Danke, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich unterstützen wir GRÜNE ein starkes Europa, und das ist ohne europäische Sozialunion nun einmal nicht zu haben.
In Sonntagsreden wird das europäische Sozialmodell gern als beispielhaft gewürdigt. Aber soll es mehr als ein Papiertiger sein, ist die Harmonie schnell verflogen.
Obgleich die Angleichung sozialer Standards – Herr Herbst, es geht keinesfalls um Einheitsstandards – schon früh zu den Zielen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zählte, sind die nationalstaatlichen Interessen und Vorbehalte sehr ausgeprägt. Mehr noch, manche Mitgliedsstaaten und Regionen betrachten niedrige soziale Standards und Steuerdumpingangebote als Wettbewerbsvorteil im Kampf um die heiß umworbenen Investoren.
Bundespräsident Gauck gebrauchte in seiner Europa-Rede mahnende Worte: „Europa braucht jetzt nicht Bedenkenträger, sondern Bannerträger, nicht Zauderer, sondern Zupacker, nicht Getriebene, sondern Gestalter.“
Das europäische Haus muss wieder in Ordnung gebracht werden. Das geht nicht ohne mehr Kompetenzen für Europa.
Den EU-Gremien fehlt die Regelungskompetenz für die Sozialpolitik. Herr Schiemann, alles, was auf diesem Gebiet bisher geschehen ist, ist im Rahmen des Gemeinschaftsrechts für den Binnenmarkt begleitend geschehen.
Wir sind, wie ich finde, auch noch meilenweit von einer wirklichen Wirtschafts- und Währungsunion entfernt, weil es die Nationalstaaten bisher so wollen. Wer möchte, dass Europa auch künftig die gesellschaftliche Entwicklung in der Welt mitbestimmt, der muss für ein starkes Europa eintreten.
Das erfordert Einstimmigkeit im Rat und die Mitentscheidung des Parlaments. Diesen langen Weg vorzubereiten soll der vorliegende Antrag dienen. Er erscheint auf den ersten Blick ambitioniert; auf den zweiten Blick nimmt er die, wie ich finde, bescheidenen Forderungen der Kommission auf.
Herr Schiemann und Herr Herbst, was Sie den LINKEN an Forderungen zugeschrieben haben, ist lediglich die Übernahme der Feststellungen in der Kommissionsmitteilung. Das ist ursprünglich kein Antrag der LINKEN. Also erst einmal gut lesen!
(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN – Torsten Herbst, FDP: Ich muss die Mitteilung ja nicht gut finden!)
Ihrer Meinung nach hätte es dieser Kommissionsmitteilung gar nicht bedurft – trotz 27 Millionen Arbeitslosen in der EU, höchster Werte bei Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit und steigender Kinderarmut.
Die Analyse, die die Kommission vornimmt, ist richtig. Aber die Maßnahmen bleiben bescheiden: besseres Monitoring, erhobener Zeigefinger in Richtung Wirtschaft, nur wenige Maßnahmen gegen Sozialdumping. Auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss kann diese Selbstbeschränkung der Kommission nicht verstehen. Er fordert, sozialen Aspekten die gleiche Priorität wie dem Binnenmarkt zu geben, und sieht dieses Papier lediglich als einen ersten Schritt an.
Die Europäische Kommission nutzt bisher nicht einmal schon vertraglich mögliche Instrumente, wie zum Beispiel die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung, die sicherlich viel dazu beigetragen hätte, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Es ist korrekt, in Deutschland sind die Arbeitslosenzahlen gesunken. Wir haben mehr Jobs, aber auch mehr Armut. Das Armutsrisiko der 55- bis 64-jährigen Deutschen ist laut aktueller Statistik deutlich gestiegen. Unter den jungen Erwachsenen ist jeder Fünfte armutsgefährdet. 1,3 Millionen Lohnempfänger müssen mit ALG II aufstocken. Die EUKommission prüfte jüngst den deutschen Haushaltsplan und setzte die Bundesrepublik auf den letzten Platz der sogenannten Reformtabelle. Zu wenig für Bildung und Forschung, die Abgabenlast für Geringverdiener wurde nicht verringert, das Steuersystem bleibt ineffizient. Ja, alle müssen Hausaufgaben machen, auch selbst ernannte Musterschüler.
Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen – Herr Gebhardt, Sie haben sie gelobt – ist von einer wirklichen Vertiefung der EU in Richtung Sozialunion fast nichts zu lesen. Vielleicht hilft dieser Ruf aus Sachsen, um darauf aufmerksam zu machen. Daher stimmen wir diesem Antrag zu.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim Lesen des Antrages wusste ich nicht, was die LINKEN hier geritten hat. Ist es Naivität oder Realitätsverweigerung, was hier auf der Grundlage dieses EU-Kommissionspapiers gefordert wird? Das ist ein Papier, dessen Inhalt man etwa so interpretieren könnte: Wir müssen jetzt mal die soziale Dimension stärken, ehe uns das Humankapital davonläuft. Das ist natürlich sehr frei interpretiert, aber von einer Vertrauenskrise war ja vorhin schon die Rede.
Geradezu rührend wird es, wenn DIE LINKE in Punkt 3.I die Solidarität und finanzielle Mittel von der Wirtschaft einfordert. Aber diese Rührung legt sich schon im nächsten Punkt sehr schnell. Hier wird eine mehrfach im Papier auftauchende Forderung übernommen: die Beseitigung bestehender Hindernisse bei grenzüberschreitender
Beschäftigung. Jetzt frage ich Sie: In wessen Interesse soll das sein? Ein heimat- und wurzelloses Humankapital, das beliebig verschoben werden kann, ist das Ihre soziale Dimension?
Seit Jahren wird völlig zu Recht über die demografische Entwicklung in Deutschland und in der ganzen EU geklagt. Aber es fällt mir sehr schwer zu glauben, dass Sie hier keinen Zusammenhang erkennen können. Wie Sie alle wissen, hat das bürokratische Gebilde Europäische Union nichts mit der europäischen Idee zu tun. Die EU war in ihren Ursprüngen eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft und ist es bis heute. Die aktuellen Krisen zeigen auch, dass vom viel beschworenen europäischen Geist nicht viel übrig bleibt, wenn die wirtschaftliche Komponente oder der Wohlstandstransfer ins Stocken gerät. Genau diesen Wohlstandstransfer will DIE LINKE nun auch noch verstärken, indem sie das angesprochene Papier nicht ausreichend hinterfragt und kritiklos übernimmt. Wir sehen doch auf jeder Seite der Mitteilung der EU-Kommission, dass eben nicht die Interessen der sozial Benachteiligten im Mittelpunkt stehen, sondern die Interessen der unterschiedlichen Wirtschaftsräume.
Während einige Länder Erwerbsbevölkerung im Überfluss haben, brauchen andere Mitgliedsstaaten gut ausgebildete, günstige, mobile und sozial nicht verankerte Arbeitskräfte. Wenn Sie also jetzt fordern, dass die Arbeitsschranken innerhalb der EU abgebaut werden sollen, um sozial Benachteiligten mehr Freizügigkeit zu erlauben und qualifizierte Arbeitnehmer ins Land zu holen, dann hört sich das im ersten Moment nach einer guten Lösung für alle Beteiligten an. Fakt ist aber, dass die derzeit wirtschaftlich starken Nationen innerhalb der EU den bequemsten Weg suchen. Statt im eigenen Land die Erwerbsbevölkerung aus- und weiterzubilden, zieht man Fachkräfte ab, die im eigenen Land vielleicht dringender benötigt würden. Das europaweite GegeneinanderAusspielen der Arbeitnehmer entbehrt jeder sozialen Grundlage.
Sie wissen ja, dass wir als NPD-Fraktion seit geraumer Zeit vor Wohlstandsflüchtlingen warnen, die sich die Freizügigkeit in Europa zunutze machen, um die sozialen
Systeme einiger Staaten auszunutzen. Wenn es Ihnen wirklich um eine europäische Sozialunion ginge, dann würden Sie dafür sorgen, dass die deutschen Sozialsysteme vor Wohlstandszuwanderung geschützt werden, damit sie nicht kollabieren und damit denen zugutekommen, für die Sie sich angeblich in diesem Hohen Hause einsetzen: für die Sachsen. Ich will Ihnen das gern noch weiter erklären.
Nur ein friedliches Europa kann auch ein soziales Europa sein. Anträge wie der Ihre tragen nicht zum sozialen Frieden in Europa und in Deutschland bei. Wenn Sie hier den neoliberalen Ideen des ständig mobilen Humankapital-Europäers folgen, sind Sie nicht nur denen auf den Leim gegangen, die Sie angeblich im Marx‘schen Sinne seit 1848 bekämpfen; Sie stellen sich auch gegen die Menschen in Ihrem eigenen Land.
Im Gegenteil, sie gefährdet diese enorm. Die derzeitige Politik sorgt dafür, dass überwunden geglaubte Konflikte neu aufbrechen. Die EU wird und kann niemals eine Sozialunion sein. Dafür sind die Völker in Europa einfach zu unterschiedlich. Sie haben sich ihre kulturellen Eigenarten weitgehend bewahrt und sind noch nicht zum mobilen Humankapital verkommen, das von den Eurokraten in Brüssel nach wirtschaftlichem Bedarf hin- und hergeschoben werden kann, und zwar unter dem Deckmantel einer „sozialen Dimension“.
