Protokoll der Sitzung vom 16.05.2013

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Bedarf an Fachkräften und allen Berufszweigen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel ist das große Thema in einer überalternden Gesellschaft, heute und in den kommenden Jahren. Ja, die Bundesrepublik und Sachsen überaltern zusehends.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Unterjüngen!)

Deshalb ist es umso wichtiger, Sachsen zum kinder- und familienfreundlichsten Bundesland in der Bundesrepublik zu machen.

(Beifall des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Zurück zum Antrag zur aktuellen Situation in der Pflege.

Schauen wir uns dabei die nüchternen Zahlen für ganz Sachsen an, dann stellen wir fest: Wir haben akut keinen Fachkräftemangel in der Pflege. Nach Auskunft der Arbeitsagentur übersteigt die Zahl der suchenden Altenpfleger sogar die Zahl der angebotenen Stellen. Schauen wir aber genauer in die Regionen, kristallisiert sich sehr wohl ein erhöhter Fachkräftebedarf in einzelnen Regionen heraus. Ein Grund ist unter anderem, dass es die jungen Leute vor allem in die Städte zieht.

Ihr Wunsch, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, nach präzisen Vorhersagen hat Tradition und bei Vorhersagen über den Bedarf an bestimmten Fachkräften letztlich Hochkonjunktur.

Gerade die Fachkräftesituation in den Pflegeberufen ist in den letzten Jahren Mittelpunkt zahlreicher Untersuchungen gewesen. Die öffentliche Aufmerksamkeit ist diesen Studien punktuell immer gewiss. Zur unmittelbaren Lösung tragen sie jedoch wenig bei. Was wir brauchen, sind konkrete Lösungsvorschläge. Das RaffelhüschenGutachten über Einkommen und Pflegebedarf in Sachsen hat natürlich genau die Kommunen und Landkreise mit in die Pflicht genommen, ihren konkreten Bedarf auf der Grundlage der im Land erhobenen Zahlen selbst zu konkretisieren.

Sie jedoch, sehr geehrte Frau Neukirch, begrenzen Ihren Antrag ausschließlich auf die Analyse der Situation. Zwar nennen Sie Ihren Antrag „Fachkraftsituation für Pflegeberufe verbessern“, tatsächlicher Inhalt ist es jedoch – und das kann ich Ihnen nicht ersparen –, nur ein Kontrollsystem für die Personalberufe einzurichten. Damit ist Fakt: Der Antrag geht an der eigentlichen Herausforderung deutlich vorbei.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einerseits nimmt die Zahl der Menschen, die Unterstützung brauchen, zu – was vor allem an den überschneidenden Altersjahrgängen im Alter liegt–, andererseits sinkt die Zahl der arbeitsfähigen Menschen, die Pflege und Betreuung übernehmen müssen. Ich muss Ihnen nichts von der auf den Kopf stehenden Alterspyramide erzählen. Das ist nicht erst seit gestern und heute so, sondern bereits seit den geringen Geburtenraten aus den 1970er Jahren.

Das heißt: Für die Versorgung der Pflegebedürftigen wird eine künftig sehr knappe Ressource dringend benötigt: Personal. Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus der Sicht der FDP-Fraktion muss man hier an mehreren Stellen aktiv werden. Erstens wird es vor allem künftig immer wichtiger werden, dass die Durchlässigkeit zwischen den Fachrichtungen ermöglicht wird. Wir brauchen effektive berufliche Weiterbildungen, die letztlich dazu führen müssen, dass Anpassungen sehr schnell vonstattengehen können. Ich nenne da nur Module.

Zweitens müssen die Pflegeberufe weiterentwickelt und grundsätzlich modernisiert werden. Hier sind Bund und Länder bereits bei der Arbeit. An die Ausbildungsvoraussetzungen heranzugehen und, wie es die EU plant, das Abitur als Voraussetzung für den Pflegeberuf zu machen halten wir beim Thema Ausbildung in Deutschland für einen vollkommenen Irrweg.

Drittens. Die Zuwanderung muss im Bereich der Pflege gezielt gestaltet und darf nicht infrage gestellt werden.

Viertens. Zukunftsfähige Pflege braucht nicht zuletzt einen tiefgreifenden Imagewandel. Helfende Berufe, die den wichtigen Dienst am Menschen verrichten, genießen in Deutschland leider immer noch zu wenig Ansehen. Die Frage ist also nicht, wie wir die Pflegesituation in der Pflege kontrollieren, sondern wie wir Menschen für den Pflegeberuf gewinnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Daten, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mit diesem Antrag erfragen wollen, sind zum Großteil schon vorhanden oder liegen eben in Verantwortung der Kommunen. Der Antrag geht darüber hinaus am Wesentlichen vorbei; denn mit einem Monitoring, einer Beobachtung allein ist keinem Pflegebedürftigen, keinem Angehörigen, keinem Arzt und keinem Sozialdienst geholfen. Wir werden daher Ihren Antrag ablehnen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Meine Damen und Herren! Nun die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Frau Abg. Herrmann. Frau Herrmann, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde jetzt ein wenig holzschnittartig vorgehen, weil ich zum einen das Gefühl habe, dass schon sehr viel gesagt worden ist und Sie das nicht verstehen wollen, und weil ich zum anderen nicht mehr viel Redezeit habe.

