Die Einreicher haben einen Weg gewählt, indem sie im Artikel 1 zunächst einfach sagen, dass im Freistaat Sachsen das bisher als Bundesrecht geltende Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 bzw. der letzten Änderungsfassung vom 8. Dezember 2008 mit einer neuen Überschrift, nämlich „Sächsisches Versammlungsgesetz“, gelten soll. Wir haben letzten Endes nur einige wenige Paragrafen, die jetzt im Gesetzentwurf selbst stehen, vorhin erörtert, also die §§ 15, 20, 21, und ansonsten werden die gesamten Paragrafen, die das Sächsische Versammlungsgesetz ausmachen, in keiner Weise irgendwo den Abgeordneten zur Kenntnis gebracht.
Es gibt in der Beschlussempfehlung einen Artikel 4, der lautet: „Der Wortlaut des Sächsischen Versammlungsgesetzes wird nachstehend veröffentlicht.“ Und jetzt frage ich die Abgeordneten, die hier über den Wortlaut des künftigen Gesetzes abstimmen sollen: Wer kennt ihn denn? Wer von Ihnen kennt den Wortlaut des Gesetzes, der im Gesetz- und Verordnungsblatt stehen soll? Ein Gesetz, das dann nicht wie hier fünf Artikel beinhaltet,
sondern insgesamt 31 Paragrafen hat. Der originäre Gesetzgeber Sächsischer Landtag bringt ein Gesetz in die Welt, von dem nicht einmal die Abgeordneten, bevor sie abstimmen, wissen, was dann im Gesetzblatt stehen wird, das sie nicht einmal gesehen haben.
Das ist ein noch nie dagewesener Weg in diesem Landtag. Wir halten ihn auch unter dem Aspekt, dass die Gesetzgebung nachvollziehbar und gewissermaßen auch von der Art und Weise her, wie sie zustande gekommen ist, transparent sein muss, für nicht verfassungskonform. Es haben ebenfalls Sachverständige darauf aufmerksam gemacht. Herr Prof. Pestalozza zum Beispiel hat diese burschikose Machart angegriffen. Der Juristische Dienst hat darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Weg in formaler Hinsicht Bedenken begegnet. Der Parlamentsdienst hat in diesem „Meckerzettel“ davon gesprochen, dass der Grundsatz, dass Gesetzgebung transparent sein muss, verletzt sein könnte. Jetzt ist meine Frage: Was veröffentlicht der Herr Präsident, wenn wir heute über die fünf Artikel abgestimmt haben?
Wie passt er es an? Das Bundesrecht hat keine Überschriften, es hat eine ganz andere Aufmachung. Jetzt entscheidet letztendlich der Präsident, was aus dem Bundesrecht heraus – vereint mit dem, was wir heute an fünf Artikeln beschließen – künftig sächsisches Recht ist. Die Abgeordneten dieses Hohen Hauses haben es noch nie gesehen. Deshalb haben wir uns – obwohl wir nicht die großen Anhänger sind – den Grundsatz, dass man sich ohne Erlaubnis öffentlich versammeln kann, einzuschränken erlaubt und Ihnen den Text des Bundesversammlungsgesetzes, wie er dann gelten soll, hier vorgelegt. Allerdings haben wir die von uns als verfassungswidrig bedachten Änderungen aus dem § 15 weggelassen.
Vielen Dank, Herr Bartl. Ich wollte Sie gerade darauf hinweisen, dass die Redezeit vorbei ist. – Meine Damen und Herren! Der Antrag ist eingebracht. Gibt es dazu Äußerungen? – Herr Schiemann, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So großzügig, wie Herr Bartl jetzt den Vorschlag interpretiert hat, ist er nicht. Ich kann nur davon ausgehen, dass dieser Änderungsantrag von Ihnen bitte keine Mehrheit bekommt. Ich wäre dafür, dass der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, der hier beraten worden ist, dann auch die Mehrheit bekommt, und schlage schlichtweg vor: Lehnen Sie den Änderungsantrag von Herrn Bartl ab. Er macht die Sache nicht rechtssicher. Er hat Inhalte, die weit von dem entfernt sind, was die Koalitionsfraktionen hier vorgeschlagen haben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben natürlich Verständnis für das Anliegen der Linksfraktion bezüglich der Rechtsklarheit. Andererseits wird uns hier angesonnen, einem Gesetz zuzustimmen, an dem wir an dem einen oder anderen Punkt auch Kritik haben. Dazu sehen wir uns nicht in der Lage, und deswegen werden wir uns der Stimme enthalten.
Sehr geehrter Kollege Bartl! Ich finde die Argumentation etwas vorgeschoben. Es geht im Kern darum, dass Sie den § 15 heraushaben wollen, und Sie tun so, als ob wir nicht wüssten, worüber wir abstimmen können. Das Versammlungsgesetz ist in jeder Gesetzessammlung ersichtlich oder unter www.gesetze-iminternet.de abrufbar. Da weiß jeder, worüber er hier abstimmt, und deshalb brauchen wir diesen Änderungsantrag nicht.
