Protokoll der Sitzung vom 30.01.2014

Das Thema Fachkräftemangel hat natürlich seine Wirkung entfaltet. In Sachsen gab es eine Befragung der Handwerkskammern. 87 % der sächsischen Betriebe haben gesagt, sie wollen Familien unterstützen. Die Bereitschaft ist also groß, und die Bereitschaft ist da. Allerdings gaben 70 % der Betriebe in der gleichen Befragung an, nicht ausreichend informiert zu sein. 90 % gaben an, keine oder keine ausreichende Unterstützung für die Implementierung von familienfreundlichen Maßnahmen zu erhalten. Das ist die Befragung 2013 der sächsischen Handwerkskammern.

Das scheint auch die Erklärung dafür zu sein, dass wichtige familienpolitische Maßnahmen wie die Familienpflegezeit eben so ankommen, wie sie in Sachsen ankommen. In anderthalb Jahren haben bis Mitte letzten Jahres vier Arbeitgeber für fünf Beschäftigte eine Familienpflegezeit beantragt. Das ist ein Trauerspiel! Ich denke, hier müssen wir unbedingt nachjustieren.

Wir wissen, dass vor allem kleine Betriebe am meisten von konkreten klaren gesetzlichen Vorgaben profitieren. Da wir in Sachsen so strukturiert sind, ist es sozusagen eine Notwendigkeit, hier nachzubessern.

Auf Tarifverträge zu setzen ist auch wünschenswert und ausbaufähig. Allerdings, wenn wir in allen Branchen solche Tarifverträge hätten wie beispielsweise den Demografie- und Arbeitszeitvertrag der IG BCE, würden wir trotzdem mehr als 50 % der Beschäftigten in Sachsen durch die unterdurchschnittliche Tarifbindung damit nicht erreichen und die soziale Ungleichheit am Arbeitsmarkt weiter verstärken.

Aber lassen Sie uns bitte in diesen Debatten nicht die Interessen der Beschäftigten gegen die Interessen der Betriebe ausspielen. Es ist ganz wichtig, hier das Miteinander, das Gemeinsame in den Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Betrieben herauszustellen. Wir als Gesellschaft insgesamt profitieren davon, wenn wir es schaffen, einen Interessenausgleich hinzubekommen.

Ein Arbeitnehmer hat eine arbeitsvertragliche Verpflichtung gegenüber seinem Arbeitgeber. Er hat aber auch eine persönliche Verpflichtung seinen Kindern, seinen Eltern,

also seiner Familie gegenüber. Diese Verpflichtung, meine Damen und Herren, ist in Artikel 6 – Schutz der Familie – grundgesetzlich geschützt. Das ist im Alltag ein wenig aus dem Blick geraten. Hier müssen wir ansetzen. Das erfordert eine aktive gestalterische Politik, nicht mehr und nicht weniger: Politik als Anwalt für die Familien. Dafür werden wir als SPD auch weiterhin streiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

An Frau Kollegin Neukirch, die für die SPD-Fraktion sprach, schließt sich jetzt für die GRÜNEN Frau Giegengack an.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind schon einige Familienministerinnen aufgezählt worden. Es fehlt noch Frau Schröder. Ich finde, Frau Schröder hat in ihrer Amtszeit eigentlich zwei Sachen richtig gemacht: Zum einen hat sie ein Kind bekommen, und zum Zweiten hat sie in ihrer Amtszeit eine systematische Untersuchung zu zentralen Instrumenten der Familienpolitik durchgeführt. 2013 sind die Ergebnisse erschienen. Ich denke, diese beiden Sachen kann man als etwas Positives ihrer Amtszeit sehen.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind durchaus umstritten. Die „FAZ“ hat geschrieben: „Es handelt sich um einen Instrumentenkasten der Machtlosigkeit.“ Es kam die zentrale Kritik auf, dass Familien nur aus rein ökonomischer Perspektive betrachtet wurden. In der Tat, das ist eine Frage, das haben wir gestern auch wieder hier in der Diskussion um die Regierungserklärung gemerkt: Wann sind familienbezogene Maßnahmen tatsächlich wirksam?

