Meine sehr verehrten Damen und Herren! Barrierefreiheit ist, wenn man sie ernst meint, immer durch drei Merkmale gekennzeichnet – manche von Ihnen wissen das –: Barrierefreie Einrichtungen müssen immer auffindbar, zugänglich und nutzbar sein. Gleiches gilt meines Erachtens für das persönliche Budget. Lassen Sie uns also gemeinsam dafür sorgen, dass in Sachsen nicht nur Schulen, Turnhallen, Theater und Verwaltungsgebäude barrierefrei werden, sondern endlich auch das persönliche Budget.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon gesagt worden: Seit dem Jahr 2008 gibt es in der Bundesrepublik einen Rechtsanspruch auf das persönliche Budget, seit März 2009 auch in Sachsen. Auf dessen tatsächliche Umsetzung bezieht sich die Große Anfrage der Linksfraktion am heutigen Tag.
Durch das persönliche Budget haben die Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, sich ihre Dienst- und Sachleistungen auszahlen zu lassen. In einem Beratungsgespräch mit dem jeweiligen Leistungsträger wird der individuelle Bedarf ermittelt. Bedarf ist beispielsweise Unterstützung bei der Arbeit, in der Freizeit oder im Haushalt, sind Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt oder Hilfen zur Kommunikation und Information.
Im Gegensatz zur bisherigen Situation können Menschen mit Behinderung selbst bestimmen, welche Hilfen sie wann und von wem erhalten möchten. Menschen mit Behinderung sind damit Experten in eigener Sache. Dieses Angebot, das persönliche Budget in Anspruch zu nehmen, ist wichtig, weil es wichtig ist, eine Wahl zwischen den einzelnen Leistungen zu haben.
Unbestreitbar ist, dass dies natürlich auch Eigenständigkeit und Unabhängigkeit für die Betroffenen bedeutet. Das ist auch das Anliegen der UN-Konvention, die genau darauf abzielt. Daher kommt es darauf an, dass die Betroffenen aktiv mitwirken, wenn es um die Beantragung und die Inanspruchnahme ihrer Leistungen geht. Zur Selbstbestimmung gehören Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein. Mit einem persönlichen Budget wird viel Verantwortung übergeben. Noch ist es nicht selbstverständlich für den Beantragenden, aber letztendlich auch nicht für die Anbieter solcher Leistungen.
Damit niemand wegen der Art und Schwere seiner Behinderung ausgegrenzt wird, muss es Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten geben. Gerade wenn mehrere Leistungsträger eingebunden sind und Komplexleistungen erbracht werden sollen – das hat die Große Anfrage an dieser Stelle aufgezeigt –, ist sicherlich noch nicht die gewünschte Anzahl erreicht, die möglich wäre.
Die Staatsregierung hat dargestellt: Jeder hat zunächst einen Rechtsanspruch auf die Beratung durch den zuständigen Leistungsträger. Daneben gibt es die Beratungsstellen der freien Träger, Projekte zur Beantragung des persönlichen Budgets werden gefördert. Es gibt Broschüren, die in leichter Sprache verfasst sind. Natürlich bieten auch die einzelnen Verbände entsprechende Basisinformationen an.
Es liegt in der Natur individueller Leistungen, dass es dabei auch Kritik gibt und sicherlich geben muss. Es werden unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Höhe von Leistungen vertreten. In der Antwort der Staatsregierung sehen wir, dass sich das persönliche Budget in einer Spanne von unter 300 Euro bis weit über 10 000 Euro bewegen kann. Die Mehrheit der Summen bewegt sich allerdings um die 1 000-Euro-Grenze. Das Budget soll den individuell festgestellten Bedarf eines Menschen mit Behinderung decken, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Das hat die Anfrage an verschiedenen Punkten gezeigt hinsichtlich der Ablehnungen und deren Begründung. Nichtsdestotrotz ist die stetig steigende Inanspruchnahme ein Weg in die richtige Richtung und ein Zeichen dessen, dass sich dieser Weg bewährt.
