Protokoll der Sitzung vom 09.07.2015

Sie sehen also, in Sachen TTIP ist viel Ideologie am Start. Das passt übrigens auch zur Großen Anfrage, die Sie von den LINKEN gestellt haben. Wenn man sie sich durchliest, bleibt ein zentraler Eindruck: Sie empfinden TTIP vor allem als Bedrohung. Das wundert mich nicht, schließlich ist es ja ein Abkommen mit den Amerikanern und nicht mit den Sowjets.

(Heiterkeit und vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ihre Position ist also weniger inhaltlich denn ideologisch; aber das sind wir bei Ihnen ja gewohnt. Der gerade ausgeteilte Entschließungsantrag, den ich mir eben noch schnell reingezogen habe, setzt dem Ganzen noch die Krone auf: Sie wollen kein TTIP. Sagen Sie es doch einfach und versuchen Sie nicht, das auf der einen oder anderen Seite irgendwie geradezurücken.

(Zurufe von den LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Mal, wenn ich eine Grenze überquere, über die man heute freizügig verkehren kann, freue ich mich über die Abschaffung der Schlagbäume: kein Generve, keine lästigen Kontrollen, kein Zoll, der einem im Nacken sitzt.

(Lothar Bienst, CDU: Doch!)

TTIP wird Handels- und Investmentschlagbäume abschaffen. Fragen Sie heute mal 30-Jährige, was sie von Beschränkungen bei Handel, Investitionen und Arbeitsplätzen durch Staatsgrenzen halten. Spätestens dann werden Sie erkennen, welche großen Chancen TTIP für uns alle bereithält – diesseits und jenseits des Atlantiks. Dieses Abkommen hat den Erfolg verdient und keine ideologischen Scharmützel. Es ist zu unser aller Nutzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, nun die SPD-Fraktion; Herr Abg. BaumannHasske. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich werde jetzt keine Ausführungen zum Chlorhühnchen machen und weniger auf den technischen Bereich eingehen, als Herr Nowak es gerade getan hat; denn ich denke, wir haben mit TTIP insgesamt ein politisches Problem.

Wir haben mit dem Freihandelsabkommen – ich glaube, zur allgemeinen Überraschung – in den letzten Monaten bzw. mittlerweile schon länger als ein Jahr eine öffentliche Debatte über ein Abkommen bekommen, das zunächst einmal sehr technisch anmutet. Wir diskutieren ein

Thema, das plötzlich in Deutschland und darüber hinaus viele, viele Menschen umtreibt, und ich sage einmal vorab: Ich glaube, das ist gut so. Meine Fraktion, meine Partei und ich sind sehr froh darüber, dass es eine so komplizierte, facettenreiche, abstrakte Materie trotz dieser Eigenschaften geschafft hat, die öffentliche Wahrnehmung nicht nur größerer Gruppen, sondern sogar die Wahrnehmung durch die Medien zu erreichen. Das war nicht immer so. Es handelt sich hier in weiten Teilen um ein extrem technisches Abkommen, das in der Vergangenheit kaum jemanden jemals interessiert hat.

(Zuruf von der CDU: Eben, eben!)

Es wurde eine Vielzahl von Handelsabkommen abgeschlossen. Deutschland allein hat seit dem Zweiten Weltkrieg 138 solcher Abkommen abgeschlossen. Ich habe sie nicht gezählt; diese Zahl lässt sich den Medien entnehmen. Nun könnte man sagen, es gab noch nie ein so weitreichendes Abkommen wie TTIP, deshalb ist die Aufmerksamkeit gerechtfertigt. Dazu zwei Bemerkungen:

Erstens wurde auch CETA, also das vergleichbare Abkommen mit Kanada, ausgehandelt – und dies weitgehend außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Über CETA wird heute diskutiert. Als es vor Jahren verhandelt wurde, wurde darüber nicht gesprochen.

Zweitens. In der Tat ist es gut, dass die Öffentlichkeit endlich wahrnimmt, was hier verhandelt wird; denn es geht eben nicht nur um Freihandel, sondern es geht natürlich auch um die Harmonisierung, die Angleichung verschiedener Wirtschaftssysteme. Das bedarf meines Erachtens in der Tat der öffentlichen Debatte.

