Sechstens, zu behaupten, bei TTIP stünden kleine und mittelständische Unternehmen oder gar die Bürger(innen) im Vordergrund, ist pure Täuschung. Im Vordergrund steht das vorgesehene Investitionsschutzrecht und die Etablierung von privaten oder öffentlichen Schiedsgerichten, durch welche Konzerne weiter ermächtigt werden, im großen Rahmen Rechtsstaatlichkeit zu umgehen. Es geht außerdem um eine Stärkung westlicher Standards gegenüber den Brics-Staaten, insbesondere gegenüber China und Russland, denen man unter der These, man hätte ohnehin die besseren Standards, die Regeln für den Welthandel aufdrücken will. Ein reines Machtkalkül also, welches in dem vorliegenden Antrag sogar noch explizit positiv herausgehoben wird.
Doch TTIP ist absolut kein Abkommen, das auf eine friedliche und harmonisch funktionierende Wirtschaft abzielt, sondern es ist in alten Denkmustern verhaftet, die von einer Überlegenheit westlicher gegenüber anderen Staaten ausgehen.
Eigentlich sollte im 21. Jahrhundert der Freihandel nicht mehr bilateral, sondern multilateral und auf jeden Fall gleichberechtigt geführt werden.
Abschließend lässt sich sagen, dass leider auch dieser Antrag nicht wirklich den Aufschlag zu einer Debatte bezüglich TTIP und anderen Freihandelsabkommen bildet. Dazu bräuchte es mehr Weitblick, ein bisschen mehr Realitätssinn und vor allem Konstruktivität.
Lassen Sie es mich im Folgenden noch kurz erklären. Im März 2014 erklärte die Staatsregierung auf eine Kleine Anfrage des Abg. Klaus Bartl zu den Freihandelsabkommensverhandlungen, dass ein Transparenzproblem nicht ersichtlich wäre. Handlungsbedarf wurde auch negiert. Aussagen wurden – wie auch aktuell in meiner Großen Anfrage – mit dem Verweis verweigert, man könne nur über den Sachverhalt beraten, wenn die endgültige Fassung des Vertrages vorliegen würde. Das hat mich doch etwas schockiert, weil es unter dieser Devise eigentlich unmöglich wäre, über jegliche EU-Gesetzesvorlagen vor der Einreichung zu debattieren. Das wäre so, wie auch noch damit anzufangen, die Auswirkungen erst ins Parlament zu bringen, wenn sie schon längst eingetreten sind.
Im Antrag findet sich auch die Aussage, dass die CDU- und SPD-Fraktion insbesondere begrüßen, dass sich die Wirtschafts- und Sozialpartner über die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Verhandlungen zu TTIP freuen. So ist doch aber allgemein bekannt, dass vor allem in den Vorgesprächen zu den Verhandlungen fast ausschließlich Wirtschaftslobbyisten zugegen waren. Auch haben sich mehr als 480 Organisationen in dem „Aktionsbündnis STOPP TTIP!“ zusammengeschlossen und mehr als 2,3 Millionen Unterschriften gegen die Freihandelsabkommensverhandlungen gesammelt. Die Reaktion seitens der EU-Kommission: keine.
Auch in Sachsen findet die Debatte um TTIP, CETA und TiSA viel Resonanz. Die Freihandelsabkommen werden in Stadt- und Gemeinderäten diskutiert und zahlreiche bedeutende Einzelpersonen und Gremien haben Statements dazu abgegeben, so zum Beispiel die Handwerkskammern in Dresden und Chemnitz, die Hochschulrektorenkonferenz, die sächsischen Landesverbände des BUND und des NABU oder aber der Deutsche Kulturrat. Diese Äußerungen waren zum großen Teil kritisch oder ablehnend; aber all das lässt der vorliegende Antrag unberücksichtigt.