Und es ist ein deutsches Phänomen, dass Familien, Wissenschaftler und die Politik diese Frage sehr unterschiedlich beantworten. Man ist sich in Deutschland in diesen drei Gruppen nur bei einer einzigen Maßnahme einig, nämlich dass die Kita durchaus sehr viel positive Wirkung zeigt. Sie trägt dazu bei, dass sich die Geburtenrate erhöht, dass sich die Frauenerwerbstätigkeit und die frühkindliche Bildung verbessern und dass das Familieneinkommen ansteigt.

Ein Problem in Deutschland ist, dass viele Maßnahmen unter einem ökonomischen Fokus eindimensional betrachtet werden. Dabei lohnt sich der Blick nach Norwegen. Die Norweger haben sehr gut verstanden, dass es eines Bündels an Maßnahmen bedarf und dass es um komplexe Aufgaben geht. Es geht um ein größeres Maß an Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sowie um staatliche und betriebliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das zeigt sich sehr deutlich an den Zahlen. Nur vier von zehn Müttern arbeiten in Norwegen in Teilzeit, in Deutschland sind es 70 %. Neun von zehn Vätern nehmen in Norwegen die Elternzeit in Anspruch, in Deutschland sind es nur 38 %.

Die Geburtenrate in Europa ist beispielhaft: mit 1,88 Kinder pro Frau – das klingt etwas komisch, aber es wird halt so gemessen –, in Deutschland sind es 1,36 Kinder pro Frau. In Sachsen liegen wir ganz gut: Bei uns sind es 1,48 Kinder pro Frau.

Es gibt auch deutsche Beispiele für betriebliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die ich gut finde und die auf jeden Fall Erwähnung und Nachahmung finden sollten. Hierbei ist zum Beispiel die BASF zu nennen, die an einem Zentrum für Work-Life

Management baut. In diesem Zentrum befinden sich Kinderkrippe, Sozial- und Pflegeberatung, Gesundheitsvorsorge sowie Sportangebote. Der Hintergrund ist – das sagt das Management ganz klar – die Personalfindung und Personalbindung.

Auch die Bosch-Gruppe, finde ich, gibt in diesem Zusammenhang ein gutes Bild ab. Sie wurde als familienfreundlichstes Großunternehmen ausgezeichnet. Sie

haben eine ganz clevere Studie gemacht. Sie haben nämlich 150 Führungskräfte vier Monate lang Teilzeitmodelle testen lassen. Die Konsequenz war – das hat mich sehr überrascht: 80 % dieser Führungskräfte sind bei der 36-Stunden-Woche geblieben.

Das wird auch weitergeführt. In dem Karrierebonussystem von Bosch bekommt man Pluspunkte, wenn man in Elternzeit geht oder auch eine Pflegezeit für Angehörige nimmt. Auch große Wohlfahrtsorganisationen wie die Caritas sind Fragen nachgegangen, was man denn unternehmen kann, um dieses Missverhältnis, nämlich dass 80 % der Angestellten bei der Caritas weiblich besetzt und nur 20 % der Führungspositionen weiblich sind, zu beheben. Das sind natürlich alles riesige Unternehmen – Bosch und BASF –, die einen finanziellen Hintergrund haben, sich solche Maßnahmen auch leisten zu können. Was ist mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen? Ich glaube, diese brauchen politische Unterstützung, auch solche Maßnahmen ergreifen zu können; denn wir sprechen die ganze Zeit von Fachkräftemangel, von demografischem Wandel und werden auf hoch qualifizierte junge Männer und Frauen angewiesen sein.

Ob der Freistaat Sachsen selbst mit gutem Beispiel vorangeht, dazu kann ich nicht sagen: Das SMF hat sich im letzten Jahr als familienfreundliche Behörde zertifizieren lassen.

Frau Kollegin, die Redezeit nähert sich dem Ende.

Allerdings beschränkte sich das dann auf ein Eltern-Kind-Zimmer, Teilzeitangebote und flexible Arbeitszeiten, aber der Punkt „no conference after agree“ zum Beispiel ist bei Ihnen im Ministerium nicht eingeführt worden, was aber vielen jungen Frauen und Männern ermöglichen würde, mehr Zeit für die Familie zu erbringen.

