Protokoll der Sitzung vom 31.01.2013

Sachsen versucht – jetzt ist der Minister ja da, wunderbar, ich begrüße Sie – mit den „Joblingen“ kleine Baustein

chen zu setzen, um Benachteiligten in kleinen Punkten eine Chance zu geben, wie bei BMW in Leipzig. Dort funktioniert das ganz gut. Aber das sind alles wieder neue Elemente im Flickenteppich eines unstrukturierten Vorgehens im Abarbeiten von Benachteiligungen für Jugendliche, die durch ihre sozialen Bedingungen oder eben schulischen Defizite einen schlechten Start hatten.

Viele dieser Projekte wurden auch über lange Jahre über den ESF gefördert, wo sich die Landesregierung aus der eigenen Verantwortung, mit eigenen Mitteln und einer Regelfinanzierung etwas zu entwickeln, schwergetan hat oder es gar nicht tut.

Ein exemplarisches Beispiel. Die Berufsausbildung in den JVA dieses Landes wird seit Jahren über ESF-Projekte finanziert. Es ist nach wie vor nicht abzusehen, dass diese Finanzierung in eine Regelfinanzierung überführt wird. Das wäre dringend nötig. Wir wissen – so schade, wie es ist: Viele Jugendliche sind in JVA gelandet, sind straffällig geworden, werden dort bei freien Trägern auf einem hohen Niveau auf eine berufliche Ausbildung vorbereitet, aber nach wie vor ist das seit Mitte der Neunzigerjahre ESF-finanziert und keine Regelfinanzierung.

Ein letzter Punkt, auf den ich an dieser Stelle eingehen möchte, ist die Struktur unserer Berufsschulzentren. Da warten wir nun schon seit 2009 auf das angekündigte Konzept zur Entwicklung der Berufsschulzentren zu Kompetenzzentren der Weiterbildung. Hier gibt es Nachholbedarf. Da können wir auch die Schulträger nicht allein lassen. Kollege Seidel hat recht, dass das nicht nur eine Frage der Schulträger ist, sondern das muss in Zusammenarbeit mit den Schulträgern, die inhaltliche Seite in Zusammenarbeit mit der Landesregierung, geschehen. Hier fehlt ein geschlossenes Konzept, wie die Berufsschulzentren mit einem hohen materiell

technischen Ausstattungsgrad, den sie in aller Regel haben, entsprechend genutzt werden können.

Hier ist die Frage zu klären: Wie können die Volkshochschulen in die Diskussion um ein solches Konzept in der beruflichen Bildung und Weiterbildung eingebunden werden? Sind hier Synergien möglich, dass man wirklich in der Fläche Weiterbildungszentren schafft?

Abschließend möchte ich an dieser Stelle erwähnen: Es war wahrscheinlich auch kein Zufall, dass das fast nur eine sächsische Debatte war. Wir müssen unsere Jugendlichen langsam suchen. Wir haben viele überdimensionierte Berufsschulzentren in der Landschaft stehen. Eine Aufgabe steht vor uns.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Abg. Bläsner. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Stand und

Perspektiven der Berufsausbildung“ ist die Überschrift der Großen Anfrage. Es ist eine Frage des Standpunktes, wie unsere Einschätzung dazu ausfällt.

Ich glaube, das Erste und Wichtigste ist der Standpunkt der Jugendlichen und Auszubildenden. Der demografische Wandel und die gute wirtschaftliche Entwicklung haben dazu geführt, dass keine Generation vorher in Sachsen so gute Ausbildungsmöglichkeiten hatte, dass es in fast allen Landesteilen und Berufsfeldern freie Stellen gibt. Ich glaube, das ist das wichtigste und das erste Fazit dieses Themas: Die Berufsausbildung ist aus Sicht der Jugendlichen derzeit in einer hervorragenden Verfassung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese sehr positiven Seiten haben aber auch ihre Folgen, beispielsweise im Bereich der Schulträger, ob nun privat oder bei den staatlichen. Das Thema vollzeitschulische Ausbildungsgänge wurde bereits angesprochen. Viele in den Neunzigerjahren erdachten vollzeitschulischen Ausbildungsgänge haben vielen Jugendlichen in diesen Jahren eine Berufsausbildung gebracht. Ich glaube, dafür gebührt auch unser Dank.