Das können Sie doch nicht wirklich als Einbringung der Zivilgesellschaft bezeichnen, denn wir Politikerinnen und Politiker hängen in der Debatte der Zivilgesellschaft weit hinterher. Hier ist es an der Zeit aufzuholen, sich fundierter zu positionieren und den Kritikpunkten zu stellen. Uns geht es um eine lösungsorientiertere Debatte im Interesse Sachsens und Europas, die nicht erst geführt werden kann, wenn die Unterschriften unter die Abkommen gesetzt wurden. Wenn ich lese, dass die Staatsregierung darauf achten wird – Zitat aus dem Antrag –, „dass durch das Abkommen keine Nachteile, aber viele Vorteile für Sachsen entstehen“, dann bin ich wirklich, wirklich gespannt, wie Sie das anstellen wollen.
Auch wir, die Fraktion DIE LINKE, würden Ihre goldenen Zukunftsaussichten gern teilen, bezweifeln aber, dass
der Antrag und die in diesem Antrag formulierten Positionen von CDU und SPD für eine Auseinandersetzung mit der Thematik ausreichen. Die Auswirkungen solcher Freihandelsabkommen würden Sachsen, Sachsens Bevölkerung und wohl auch den sächsischen Haushalt umfassend betreffen. Das einfach abzuwarten und keinerlei Initiative während des Diskussionsprozesses zu ergreifen wäre schlichtweg verantwortungslos.
Ja, eine Kurzintervention. – Frau Kollegin, ich wüsste gern, woher Sie es haben, dass die kommunale Daseinsvorsorge durch TTIP in Gefahr ist. Es ist ausschließlich Angelegenheit der nationalen Parlamente, was sie liberalisieren oder nicht; das sollten Sie eigentlich wissen. Das ist durch dieses Abkommen nicht in Gefahr. Ich verstehe nicht, warum Sie das hier behaupten.
(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Es geht um Wasser- und Abwassergebühren, und das ist kommunale Hoheit! – Zuruf von der CDU)
Bei den Aussagen ging es vor allem um die Bereiche der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung; das sind die größten – –
Auf jeden Fall ist meines Wissens vor allem die kommunale Daseinsvorsorge noch nicht explizit in Negativlisten ausgeschlossen. Das war auch alles im Konjunktiv formuliert, weil, wie wir jetzt mehrfach festgestellt haben, keine fundierte Grundlage dafür da ist. – So viel dazu.
Meine Damen und Herren, wir setzen in der Aussprache fort mit Herrn Abg. Dr. Dreher für die AfD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! TTIP soll dem ungehinderten Austausch von Waren und Dienstleistungen über die Grenzen der beteiligten Staaten hinweg dienen und positive Impulse erwarten lassen. TTIP – ein Freihandelsabkommen, welches zum Wohl der Bürger durch zwischenstaatliche Verträge souveräner Staaten technische Dienstleistungs- und Sozialstandards wechselseitig
anerkennen und so Handelshemmnisse beseitigen soll zum Wohle aller. Wenn man diese Zeile liest – wunderschön.
Die Erfahrungen mit den USA und anderen Freihandelsabkommen, insbesondere NAFTA – dem Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko –, zeichnen leider ein anderes Bild. Es finden wie bei TTIP statt: Geheimverhandlungen zwischen Lobbyisten mit der Gefahr flächendeckender Absenkung von Standards, insbesondere im Bereich von Verbraucherschutz, Dienstleistungen und im Sozialbereich und unter Aufgabe nationalstaatlicher Souveränität zum Nachteil der eigenen Wirtschaft und Bürger durch Schaffung privater Schiedsgerichte, die die nationale Souveränität der beteiligten Staaten drastisch beschneiden.
Das Ganze findet statt zwischen ungleichen Partnern, von denen zumindest der große – die USA – bereits jetzt seine Gesprächspartner seit Jahrzehnten unter dem Deckmantel der Gefahrenabwehr ausspioniert, auch im Bereich der Privatwirtschaft.
Aus der Nähe betrachtet zu den Interessenlagen: Ein sehr renommierter Fachmann auf dem Gebiet, Prof. Max Otte aus Köln, stellt fest: „Freihandel ist nicht per se schlecht, jedoch der Begriff des Freihandels versteckt mehr als er offenbart. Bei Freihandel muss man immer fragen: Wer handelt frei zu wessen Nutzen? Wen muss man vielleicht auch schützen? Schutzbedürftigkeit ist in der deutschen sozialen Marktwirtschaft nicht fremd. Aber auch sonst gibt es Schutzbedürftigkeit in der Wirtschaft bei den Schwachen, die nicht eine so große Lobbymacht haben wie die Großen. Dieser Aspekt wird unter dem beschönigenden Begriff des Freihandels einfach mal unter den Tisch gekehrt.