Die Redezeit ist jetzt wirklich zu Ende.

Dass das funktioniert, ist in Norwegen durchaus zu sehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Das war Frau Giegengack für die Fraktion DIE GRÜNEN. Nun spricht für die NPD Herr Dr. Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir als Nationaldemokraten wünschen uns eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Dinge, die Herr Krauß hier angesprochen hat – ein Lebensarbeitszeitkonto oder Telearbeitsplätze in der Häuslichkeit –, sehen wir als ein gutes Instrument an. Für die Telearbeitsplätze sind wir übrigens in der vierten Wahlperiode noch belächelt worden, jetzt ist das Thema bei der CDU angekommen. Ich finde, das ist gut. Bei dem gesamten Thema allerdings sehen wir uns nicht als die Anwälte derer, die das letzte Humankapital erschließen wollen, um es irgendwie in die Arbeit zu bringen.

Wir sehen uns in erster Linie als die Anwälte der Kinder. Die Bindungsforschung sagt ganz klar und eindeutig, dass die ersten drei Lebensjahre ganz wichtig sind im Kontakt zwischen den Eltern und den Kindern. Deshalb ist unser Herzensanliegen zunächst, wirkliche Wahlfreiheit herzustellen, Wahlfreiheit, ob ich das Kind in der Häuslichkeit als Mutter oder Vater betreue oder ob ich das Kind in eine Einrichtung zur Betreuung gebe. Herr Krauß hat es löblicherweise gestern angesprochen und unseren Vorschlag übernommen, diese 1 500 Euro, die pro Krippenplatz gezahlt werden, den Eltern zur Verfügung zu stellen, um wirklich wählen zu können zwischen Berufstätigkeit und Kindererziehung. Wenn das gewährleistet ist, dann würden sich manche Fragen hinterher nicht mehr stellen.

(Beifall bei der NPD)

Ich denke, der Druck auf die Arbeitgeber würde sich dadurch deutlich erhöhen, wirklich familienfreundliche Arbeitsplätze, familienfreundliche Arbeitsmodelle anzubieten, den Arbeitsplatz familienfreundlich zu gestalten. Da kann man sich manches, was von oben als Verordnung herausgegeben wird, was zum Beispiel von den LINKEN kam – man muss es mit Zwang versuchen –, sicherlich sparen, denn dann wäre einfach der Druck des Faktischen da.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Herr Müller sprach für die NPD-Fraktion. – Wir sind am Ende der ersten Rednerrunde angekommen und treten ein in eine zweite Runde, so es denn Redebedarf gibt, und den gibt es. Die einbringende Fraktion der CDU ergreift erneut das Wort, und das Wort erteile ich jetzt Herrn Kollegen Patt.

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns an die letzte Legislaturperiode und an die Enquete-Kommission zur demografischen Entwicklung erinnern, dann ist dort für mich etwas Besonderes feststellbar und festhaltbar für die Zukunft: Sachsen ist ein familien- und kinderfreundliches Land – deutlich überdurchschnittlich gegenüber anderen Ländern, was auch die hohe Verankerung von Familien mit Kindern im Land zeigt. An dieser Grundeinstellung, die auch unsere Unternehmen in der Regel erfasst und unsere Unternehmen sehr sensibel macht, können wir anknüpfen. Ich möchte aber betonen, es geht nicht nur um junge Eltern, sondern so, wie die Kinder wachsen, wachsen häufig auch die Probleme. Wir brauchen also in den Betrieben eine positive Einstellung zu Familien und haben diese auch überdurchschnittlich im Land.