Es gibt auch kritische Meinungen, insbesondere in Bezug auf die Bearbeitungsdauer. Das war in der Großen Anfrage sehr deutlich herausgehoben. Seitdem beide Systeme für das Budget und die stationären Leistungen gegeben sind, sind die Mitarbeiter der Leistungsträger ebenso wie die Betroffenen Lernende in diesem Bereich. Natürlich läuft es am Anfang nicht reibungsfrei und es müssen Hürden genommen und Probleme diskutiert werden.
Im Landkreis Nordsachsen lässt sich dieser Prozess beispielhaft sehr gut nachvollziehen. Bei der Einführung des persönlichen Budgets vor fünf Jahren lag die höchste Bearbeitungsdauer bei 686 Tagen, grob überschlagen sind das fast zwei Jahre. Das ist eine wahnsinnig lange Zeit für jemanden, dessen Bedarf augenblicklich ist, der augenblicklich festgestellt wurde, und für den damit die Teilhabe am Leben sichergestellt werden soll. Heute liegt die höchste Bearbeitungsdauer bei 189 Tagen. Das ist immer noch eine lange Zeit, ein halbes Jahr. Aber man sieht den entsprechenden Entwicklungsverlauf, sodass wir sagen können, die Lernenden wurden tatsächlich zu Aktiven und Agierenden.
Es ist immer ein Prozess, wenn man Vorgänge effektiver gestalten möchte. Sicher sind wir noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt, was die Weiterentwicklung des persönlichen Budgets betrifft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wichtig, dass wir uns die Problemfälle genau ansehen und den
begonnenen Weg weitergehen, wenn es darum geht, Menschen mit Behinderung zu den Akteuren ihres eigenen Lebens zu machen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir im Jahr 2007 über das persönliche Budget diskutiert haben. Damals bestand der Rechtsanspruch noch nicht. Es war eine Ermessensentscheidung, ob Leistungen als individuelle Geldleistung oder als Sachleistung ausgereicht werden. Aber es war abzusehen, dass dieser Rechtsanspruch ab 2008 gilt.
Ich kann mich an verschiedene Veranstaltungen, zum Teil von der Diakonie, erinnern, zu denen Menschen mit Behinderung eingeladen waren und bei denen insgesamt eine ziemlich euphorische Stimmung herrschte, was das persönliche Budget, dessen Inanspruchnahme und die Freiheiten, die für Menschen mit Behinderung damit verbunden sein können, angeht.
Wenn wir uns die Zahlen anschauen, die jetzt in der Antwort auf die Große Anfrage stehen, dann zeigt sich, dass sich diese Euphorie nicht in Zahlen umgesetzt hat. Es wäre die Frage zu stellen, woran das liegt. Liegt es daran, dass die Menschen doch darauf verzichten, individuelle Geldleistungen statt Sachleistungen zu beantragen? Oder liegt es vielleicht daran, dass bestimmte Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem persönlichen Budget noch nicht ausgeräumt sind?
Im Mai 2007 gab es eine Presseerklärung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Die Geschäftsführerin war damals noch Frau Mannel. Sie hat einige abzusehende Schwierigkeiten genannt. In dieser Pressemitteilung hat sie zum Beispiel gesagt, die Beratung, durch die sich Betroffene über speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Angebote informieren könnten, sei unzureichend organisiert. Ein weiteres Problem sah sie damals in den langen Wartezeiten.
Ich kann mich auch daran erinnern, dass ungefähr zur gleichen Zeit Herr Werner gesagt hat: Das persönliche Budget wird uns vor große Herausforderungen stellen. Vor allem die Leistungsträger, die Behörden müssen den Systemwechsel, den das persönliche Budget bedeutet, erst einmal in ihrem Kopf vollziehen, um ihn dann in der Praxis Wirklichkeit werden zu lassen.
