Fünftens. Die Beitragsbemessungsgrenze wird schrittweise aufgehoben. Eine schrittweise Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze kann die Defizite der Beitragsfinanzierung kompensieren und die Nachhaltigkeit der Finanzierung deutlich verbessern. Damit würde dem Solidarprinzip zum Durchbruch verholfen.
Sechstens. Das Umlageverfahren bleibt weiterhin bestehen. Artfremde Leistungen werden aus Steuermitteln vergütet. Im Zuge zahlreicher Reformen wurden immer wieder artfremde Leistungen aus den Sozialversicherungssystemen finanziert. Hierfür müssen entsprechend Steuermittel zur Verfügung stehen.
Siebentens. Unabhängig vom Einkommen, Alter und Geschlecht wird eine umfassende gesundheitliche Versorgung gesichert, die frei von Zuzahlungen ist. Für Betroffene und Kranke ist es besonders tragisch, weil sie an zwei Fronten kämpfen müssen: zum einen mit ihrer Krankheit und zum anderen mit dem kranken System. Die Abschaffung von Zuzahlungen kann man durchaus differenziert betrachten. Das Thema stand aber in einer unserer letzten Plenartagungen zur Debatte. Sie können sich sicher erinnern – oder Sie müssen halt nachlesen.
Werte Abgeordnete, die Integration der beiden Versicherungssysteme würde durch eine Ausweitung der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung einheitliche Rahmenbedingungen schaffen und damit die Ursachen für Risikoselektion, Ungleichbehandlung und Fehlanreize beseitigen.
Verfassungsrechtlich ist die Ausweitung der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversi
cherung auf die bisher Privatversicherten zulässig. Im Koalitionsvertrag der staatstragenden Parteien steht: „Wir wollen, dass auch in Zukunft alle Menschen in Deutschland unabhängig von Einkommen, Alter, sozialer Herkunft und gesundheitlichem Risiko …“ – Sie kennen den Text. Daran müssen Sie sich messen lassen.
Ja, Sie können mir entgegenhalten: Selten waren die gesetzlichen Krankenversicherungen so auskömmlich finanziert wie heute. Sie verfügten Ende 2012 über eine Rekordrücklage von 28,3 Milliarden Euro. Ihnen steht aber nicht zu, das Geld der Steuerzahler zu verschwenden. Sie als Abgeordnete der regierungstragenden Parteien hier in Sachsen sollten besonders sparsam mit den Beiträgen der Versicherten umgehen. Sie haben die Verantwortung für das Gesundheitssystem hier in Sachsen.
Nun muss ich noch einmal auf Prof. Schmalfuß zurückkommen. Er sagte gestern, der Staat sollte anfangen zu sparen – und das kann er mit der solidarischen Bürgerversicherung durchaus.
Nur das kann sozial gerecht sein, nur so kann eine wirkliche Stabilisierung der Einnahmensituation der gesetzlichen Kassen gesichert werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man merkt, dass wir im Bundestagswahlkampf sind; es geht in die Schlussrunde und nun findet er auch schon die letzten zwei Tage in der Sitzung statt. Sie machen hier Werbung in eigener Sache für die Einführung der solidarischen Bürgerversicherung. Klar, es spricht für Ihre Werbeaktion.
Zu Anfang möchte ich sagen, ich weise im Namen der gesetzlichen Krankenversicherungen zurück, was Sie gerade gesagt haben: dass diese mit dem Geld der Steuerzahler verschwenderisch umgehen würden. Haben Sie sich schon einmal gegenüber Herrn Steinbronn oder einem anderen Vorsitzenden so geäußert, dass die gut gefüllten Kassen, wie Sie sagen, angeblich verschwenderisch verteilt werden? Das ist verantwortungslos, Frau Lauterbach, was Sie eben am Mikrofon gesagt haben.
Kurz zu Ihrem Antrag. Klar, es klingt gut; ohne genauere Betrachtung klingt es erst einmal gut: Alle werden Mitglied dieser Bürgerversicherung und zahlen die Beiträge entsprechend ihrem Einkommen, und die, die kein Einkommen haben, werden beitragsfrei versichert, –
– wobei eine umfassende gesundheitliche Versorgung – ich führe erst einmal aus – garantiert werden soll. Im Gegenzug soll die Existenz der privaten Krankenversicherung beendet werden.
Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, denn ich denke, Sie haben mir nicht richtig zugehört. Ich habe gesagt, der Staat soll anfangen zu sparen. Die Kassen haben den Auftrag, die Ausführungen des Staates zu akzeptieren; sie arbeiten in Ihrem Namen, Sie schaffen die Gesetze.
Meinen Sie, ich schaffe die Gesetze? Davon einmal abgesehen entstehen diese Gesetze auf Bundesebene; sie sind dort im Konsens beschlossen worden. Ich füge hinzu: Die Mittel aus dem Gesundheitsfonds werden nach einem ebenfalls auf Bundesebene beschlossenen Schlüssel auf die Kassen verteilt.
Den Vorwurf, in dem Gesundheitsfonds sei zu viel Geld, hören wir von Ihnen permanent. Sie bedenken jedoch nicht, dass dieses Geld endlich ist, weil die großen Ausgabensteigerungen noch kommen. Das Geld ist auch nach Aussage der Kassen dringend notwendig, um Puffer für künftige Ausgabensteigerungen bilden zu können. Das ist doch ein guter Umgang mit dem Geld und Ausdruck weiser Voraussicht. Deshalb sage ich noch einmal sehr klar: Hier geht niemand verschwenderisch mit Geld um.
Ich komme zu dem Antrag zurück. Sie haben die Existenz der privaten Krankenversicherung im Visier; sie soll beendet werden. Auf private Versicherungen soll künftig nur noch für die Abdeckung von Zusatzleistungen zurückgegriffen werden. Darin liegt jedoch ein Widerspruch begründet: Warum brauchen Sie noch eine private Krankenversicherung, die Zusatzleistungen anbietet, wenn die Bürgerversicherung doch angeblich eine umfassende gesundheitliche Versorgung garantiert? Sie würden die private Absicherung liebend gern gänzlich abschaffen. Aber irgendwie haben die Antragsteller mitbekommen, dass das nicht möglich ist. Warum? Die Enteignung der privaten Krankenversicherung würden Sie zwar liebend gern angehen; damit würden Sie aber sofort mit dem Verfassungsrecht kollidieren.
Danke, Herr Präsident! Liebe Kollegin, siehst Du es auch so, dass ich schon heute ganz besondere Leistungen der gesundheitlichen Versorgung, die über das durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen akzeptierte Maß hinausgehen, selbst bezahlen muss? Wenn ich eine Chefarztbehandlung oder ein Einzelzimmer haben will, kann ich das auch in Zukunft privat absichern. Es wird auch in Zukunft die Möglichkeit geben, Zusatzversicherungen abzuschließen für Dinge, die ein Stück weit Luxus sind.
Ich stimme zu. Schon heute bieten alle gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit, Zusatzversicherungen abzuschließen. Das betrifft insbesondere die Zahnversorgung, aber auch – wer das unbedingt will – die Chefarztbehandlung. Ich selbst bin gesetzlich versichert und habe eine private Zusatzversicherung für die Zähne abgeschlossen, weil das einfach wichtig ist. Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden. Die entsprechenden Möglichkeiten gibt es, wie gesagt, schon heute. Deshalb funktioniert das System auch so gut.
Ich komme zu dem Antrag zurück. – Es sprechen weitere Gründe gegen die Einführung der Bürgerversicherung. In dem Antrag wird überwiegend die Einnahmenseite betrachtet. Aber wir müssen auch die Ausgabenseite – und damit die Rolle der Versicherten und die der Leistungserbringer – in den Fokus rücken. Durch die Existenz der zwei Versicherungssysteme gibt es einen Preis- und Qualitätswettbewerb, in dem auch die gesetzlichen Krankenkassen bestimmte Programme anbieten. Das machen sie, und sie nutzen dafür die Privaten.