Was uns hier vielleicht politisch unterscheidet, ist die Frage, ob wir freiwillige Lösungen oder staatliche Vorgaben bevorzugen. So, wie die Einstellung grundsätzlich ist, glaube ich, dass wir auf die Freiwilligkeit weiter Wert legen können, wobei wir uns nichts vormachen sollten: Beruf und Familie sind immer mit Einschränkungen verbunden: Wer so lapidar sagt, das geht alles prima und nach einem vollen Arbeitstag oder dreiviertel Arbeitstag komme ich nach Hause und stehe voll für meine Kinder zur Verfügung, und das ist alles kein Problem, dem glaube ich nicht. Vielleicht ist das nur bei mir mit unseren vier Kindern so, vielleicht haben andere das aber auch schon erfahren: Es ist eine Einschränkung. Nun kann man überlegen, ob der Beruf eine Einschränkung ist oder die Familie? Familie darf die Einschränkung nicht sein und ist sie für uns bestimmt auch nicht. Beruf ist ebenfalls Erfüllung.

Das richtige Maß zu finden ist der Weg, aber die Souveränität, das zu tun, Frau Kollegin Neukirch, haben die Familien sehr viel stärker als in früheren Zeiten; denn die Einkommen und Rahmenbedingungen ermöglichen heute etwas ganz anderes, als wir das in früheren Jahren und Jahrzehnten oder Jahrhunderten hatten, weshalb die Souveränität – auch aufgrund unserer Gesetzgebung für Familien – viel höher ist.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf möchte ich noch um einen dritten Punkt ergänzen. Wir leben auch von ehrenamtlicher Tätigkeit. Wir leben auch für das Ehrenamt. Wir brauchen also auch eine Vereinbarkeit zwischen Familie, Beruf und Ehrenamt. Wenn die Familien im Leben Zeit brauchen und sich unsere Gesellschaft dafür ausspricht, dann gewinnen wir auch eine Möglichkeit, der Entleerung unserer Räume entgegenzustehen oder auch unser Volkseinkommen auszubauen. Ich möchte drei zentrale Forderungen festmachen, weil es schon unterschiedliche Interessen in der Organisation von Arbeit und Familie gibt.

Zunächst, was Staat und Betrieb betrifft. Arbeitszeitmodelle wollen wir fördern, die den zeitlichen Bedürfnissen

von Kindern entsprechen und auch Eltern nach der Erziehungszeit wieder in die Arbeit oder ins Amt führen.

Zweitens. Was der Staat zu tun hat, das ist, nach einer Erziehungsphase eine Arbeitsmarktförderung zu organisieren, die Eltern durch Fort- und Weiterbildung wieder in den Betrieb, in das Unternehmen oder in das Amt bringt.

Drittens. Aufgabe der Betriebe ist es, die Familienkompetenz als wichtige Qualifikation bei der Arbeitskräfte- und Fachkräfteeinstellung zu berücksichtigen.

(Beifall bei der CDU)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer unbefristet Verantwortung für Kinder übernimmt, der darf auch nicht durch befristete Arbeitsverträge abgespeist werden. Das ist kontraproduktiv, das ist eine Aufgabe an den Staat, an die Staatsverwaltung, hier von Befristungen, die wir in vielen Bereichen haben, gerade im universitären Bereich, möglichst Abstand zu nehmen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

So bleibt es grundsätzlich eine Frage der persönlichen Einstellung. Da bin ich sicher, weil die Sachsen besonders kinder- und familienfreundlich sind, dass wir hier eine gute Vereinbarkeit zwischen Familie, Beruf und Ehrenamt hinbekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Patt sprach für die CDU-Fraktion als Einbringerin. Jetzt sehe ich am Mikrofon 2 eine Kurzintervention von Frau Giegengack.

Ich begrüße die Einstellung der CDU-Fraktion, die Herr Patt eben zum Ausdruck gebracht hat, dass man Arbeitszeitmodelle bei Betrieben fördern will, die den Bedürfnissen von Kindern entsprechen. Ich habe den Eindruck, dass hier ein Lernprozess stattgefunden hat. Ich denke, dass das Lieblingsprojekt der FDP, nämlich flexible Öffnungszeiten in den Kindertagesstätten, in denen Öffnungszeiten bis spät abends angeboten werden, genau nicht den Bedürfnissen der Kinder entspricht, sondern dass es in die andere Richtung gehen muss und wir versuchen sollten, eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf herzustellen und nicht die Familie und die Kinder an die Betriebe bzw. an die Bedürfnisse der Betriebe anzupassen.