Der Antrag der LINKEN will zwar laut Begründung das „System vom Kopf auf die Füße stellen“, aber er trägt letzten Endes nur dazu bei, die wirtschaftlichen Interessen der Regionen, auch wenn sie vielleicht mit sozialen Versprechungen garniert sind, durchzusetzen. Für uns als NPD-Fraktion steht jedenfalls fest, dass sozial nur national geht. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen.
Wir gehen jetzt in die zweite Runde. Die Fraktion DIE LINKE hat wieder das Wort; Herr Abg. Bartl, bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer aufmerksam zugesehen hat, konnte bemerken, dass Frau Kallenbach inzwischen zweimal bei mir gewesen ist und mit dem Kopf geschüttelt hat. Ich übersetze das mal. Kollege Schiemann, ich weiß nicht, ob Sie den Antrag mal gelesen haben.
Wir haben mit dem Antrag nicht mehr und nicht weniger getan als ein Dokument der EU, die bewusste Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Stärkung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion, das am 02.10.2013 in Brüssel von der Europäischen Kommission verabschiedete Dokument zur Stärkung der sozialen Komponente in der Union, gewissermaßen aufzunehmen und zu sagen, es würde Sachsen nicht schlecht zu Gesicht stehen, wenn sich Sachsen, das sich im Grunde genommen immer als eine selbstbewusste Region in Europa gesehen hat, in dieser Initiative mit an die Spitze stellt. Wenn morgen im Bundesrat diese Europadrucksache zur Verhandlung steht, wollten wir heute im Parlament darüber debattieren, was das Parlament im Konkreten der Staatsregierung für ihr Auftreten in dieser Bundesratssitzung mit auf den Weg geben soll. Das ist weder eine linke Erfindung noch eine linke Übertreibung. Wir haben exakt das gefordert, was in dem Dokument vorgeschlagen und als notwendig angesehen wird, um eine seit Beginn der EU angelegte rechtliche Verpflichtung einzulösen, nämlich eine Einheit von Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion herzustellen, endlich umzusetzen. Das ist das Anliegen dieses Antrages.
Kollege Schiemann, Sie haben direkt die Notwendigkeit und Wichtigkeit exakt dessen, was wir als Weg vorschlagen, entsprechend bekräftigt. Die Notwendigkeit des Ausgleichs hat auch, nebenbei bemerkt, Kollege Herbst nicht bestritten. Man kann alles dadurch denunzieren, indem man nachher sagt, es sei nur zentralistisch oder nur Planwirtschaft, oder wie auch immer.
Hier geht es um eine Frage der rechtlichen Grundlagen dieser Europäischen Union. Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union sehen eben von vornherein vor, dass es sowohl die Wirtschafts- und Währungsunion als auch die Sozialunion gibt. Im Grunde genommen ist das bereits in den ersten Dokumenten der Europäischen Union angelegt. Es ist dann aus gutem Grund in den letzten Jahren, speziell auch 2012 und 2013, immer und immer wieder wiederholt worden, weil eben wesentliche politische Kräfte in der Europäischen Union zu der Überzeugung gelangt sind, dass der wohlgemeinte Ansatz in EU-Regelungen zur sozialen Dimension, der auf fast jeder Ratstagung gewissermaßen als Mantra der Regierungschefs Richtung europäischer Öffentlichkeit wiederholt wird oder auch in der Strategie „EU 2020“, im Beschäftigungspaket April 2012, im Paket zur Jugendbeschäftigung vom Dezember 2012 oder im Paket der sozialen Investitionen im Februar 2013 seinen Niederschlag findet, letzten Endes in der Luft hängen bleibt. Er wird eben nicht umgesetzt, wie das eigentlich vorgesehen und rechtlich geschuldet ist.
Frau Kollegin Kallenbach und auch Kollege Mann als Redner der SPD-Fraktion haben hier gesagt, dass unser Problem darin besteht, dass sich an unseren Vorbehalten an den makroökonomischen Konditionalitäten nichts geändert hat. Aber was wir mehr oder weniger fordern, ist, dass wir die dortigen Maßstäbe, die dortigen Verbindlichkeiten, die dortigen Sanktionsmöglichkeiten, die wir
haben, auch hier anwenden, wenn es darum geht, dass die sozialen Regelungsmechanismen entsprechend herangezogen werden, dass also beispielsweise das, was in Fragen der sogenannten makroökonomischen Konditionalitäten eine Rolle spielt, auch bei der Durchsetzung der vorgeschlagenen Sozialindikatoren zur Anwendung kommt.