Wir haben jetzt aber eine völlig andere Situation. Statt zu vielen Schulabgängern und zu wenig Ausbildungsplätzen haben wir derzeit weniger Schulabgänger, als wir Ausbildungsplätze im dualen System zur Verfügung stellen können. Viele Ausbildungsbetriebe finden nicht genügend Bewerber. Deshalb ist es durchaus wichtig, jetzt die Sinnhaftigkeit einiger damals kreierter vollzeitschulischer Ausbildungsgänge zu hinterfragen.

Aus diesem Grund war es auch sinnvoll, vollzeitschulische Ausbildungsgänge kritisch zu überprüfen, auch wenn man über Einzelfälle, Frau Dr. Stange, durchaus trefflich streiten kann. Aber im Endergebnis – und das ist das Wichtigste – hat dieser Prozess zu einer Stärkung der dualen Berufsausbildung in Sachsen geführt. Das ist ein wichtiges Signal für die Berufsausbildung hier im Freistaat Sachsen.

(Beifall der Abg. Anja Jonas, FDP)

Die Entwicklung der vergangenen Monate hat darüber hinaus gezeigt, dass das System der beruflichen Ausbildung anpassungsfähig ist. Ein Beispiel sind die Verbundausbildungen, die insbesondere durch das SMWA unterstützt werden. Sie sind vor allem dort sinnvoll, wo zahlreiche kleine Betriebe nicht alle Stationen der Ausbildung anbieten können. Ich möchte hier exemplarisch die Holzspielzeugmacher im Erzgebirge nennen. Hier hat das SMWA gezeigt, dass in Zusammenarbeit mit der regionalen Wirtschaft schnell auf entsprechende Probleme und Anforderungen reagiert werden kann.

Die berufliche Ausbildung ist aber noch aus einem anderen Grund sehr anpassungsfähig. Hier kommen wir zu einer sehr entscheidenden Frage in der Berufsausbildung. Wie speziell soll sie eigentlich sein?

Wir haben derzeit im Freistaat Sachsen und darüber hinaus etwa 350 Ausbildungsberufe und unzählige weitere Studiengänge. Ich glaube, wir haben oftmals nicht zu

wenig, sondern zu viel Spezialisierung in der beruflichen Erstausbildung. Deshalb müssen wir schauen, welche weiteren Komponenten es in diesem Bereich gibt. Wir in Sachsen haben diese Maßnahmen.

Ich möchte exemplarisch auf den Weiterbildungsscheck des SMWA verweisen, der es ermöglicht, im Sinne des lebenslangen Lernens flexibel auf sich ändernde Bedürfnisse zu reagieren und die persönlichen Weiterbildungsziele zu verwirklichen. Dazu gehören auch die Fachschulen, die jetzt in einer Überprüfung bewiesen haben, dass sie gute Arbeit leisten, dass sie gebraucht werden. Dazu gehören auch die Zusatzqualifikationen, die schon während der beruflichen Erstausbildung erworben werden können, beispielsweise der Weinberater.

Es gibt die Möglichkeit, sich zu spezialisieren. Es gibt viele Möglichkeiten. Wir müssen es vielleicht noch ein Stück weit bekannter machen. Auch die Mittel dafür sind vorhanden. Das ist die Aufgabe. Aber entscheidend ist: Schauen wir nicht immer nur auf die berufliche Erstausbildung, sondern schauen wir auch, welche Möglichkeiten es danach noch gibt. Sie sind sehr vielfältig und sie gilt es zu nutzen.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalition verschließt aber auch nicht die Augen vor den Problemen, die wir trotz der grundsätzlich positiven Entwicklung beachten müssen. An dieser Stelle möchte ich auch der Staatsregierung für die ehrliche und ausführliche Beantwortung der Großen Anfrage danken, in der wir aber auch Missstände erkennen.

