Protokoll der Sitzung vom 16.09.2015

Ich denke, wir werden in den nächsten Tagen weiterhin hinnehmen müssen, dass den Flüchtlingen Hindernisse bereitet werden. Die Hindernisse, vor allen Dingen an der ungarisch-serbischen Grenze, halte ich für ein großes Problem, weil sie letztendlich nichts bewirken. Sie beseitigen keine Barrieren.

(Beifall bei der SPD)

Bitte zum Ende kommen.

Sie werden das Problem lediglich verschieben. Es ist eine große Herausforderung der Länder und Gemeinden, so viele Menschen aufzunehmen.

Was mich nachdenklich macht, ist, dass offensichtlich die Grenzkontrollen von allen Ministerpräsidenten parteiübergreifend wohl gutgeheißen werden. Jedenfalls konnte man das der Berichterstattung über das gestrige Gipfeltreffen bei der Kanzlerin nicht entnehmen, dass – –

Sie müssen bitte zum Ende kommen!

Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Europa braucht eine neue Migrationsagenda. Die Aufgabe der EU ist ausgesprochen schwierig. Wir brauchen eine langfristige Strategie.

Ich muss Sie jetzt nochmals bitten, Sie haben schon über eine Minute überzogen!

(Zurufe: Oh!)

Das alles kann Europa nur gemeinsam bewirken. Ich möchte Sie abschließend auffordern, daran mitzuwirken, dass wir diese Aufgaben bewältigt bekommen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt kommt die Linksfraktion, bitte. Frau Abg. Nagel

(Zuruf von der AfD: Jetzt geht’s los!)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Schiemann, die größten Kritiker der Ideologen sind scheinbar selbst Ideologen. Das muss man zu Ihrem Beitrag vorab sagen.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich komme zum Thema. Es ist nicht wegzureden, dass sich einzelne EU-Staaten der Aufgabe entziehen, Schutzsuchenden Zuflucht zu gewähren. Hieran zeigt sich, wie prekär der Solidaritätsgedanke innerhalb der Europäischen Union ist; das wurde hier schon verschiedentlich

gesagt. Deutschland – auch daran muss man erinnern – hat sich in den letzten Jahrzehnten eher abgeschottet als sich zu öffnen. Dass die Dublin-Vereinbarung nicht funktioniert, ist nicht erst seit gestern bekannt, und dass wir dringend über eine Harmonisierung der Asylsysteme auf einem hohen Qualitätsniveau sprechen müssen, ebenfalls nicht.

Es wird nicht funktionieren, Menschen auszuschließen. Auch wenn es abgedroschen klingt: Sie werden sich ihre Wege suchen. Schlepper werden mehr Geschäftsfelder finden. Migration wird für die Menschen, die diesen Schutz brauchen, riskanter.

Sehr geehrte Damen und Herren der Koalition! Was Sie bzw. Ihre Verantwortungsträger auf Bundesebene mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen auch hier in Sachsen tun, ist Politik auf dem Rücken von geflüchteten Menschen.

(Beifall bei den LINKEN)

Es ist Politik auf dem Rücken kleiner armer Staaten im Vorhof der EU, wo sich echte humanitäre Katastrophen anbahnen. Ich verweise auf Südosteuropa bzw. auf den Vorhof davon.

Diese politische Linie – auch das muss man einmal ins Visier nehmen – kommt nicht von ungefähr. Die lichten Momente der Bundeskanzlerin, die hier sogar noch kritisiert werden, wie die Aufhebung des DublinVerfahrens für syrische Flüchtlinge und die spontane Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn, werden auf dem Fuß folgend von Hiobsbotschaften überdeckt. Darüber spricht kaum jemand.

Sie, sehr geehrte Damen und Herren der SPD, haben in der Sondersitzung am 1. September 2015 zum Thema Asyl noch darüber gesprochen, dass Sie die Flüchtlinge nicht in gute und schlechte unterteilen werden.

(Albrecht Pallas, SPD: Das hat doch nichts mit guten oder schlechten zu tun!)

Vor gut einer Woche haben Sie mit der CDU auf Bundesebene ein Programm vorgelegt, mit dem genau dies getan wird. Weitere Staaten sollen zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Wir wissen, dass das Konstrukt der sicheren Herkunftsstaaten nichts anderes ist als ein politisches Instrument, um Asyl zu beschränken. Doch damit nicht genug. Um das noch auszuweiten, sollen auch Geldleistungen für Asylsuchende in Erstaufnahmeeinrichtungen gänzlich gestrichen werden. Menschen sollen noch länger in überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen verbringen, statt drei dann sechs Monate, und es sollen Abschiebelager für bestimmte Asylsuchende, die hierherkommen, eingeführt werden. Nicht zuletzt soll die Laufzeit von Duldungen verkürzt werden.