(Heiterkeit im Saal)

Als ich die Antwort der Staatsregierung gelesen habe, habe ich mich – ähnlich wie Frau Neukirch – gefragt, wer das wohl beantwortet hat. Den ersten Anstrich haben Sie komplett fehlverstanden. Dort geht es nicht um die Angebote und Settings im Bereich Pflege, sondern um den

Fachkräftebedarf, der erfragt wird. Darauf haben Sie überhaupt nicht geantwortet.

Klar ist: Auf der einen Seite haben wir einen Bedarf, der sich unterschiedlich beschreiben lässt. Vorgestern gab es einen Demografie-Gipfel in Berlin. Offensichtlich ist eine alternde Bevölkerung mit bestimmten Schwierigkeiten verbunden, die so gravierend sind, dass auch die Kanzlerin meint, in die Bütt gehen zu müssen. Wir hatten einen Demografie-Gipfel und wir haben ein RaffelhüschenGutachten hier im Landtag. Sie beschreiben eine Situation, vor der man nicht die Augen verschließen kann.

Auch wenn der Anstieg des Pflegerisikos für die Zukunft schwer zu prognostizieren und nicht seriös abschätzbar ist – jedenfalls nicht über Dekaden hinweg –, so ist uns doch allen klar, dass mehr Pflegebedürftigkeit auf uns zukommen wird. Die Pflegebedürftigkeit ist keineswegs unbeeinflussbar. Sie hängt von vielen Rahmenbedingungen ab. Auf der anderen Seite haben wir ein Angebot an Pflegekräften, das im Moment – wie verschiedene Redner sagten – keinen Mangel aufweist. Es gibt aber Einrichtungen, die heute schon sagen: Der Fachkraftschlüssel ist für uns nicht mehr realistisch. Den können wir einfach nicht mehr abdecken. Wir haben die allergrößte Mühe, den Fachkraftschlüssel, dessen Einhaltung vorgeschrieben ist, irgendwie abzusichern.

Wir wissen, dass unter den 25 beliebtesten Berufen der Pflegeberuf nicht dabei ist, und wir wissen auch, dass höchstens 2 % der Jugendlichen sich überhaupt vorstellen können, einen Beruf in dieser Richtung zu ergreifen. Das heißt, wir müssen daran arbeiten, dass wir auf der einen Seite den Bedarf und auf der anderen Seite diejenigen, die nachwachsen und in die Ausbildung gehen, irgendwie zusammenbekommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben eine ganze Reihe von Rahmenbedingungen, die – wie ich bereits sagte – beeinflussen, wie viel Pflegebedürftigkeit vorhanden ist und wie viel Personalbedarf in Zukunft in diesem Bereich tatsächlich benötigt wird. Um aber zu wissen, wie bestimmte Entscheidungen den Bedarf beeinflussen, muss man erheben, was passiert. Wenn zum Beispiel der Einstieg in den Pflegeberuf mit Hauptschulabschluss möglich ist, dann muss ich wissen, ob daraus tatsächlich resultiert, dass sich mehr Menschen entscheiden, einen Pflegeberuf zu ergreifen. Wenn ich das nicht mache, weiß ich ja nicht, wie ich steuern soll.

Es gibt noch sehr viel mehr. Zum Beispiel ist es sehr wichtig, dass sich die Art und Weise ändern wird, wie die Pflege in Zukunft in Anspruch genommen wird. Menschen wollen in der eigenen Häuslichkeit alt werden. Auch Menschen mit Behinderungen wollen für sich ein normales Alltagsleben, das ihre Privatsphäre und ihre individuellen Bedürfnisse respektiert. Wir werden also eher einen Pflegemix haben – jedenfalls wünschen sich das die Menschen – als stationäre Angebote.

Es gibt noch verschiedene solcher Veränderungen, die man einfach beobachten muss.

Die Kollegen von der Koalition stellen sich hier hin und sagen: Eigentlich ist alles paletti und wir müssen gar nicht wissen, wie bestimmte Parameter auf unseren Bedarf Einfluss nehmen. Dazu sage ich: Das ist schlicht und einfach falsch, denn dann werden wir in derselben Situation stehen wie beim Ärztemangel oder beim Bedarf von Lehrern an den Schulen. Das haben wir ja jetzt schon.

