Protokoll der Sitzung vom 14.03.2013

Ich komme gleich zu Ihnen, Herr Breitenbuch.

Das hat nichts mehr mit Vielfalt zu tun. Diese sehe ich zwar sehr wohl noch, aber die Tendenz der Orientierung der Agrarwirtschaft auf den globalen Markt und damit auf den Export können Sie nicht abstreiten. Diese Tendenz ist die Ursache dafür, dass wir uns auch in Zukunft mit Lebensmittelskandalen werden befassen müssen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kagelmann?

Ja, gern.

Bitte, Herr

von Breitenbuch.

Stimmen Sie mir zu, dass trotz längerer Lieferketten durch fortwährend eingebaute Standardsetzungen und Qualitätsprüfungen – von einem Großhändler zum nächsten Großhändler, zum Endbetrieb usw. – sowie durch Haftungsregelungen letztlich erhöhte Sicherheit in dem gesamten Prozess gegeben ist?

Ob erhöhte Sicherheit gegeben ist, wage ich sehr zu bezweifeln. Es ist einfach so, dass das System der Eigenkontrolle, auf das vielfach gesetzt wird, schon vom Ansatz her bezweifelt werden kann, was seine Wirksamkeit betrifft. Auf der

anderen Seite muss staatliche Kontrolle dem Problem immer hinterherrennen.

Der Staat ist gar nicht in der Lage – weder finanziell noch materiell, noch personell –, in dem langgestreckten System vom Urproduzenten bis zum Konsumenten den Kontrollaufwand zu betreiben. Das ist das Problem.

(Beifall der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE)

Wir waren bei der Orientierung auf einen freien, globalen Markt. Daraus erwächst ein weiteres Problem: Die Erzeuger im Inland und in den Exportländern werden ruiniert. Es entsteht der Zwang zu fortgesetzter Intensivierung und Konzentration – mit den bekannten sozialen und ökologischen Folgen.

Wir haben vor Kurzem mit dem BDM gesprochen. Das ist der Bund Deutscher Milchviehhalter – damit hier keine Verwechslungen aufkommen.

(Heiterkeit bei der NPD)

Sie wissen, dass die Milchviehhalter eine große Sorge umtreibt: das Auslaufen der Milchquotenregelung 2015. Wir haben in Deutschland und in ganz Europa bereits heute einen enormen Überschuss an Milch. Dieser erzeugt einen enormen Druck auf die Erzeuger. Wir stellen seit Jahrzehnten den Prozess des Wachsens und Weichens fest.

(Thomas Schmidt, CDU, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Sofort, Herr Schmidt. – Es findet eine Konzentration hin zu immer größeren Höfen statt. Kleinere Milchvieherzeuger müssen diesem Druck weichen.

Bitte schön.

Frau Kagelmann, die Zwischenfrage würde ich gern zulassen.

Oh! Entschuldigung!

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, gern.

Bitte, Herr Kollege Schmidt.

Frau Kagelmann, vielen Dank. – Sie haben von der „Exportorientierung“ der Landwirtschaft gesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass in Sachsen – außer bei Milch; dort liegt die Bedarfsdeckungsquote bei 106 % – in keinem anderen Bereich der tierischen Produktion eine Eigenbedarfsdeckung erreicht wird – diese liegt zum Teil unter 50 % –, wir also in keinem Fall von „Exportorientierung“ sprechen können?

Herr Schmidt, das ist mir sehr wohl bekannt. Diese Erkenntnis beruht nämlich auf einer Antwort der Staatsregierung auf eine Große Anfrage von uns; damit haben wir genaue Angaben

erhalten. Aber es ist nun einmal so, dass Sachsen nicht im luftleeren Raum lebt und auch die Fleischproduktion in anderen Bundesländern einkalkulieren muss. Entsprechend erfolgt ja auch die Preisbildung. Haben Sie sich einmal die Zahlen zum Fleischimport und -export in Deutschland angesehen? Unabhängig vom Selbstversorgungsgrad werden enorme Mengen an Fleisch exportiert und importiert. Das hat natürlich auch etwas mit Verbraucherschutz zu tun; denn in diesen langen Ketten liegen Potenziale für Verunreinigung und Manipulation. Import und Export sind mengenmäßig relativ ausgeglichen. Aber wir haben das Problem mit der Kontrolle.

Beim Thema Milch ist die Überversorgung signifikant; deswegen habe ich es mir herausgesucht. Bei den Erzeugungskosten liegen wir zwischen 40 und 45 Cent je Kilogramm Milch. Im Moment liegen die Auszahlungspreise der Molkereien bei 32 Cent. Diese Differenz besteht seit Jahren. Welcher Milchviehhalter soll auf Dauer einem solchen Druck fortgesetzter Unterfinanzierung standhalten können?

Herr Schmidt, Sie wissen, was in der Schweiz nach der freiwilligen Aufgabe der Milchquote passiert ist: Es kam zu einem dramatischen Zusammenbruch am Milchmarkt. Noch heute haben die Schweizer damit zu kämpfen. Ich habe gestern mit Freude gelesen, dass man in der Schweiz im Moment einen Volksentscheid zur Einführung einer flexiblen Mengenregulierung vorbereitet.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich will damit sagen: Freier Markt hat nicht nur in der Wirtschaft allgemein seine Probleme. In der Agrarwirtschaft wird es richtig kriminell. Es ist vor allen Dingen agrarethisch richtig bedenklich. Deshalb lautet mein Plädoyer: Wir brauchen nicht nur eine umweltgerechte, tiergerechte, ökologische und soziale Agrarwirtschaft. Wir brauchen vor allen Dingen eine kohärente Agrarpolitik, also eine Agrarpolitik, die die Auswirkungen auf die Entwicklungspolitik berücksichtigt und die auf Ernährungssouveränität setzt. Das gilt für Milch wie für alle anderen Grundnahrungsmittel.

