Es gibt verschiedene Direktoren, die mit dem Konzept nicht einverstanden sind und es ablehnen. Zum Schluss ist auch noch das Konzept zur Bewertung von schulischen Leistungen, die dann nicht mehr richtig greifen. Ein Beispiel: Zwei junge Leute, 10. Klasse, der eine beweist den Satz des Pythagoras und der andere beschäftigt sich in derselben Klasse gerade mal mit dem Einmaleins. Wie wollen Sie beide ordentlich bewerten?
(Falk Neubert, DIE LINKE: Das war die Antwort! Sie haben doch die Frage gestellt! – Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)
An dieser Stelle muss auch gesagt werden, dass wir in Sachsen und in Deutschland sehr gute Förderschulen haben, um deren Fachpersonal wir im europäischen Vergleich beneidet werden. Das kommt bei der ganzen Geschichte viel zu kurz. Wir haben ein funktionierendes Förderschulsystem, das an dieser Stelle ausgeblendet wird. Wenn man ein Stück weiter geht: Das Experiment Inklusion ist in Schleswig-Holstein bereits gescheitert. Man hat dort Förderschulen quasi geschlossen, man hat alles auf Inklusion gesetzt, und jetzt, nachdem das Experiment gescheitert ist, will man zu den Förderschulen zurück. Das ist aber nur unter einem sehr enormen Aufwand möglich oder vielleicht auch nicht. Das ist noch nicht so ganz raus.
Ich bin davon überzeugt, dass wir unsere Kinder nicht zu Versuchskaninchen machen sollten, wenn der Versuch so schlecht vorbereitet ist.
Mit dem übereilten Beschluss, die Behindertenrechtskonvention umzusetzen, haben meines Erachtens einige ihr Gewissen beruhigt. Sie sind nach Hause gegangen mit dem guten Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Das reicht aber nicht. Ein Gefühl allein reicht nicht. Wenn wir Inklusion wahrhaft umsetzen wollen, dann muss sich der Landtag umfangreich mit dem Thema beschäftigen und muss bereit sein, richtig viel Geld in die Hand zu nehmen; denn letztendlich reduziert es sich leider Gottes zu einem großen Teil darauf.
Herr Wurlitzer, ich möchte Bezug nehmen auf Ihre Äußerung, dass die Bundesrepublik Deutschland in einer Art vorauseilendem Gehorsam die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen werde und dass das auch mit der Geschichte der Bundesrepublik – ich nehme an, Sie spielen auf Euthanasie und das Dritte
Reich an – zu tun hätte. Dazu möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde am 25. März 2009 durch den Bundestag ratifiziert. Damit besitzt sie den Rang eines Bundesgesetzes. Sie ist geltendes Völkerrecht. Es ist nicht ein vorauseilender Gehorsam, sondern die Einhaltung von Völkerrecht und Bundesrecht, dass wir uns an die Umsetzung begeben.
Ihrer Fraktion, die in diesem Haus und darüber hinaus immer peinlich genau bemüht ist, nicht im Zusammenhang mit Verfassungsfeindlichkeit oder der Nichteinhaltung von Gesetzen in Erscheinung zu treten, würde es sehr gut zu Gesicht stehen, auch dieses Bundesgesetz zu achten.
(Albrecht Pallas, SPD: Nein, wer keine Argumente hat, braucht auch nicht zu erwidern! – Dr. Stefan Dreher, AfD: Wir springen nicht über jedes Stöckchen, das man uns hinhält!)
Gibt es Redebedarf für eine zweite Runde? – Das ist nicht der Fall, sodass ich die Staatsregierung frage, ob das Wort gewünscht wird. – Frau Staatsministerin Klepsch, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Ratifikation der UN-Behindertenrechtskonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung durch den Bund ist nunmehr sechs Jahre alt und hat in den einzelnen Bundesländern einen sehr dynamischen und äußerst vielfältigen Prozess in Gang gesetzt.