Ich finde auch, dass es überhaupt keinen Grund gibt, diesen Antrag abzulehnen; denn er sagt ja nicht, Sie müssen ab morgen wieder eine Ausbildungsumlage einführen oder irgendetwas anderes. Er sagt nur: Wir wollen den Bedarf erheben. Wir wollen Veränderungen beschreiben und schauen, wie bestimmte Veränderungen von Rahmenbedingungen sich auswirken. Das ist nur vernünftig in diesem Bereich, der immerhin eine große wirtschaftliche Kategorie ist und in Zukunft sein wird. Denn dort werden wir auch weiterhin Arbeitskräfte brauchen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und vereinzelt bei den LINKEN)

Nun die NPD-Fraktion; Frau Abg. Schüßler. Sie haben das Wort.

Danke, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden den vorliegenden Antrag ebenfalls unterstützen, da auch wir nicht nachvollziehen können, warum die Staatsregierung die geforderten Informationen zwar erhebt, aber nicht zusammenfasst und zugänglich macht. Die zusammengetragenen Daten würden einen besseren Überblick über das Thema Pflege in Sachsen verschaffen und weiterführende Initiativen ermöglichen. Wir reden schließlich über eine der größten Herausforderungen, die in den nächsten Jahrzehnten auf den Freistaat zukommen.

Wie Sie alle wissen, hat Ihre Familienpolitik seit der Wende dafür gesorgt, dass Sachsen bereits heute schwer mit der demografischen Katastrophe zu kämpfen hat.

(Unruhe im Saal)

Immer weniger junge Menschen müssen immer mehr ältere Menschen finanzieren und auch pflegen. Trotzdem wurde der immer wichtiger werdende Pflegeberuf bisher sträflich vernachlässigt. Heute Vormittag haben wir über einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro diskutiert. Fakt ist aber, dass der neue Pflegemindestlohn,

(Unruhe im Saal – Glocke des Präsidenten)

der am 1. Juli 2013 in Sachsen in Kraft tritt, nur bei 8 Euro liegen wird. 8 Euro Mindestlohn für eine Aufgabe, die jeden Tag wieder eine neue Herausforderung darstellt. Bezeichnenderweise kommt auch das Thema Lohnentwicklung im Bereich der Fachkräfte der Pflegeberufe im SPD-Antrag nicht vor, obwohl, wie es in der Antragsbegründung heißt, die Frage der Fachkraftsicherung und Fachkraftgewinnung eine zunehmend wichtige Rolle

spielen wird. Schon deshalb sollte diese Frage in das Monitoring einbezogen werden.

Ein fairer Lohn in der Pflege würde nicht nur dafür sorgen, dass sich mehr junge Männer und Frauen für diesen Beruf entscheiden. Er würde auch zeigen, dass die Gesellschaft diesen wertvollen Dienst an der Gemeinschaft wertschätzt.

Ein anderer interessanter Punkt eines solchen Fachkräftemonitorings könnte sein, welche Rolle bereits heute ausländische Fachkräfte in Sachsen spielen. Frau Schütz und Frau Lauterbach sind darauf kurz eingegangen. Wie werden sie vermittelt und geworben? Welche ausländischen Firmen bieten ihre Dienste in Sachsen an? Welche Chancen und Risiken bieten ausländische Fachkräfte? Haben sie Einfluss auf die Lohnentwicklung?

Uns würde auch interessieren, welche besonderen Anstrengungen die Staatsregierung unternimmt, damit gut ausgebildete Pflegefachkräfte hier im Freistaat Sachsen bleiben und nicht wegen besserer Arbeitsbedingungen in andere Bundesländer abwandern müssen. Gerade hier sehen wir ein großes Problem, das im Antrag bisher nicht berücksichtigt wurde. Was nützen uns alle Fachkräfteplanungen und -analysen, wenn die Landespolitik nicht in der Lage ist, die Menschen, in deren Ausbildung sie vorher so viel investiert hat, in Sachsen zu halten?

Es sind also noch einige Fragen offen, aber die meisten wurden von Ihnen bereits angesprochen. Wir hoffen, dass diese Themen bei zukünftigen Initiativen eine Rolle spielen werden. Dem Antrag stimmen wir zu.

Danke sehr.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren, das war die erste Runde. Gibt es Redebedarf für eine zweite Runde? – Das kann ich nicht feststellen. Ich frage die Staatsregierung. – Jawohl. In Vertretung für die Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz spricht Herr Staatsminister Kupfer. Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu Beginn eine persönliche Bemerkung. Ich war in der letzten Zeit einmal in einer Situation, in der ich auf Hilfe angewiesen war, und habe einen kleinen Einblick in das bekommen, was die Pflegekräfte zu leisten haben. Ich möchte sagen, dass ich wirklich allerhöchsten Respekt vor der Arbeit dieser Menschen habe.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)