Protokoll der Sitzung vom 17.12.2013

Wir könnten eine dritte Runde eröffnen. Besteht bei der einbringenden Fraktion DIE LINKE der Bedarf nach einer dritten Runde? – Das ist nicht der Fall. Hat die CDU-Fraktion Redebedarf? – Zumindest in dieser dritten Rednerrunde hat niemand Redebedarf angemeldet. Damit hat die Staatsregierung das Wort. Das Wort ergreift Herr Staatsminister Morlok.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin den Antragstellern für diese Aktuelle Debatte sehr dankbar. Sie räumt die Gelegenheit ein, die Position der Sächsischen Staatsregierung zum Thema Mindestlohn noch einmal deutlich zu machen und darzustellen, wie eng in dieser Frage der Schulterschluss zwischen der Sächsischen Staatsregierung und dem sächsischen Handwerk ist.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat beginnen, welches aus einer Meldung der dpa vom 25. Oktober dieses Jahres stammt – ich zitiere –: „Sachsens Handwerker sind gegen einen einheitlichen Mindestlohn für ganz Deutschland. Der Präsident des Handwerkstages Roland Ermer betonte: „Das sächsische Handwerk hält nichts davon, einen einheitlichen gesetzlichen Min

destlohn einzuführen.“ Genau das ist auch die Auffassung der Staatsregierung. Wir sind – die Staatsregierung gemeinsam mit dem sächsischen Handwerk – der Auffassung, dass ein flächendeckender branchenübergreifender Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro schlecht für Deutschland ist, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Herr Ermer hat weiter ausgeführt, ich zitiere: „Statt Mindestlöhne oder Lohnuntergrenzen staatlich zu verordnen, sollte die Politik dem Grundsatz der Tarifautonomie auch künftig einen größtmöglichen Entfaltungs- und Gestaltungsspielraum sichern.“

Ich habe die Kammern und ihre Vertretungen in diesem Zusammenhang angesprochen. Es gibt einen Beschluss der Handwerkskammer Dresden zum Thema Mindestlohn, und ich habe extra im Vorfeld dieser Aktuellen Debatte noch einmal beim Präsidenten der Dresdener Handwerkskammer nachgefragt, ob ich mich an den Beschluss auch richtig erinnere, und er hat es mir ausdrücklich bestätigt.

Die Vollversammlung in Dresden hat beschlossen, dass sie einen Mindestlohn unterstützt, sofern er branchen- und regional differenziert ist. Genau das ist der Beschluss der Vollversammlung. Ich habe hier deutlich gemacht, dass das sächsische Handwerk einen brancheneinheitlichen, regional unspezifizierten Mindestlohn ablehnt. Genau das habe ich in dieser Debatte ausgeführt. Das ist richtig, und das bleibt auch richtig.

(Beifall bei der FDP – Stefan Brangs, SPD: Da sagt das Protokoll aber etwas anderes!)

Lassen Sie mich nun zu einigen inhaltlichen Punkten kommen. Die entsprechende Studie, die Berkeley-Studie, die Herr Jennerjahn angeführt hat, ist mir sehr wohl bekannt. Aber es gehört zur Fairness dazu, deutlich zu machen, unter welchen Voraussetzungen die Wissenschaft zu dem Ergebnis kommt, dass ein Mindestlohn keine nennenswerten Arbeitsplatzeffekte hat. Voraussetzung ist nämlich, dass sich ein solcher Mindestlohn an dem vorhandenen Lohn in einer jeweiligen Region oder einer Branche orientiert. Das heißt, er darf sich nicht zu weit vom bestehenden Lohnniveau absetzen. Unterschiedliche Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. In der Regel ist es aber ein kleiner einstelliger Prozentbereich, bezüglich dessen man sagt, dass er abweichen kann, ohne dass es zu entsprechenden Arbeitsmarkteffekten kommt.

In Ostdeutschland, in Sachsen haben wir aber über 20 %, die sich unterhalb eines Niveaus von 8,50 Euro bewegen. Deswegen führt es in diesem speziellen Fall zu den negativen Arbeitsplatzeffekten, die wir als Staatsregierung nicht haben wollen. Deswegen setzen wir uns als Staatsregierung auch dafür ein, dass wir zu anderen Lösungen kommen, als sie in Berlin im Koalitionsvertrag vereinbart wurden.