Vielen Dank, Herr Biesok. – Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das kann ich nicht feststellen. Herr Bartl, bitte.
Herr Präsident, danke schön. Ich nehme jetzt zur Kenntnis, dass für die Zukunft als legitimer Weg der Gesetzgebung gelten soll, dass die Abgeordneten dieses Hohen Hauses einige wenige Paragrafen eines Gesetzes zur Kenntnis bekommen, und die Restparagrafen, die dann im Gesetzblatt stehen, dürfen wir im Internet nachlesen.
Das ist der Weg – – Das ist doch ein Präzedenzfall. So wollen Sie ran und so ist es von Herrn Biesok jetzt gerechtfertigt worden. Ich halte es für unvereinbar mit der Würde des Hauses, ich halte es für unannehmbar mit der Transparenz von Gesetzgebungen, ich halte es für überhaupt nicht machbar, dass dann der Herr Präsident entscheiden soll, in welchem Wortlaut er das Gesetz ausfertigt. Das kann einfach nicht sein. Sie müssen doch wenigstens im Minimum versuchen, auf das einzugehen, was Experten Ihnen sagen, was Ihnen der Juristische Dienst und der Plenardienst sagen und was letzten Endes auch andere, die ihren Kopf nicht nur für den Friseur haben, hier vortragen.
Vielen Dank, Herr Bartl. – Weitere Wortmeldungen kann ich nicht sehen. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/1107. Ich bitte um die Dafür-Stimmen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Vielen Dank. Die Stimmenthaltungen? – Danke sehr. Bei Stimmenthaltungen, sehr vielen Stimmen
Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zu den Änderungsanträgen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich frage, ob sie gleich alle drei in dieser Reihenfolge eingebracht werden?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Staatsminister ist in seiner ansonsten sehr bemerkenswerten Rede schon darauf eingegangen. Trotzdem stellen wir diesen Änderungsantrag bezüglich des § 15 Abs. 1 und 2, denn so eindeutig, wie er es hier darzustellen versucht hat, ist es leider nicht. Hierbei geht es darum, dass nach dem § 15 Abs. 1 und 2 eingefügt werden soll, dass eine Gefährdung insbesondere zu besorgen sei, wenn in der Vergangenheit vergleichbare Versammlungen zu einer solchen Störung oder Gefährdung geführt haben.
Jetzt lesen wir zwar sehr wohl, Herr Staatsminister, in der Begründung, dass damit die Prognoseentscheidung erleichtert werden soll. Sie gehen also weiterhin von einer Prognoseentscheidung aus. Aber dann lesen wir weiter: Wodurch soll denn diese Prognoseentscheidung geprägt werden? Diese Prognoseentscheidung kann im Grunde durch alles und jedes geprägt werden. Nämlich der erforderliche konkrete Bezug kann sich aus der Identität der für die Durchführung der Versammlung verantwortlichen Personen oder des Versammlungsortes einer weitgehenden Übereinstimmung der Teilnehmerkreise oder derselben Meinungsäußerung sowie aus Versammlungsort und Versammlungszeitpunkt ergeben, also de facto aus allem. Jetzt frage ich mich: Welche Prognoseentscheidung soll denn eigentlich eine Versammlungsbehörde tatsächlich mit diesem gesetzgeberischen Programm treffen? Genau das ist der Punkt, den ich vorhin in meiner Rede angesprochen hatte.
Sie sagen den Versammlungsbehörden: Bitte verbietet, so viel ihr könnt. Wir geben euch Rückendeckung. Sie sind natürlich trotz Ihrer Rede – da konnte man das nicht vermuten – ein Jurist und wissen, dass Sie damit massiv gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes verstoßen, wenn Sie die Prognoseentscheidung völlig liquidieren. Das Problem ist nur: Sie erhalten diese Prognoseentscheidung formal aufrecht. De facto umstellen Sie diese Prognoseentscheidung so, dass die arme Versammlungsbehörde eigentlich gar nichts anderes tun kann als zu verbieten, und genau das ist die Verfassungswidrigkeit.
Herr Kollege Martens, Sie wissen das ganz genau. Ich bedaure es sehr, dass Sie das hier nicht auch so klar angesprochen haben.
Herr Präsident, auch wenn jetzt erst einmal nur zu dem einen Änderungsantrag Stellung genommen wurde, möchte ich unseren Redebeitrag gern auf alle drei beziehen. Selbst diese Reparaturen ändern nichts daran, dass wir im Grunde das vorgelegte Gesetz für verfassungswidrig halten. Insofern glauben wir, dass es von wenig Nutzen ist, hier nur daran herumzudoktern. Das macht im Grundsatz nichts. Im Gegensatz zum Justizminister sind wir auch der Meinung, dass das Scheitern des Gesetzes vor dem Verfassungsgerichtshof ein Makel des Gesetzes ist. Deshalb werden wir die Änderungsanträge ablehnen.