Ein Beispiel ist in der Tat die Schulnetzplanung. Herr Seidel hat es schon gesagt. Das, was derzeit zwischen Dresden und den Umlandkreisen geschieht, ist meiner Meinung nach nicht hinnehmbar. Das muss ich deutlich sagen. Ich sage es als Abgeordneter des Landkreises SOE. Es gibt dazu sicherlich andere Positionen, auch in der Koalition oder zwischen den Städten und Landkreisen. Entscheidend ist aber, dass man endlich zu einer anständigen Abstimmung zwischen den Landkreisen, zwischen den Trägern der Schulnetzplanung kommt. Hier muss im Interesse der Berufsausbildung in allen Gebieten Sachsens gedacht und gehandelt werden. Hier ist auf jeden Fall noch Verbesserungsbedarf vorhanden. Hier müssen sich Wirtschaft, Schulträger und auch die Politik zusammensetzen.

Ein wichtiger Baustein in der Bildungspolitik von CDU und FDP ist auch das Projekt der regionalen Kompetenzzentren. Sie sorgen für eine Bündelung vorhandener Ressourcen und sollen den beruflichen Schulen mehr Freiheiten geben, um im Bereich Weiterbildung tätig werden zu können. Die Stärkung der Eigenständigkeit ist dabei durchaus ein Kernstück.

Die Rückmeldung, die ich bisher von den Schulen bekommen habe, ist eine sehr positive. Hier hat sich viel entwickelt. Aber – Frau Stange, Sie haben es angesprochen –, wir müssen weitere Schritte in Richtung Eigen

ständigkeit gehen. Beispielsweise ist ein freistaatliches Schulkonto dringend erforderlich, um hier Handlungsspielräume zu erschließen und den Schulen mehr Handlungsfreiheit zu geben.

Das sollte der nächste Schritt in der Entwicklung der regionalen Kompetenzzentren sein.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was die Azubis freut, nämlich viele freie Stellen, ist ein echtes Problem für die Wirtschaft. Hinzu kommen noch die hohen Abbrecherzahlen. Knapp jeder vierte Jugendliche bricht seine Ausbildung ab. Das hat völlig unterschiedliche Gründe. Aber ein wichtiger Grund ist, dass viele noch nicht wissen, was sie in ihrem Beruf erwartet. Gerade im Restaurantfachbereich und im Bereich der Köche werden vorzeitig Lehren abgebrochen.

Wir müssen sicherlich bei der Berufsorientierung noch mehr tun. Wir müssen die bereits bestehenden Elemente, wie den Berufswahlpass, weiter nutzen. Wir müssen aber auch mehr Verbindlichkeit und Koordinierung hineinbringen.

Das Thema Berufsorientierung ist es sicherlich wert, noch einmal gesondert behandelt zu werden. Meine Redezeit ist etwas begrenzt. Das Thema erfordert aber eigentlich eine viel breitere und längere Debatte.

Zum Abschluss möchte ich sagen: Die berufliche Ausbildung in Sachsen ist auf einem guten Weg. Wir haben durchaus Hausaufgaben, die wir erfüllen müssen. Es ist sehr vielfältig. Beschränken wir uns nicht einfach nur auf das Thema landesrechtliche Berufe oder auf die Schulnetzplanung, sondern schauen wir, was es noch gibt. Dazu gehören Weiterbildung, Fortbildung, aber auch die Berufsorientierung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde mich freuen, wenn die Debatte an weiterer Stelle fortgeführt und in Einzelpunkten noch einmal konkret diskutiert werden könnte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Frau Abg. Giegengack spricht jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN. Bitte, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD-Fraktion bietet einen guten Überblick über den Stand der beruflichen Bildung in Sachsen. Je nach Lesart kann man sich – wie bereits gehört – mit den ausgewählten Daten schmücken. Herr Bläsner hat das gerade getan. Oder man kann sie einer kritischen Betrachtung unterziehen.