Jetzt sehen wir in der Großen Anfrage, dass die damals zum Teil aufgeführten Schwierigkeiten offenbar immer noch bestehen. Es bestehen Beratungsschwierigkeiten. Es ist immer noch so, dass es fast kein trägerübergreifendes Budget gibt. Das heißt, dass die Träger nicht miteinander darüber sprechen, wie sie gemeinsam eine individuelle Leistung für die betreffende Person erbringen können. Die
Wartezeiten zwischen sechs und acht Wochen in Dresden und bis zu neun Monaten in Leipzig sind völlig inakzeptabel. Man kann sich vorstellen, dass mancher, der das persönliche Budget für sich als eine Möglichkeit für mehr Teilhabe und Selbstbestimmung gesehen hat, von diesen Wartezeiten und den damit verbundenen Unsicherheiten abgeschreckt wird und den Weg zum persönlichen Budget nicht weiter geht.
Wir haben große Unterschiede in den einzelnen Landkreisen. In Görlitz sind es acht Personen, in Leipzig immerhin 33 Personen; das ist die Frage I.7. Man fragt sich: Wie kommt es zu diesen Unterschieden in den Regionen?
Als ich die Große Anfrage durchgelesen habe, bin ich über die letzte Frage gestolpert. Die Linksfraktion hatte gefragt: Welche Zielstellungen verfolgt die Staatsregierung in Umsetzung der UN-Konvention, bezogen auf die Nutzung der Leistungsformen? Die Staatsregierung antwortet: Das steht quasi in keinem Zusammenhang.
Diese Antwort kann ich einfach nicht verstehen. Wenn klar ist, dass Persönliches Budget zu mehr Teilhabe und Selbstbestimmung führt und genau das das Anliegen der UN-Konvention ist, dann kann man nicht sagen, dass die beiden Dinge quasi nichts miteinander zu tun hätten.
Diese Haltung kann man in der gesamten Anfrage nachvollziehen. Herr Wehner ist darauf schon eingegangen. Es gab ja die Befassung hier im Hohen Haus im Jahr 2007. Das war ein Antrag der CDU- und der SPD-Fraktion. Die Staatsregierung wurde ersucht, zum Beispiel alle Landkreise und kreisfreien Städte zu gewinnen, an der Umsetzung des persönlichen Budgets mitzuwirken. Das ist ein Punkt. Dieser Antrag wurde angenommen – klar, er wurde ja von der Koalition gestellt. Es gab auch eine Stellungnahme zu diesem Antrag. Schon in der Stellungnahme und nicht erst im Bericht sagte die damalige Ministerin Frau Orosz: Das Staatsministerium für Soziales bringt sich als Moderator ein und sieht sich als Begleiter und fachlicher Impulsgeber.
Danach folgte dieser Bericht – Herr Wehner ging darauf ein –; in dem das noch einmal bestätigt worden ist: Die Staatsregierung sieht sich als aktiver Moderator in diesem Prozess. Es gab bestimmte Dinge wie die Bürgerbroschüre und den Handlungsleitfaden. Die Staatsregierung hat in diesem Bericht deutlich gesagt, dass es ein Prozess ist, der noch weiter geht, und – das hat Herr Wehner zitiert – dass das persönliche Budget eine Form von Teilhabe und Selbstbestimmung ist, welche die Staatsregierung weiter unterstützen will.
Dann schaue ich mir heute die Große Anfrage an und ich kann schon im vorgeschalteten Eingangstext lesen, dass die Staatsregierung nicht so richtig weiß, wie es in Anspruch genommen wird, weil sie zum Beispiel kein Rehabilitationsträger ist und weil sie auf die Zahlen
Das bedeutet: Wenn ich steuern und moderieren will, dann muss ich doch wissen, wo der Prozess steht, und dazu brauche ich Zahlen. Wenn ich diese nicht habe, dann muss ich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ich diese Zahlen bekomme, um diesen Prozess moderieren und steuern zu können.
Immer wieder kann man an der Beantwortung der Anfrage sehen, dass die Staatsregierung heute offensichtlich eine andere Meinung einnimmt, als sie sie damals eingenommen hatte. Zum Beispiel auf die Frage IV.1, welche Bilanz zu ziehen ist – diese Frage ist auch schon einmal zitiert worden –, sagt die Staatsregierung, von einer Einschätzung sehe sie ab und zu einer Bewertung sei sie nicht verpflichtet.
