bis zur nächsten Sitzung tatsächlich keine Möglichkeit besteht, entsprechend der sonstigen Regelung, die sich aus § 52 ergibt, den Landtag zu unterrichten bzw. in Kenntnis zu setzen.

Ich darf darauf hinweisen, dass der Vorsitzende des Bundestagsuntersuchungsausschusses, Edathy, ebenfalls in einem von „Die Welt“ veröffentlichten Beitrag am 18.10.2012 darauf hinwies, dass die Aktenlage auch dem Bundestagsuntersuchungsausschuss jedenfalls keine

hinreichende Aufklärung über den Komplex „Terzett“

gebe und demzufolge auch beim Bundestagsuntersuchungsausschuss Aufklärungsbedarf bestehe.

Wir haben die nächste Sitzung des Landtages am 11. Dezember 2012; im November findet keine Plenarsitzung statt. In diesem Zeitraum, mithin nahezu zwei Monate, wären damit der Landtag und die Öffentlichkeit zu diesen wesentlichen, den Aufklärungskomplex „NSU“ betreffenden Fragen nicht durch die Staatsregierung informiert. Das ist nach unserer Auffassung nicht hinzunehmen. Der Anspruch des Landtages, hierüber unterrichtet zu werden, besteht.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD – Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Das war die Begründung der Dringlichkeit dieses Antrags. Für die einbringenden Fraktionen sprach Herr Kollege Bartl.

Dagegen spricht jetzt Herr Kollege Biesok.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Sicht der FDPFraktion ist dieser Antrag nicht dringlich. Es ist überhaupt fraglich, ob eine Berichtspflicht des Innenministers an das Plenum hier besteht. Es handelt sich um Maßnahmen, die nach den eigenen Darlegungen des Antragstellers in die Zuständigkeit der G-10-Kommission bzw. der Parlamentarischen Kontrollkommission fallen. Insofern könnte allenfalls eine Berichterstattung an diese beiden Gremien erfolgen, sodass allein aus dieser Tatsache heraus die Dringlichkeit eines Berichts gegenüber dem Plenum nicht gegeben ist.

Darüber hinaus rechtfertigt allein eine öffentliche Diskussion – in diesem Fall: eine Medienberichterstattung – noch nicht eine Befassung des Plenums. Vielmehr ist es erforderlich, dass bis zur nächsten Sitzung des Landtages auch entsprechende Maßnahmen oder Umsetzungsschritte zu vollziehen sind. Die geforderte Berichterstattung, sofern sie denn überhaupt an das Plenum erfolgen kann, ist auch in der nächsten Landtagssitzung oder in einer Ausschusssitzung – auch in einer Sitzung des Untersuchungsausschusses – möglich. Insofern ist keine Dringlichkeit für die heutige Plenarsitzung gegeben.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das war Kollege Biesok, der gegen die Dringlichkeit dieses Antrags plädierte.

Wir haben eine Rede dafür und eine dagegen gehört. Aber wir haben den schönen Brauch, dass wir auch noch andere zur Dringlichkeit zu Wort kommen lassen.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Genau! – Miro Jennerjahn, GRÜNE, und Arne Schimmer, NPD, stehen am Saalmikrofon.)

Jetzt weiß ich nicht, wer von Ihnen sich eher gemeldet hat.

(Arne Schimmer, NPD: Ich war eher!)

Bitte. Beginnen Sie, Herr Schimmer.

Besten Dank, Herr Präsident! Auch wir sind der Auffassung, dass es für den Innenminister eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nicht nur mit einer kurzen Pressemitteilung die Presse zu informieren, sondern auch den Landtag. Das ist gerade vor dem Hintergrund dessen notwendig, dass wir die nächste Plenarsitzung erst im Dezember haben und der Verdacht im Raum steht, dass das Umfeld des Terrortrios vom Verfassungsschutz weit länger abgehört worden sein soll als bisher bekannt.

Unserer Auffassung nach kann es nicht angehen, dass der Innenminister einzelne Fraktionsvorsitzende schriftlich informiert, andere aber nicht. Das spricht wieder einmal Bände über den Umgang der Staatsregierung mit dem Parlament. Das wundert mich bei Herrn Ulbig nicht wirklich, weil er Andersdenkende kaputt machen will, wie er in der letzten Plenarsitzung ausgeführt hat, aber damit muss man wohl vorerst leben.

