Protokoll der Sitzung vom 21.01.2010

Wo bekommt man Werte her? Aus der Familie, aus der Schule, von Freunden, auch von Vorbildern. Da sind auch wir mit gefragt. Wie soll das gelingen, solche Werte wie Anerkennung, Respekt und Nächstenliebe zu erzeugen in einer Gesellschaft, in der lieber der Satz gilt: „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht“? Oder wo der Satz vom „survival of the fittest“ als Handlungsmaxime Raum bekommt.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Debatten, die wir bisher geführt haben, die Debatte zwischen Links und Rechts und all diese Sachen, wirklich dazu beitragen, das grundlegende Problem, dass Gewalt als Verhalten in unserer Gesellschaft Raum greift und davon auch und gerade die betroffen sind, die doch dafür zuständig sein sollen, uns davor zu schützen, zu lösen.

Die 113er-Initiative ist angesprochen worden. Ich denke, das ist eine vernünftige Sache. Aber das wird nicht ausreichen. Wir alle müssen in den nächsten Jahren noch viele Gedanken investieren, um zu überlegen: Wie können wir dafür sorgen, dass die gesellschaftlichen Ursachen für Gewalt gegen Polizeibeamte vermindert werden?

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Für die SPD-Fraktion sprach Frau Kollegin Friedel. – Als Nächstes bitte ich die Fraktion GRÜNE mit Frau Kollegin Jähnigen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns GRÜNE gehört es zum politischen Grundkonsens, Gewalt, Rassismus und Militarismus aktiv abzulehnen. Das umfasst selbstverständlich alle, die sich im Polizeidienst, bei der Feuerwehr und im Rettungswesen mit Gewalt in den vielfältigsten Erscheinungsformen auseinandersetzen müssen und deren Arbeit wir schätzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Die Kraft von gewaltlosem Handeln haben viele von uns im Hohen Hause in der friedlichen Revolution 1989 erleben dürfen. Diese Erfahrung ist uns allen wichtig.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU und der SPD)

Genau vor diesem Hintergrund möchte ich ausdrücklich zurückweisen, dass Leuten, die Gegendemonstrationen zu nazistischen Demonstrationen anmelden, hier unterstellt wird, sie würden das als Deckmantel für Gewalt tun wollen oder hinnehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Aber zurück zu den Ursachen der Gewalt. Ist es tatsächlich unser Strafgesetz, das zu milde ist? Wird eine härtere Gangart in der Polizei die Polizeibediensteten schützen? Was braucht die Polizei wirklich?

Schauen wir in die Fakten. Nach einer Auskunft des Sächsischen Innenministeriums wurden 336 Polizeiangehörige im Jahre 2008 erheblich verletzt. 2007 waren es 371.

Jede Verletzung ist eine zu viel. Will ich aber vor Angriffen schützen, muss ich wissen, welche Ursachen sie haben. Sachsen fühlt sich aber schon schlau genug und beteiligt sich nicht an der Studie, die die Innenministerkonferenz vereinbart hat. Entsprechende Untersuchungen für Sachsen lägen schon vor, teilte das Innenministerium mit.

Nun, wo sind diese Erkenntnisse? Es wird hier gerade sehr viel von Gewalt bei Demonstrationen oder im Umfeld von Fußballspielen gesprochen, aber die konkreten Erkenntnisse sind nicht besprochen worden und liegen nicht vor. Aus einer Antwort auf die Anfrage von Kollegen Johannes Lichdi – nachlesenswert, Drucksache 4/14678 – geht Folgendes hervor: Ein sehr erheblicher Teil der verletzten Polizistinnen und Polizisten wurde Opfer von Gewalt bei Streifenfahrten, Verkehrskontrollen, Klärung von Familienstreitigkeiten und Blutentnahmen. Fußballspiel wurde nur in fünf der angegebenen

101 Verletzungen ausdrücklich als Grund für eine längere Dienstunfähigkeit genannt, Demonstrationen gar nicht, sofern sie sich nicht mit anderen Einsatzzwecken verbinden. Aus Studien ist bekannt, dass die Anzahl der Übergriffe unter Alkoholeinfluss und bei erheblicher Alkoholisierung stark zugenommen hat und dass sich die überwiegende Anzahl der Übergriffe gegen Polizeibedienstete im Streifendienst richtet.

Meine Damen und Herren, glauben Sie wirklich, dass sich alkoholisierte oder vorbestrafte Täter durch eine Erhöhung des gesetzlichen Strafrahmens abhalten lassen? Das Risiko, dem sich Polizeibedienstete aussetzen, und ihre Sicherheit hängen in ganz wesentlichem Maße von der Qualität ihrer Ausbildung, von ihrer Ausrüstung und natürlich auch von der Einsatzdichte ab.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Dort zu sparen, meine Damen und Herren, heißt, die Polizei Risiken auszusetzen. Wir dürfen insbesondere an der Ausbildung der Polizisten nicht sparen; denn wir wissen, dass die Sicherheit der Polizisten gerade bei den sich häufenden überraschenden Angriffen von ihrer guten Ausbildung, von einer psychologischen Betreuung und nicht zuletzt von einer Aufarbeitung von Traumatisierungen abhängt.