Einige Bundesländer haben in aller Eile ihre Schulgesetze novelliert, zum Teil Förderschulen abgeschafft oder auf eine Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf in bestimmten Förderschwerpunkten gänzlich verzichtet. Das übereilte Agieren im schulischen Bereich hat dazu geführt, dass erste Länder entsprechende Entscheidungen bereits rückgängig gemacht haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die im frühkindlichen Bereich beginnt und weit über die schulische Bildung hinausgeht. Umso wichtiger ist es, die UN-BRK schrittweise und mit Augenmaß umzusetzen. Sachsen hat sich für diesen Weg entschieden, und genau auf diesem Weg befinden wir uns jetzt.
Es wurde bereits angesprochen: Wir haben eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet. Hierin gibt es fünf Untergruppen. Eine Untergruppe, die sich mit dem Thema
Bildung befasst, steht unter dem Vorsitz des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus. Der fortgeschriebene Aktions- und Maßnahmenplan zur Umsetzung von Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention wird letztlich ein wichtiger integraler Bestandteil sein.
Meine Damen und Herren! Die UN-BRK setzt auf das gemeinsame Leben von Menschen mit Behinderung und von Menschen ohne Behinderung. Ich glaube, die Beiträge hier zeigen, dass der Gedanke die Köpfe und vor allem die Herzen der Menschen erreichen muss. Inklusion muss wachsen, und dafür müssen wir gemeinsam die erforderlichen Voraussetzungen schaffen. Ich denke, das ist selbstredend.
Herr Abg. Zschocke hatte schon auf den Beschluss des Landtages vom September 2011 hingewiesen. Im April 2012 wurde der erste Aktions- und Maßnahmenplan vorgelegt. Die Empfehlungen des Expertengremiums wurden einbezogen, aber die Empfehlungen sind in ihrer Gänze nicht kurzfristig umsetzbar, sondern sie brauchen einen Zeitraum – so ist es zumindest definiert – von fünf bis zehn Jahren.
Aber im Aktions- und Maßnahmenplan sind bereits zahlreiche vorgesehene Maßnahmen in Umsetzung. Einige Beispiele möchte ich noch nennen, wobei das eine oder andere von meinen Vorrednern bereits angesprochen wurde. Im Rahmen des Neuerlasses der Lehramtsprüfungsordnung I wurden im August 2012 die Themen Integration und Inklusion in ihren fachlichen Zusammenhängen in die universitäre Ausbildung aller Lehrämter aufgenommen. In der zweiten Phase der Lehrerbildung wurden mit der Einführung des zwölfmonatigen Vorbereitungsdienstes die neuen Herausforderungen, bezogen auf Integration und Inklusion, in den Ausbildungscurricula verankert. Die Vermittlung von sonderpädagogischem Grundwissen in der Fort- und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer wird konsequent fortgesetzt und weiter ausgebaut, hier zum Beispiel mit der landesweiten Qualitätsoffensive „Zertifikatskurs integrativer Unterricht“, und der Schulversuch ERINA wurde bereits mehrfach von meinen Vorrednern zitiert, sodass ich darauf nicht noch einmal näher eingehen möchte.
Ja, auf dem Weg zu mehr gemeinsamem Unterricht haben wir in Sachsen in den letzten Jahren, wie ich meine, gute Fortschritte erzielt. Seit der Ratifikation hat sich in Sachsen die Quote der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die integrativ beschult werden, von 17,9 % im Schuljahr 2009/2010 auf 30,4 % im Schuljahr 2014/2015 erhöht.
Meine Damen und Herren Abgeordneten! Sachsen bekennt sich zur Vielfalt der Förderorte; denn so unterschiedlich die Arten der Behinderung sein können, so vielseitig müssen auch die schulischen Förderorte sein. Wir erarbeiten gegenwärtig den Landesaktionsplan; Sie wissen es. Er soll bereits Ende 2015 den ersten Zwischenbericht als Grundlage haben, und in diesem ersten Zwischenbericht wird die Fortschreibung des Aktions- und Maßnahmenplanes, der das Thema Bildung zum Schwer
punkt hat, enthalten sein. Ich bin davon überzeugt, dass wir dabei auf einem richtigen Weg sind. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass wir nur zu einem wirklich guten Ergebnis kommen können, wenn wir alle, wie wir hier versammelt sind, davon überzeugt sind, dass Inklusion und Integration für uns, für unsere Menschen ein wichtiger Schritt ist und wir uns gemeinsam auf diesen Weg begeben müssen.