Wir als NPD-Fraktion fragen uns auch, warum der Innenminister vor dem Landtag nicht Stellung beziehen will. Wenn er nichts zu verbergen hat, dann soll er das einfach tun. Aber gerade durch dieses Verhalten – –

Herr Schimmer, es geht um die Dringlichkeit.

Ich spreche noch zur Dringlichkeit. – Aber gerade durch dieses Verhalten erweckte er den Eindruck der Vertuschung, den er angeblich vermeiden will.

Weiter zur Dringlichkeit. Wir haben es bei diesem Vorgang eben nicht mit einer Bagatelle zu tun. Die G-10Kommission des Landtages entscheidet darüber, ob das im Artikel 10 des Grundgesetzes den Bürgern garantierte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis eingeschränkt werden darf oder nicht. Das passiert bundesweit äußerst selten und der Verdacht muss schon sehr schwer wiegen.

Dieser schwere Grundrechtseingriff, der sich gegen das Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sowie ihr engstes Umfeld richtete, wurde nach Angaben des Innenministers zwar bereits im Jahr 2000 beendet. Dies wurde den Betroffenen, soweit man sie ausfindig machen konnte, aber erst vor zwei Jahren mitgeteilt. Wieso das so geschehen ist, darüber besteht wirklich dringender Aufklärungsbedarf, denn wir haben es mit einer der schwersten Verbrechensserien der Nachkriegszeit zu tun. Bei der schleppenden Aufklärung dieser Verbrechen wollen die Merkwürdigkeiten und angeblichen Pannen kein Ende nehmen.

Herr Schimmer, noch einmal, es geht um die Dringlichkeit.

Das habe ich doch eben begründet, dass wir heute und nicht erst im Dezember darüber reden.

(Christian Piwarz, CDU: Keine Dringlichkeit!)

Deswegen wird die NPD-Fraktion der Dringlichkeit zustimmen. – Besten Dank.

(Beifall bei der NPD)

Gut. Als Nächster bitte Herr Jennerjahn für die GRÜNEN.

Herr Präsident! Aus Sicht meiner Fraktion ist die Dringlichkeit durch den Umstand gegeben, dass Tatsachen in die Öffentlichkeit gekommen sind, die sich nicht auf dem regulären Antragsweg noch im Plenum behandeln ließen. Die nächste Landtagssitzung ist erst im Dezember. Herr Kollege Biesok, ich fand Ihre Begründung zur Ablehnung einigermaßen fragwürdig. Ich möchte darauf verweisen, dass wir mit der Drucksache 5/7489 bereits im November 2011 einen Antrag in den Innenausschuss gegeben haben, der dort viermal beraten wurde, nämlich am 21.11.2011, am 08.12.2011, am 12.01.2012 und am 09.02.2012. In diesem Antrag haben wir auch nach dem Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel in der Aufklärung des NSU gefragt. Zu keinem Zeitpunkt ist uns in diesen Innenausschusssitzungen Kenntnis über die G-10-Maßnahme gegeben worden, die vom eigentlichen Sachverhalt her gar nicht so spannend wäre. Die Fakten dazu sind bekannt. Spannend und dringend aufklärungsbedürftig sind eher die Fragen, die sich ergeben, warum wir nicht informiert wurden, zum Beispiel auch nicht im Abschlussbericht des Innenministers.

Es stehen Fragen im Raum. Wenn ich mir die Pressemitteilung des LfV Sachsen zum Thema vom 15. Oktober 2012 anschaue, ist dort ganz klar genannt: „Das LfV Sachsen führte vom 5. Mai 2000 bis 5. August 2000 eine G-10-Maßnahme durch. Betroffen waren Personen, die als mutmaßliche Unterstützer der drei flüchtigen Bombenbastler Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt angesehen wurden.“ Da stellt sich ganz aktuell die Frage, ob der Verfassungsschutz zum damaligen Zeitpunkt die Regelungen des Verfassungsschutzgesetzes eingehalten hat, nämlich in § 12 Abs. 2, dass das LfV dazu verpflichtet, –

Herr Jennerjahn, Dringlichkeit!

– Staatsanwaltschaft und Polizeidienststellen zu unterrichten. Das sind die aktuellen Fragen, die nicht erst im Dezember beantwortet werden sollten. Deshalb wird meine Fraktion diesen Antrag unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Gut. – Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen für oder gegen die Dringlichkeit. Ich darf Sie um Abstimmung bitten, ob Sie die Dringlichkeit bejahen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Vielen