Ich erwarte, dass die Staatsregierung heute darstellt, was sie dort tun will; denn ich kann mich dem Eindruck nicht entziehen, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und von der FDP, sich mit dem Oberthema der heutige Debatte die Sache zu einfach machen. Null Toleranz, Verschärfung der Gangart, politische Muskelspiele anstelle besseren Umgangs mit der Polizei helfen den Polizistinnen und Polizisten nicht. Sie führen hier bisher eine symbolische Diskussion und versuchen, mit den Polizistinnen und Polizisten einen emotionalen Schulterschluss zu vollziehen, der eigentlich nur davon ablenkt, dass so die Kürzungspläne eingeläutet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich kritisieren, dass der Ministerpräsident diese Debatte eingeläutet hat, indem er die Polizei wegen angeblich zu hoher Dienstunfähigkeit beschimpft hat. Das war kein guter Beitrag. Wir sollten uns der Sache widmen und die Arbeitsbedingungen für die Polizei verbessern, statt symbolisch Muskelspielchen zu betreiben.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE sprach Frau Kollegin Jähnigen. – Als Nächstes folgt die Fraktion der NPD. Herr Storr, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Polizei verrichtet ihren Dienst in der Gefahr um Leib und Leben. Dies verdient unser aller Hochachtung und Anerkennung. Regeln müssen eingehalten

werden, es darf keine rechtsfreien Räume geben. Das Gewaltmonopol hat beim Staat zu liegen.

Ich denke, in diesem Grundkonsens bewegen wir uns immerhin. Auch die NPD vertritt diese Ausgangslage. Was mir in dieser Diskussion bislang aber viel zu kurz kam, ist eine klare Ursachenanalyse. Einfach nur das Klagelied von zunehmender Gewalt anzustimmen wird meiner Meinung nach dem Problem nicht gerecht. Ich will versuchen, das nachzuholen, was bisher versäumt worden ist. Wenn man die Gegenwart begreifen will, lohnt es sich ja immer, in die Vergangenheit zu schauen.

Das Phänomen Gewalt gegen Polizei ist nicht etwa ein selbstverständliches Phänomen, sondern ich würde dessen Beginn eigentlich um 40 Jahre zurückverlegen, nämlich als in Westdeutschland westdeutsche linksradikale Studenten auf die Straße gingen und dort ganz gezielt die Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung eingeführt haben.

(Beifall bei der NPD – Lebhafter Widerspruch bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Dass diese Feststellung heute auf der linken Seite auf Protest stößt, meine Damen und Herren, zeigt mir nur, dass das wohl sehr wahr ist, denn offenbar fühlen Sie sich getroffen.

(Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD)

Wir haben es heute in der Innenpolitik im Grunde genommen mit einem Paradoxon zu tun. Ich will das schlagwortartig kurz beleuchten.

Wir erleben, dass auf Grenzkontrollen weitestgehend verzichtet wird, aber im Inneren dafür Massendatenspeicherung, Kameraüberwachung und verdachtsunabhängige Polizeikontrollen stattfinden. Ausländer ohne Aufenthaltsberechtigung können im Lande bleiben, weil ihnen plötzlich ein Bleiberecht eingeräumt wird, was letztlich die geltende Gesetzeslage aufhebt. Gegenüber Linksextremisten, die, und das ist eindeutig, oft zu Gewalt neigen – nicht alle, die links sind, aber viele Linksextremisten –, wird der Polizei politisch verordnet, eine Deeskalationsstrategie zu verfolgen, die aber die Gewalt nicht etwa beschränkt, sondern letztlich Gewalt herausfordert, während gegenüber der nationalen Opposition der Polizei eine Eskalationsstrategie politisch verordnet wird.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Das mag Ihre Meinung sein. – Merkwürdig ist auch Folgendes: Heute heißt das Thema „Null Toleranz bei Gewalt“. Aber ist es nicht so, dass sonst ständig von der Toleranz geredet wird? Toleranz gegen Asylschwindler, gegen Perverse, Toleranz gegenüber Homosexuellen, aber gegenüber nationalen Deutschen ist man intolerant und scheut auch nicht davor zurück, uns als Nazis zu diffamieren.

(Zurufe von der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Das ist auch einer der Widersprüche, und ich stelle die Frage: Wo liegen die Ursachen der Gewalt? Ich habe schon gesagt, dass die Ursachen gesellschaftspolitisch in den Siebzigerjahren liegen, als die sogenannten Achtundsechziger den Durchmarsch durch die Institutionen begannen, den sie inzwischen erfolgreich abgeschlossen haben, wie man das auch in diesem Parlament eindrucksvoll ablesen kann.

(Zurufe von der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

In den Siebzigerjahren hat ja ein ganz entscheidender Wandel stattgefunden. Es hat ein Abbau von Autorität stattgefunden. Es hat ein Werteverfall stattgefunden. Wir haben in den letzten 40 Jahren nicht etwa einen gesellschaftspolitischen Fortschritt, sondern einen gesellschaftlichen Verfall in diesem Lande erlebt. Und genau in dieser Entwicklung liegt auch das Problem heute, dass es zu Gewalttätigkeiten gegenüber der Polizei kommt.

Wir müssen uns darüber Gedanken machen. Die Gewalt, die bei Versammlungen auftaucht, ist meiner Meinung nach nicht mit dem Begriff des politischen Extremismus zu greifen, sondern es ist ein Phänomen der Jugendgewalt. Ich glaube, dass diese Jugendgewalt Ausdruck dafür ist, dass unsere Jugend heute keine echten Ideale mehr hat, ohne Zukunftsperspektive ist, selbstverdrossen, verroht, gelangweilt und letztlich auf der Suche nach Erlebnissen ist.

(Unruhe)

Herr Storr, beachten Sie bitte die Redezeit!

Danke. – Meine Damen und Herren, Aggressivität ist eine anthropologische Konstante. Daraus muss man die richtigen Konsequenzen ziehen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD – Widerspruch bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Das war die erste Runde, meine Damen und Herren. Wir treten in die zweite Rednerrunde ein.

(Miro Jennerjahn, GRÜNE, tritt ans Mikrofon.)

Herr Jennerjahn, was ist Ihr Begehr?

Ich möchte fragen, ob im Rahmen der Aktuellen Debatte auch eine Kurzintervention möglich ist.