Der stärkere Partner, die USA, werden ihre Vorstellungen, wie ein Wirtschaftssystem zu gestalten ist, nämlich für die eigenen US-Konzerne, das heißt, für das eigene Kapital, verwenden und auch gegenüber Europa durchsetzen. Das zerstrittene Europa hat dem wenig entgegenzusetzen.
Freihandelsabkommen bedeuten zunächst einmal: pro Finanzinvestoren, pro Großkonzerne und Druck auf Arbeitnehmer. Dieser Druck wird wachsen, vor allem in Europa. Die USA haben das Ganze schon einmal für sich erfolgreich durchgespielt – mit NAFTA. Sämtliche Standards sind letztlich nach unten angepasst worden, seinerzeit vom US-amerikanischen Niveau in Richtung auf das mexikanische Niveau. Wir in Europa müssen befürchten, dass durch TTIP viele unserer Sozialstandards verloren gehen, Arbeitsplätze ebenso. Es drohen die im Vergleich zu Europa deutlich niedrigeren US-Standards,
die aber durch die über NAFTA eingeführten niedrigeren mexikanischen Standards bereits abgesenkt worden sind.
Werfen wir einen Blick in die Verhandlungskommission von TTIP: TTIP spiegelt die Interessen der beteiligten US-Groß- und Weltmarktkonzerne wider. Am Verhandlungstisch der USA sitzen zum Beispiel Vertreter von – in alphabetischer Reihenfolge – Apple, Exxon, General Electric, Goldman Sachs, Kraft Foods, Microsoft, Monsanto, Pfizer, Philip Morris International, Procter & Gamble, The Coca Cola Company, The National Chicken Council, Xerox, um nur einige zu nennen.
Lori Wallach von Global Trade Watch, einer amerikanischen Verbraucherorganisation, die den Welthandel unter die Lupe nimmt, führte aus: Der Traum war, dass mit TTIP Arbeitnehmerrechte aus Europa in die USA gebracht werden, ebenso europäische Umweltstandards, europäischer Lebensmittelschutz und Datenschutz.
Aber so wird es nicht kommen. Nach allem, was Global Trade Watch und andere Verbraucherschutzorganisationen wissen – wir erinnern uns: es werden zwischenstaatliche Geheimverhandlungen geführt, für den interessierten Bürger völlig undurchsichtig gestaltet –, geht es darum, die Geschäfte der vielen großen amerikanischen und der wenigen europäischen Welthandelskonzerne zu befördern. Letztlich soll es also insbesondere großen US-Konzernen vereinfacht werden, in Europa zu operieren.
Es gibt eine warnende Vorlage für TTIP – ich sagte es bereits –: NAFTA. Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen ist seit 20 Jahren in Kraft. Lori Wallach sagte dazu: Wir leben seit 20 Jahren mit NAFTA. Ich sage euch Europäern: Versucht es nicht! Wir haben erlebt, wie all das wahr wurde, wovor Kritiker warnten. Und es kam noch viel schlimmer!
Nehmen wir ein Beispiel aus dem Großraum Detroit. Detroit war früher die wohlhabende Autostadt mit vielen Arbeitsplätzen in der Automobil- und der Zulieferindustrie. Hunderttausende Arbeitsplätze gingen dort seit der Einführung von NAFTA verloren. Das Städtchen Ypsilanti lag früher im Detroiter Speckgürtel und beherbergte eine Vielzahl von Autozulieferfirmen mit vielen Arbeitsplätzen. Nach dem Inkrafttreten von NAFTA wurden diese über die Grenze nach Mexiko verlagert. Heute liegt Ypsilanti nicht im Speckgürtel. Die Anwohner sagen von sich selbst, dass sie im „Rostgürtel“ leben. Die Bezeichnung wurde in Anlehnung an die vielen verrostenden Industrieanlagen dort gewählt.