(Beifall bei der NPD)

Wir brauchen regionale Wirtschaftskreisläufe. Dafür kann man auch von Sachsen aus mehr tun, etwa indem man die regionale Nachfrage bewusst stärkt.

(Sebastian Fischer, CDU: Das muss doch der Verbraucher selbst entscheiden!)

Ich denke zum Beispiel an Schulküchen. Ich denke an das vielgeschmähte Schulobstprogramm. Wir brauchen eine Stärkung der Erzeuger und der Erzeugergemeinschaften. Und wir brauchen eine Stärkung von regionalen Verarbeitungs- und Vertriebsstrukturen, um der Marktmacht der Handelsketten und Molkereien auf Erzeugerseite etwas entgegenzusetzen.

Ihre Redezeit!

Last but not least: Wir müssen die Kette vom Urproduzenten bis zum Konsumenten kurz gestalten, damit es wenig Raum für Manipulation, Betrug und Verunreinigung gibt.

Danke schön.

(Beifall bei den LINKEN, vereinzelt bei der SPD und Beifall der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Das war Frau Kagelmann für die Fraktion DIE LINKE. – Für die SPDFraktion spricht nun Herr Jurk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In regelmäßigen Abständen beglückt ein großer deutscher Privatfernsehsender das geneigte Fernsehpublikum mit dem „Dschungelcamp“. Man muss so etwas nicht sehen, aber es wird gesehen, sonst hätte man die Sendung schon längst abgesetzt. Worum geht es? Vermeintliche Stars müssen sich bestimmten Prüfungen unterziehen, unter anderem müssen sie kleine Tiere oder Teile von Tieren zu sich nehmen. Ich will das nicht weiter ausführen. Da läuft einem schon der Schauer über den Rücken, wenn man das verfolgt. Welches Bild wird dabei von menschlicher Ernährung über das Fernsehen kommuniziert? Ein Ding, über das man nachdenken sollte, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Nun könnte man angesichts der jüngsten Debatten darüber sprechen, warum in die Ferne nach Australien schauen, denn der Ekel liegt so nah. Aber so einfach ist das nicht. Ich will sehr deutlich sagen, dass ich auch etwas irritiert über den Debattentitel der GRÜNEN war. Ich darf einmal nachfragen: Wenn man die Agrarindustrie benennt, wen meint man damit eigentlich? Wer ist das?

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Eben!)

Deshalb muss man ganz genau darauf achten, niemanden, der in den letzten Jahren gute Arbeit geleistet und die Verbraucherinnen und Verbraucher mit gesunden Nahrungsmitteln beliefert hat, ins Unrecht zu setzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und der FDP)

Worüber wir sprechen müssen, ist kriminelle Energie. Kriminelle Energie kann ich nicht an Betriebsgrößen festmachen.

Zu den aktuellen Themen. Pferdefleisch wird zu Rindfleisch. Bio-Eier sind nicht Bio. Zu guter Letzt die Frage Schimmel an Futtermais? Ich sage auch klar, in der öffentlichen Wahrnehmung sind vielleicht das Fleisch und die Eier viel interessanter, aber gefährlicher ist das verunreinigte Futtermittel, weil das Leberkrebs durch Aflatoxine erregen kann.

Jetzt kommt der für mich entscheidende Punkt: Jawohl, es sind Fälle festgestellt worden. Wir hören davon. Wir sind sensibilisiert, die Behörden sind sensibilisiert. Aber was erfahren wir wirklich? Erfahren wir tatsächlich alles? Wir

müssen nachfragen, ob unser Kontrollsystem tatsächlich funktioniert, eingedenk der Tatsache, dass die Kriminellen immer einen Schritt voraus sind.

Ich will jetzt nicht die Strukturdebatte führen und nachfragen, ob es richtig ist, die Kontrollen auf kommunaler Ebene zu belassen. Die Frage darf man durchaus stellen, weil die Verbandelung von kommunalen Interessen nicht unterschätzt werden sollte. Für mich ist der ganz spannende Punkt – und das ist der eigentliche Skandal –, auf dem Höhepunkt der Diskussion über Pferdefleisch statt Rindfleisch passiert etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte. Der Vollzug des § 40 Abs. 1a des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches wird ausgesetzt. Ich höre aus Chemnitz und Leipzig, sehr geehrte Frau Staatsministerin, dass die entsprechenden Daten der Lebensmittelkontrolleure nicht mehr veröffentlicht

werden dürfen. Ich weiß auch, dass es beispielsweise in Baden-Württemberg dazu einschlägige Gerichtsurteile gibt. Da hat ein Gastronom geklagt. Aber was heißt das eigentlich?

Ich will Ihnen einmal zu Gehör bringen, was der § 40 Abs. 1a des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sagt: „Die zuständige Behörde informiert die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen im Falle von … zwei Untersuchungen der hinreichend begründete Verdacht besteht, dass erstens die in den Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes festgelegten zulässigen Grenzwerte, Höchstgehalte und Höchstmengen überschritten wurden oder zweitens gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht unerheblichem Maße oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro zu erwarten ist.“