Viele Dinge wurden schon gesagt. Ich möchte deshalb zwei Themen besonders herausgreifen. Der umfangreiche Datenfundus in den Anlagen zur Anfrage dokumentiert

ein auffälliges Gefälle zwischen den Geschlechtern. Es sind vor allem die männlichen Schüler, die im sogenannten Übergangssystem, auch besser bekannt als die „Warteschleife“, anzutreffen sind.

Betrachtet man das Schuljahr 2010/2011, so beträgt der Anteil an jungen Männern in allen berufsbildenden Schularten bzw. Maßnahmen klassisch noch 50 %. Aber in den berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen sind es bereits 60 % und im Berufsgrundbildungsjahr 61,2 %. Auch im Berufsvorbereitungsjahr ist der Anteil der jungen Männer mit 58,7 % hoch.

Schaut man sich dagegen an, wie sich die Schülerschaft in Berufsfachschulen und Fachschulen zusammensetzt, so beträgt der Anteil der Männer hier nur 23 bzw. 39 %. Zugegeben: Die Schwerpunkte in der vollzeitschulischen Ausbildung sind – wie auch die Staatsregierung in der Antwort auf die Frage 13 bestätigt – Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen, also durchaus von Frauen dominierte Berufe. Doch bei den Angeboten der Fachschulen hingegen, die anders als die Berufsfachschulen von der jüngsten Streichorgie verschont geblieben sind, stellt sich schon die Frage, welche Ursachen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern haben, vor allem, wie man dann auch gegensteuern kann und sollte.

Diese Fragen stellen sich im Übrigen auch im Förderschulbereich. Bei den berufsbildenden Förderschulen liegt der Anteil der jungen Männer bei 62,4 %, im Berufsvorbereitungsjahr immerhin noch bei 58,8 %.

Leider hat die SPD-Anfrage einen Bereich ausgespart: die Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den berufsbildenden Schulen. Aber wahrscheinlich hätte das die Anfrage gesprengt; wir sind ja jetzt schon bei 1 200 Seiten. Hier setzt sich die Problematik nämlich fort. Ich möchte aber trotzdem noch gern darauf eingehen, weil es doch ein schwieriges Thema ist.

Hier beziehe ich mich vor allen Dingen auf Ergebnisse aus unserer Anfrage dazu. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund schwankt in den Schularten erheblich. An den berufsbildenden Schulen in Sachsen liegt er im Schnitt bei 2,4 %, mit 2,5 % Jungen- und 2,3 % Mädchenanteil. Wenn man jedoch die berufsvorbereitenden Maßnahmen extra betrachtet, ergeben sich andere Zahlen. Da wird es dann doch etwas schwieriger. Dort haben 7,5 % der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund. Bei den männlichen Teilnehmern sind es sogar 8,8 %. Jeder fünfte Jugendliche im BVJ hat einen Migrationshintergrund, bei den männlichen Schülern sogar jeder vierte.

Zwar verweist die Staatsregierung auf ihr besonderes Angebot im BVJ mit dem zusätzlichen Unterricht im Fach Deutsch als Zweitsprache. Bei dem zugrunde liegenden Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund im gesamten System kann eine solche Maßnahme allein so hohe Anteile in der Warteschleife insgesamt nicht erklären.

Fakt ist: Jugendliche mit Migrationshintergrund gehören auch im berufsbildenden Bereich oder vor allen Dingen dort zu den Bildungsverlierern. Ihre Chance, bei gleicher Qualifikation einen Ausbildungsplatz zu erhalten, ist mehr als 20 % niedriger als für Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Das bestätigt meiner Meinung nach auch eine sehr interessante Studie von Kaas und Manger.