Dieser Hintergrund relativiert ein wenig den Eindruck, die Europäische Kommission hätte zunächst geheim verhandelt. Ich möchte dem Eindruck ein wenig entgegentreten, als gäbe es hier die Verschwörung der Europäischen Kommission und von Lobbyisten, die versucht hätten, im Hauruckverfahren irgendwelche Abkommen durchzusetzen.

In der Vergangenheit ist es immer so gelaufen, dass es niemanden interessiert hat, und deswegen hat die Europäische Kommission auch niemanden informiert, weil es eben bisher nie jemanden interessiert hat. Inzwischen ist das Interesse groß, inzwischen ist viel passiert, die Verhandlungsmandate sind veröffentlicht worden, die Inhalte sind klarer geworden, ohne dass man bis heute wüsste, was denn nun tatsächlich konkret auf dem Tisch liegt.

Der vorliegende Antrag der Fraktionen CDU und SPD stellt zunächst fest, dass wir den Abschluss von Freihandelsabkommen gut finden. Das hat seine Gründe. Wir leben in einer Gesellschaftsform, die wir gern als soziale Marktwirtschaft bezeichnen. Wir wollen den Wettbewerb in der Marktwirtschaft und wollen den Markt so weit regulieren wie notwendig, damit die Gesellschaft sozial bleibt oder sozialer wird. Der Markt lebt vom Austausch von Wirtschaftsgütern. Die Wirtschaftsgüter müssen angeboten und nachgefragt werden.

Deutschland hat einen hohen Exportüberschuss, dem es seinen Wohlstand zu großen Teilen verdankt. Angebot und Nachfrage stehen Handelsbarrieren entgegen. Werden die Einnahmen aus dem Exportüberschuss so eingesetzt, dass sie die Kaufkraft stärken, führt das zu Konsum und damit zu wachsenden Importen. So stärkt der Handel die Wirtschaftskraft der beteiligten Länder.

Je freier der Handel innerhalb sozialer Grenzen stattfinden kann, desto höher sind die volkswirtschaftlichen Erträge. So weit die Theorie, wobei man sagen muss, dass die Praxis das in gewissem Umfang bestätigt, denn Deutschland hat es diesen Prinzipien zu einem großen Teil zu verdanken, dass es einen sehr hohen Lebensstandard hat.

Wir kommen also zu der Auffassung, dass Freihandel im Grunde etwas Gutes ist. Fraglich ist allerdings, wie viel höheres Einkommen ein solches Abkommen bringen kann. Welches Wachstum soll daraus entstehen? Hierzu gehen die Meinungen der Gelehrten weit auseinander. Einige sehen bis zu 7 % Wirtschaftswachstum, bei anderen entstehen allenfalls 0,7 %. Ich glaube, es macht wenig Sinn, diesen Streit als Laie entscheiden zu wollen. Feststellen kann man aber, dass die Absenkung von Barrieren bisher immer zusätzliches Wachstum gebracht und nie dazu geführt hat, dass auf diese Art und Weise sozialer Rückschritt entstanden ist.

(Nico Brünler, DIE LINKE: Doch, beim Abkommen mit Mexiko!)

Meine Damen und Herren! Kommen wir zu den potenziellen Schattenseiten solcher Abkommen. Auf diese Einschränkung kommt es ganz wesentlich an, denn ein Abkommen, das die Situation der Bürgerinnen und Bürger verschlechtert, kann aus unserer Perspektive nicht gewollt sein. Diesbezüglich ergibt sich aus der Debatte einiges an Befürchtungen, ohne dass die meisten überhaupt wissen, wovon die Rede ist und welche Grundlagen wir haben.

Ich zitiere in diesem Zusammenhang aus der Vorbemerkung zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE – Ihren Entschließungsantrag habe ich leider noch nicht mit verarbeiten können, weil er mir erst heute zugegangen ist. Dort steht, TTIP und alle weiteren Freihandelsabkommen würden einen massiven Eingriff in die kommunale Gestaltungshoheit und die kommunale Selbstverwaltung darstellen. „TTIP, CETA, TiSA sowie alle weiteren Abkommen werden weitreichende Auswirkungen auf unseren Lebensalltag, auf zentrale Regelungen der Wirtschaftstätigkeit, auf die öffentliche Daseinsvorsorge, die landwirtschaftliche Produktion und die Wettbewerbsfähigkeit vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen...“ usw. usf. „haben. Hohe europäische Standards... könnten zum Opfer fallen.“

Wenn ich es überspitzen wollte, würde ich sagen: Woher wissen Sie eigentlich, dass es so kommen wird? Bisher liegt – man mag das bedauern – noch kein diskussionsfähiger Entwurf vor.