Vielen Dank. – Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 5/1086, zur Abstimmung. Ich bitte um die Dafür-Stimmen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Die Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür ist der Antrag dennoch mit großer Mehrheit abgelehnt worden.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 5/1087. Ich bitte um Einbringung. Herr Lichdi, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister, Sie haben vorhin den Falschen angegriffen. Mit dem üblichen Beißreflex, den Sie von Ihrem Koalitionspartner beizeiten übernommen haben, hauen Sie jetzt immer auf DIE LINKE ein, selbst wenn diese ausnahmsweise mal nicht schuld ist.
Diesen Antrag – Streichung der kommunistischen Gewaltherrschaft – hat meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebracht, und nicht die Linksfraktion. Ich möchte Ihnen gern erklären, weshalb wir das getan haben.
Zunächst möchte ich Herrn Kollegen Schiemann ausdrücklich danken, dass er in seinem Redebeitrag betont hat, dass es keine Gleichsetzung von nationalsozialistischem und kommunistischem Unrecht gibt. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich. Aus dem Gesetzestext und der Begründung ist diese Differenzierung jedenfalls nicht nachvollziehbar.
Wir kennen ja Ihre Politik. Ich nenne nur das Stichwort Gedenkstättengesetz, wobei es Anliegen gerade Ihrer Fraktion, Herr Schiemann, war, hier immer eine Gleichsetzung herbeizuführen.
Aber, meine Damen und Herren, Herr Staatsminister, ich glaube schon, dass Sie es sich mit der WunsiedelEntscheidung des Bundesverfassungsgerichtes etwas zu leicht gemacht haben. Der Ansatz war doch: Eigentlich ist der § 130 Abs. 4 Strafgesetzbuch als Sonderrecht verfassungswidrig – so hat es Karlsruhe gesagt. Dann haben Sie
gesagt: Da das Grundgesetz ein Gegenentwurf ist und wenn es um eine konkrete Affirmation nationalsozialistischen Unrechts in einer bestimmten Situation geht, dann ist § 130 gerade noch haltbar. Wir hören das Knirschen im Gebälk, wie sich das Bundesverfassungsgericht dabei Mühe gibt. Ich sage, ich halte diesen Punkt für nicht ganz überzeugend.
Was heißt das für die kommunistische Gewaltherrschaft? Das heißt, allein die pauschale Geschichte kommunistische Gewaltherrschaft geht nicht, weil eben auch die pauschalen Verbote nationalsozialistischen Gedankengutes nicht gehen. Das hat Karlsruhe ebenfalls sehr klar gesagt.
Beantworten Sie mir doch bitte die Frage, die Sie im Ausschuss nicht beantworten wollten, ebenso wie Sie eine Kleine Anfrage nicht beantworten wollten: Wo haben wir im Freistaat Sachsen die sachliche Notwendigkeit, hier tatsächlich mit gesetzgeberischen Mitteln einzuschreiten? Wo gibt es denn die Demonstrationen der Alt-Stasisten vor dem Stasi-Knast in Bautzen oder am Münchner Platz? Wo ist das denn? Haben wir hier tatsächlich eine Notwendigkeit? Gibt es diese? Also, ich kann sie nicht erkennen.
Von daher sollten wir verfassungsrechtlich auf der sicheren Seite sein, jedenfalls, wenn man eine seriöse verfassungspolitische Position einnehmen will. Dieses Spiel mit dem Verfassungsgerichtshof – wir gehen mal da hin, die werden uns das schon irgendwie zurechtschneiden, dass es passt – ist keine kluge Politik.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe jetzt bei der Begründung des Änderungsantrages von Kollegen Lichdi nicht erfahren können, worin die Verfassungswidrigkeit der von uns vorgeschlagenen Norm liegt.
Wir als Koalition haben deutlich gemacht, dass der Würdeschutz für uns an erster Stelle steht, wie es das Bundesverfassungsgericht ausgeführt und entschieden hat. Der Würdeschutz, hergeleitet vom Grundgesetz, wird wohl kaum die kommunistische Gewaltherrschaft verherrlichen können. Das heißt, wir halten den von uns vorgelegten Gesetzentwurf für verfassungskonform. Deshalb bedarf es dieser Änderung nicht.
Lassen Sie mich nochmals politisch darauf hinweisen: Der Artikel 116 der Sächsischen Verfassung, die Präambel, gibt uns mit auf, dass wir uns auch für die Opfergruppe einzusetzen und die Persönlichkeitsrechte entsprechend der Würde im Gesetzentwurf zu regeln haben.