Wenn die private Krankenversicherung gänzlich abgeschafft und in eine Bürgerversicherung integriert wird, wird der Wettbewerb faktisch abgeschafft. Es gibt dann keine Vergleichsmöglichkeit mehr, weder zwischen den gesetzlichen Krankenkassen noch zwischen den gesetzlichen und den privaten Krankenkassen. Es käme doch nicht mehr zu neuen Verträgen. Der Versicherte hätte nur noch eine einzige Versicherung. Ich übertreibe vielleicht, aber er wäre dieser Versicherung ausgeliefert. Leistungen, die er derzeit – im Wettbewerb – noch erhielte, könnten dann unter Umständen nicht mehr gewährleistet werden. Der Versicherte könnte auch nicht auf Beitragssteigerungen reagieren, weil jegliche Alternative fehlen würde.
Selbst die Leistungserbringer – ob es Ärzte oder Krankenhäuser sind – hätten eine denkbar schlechtere Verhandlungsposition als bisher. Es wäre interessant zu prüfen, wie sich die Verwirklichung der Vorstellungen der LINKEN auf die Leistungserbringer auswirken würde. Wie sähe die Absicherung der medizinischen Versorgung dann aus?
Lassen wir doch auch zur Beantwortung dieser Frage Institute Untersuchungen anstellen; es wird anscheinend sowieso nur noch Instituten Glauben geschenkt. Die Auswirkungen auf das System der gesundheitlichen Versorgung wären jedenfalls nicht positiv, weil sich die wirklichen Leistungsträger aus diesem System verabschieden würden. Warum wäre das so? Schauen Sie doch einmal in die Welt hinaus: Wir sind stolz darauf, top ausgebildete Ärzte und auch sonst hoch qualifiziertes Fachpersonal zu haben. Das wissen auch andere Länder, zum Beispiel die Vereinigten Arabischen Emirate; diese werben gute Leute mit gigantischen Lockmitteln ab.
Wer diesen Lockrufen folgt, ist diesem System verloren gegangen. Wir haben sie hier ausgebildet; sie hatten das teuerste Studium. Sie von den LINKEN schreien immer nach neuen Fachärzten und nach der Sicherstellung der medizinischen Versorgung generell. Im gleichen Atemzug mit dieser Forderung gefährden Sie aber das System.
Bezüglich Ihrer Forderung nach Einführung einer Bürgerversicherung ist eine weitere entscheidende Frage zu beantworten: Inwieweit kann diese bundesweite Versicherung noch auf spezielle Bedürfnisse und Anforderungen eingehen? Wie kann dann noch reagiert werden? Besondere Entwicklungen, die derzeit beispielsweise durch den Morbi-RSA abgebildet werden, könnten dann kaum noch Berücksichtigung finden. Das würde übrigens zuallererst unseren Freistaat treffen, der aufgrund der demografischen Entwicklung immer mit der Nase vorn ist, was die Überalterung anbelangt.
Ich sage es noch einmal abschließend: Die Bürgerversicherung ist nicht das ideale, nicht das geeignete Mittel. Wir setzen auf das bisherige, bewährte, solidarische System. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf einige Punkte in den Ausführungen meiner Vorrednerin werde ich in meiner Rede noch eingehen. – Feststeht, dass sich der Begriff „Bürgerversicherung“ in den vergangenen zehn Jahren durchgesetzt hat. Er ist aus der Diskussion über die Zukunft der Krankenversicherung einfach nicht mehr wegzudenken und hat seit dieser Zeit konstant Zuspruch von der Mehrheit der Bevölkerung, meist von über 70 %, in diesem Jahr erstmals sogar von 51 % der Ärztinnen und Ärzte.
Warum ist dem so? Ich sage es Ihnen: Das Modell der Bürgerversicherung beschreibt ein Modell für die Zukunft der Krankenversicherung, in der Solidarität konsequent zu Ende gedacht und eine gerechte Verteilung von Lasten nach der Leistungsfähigkeit beschrieben wird. Wir sehen eine nicht allein am Gewinn orientierte Gesundheitspolitik vor. Das ist nicht nur wünschenswert im Sinne einer solidarischen Gesellschaft; es ist auch hochgradig vernünftig für die Bewältigung ungewisser Risiken, wie sie Frau Strempel gerade beschrieben hat.