(Lachen und Zurufe von den LINKEN und der SPD)

Ich möchte noch auf einige weitere inhaltliche Punkte eingehen. In der Koalitionsvereinbarung ist nichts über das Thema Ausbildung ausgesagt worden. Das halten wir für sehr problematisch. Sollte der Mindestlohn auch für Ausbildungsverhältnisse gelten, so würde dies dazu führen, dass die Ausbildungsbereitschaft in der Wirtschaft deutlich abnimmt. Das kann, sehr geehrte Damen und Herren, nicht unser Ziel sein. Wir brauchen gerade unsere gut ausgebildeten Fachkräfte im dualen System. Das heißt, ein Mindestlohn für Ausbildungsverhältnisse muss unbedingt verhindert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn nun aber ein Mindestlohn für Ausbildungsverhältnisse nicht gilt, wie wollen Sie dann einem jungen Menschen erklären, dass er für 400 Euro im Monat eine Berufsausbildung beginnen soll, wenn er als Hilfsarbeiter mit 8,50 Euro pro Stunde 1 400 Euro verdienen kann? Auch hier setzt diese Mindestlohnregelung das vollkommen falsche Signal. Sie gibt nämlich den Anreiz, als Ungelernter erst einmal schnell etwas zu verdienen und sich eben nicht um die qualifizierte Berufsausbildung zu bemühen. Auch deswegen lehnen wir als Staatsregierung diese Mindestlohnregelung ab.

(Beifall bei der FDP)

Ich habe immer gesagt: Wenn man die ordnungspolitischen Bedenken beim Mindestlohn hintanstellt und ihn doch einführt, muss man regionale und Branchenfragen mit in Betracht ziehen. Die Lebenshaltungskosten differieren in der Bundesrepublik Deutschland um 25 %. Damit lässt sich gut argumentieren, dass das auch beim Mindestlohn so sein sollte.

Wenn wir einmal über die Grenzen schauen, dann sehen wir die Unterschiede zu Westdeutschland – meinetwegen zu Baden-Württemberg, das an Frankreich grenzt. In Frankreich gibt es einen Mindestlohn in Höhe von 9 Euro. Das heißt, da werden keine Arbeitsplätze über die Grenze, nach Frankreich abwandern, gar keine Frage. Aber in Sachsen mit seinen langen Außengrenzen zu Tschechien und zu Polen gibt es diese Effekte. Denn in Tschechien bzw. Polen gibt es einen Mindestlohn in Höhe von 2 Euro. Da werden im grenznahen Bereich die Effekte eintreten, dass Arbeitsplätze über die Grenze ins Ausland abwandern. Auch deswegen sind wir als Staatsregierung gegen einen flächendeckenden, branchenübergreifenden bundeseinheitlichen Mindestlohn, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von den LINKEN und der SPD)

Es sind die Umfragen zitiert worden, aus denen hervorgeht, dass sich eine große Anzahl von Menschen in Deutschland für einen Mindestlohn ausspricht. In denselben Umfragen wurde aber auch erhoben, ob denn die Menschen bereit wären, mehr dafür zu bezahlen, wenn Produkte aufgrund eines Mindestlohns teurer werden. Die überwiegende Mehrheit spricht sich dagegen aus. Sie sind nicht bereit, mehr dafür zu bezahlen. Wie das aufgehen

soll – auf der einen Seite aufgrund des Mindestlohns mehr Geld zu verdienen, jedoch keine höheren Preise bezahlen zu wollen –, müssen Sie mir erst noch einmal erklären.

Wir bleiben als Staatsregierung dabei: Der deutschlandweite branchenübergreifende Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ist eine schlechte Sache für den Freistaat Sachsen. Wir werden ihn weiterhin ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, das war die Staatsregierung. – Mir liegt noch eine Wortmeldung vor. Ich rufe damit eine vierte Runde auf. Für die SPD-Fraktion spricht Herr Dulig. Sie haben noch zwei Minuten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe bewusst gewartet, bis die Rede vorbei ist, weil ich wissen wollte, ob Sie die Chance nutzen richtigzustellen, was Sie das letzte Mal versemmelt haben. Diese Chance haben Sie nicht genutzt. Wenn Sie sich den Titel dieser Aktuellen Debatte anschauen, die wir hier führen, dann stellen Sie fest, dass wir nicht den Sinn und Zweck des Mindestlohns diskutieren – die Diskussion werden wir weiter führen –,

(Stefan Brangs, SPD: Lesen macht schlau!)

sondern dass es Ihr Auftritt vom letzten Mal gewesen ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich fand es schon bezeichnend und interessant, dass Ihnen Ihr Koalitionspartner nicht zur Seite gesprungen ist, denn die CDU hat hier lediglich eine Inhaltsdebatte geführt. Da sind noch einmal Unterschiede deutlich geworden; die Diskussion über Sinn und Zweck des Mindestlohns würde ich auch gern weiterführen. Sie standen hier alleine da. Da sage ich Ihnen: Ihre Versuche der Interpretation funktionieren nicht.