Wenn ich die Zuspitzung weglasse, dann bleibt der begründete Verdacht, dass sowohl bei den Verhandlern als auch bei den Lobbyisten der Wunsch nach Regelungen besteht, die diese Gefahren in sich bergen. Es wird in diesem Hohen Hause weitgehend Einigkeit darüber bestehen, dass ein Abkommen, das diesen Gefahren nicht begegnet, nicht ratifiziert werden sollte. Deswegen haben wir Forderungen erhoben, die sich an die Bundesregierung als Mitglied des Rates, an das Europäische Parlament als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger Europas und an die Kommission als Verhandlungspartner richten.

Diese Forderungen umfassen eine Transparenz des Verfahrens. Der Investorenschutz darf sich nicht auf die Souveränität der nationalen Parlamente und Gerichte negativ auswirken. Der Investorenschutz muss ohne Schiedsgerichte stattfinden oder er muss herausgenommen werden. Kein Investorenschutz darf geschehen gegen indirekte Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen und durch den Gesetzgeber. Es darf keine Beeinträchtigungen öffentlich-rechtlicher Banken und Sparkassen geben. Es darf keine Möglichkeit der Erzwingung der Zulassung von gentechnologisch veränderten Nahrungsmitteln und Medikamenten geben. Es darf keine direkte oder indirekte Schlechterstellung von Arbeitnehmern und keine Eingriffe in die Tarifautonomie geben. Es darf keine Verletzung von Urheberrechten oder geschützter Herkunftsbezeichnung geben. Unser hohes Niveau des Datenschutzes darf nicht unterlaufen werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Wenn diese und andere Bedingungen erfüllt wären, meine ich, müsste man einem solchen Freihandelsabkommen zustimmen können. Wir müssen allerdings abwarten, was ausgehandelt wird, und müssen dann die Diskussion darüber führen, ob das, was dabei herausgekommen ist, akzeptabel ist oder nicht.

Ich würde in einem zweiten Teil noch einiges zum weiteren Verlauf der TTIP-Diskussion sagen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Nun die Fraktion DIE LINKE, Frau Abg. Klotzbücher. Bitte sehr, Frau Klotzbücher, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Das klingt alles so, als stünden uns goldene Zeiten bevor: der Abbau von Handelshemmnissen, die Stärkung der Wirtschaft, die Schaffung von Arbeitsplätzen und Investitionsanreizen. Alles in allem wachsender Wohlstand für 800 Millionen Menschen in der größten Freihandelszone der Welt. Endlich!

Es ist nur vernünftig, dass sich das Europaparlament gestern mehrheitlich für das geplante Freihandelsabkommen TTIP ausgesprochen hat. Auch die CDU- und die SPD-Fraktion sehen den blühenden Landschaften von Hawaii bis zu den Karpaten erwartungsvoll entgegen,

denn, die Freihandelszone würde laut dem vorliegenden Antrag wesentliche Impulse für neue Investitionen geben und die Wirtschaft Sachsens beleben.

Spätestens jetzt müsste man doch ob der Schönmalerei stutzig werden. Herr Baumann-Hasske, an Sie kann ich ebenfalls die Frage stellen: Woher wissen Sie das eigentlich? Die Frage ist sehr einseitig in diesem Zusammenhang. Zu dem Vorwurf, dass ich Vermutungen ohne Grundlage in den Raum stellen würde, sagen ich: Auf der gleichen Grundlage, wie ich argumentiere, argumentieren Sie auch.

Die Sache hat aus unserer Sicht nicht nur einen Haken, sondern gleich mehrere. Die Kritikpunkte, welche die Fraktion DIE LINKE in dem Abkommen TTIP, aber auch an den gekoppelten Abkommen CETA, TiSA und Co. sieht bzw. deren Auswirkungen, die sich auch immens auf Sachsen auswirken werden, möchte ich Ihnen kurz darlegen.

Als Erstes nenne ich die Intransparenz. Schon allein die Intransparenz der Verhandlungen zum geplanten Freihandelsabkommen schreit zum Himmel. Gespräche, deren Folgen das Leben Hunderter Millionen Menschen betreffen werden – mehr als vier Millionen Menschen leben davon übrigens in Sachsen –, finden geheim und abseits jeder Öffentlichkeit statt. Von Mitbestimmung ist überhaupt nicht die Rede.