Was verdient ein Arbeiter in Mexiko? Rund 97 Peso am Tag. Das sind 6 US-Dollar. In Ypsilanti waren es früher 18 US-Dollar in der Stunde.
Die Befürworter von TTIP versprechen, nach Einführung des Freihandelsabkommens werde es statistisch 500 Euro pro Monat mehr je Haushalt geben – statistisch. Das ist wie die linke Hand auf der Herdplatte und die rechte im Kübel Eiswasser; statistisch ist die Körpertemperatur in Ordnung.
Nochmals Prof. Otte: TTIP ist ein Angriff auf Bürgerrechte, Konsumentenrechte, Arbeitsmarktstandards.
Die ohnehin niedrigen US-Arbeitsstandards sind zwischenzeitlich weiter abgesenkt worden, nämlich aufgrund der noch niedrigeren Standards in Mexiko, die sich über NAFTA auch auf die USA auswirken. Billiglöhner produzieren ohne genügende Arbeitssicherheitsvorschriften unter persönlichen Gefahren zu Dumpingpreisen. In Mexiko verloren Bauern ihr Auskommen und gerieten in bittere Armut. Das Geschäft machen nun die großen USLebensmittelkonzerne; das sind die, die auch die TTIPVerhandlungen führen. Während die mexikanischen Bauern keine Geldmittel haben, um ihre Waren – wie Tomaten und Paprika – auf dem internationalen Markt anzubieten, ist das anders herum für die US-Agrarkonzerne kein Problem. Diese überfluten auch den mexikanischen Markt zu Tiefstpreisen. Einfache Bauern können da nicht mehr mithalten. Früher lebten mexikanische Bauern bescheiden, aber auskömmlich, zum Beispiel vom Maisanbau und von der Produktion von Zuckerrohr. Sie nannten es „Oro blanco“, „weißes Gold“. Seit NAFTA verarmen sie und haben kaum genug zum Überleben. Seit NAFTA hat sich Mexiko noch mehr als vorher in Arm und Reich gespalten. Mexiko zählt 120 Millionen Einwohner, weniger als ein Tausendstel von Ihnen besitzt mehr als 43 % des Vermögens.
Kommen wir zur Aufgabe nationaler Souveränität durch die Schaffung privater Schiedsgerichte. Schiedsgericht ist nicht gleich Schiedsgericht. In Deutschland können Entscheidungen privater Schiedsgerichte von staatlichen Gerichten überprüft werden. Das ist bei den internationalen privaten Schiedsgerichten – das gilt für NAFTA wie für TTIP – nicht vorgesehen. Hier sollen private Schiedsgerichte entscheiden, nicht mit unabhängigen Richtern besetzt, sondern mit Privatpersonen, mit Lobbyisten, verbindlich und im Verborgenen.
Wir brauchen keine privaten Schiedsgerichte. Deutschland hat eine hervorragende unabhängige Justiz. Für die Wirtschaft kann man bei den Landgerichten Kammern für Handelssachen einrichten, wie wir das hier in Dresden und Leipzig realisiert haben. Diese Kammern sind mit Spitzenjuristen besetzt und verhandeln nicht geheim, sondern öffentlich. Sie haben sich seit vielen Jahrzehnten bewährt.
Über die Möglichkeit der Gerichtsswahl kann man verbindlich internationale Gerichtszuständigkeiten – zum Beispiel in Deutschland – vereinbaren. Ich betone: Wir brauchen keine Privatschiedsgerichtsbarkeit.
Ein abschreckendes Schiedsgerichtsbeispiel aus dem NAFTA-Bereich: Drei US-Konzerne haben vor einem Schiedsgericht den Staat Mexiko verklagt. Die USKonzerne stellen Zucker aus Zuckerrohr her. Mexiko erhob darauf eine Steuer, um seine heimische Zuckerrohrproduktion zu schützen. Das angerufene internationale Schiedsgericht befand, dies verstoße gegen das Freihandelsabkommen, und Mexiko musste mehrere Hundert Millionen US-Dollar an die Konzerne bezahlen.