Ich zitiere jetzt das, was Sie gesagt haben, und zwar vollständig: „Das sächsische Handwerk, meine sehr geehrten Damen und Herren, hatte sich klar und eindeutig gegen einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ausgesprochen. – Herr Kollege Brangs hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in den Vollversammlungen der Handwerkskammern im Gegensatz zu anderen Organisationen – meinetwegen der Industrie- und Handelskammer oder der Verbandsbranchenorganisation – die Arbeitnehmervertreter mit am Tisch sitzen und dort auch stimmberechtigt sind.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn eine Organisation, in der Arbeitnehmer Sitz und Stimme haben, sich gegen einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ausspricht,

(Stefan Brangs, SPD: Wo denn? Wo hat es das gegeben, Herr Minister? Eine Frechheit ist das!)

also auch die Arbeitnehmer und Handwerk sich gegen einen solchen flächendeckenden Mindestlohn aussprechen, dann sollten wir uns einmal Gedanken darüber machen, ob das, was gerade in Berlin vereinbart wurde, im Interesse der sächsischen Handwerker ist. Die Handwerkskammern sind jedenfalls nicht dieser Auffassung.“ Das ist Ihr Zitat, das ist eine Lüge, und das bleibt dabei. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen! Da können Sie uminterpretieren, wie Sie wollen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN – Stefan Brangs, SPD: Wo hat es denn einen solchen Beschluss gegeben?)

Herr Dulig, bitte nur noch einen Satz; Ihre Redezeit ist beendet.

Sie haben sowohl der Handwerkskammer als auch der Staatsregierung einen Bärendienst erwiesen, denn Herr Tillich hat dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Das hat er Ihnen vielleicht nur noch nicht gesagt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Es gibt noch eine Wortmeldung von der Linksfraktion. Herr Kind, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Der Mindestlohn wird nun kommen, jedoch wird er nicht so kommen, wie wir ihn verlangt haben, wie wir ihn politisch fordern. 10 Euro die Stunde wäre nämlich der Mindestlohn, der angesagt ist und der auch ökonomisch sinnvoll wäre;

(Zurufe von der CDU: 12 Euro! – Wer bietet mehr, wer hat noch nicht?)

denn damit würde man gerade einmal an die Grenze kommen, um Rentenbeiträge zahlen zu können und nicht unter die Armutsgrenze im Alter fallen zu müssen. Perspektivisch sind auch mehr als 10 Euro nötig. Das wäre das, was ökonomisch sinnvoll ist.

(Alexander Krauß, CDU: Genau!)

Aber warum sind wir in der Diskussion? Wir haben jetzt die Diskussion – Herr Krauß, ich bin sehr dankbar, dass Sie inhaltlich darauf eingehen, bei Herrn Heidan setze ich das nicht voraus, er albert nur herum, er weiß nicht, woher die Kollegen sind; wer aus Heidelberg ist, kann nicht 60 Jahre staatliche Preise diktiert bekommen haben, Heidelberg liegt nach wie vor in Baden-Württemberg –, dass es doch einen Grund dafür gab, nämlich, dass die Unternehmen, die sich an Tarifverträge binden, nachgelassen haben und immer mehr nachgelassen haben.

Waren es 1991 noch 408 allgemein verbindliche Tarifverträge, so sind es 2013 noch 239 allgemein verbindliche

Tarifverträge. Diese Entwicklung wurde vor mehr als 20 Jahren angestoßen, und auch unter der Regierung RotGrün wurden die Arbeitnehmerrechte massiv weiter beschnitten. Das hat uns in die Situation gebracht, dass wir überhaupt über den Mindestlohn reden müssen.

Wir sind uns alle einig, dass der Mindestlohn nicht zu mehr Reichtum in diesem Land führen wird, sondern nur zu sozialer Gerechtigkeit, und dass er nur eine Untergrenze zur Absicherung des Existenzminimums für Arbeitnehmer sein kann. Darum geht es. Deshalb können wir als LINKE nicht verstehen, dass man sich im Koalitionsvertrag auf eine Lösung geeinigt hat, die ein Schlag ins Gesicht der Niedrigverdiener im Osten ist. Mit welchem Recht müssen Arbeitnehmer im Osten, die im Niedriglohnbereich arbeiten – wir haben gehört, dass 20 % von ihnen noch einen Lohn unter 8,50 Euro haben –, noch einmal zwei Jahre warten, bevor sie von einem Mindestlohn partizipieren können, der nachgewiesenermaßen in fast allen europäischen Ländern zu keinen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führt?

(Zuruf von der FDP)

Das liegt aber nicht am Mindestlohn.