Zweitens. Das Versprechen von TTIP als Wachstums- und Beschäftigungsmotor, auf das sich CDU- und SPDFraktionen in ihrem Antrag beziehen, wurde mehrfach, unter anderem auch von der Friedrich-Ebert-Stiftung, in einer Analyse aller bedeutenden Studien zum Thema TTIP als Märchen entlarvt. „Die zu erwartenden Wachstums- und Beschäftigungseffekte sind winzig“, stellt die Stiftung fest. Schon dieser Prämisse Ihres Antrags können wir also nicht folgen.

Drittens, Ökologie und Verbraucherschutz. Die prinzipielle Einstellung beider Vertragsparteien unterscheidet sich grundlegend. Zum Beispiel gilt in Europa das Vorsorgeprinzip. Die Unschädlichkeit von zum Beispiel hormonbehandeltem Fleisch oder neuen Medikamenten muss bewiesen werden, bevor diese auf den Markt kommen.

In den USA gilt das Nachsorgeprinzip: Solange die Schädlichkeit von Produkten oder Zusätzen nicht nachgewiesen werden kann, sind sie auch auf dem Markt zugelassen. Sicher, nun gibt es alle möglichen Zusagen der EU, dass diese Standards nicht verschlechtert werden. Das Problem liegt aber nicht in diesem Versprechen, sondern in der Definition, was bessere oder schlechtere Standards bedeuten. Ist das bessere Produkt das wirtschaftlichere und das profitablere Produkt? Oder das, welches den Bedürfnissen der Verbraucher am meisten genügt? Abstrakte Versprechen bringen also auch in diesem Zusammenhang gar nichts.

Viertens, die kommunale Daseinsvorsorge. Sie ist in Deutschland wichtiger Bestandteil des Sozialstaats und der kommunalen Selbstversorgung. Auch hier ist zu

vermuten, dass die Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge weiter liberalisiert und privatisiert werden würden und somit auch die Gestaltungshoheit der Länder und Kommunen bedroht wäre.

(Zuruf von der CDU: Ist doch Quatsch!)

Auch der Kulturbereich ist in Gefahr.

(Staatsminister Martin Dulig: Stimmt auch nicht!)

Hierzu herrscht in den USA und der EU ein vollkommen unterschiedliches Verständnis. Die EU-Staaten haben im Gegensatz zu den USA die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ratifiziert. Der gesellschaftliche Wert der Kultur in Europa ist allgemein als schützenswert anerkannt und lebt vielfach von öffentlicher Förderung. In den USA hingegen spielt dieser eine nachgeordnete Rolle und auch dort gelten im Kulturbereich die Regeln des freien Marktes.

Wenn nun öffentliche Subventionen als wettbewerbsrechtliche Benachteiligung einklagbar und somit unmöglich werden würden, stünde das gesamte europäische Kultursystem zur Disposition. 2010 wurde immerhin jede Eintrittskarte für die Semperoper in Dresden mit 96 Euro subventioniert und somit überhaupt erst ermöglicht. Aber auch bei Konzerten, Theaterstücken, Radio, Film und Fernsehen ist die Förderung mit öffentlichen Geldern bei uns gang und gäbe. Unter totalen Marktbedingungen hätten viele Kulturgüter überhaupt keine Chance und Kultur verkäme in jeglicher Hinsicht zu einem kommerzgeprägten Einheitsbrei.

Sechstens, zu behaupten, bei TTIP stünden kleine und mittelständische Unternehmen oder gar die Bürger(innen) im Vordergrund, ist pure Täuschung. Im Vordergrund steht das vorgesehene Investitionsschutzrecht und die Etablierung von privaten oder öffentlichen Schiedsgerichten, durch welche Konzerne weiter ermächtigt werden, im großen Rahmen Rechtsstaatlichkeit zu umgehen. Es geht außerdem um eine Stärkung westlicher Standards gegenüber den Brics-Staaten, insbesondere gegenüber China und Russland, denen man unter der These, man hätte ohnehin die besseren Standards, die Regeln für den Welthandel aufdrücken will. Ein reines Machtkalkül also, welches in dem vorliegenden Antrag sogar noch explizit positiv herausgehoben wird.