Meine Damen und Herren, das Schlusswort hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Abg. Zschocke, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gefahr der übereilten Umsetzung, Frau Klepsch, besteht in Sachsen wahrlich nicht. Dazu standen in der Vergangenheit wirklich viel zu viele auf der Bremse. Ich sage einmal: Die Handlungsvorschläge, die wir mit unserem Antrag machen, sind fachlich begründet und fundiert. Wir lesen ja, was die Expertenkommission herausgearbeitet und aufgeschrieben hat.
Wenn Sie, Frau Firmenich, sagen, Sie werden im weiteren Prozess der Erstellung des Aktionsplanes die Empfehlungen aufnehmen, dann müssten Sie eigentlich zustimmen. Sie sagten zum Beispiel, Sie wollen die Empfehlungen der Expertenkommission aufnehmen. Ich habe noch einmal nachgelesen. Die Kommission empfiehlt, die Schulaufsicht grundsätzlich zu verpflichten, die Wahlentscheidung der Eltern zu übernehmen. Das beißt sich mit der Aussage, die Sie vorhin zur Wahlfreiheit getroffen haben.
Zum Thema ERINA ist viel gesagt worden. Dass keine freie Schule dabei ist, finden Sie schade, Frau Firmenich. Es tut mir leid, aber ich muss deutlich sagen: Das war politisch nicht gewollt. Sich heute hinzustellen und zu sagen, das ist schade; es wäre vielleicht besser gewesen, wir hätten jene einbezogen, die in Sachsen schon die meisten Erfahrungen mit inklusiver Bildung gesammelt haben, ist aus meiner Sicht wirklich unzureichend. Es ist jetzt zu spät, das ist klar.
Sie sagten, den Antrag brauche es nicht, da die Koalition es ohnehin schon macht. Ja, gut. Aber das hören wir hier schon seit Jahren. Die Handlungsbedarfe bestehen aber jetzt, und ich sage Ihnen auch, warum: Es hat vor Kurzem eine Umfrage von Infratest unter Lehrerinnen und Lehrern gegeben. Ein deutliches Ergebnis dieser Umfrage war, dass die Unzufriedenheit mit der Inklusion wächst. Das hat Gründe. Wenn nämlich nicht klar ist, wo es hingehen soll, wenn die Vision nicht klar ist, dann stiftet das Verwirrung. Wenn die notwendigen Fähigkeiten der Handelnden nicht da sind, entsteht Unsicherheit. Wenn Anreize fehlen, ist Frustration vorprogrammiert, und ich sage es noch einmal deutlich: Ohne ausreichende Res
sourcen – dies wurde auch in der Debatte deutlich – wird das ehrliche Bemühen um Integration wieder konterkariert. Ohne einen fortgeschriebenen Aktionsplan wird das ein Fehlstart, und dort müssen wir jetzt ran. Wir können nicht wirklich länger warten.
Wir haben mit der SPD bereits vor einem Jahr einen Katalog mit dringenden, konkreten Handlungsvorschlägen vorgelegt, um die Rahmenbedingungen für das Gelingen inklusiver Bildung in Sachsen zu verbessern. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie auch ein Jahr später und in Regierungsverantwortung noch zu Ihren eigenen Vorschlägen stehen, auch wenn Sie das heute nicht unterstützen wollen. Ich kann da wirklich nur mit den Worten Ihres Landesvorsitzenden von vorhin enden: Machen Sie sich doch nicht kleiner, als Sie sind, liebe Sozialdemokraten.
Sie haben doch selbst noch vor einem Jahr all diese Umsetzungsvorschläge mit eingebracht. Lassen Sie uns doch heute einfach mit der Zustimmung des Sächsischen Landtags ein starkes Signal für die schulische Inklusion in Sachsen setzen!
Herr Präsident, ich bitte um Einzelabstimmung über Punkt 1 unseres Antrages. Über die Punkte 2 bis 10 kann gemeinsam abgestimmt werden.
Das werden wir so machen. Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über die Drucksache 6/1762. Es war punktweise Abstimmung gewünscht. Wer dem Punkt 1 seine Zustimmung geben möchte, zeigt das bitte an. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Vielen Dank. Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen und zahlreichen Stimmen dafür ist dem Punkt 1 dennoch nicht entsprochen worden.