Offensichtlich gibt es von 2007 bis heute aus Sicht der Staatsregierung eine andere Bewertung des Prozesses Persönliches Budget, obwohl 2009, also nach Rechtsanspruch, die UN-Konvention in Kraft getreten ist und Wege zu mehr Teilhabe und Selbstbestimmung auch aufgrund dieser Konvention heute verpflichtend sind.
Ich denke, dass die Staatsregierung nach wie vor nicht dafür sorgt, dass die erheblichen strukturellen und tatsächlichen Hindernisse, die es auf dem Weg zum Persönlichen Budget gibt – ich spreche dabei nicht von Budgetassistenz und Deckelung – alles Probleme, die dabei auftreten, wenn man es in Anspruch nehmen will –, beseitigt werden und das Persönliche Budget ein Erfolgsmodell in Sachsen wird. Ich möchte an dieser Stelle die Staatsregierung auffordern, sich zu erinnern – auch wenn es heute eine andere Staatsministerin ist –, was sie 2007 zur aktiven Moderation gesagt hat, und sie bitten, diese Moderation in diesem Prozess jetzt endlich wahrzunehmen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Behinderten und schwer kranken Menschen eine Möglichkeit zu geben, am Leben teilzunehmen und es möglichst selbstständig zu gestalten – das ist das Ziel des Persönlichen Budgets, ein Thema, das wichtig ist und Beachtung verdient. Hier Hilfe zu leisten, zu informieren und unkomplizierte Angebote zu schaffen ist die Aufgabe unserer Gesellschaft.
Leider haben die LINKEN wichtige und richtige Fragen zu diesem Thema an der falschen Stelle gestellt und somit nur ein Zahlenwerk ohne große Aussagekraft produziert. Oder, wie es die Staatsregierung in ihrer Antwort formuliert: Informationen, die sie im Rahmen der Rechtsaufsicht gewonnen hat, muss sie preisgeben, jedoch dafür nicht extra die Kommunen befragen. Mein eigener Landkreis übrigens, also Zwickau, war offenbar besonders
DIE LINKE jedenfalls hat mit dieser Großen Anfrage die Arbeit ihrer Kommunalpolitiker ins Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz ausgelagert. Dabei hätte ein Blick in den öffentlich zugänglichen und im Internet abrufbaren Leitfaden des KSV oder in andere bestehende Veröffentlichungen genügt, um viele gestellte Fragen zu beantworten und festzustellen, dass die größte Herausforderung beim Werkzeug Persönliches Budget immer noch die schwierigen Bedarfsfeststellungsverfahren sind.
Wenigstens zeigt uns die Große Anfrage an dieser Stelle, welche Unterschiede es bei der Umsetzung in den verschiedenen Landkreisen und kreisfreien Städten gibt. Wenn Sie die Betroffenen wirklich unterstützen wollen, dann engagieren Sie sich doch vor Ort für mehr Stellen in den Verwaltungen, damit Bearbeitungszeiten in Sachsen künftig nicht mehr – je nach Wohnort – zwischen vier Wochen und neun Monaten liegen. Schnelle Hilfe ist gerade hier von besonderer Bedeutung.
Über die Chancen und Möglichkeiten des Persönlichen Budgets müssen Leistungsträger und Leistungserbringer vor Ort noch besser informiert werden, damit Betroffene von Bürokratie und im schlechtesten Fall sogar langwierigen Klageverfahren verschont bleiben. Auch der Kontakt zwischen Betroffenen, Trägern und Verwaltung schwankt von Region zu Region.
All dies sind Ansatzpunkte für sinnvolle Kommunalpolitik, damit die Idee der eigenen Wahlfreiheit für behinderte Menschen als Grundlage für bessere Lebensqualität kein theoretischer Traum bleibt.
Noch kurz zum Entschließungsantrag. Grundsätzlich halten wir nicht viel von der Erhebung immer neuer Daten für irgendwelche Statistiken, aber hier erscheint es uns doch relativ sinnvoll. Auch der vorgeschlagene Termin – Jahresende – dürfte einzuhalten sein. Wir werden dem Entschließungsantrag also später zustimmen.