(Zuruf von der CDU)

Die humanitäre Show-Politik wird so durch knallharte Regelungen, die wir zum Teil für verfassungswidrig halten, relativiert. Sie, sehr geehrte Damen und Herren

der Großen Koalition, wollen ein Asylbeschränkungsprogramm statt offene Türen für Menschen in Not. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei den LINKEN)

Werfen wir einen Blick auf Sachsen. Wir kommen nicht heraus aus der Politik der Interime. Ich möchte noch einmal betonen: Nicht die Menschen, die hierherkommen wollen, sind das Problem, sondern die Missstände der Vorjahre. Dass die Erstaufnahmeunterbringungskapazitäten knapp werden, deutete sich spätestens im letzten Jahr an. Im letzten Jahr wurden bis zu 2 000 Geflüchtete aus den Erstaufnahmeeinrichtungen ohne Registrierung des BAMF den Kommunen zugewiesen. Die Situation der medizinischen Erstuntersuchung war seinerzeit auch schon prekär, die Finanzausstattung der Kommunen war es ebenfalls.

Die Informationspolitik des Freistaates war und ist fragwürdig. Dort, wo Strukturen und Prozesse grundlegend schlecht aufgestellt sind – das waren sie in Sachsen – kann auch in Ausnahmesituationen nicht adäquat reagiert werden. Sprich: Die Probleme bei der Unterbringung, der Versorgung und der Betreuung der Flüchtlinge in Sachsen sind ein hausgemachtes Problem und haben auch etwas mit der Einstellung zu tun, die hier zum Teil in diesem Hohen Haus herrscht.

Blicken wir jetzt nach Dresden, Heidenau, Leipzig, Chemnitz, Böhlen, um ein paar der 27 – Stand: letzte Woche – Erstaufnahme-Interims zu benennen, kann von einem gemeinsamen Meistern der nationalen Aufgabe Asyl wohl kaum die Rede sein. Wenn Sie sagen, dass wir froh sein sollen, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf haben, dann verweisen wir auf die Proteste von Flüchtlingen in Heidenau, auf den Hungerstreik in Böhlen, auf die Proteste in Leipzig, in Dresden usw. usf.

Die Verzweiflung in einigen der Interims ist sehr groß. Dabei geht es nicht nur um die mangelnde Privatsphäre, unter Hunderten von Menschen keine Ruhe zu finden, Angst zu haben usw. Es geht um eine prekäre medizinische Versorgung, um die Ungewissheit, in welcher die Menschen bezüglich ihres Asylverfahrens gelassen werden, um Bewegungsfreiheit, um den Schutz vor Anfeindungen etc.

Die nationale Aufgabe zu meistern, besteht vor allem darin – der Überzeugung bin ich –, den Menschen zuzuhören, die Sie hier so sehr herbeischwören, die Hilfe leisten, um zu erkennen, wo es wirklich klemmt. Es klemmt an ganz vielen Stellen. Es kommt nur in diesem Haus nicht an. Es ist wichtig, sich den Menschen zu widmen, die in den Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen, und deren Rechte in Bezug auf ihre Asylverfahren zu gewährleisten.

Bitte zum Ende kommen.

Die Aufgabe besteht darin, nicht nur das Nötigste zu tun, sondern das Möglichste. Das erwarten wir.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Die AfD-Fraktion, Herr Abg. Barth, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte abschließend – die Redezeit ist nicht mehr allzu lang – aus unserer Sicht nur noch einen kleinen Blick auf Sachsen werfen. Wir wissen alle, 20 000 Flüchtlinge sind aus Ungarn durch unsere Bundeskanzlerin nach Deutschland eingeladen worden. Verteilerzentrum war der Hauptbahnhof München. Der Freistaat Sachsen hat auch 250 Flüchtlinge im Rahmen dieser Sonderverteilung aufgenommen. Sie wurden an einem Sonntag in der Heeresschule Dresden untergebracht.

Am darauffolgenden Montag waren 200 dieser Asylbewerber nicht mehr auffindbar. Sie sind weder registriert noch sind sie einer medizinischen Erstuntersuchung unterzogen worden. Das muss man sich einfach mal auf der Zunge zergehen lassen. So funktioniert in Sachsen derzeit unser Asylsystem. Es verschwinden 200 Asylbewerber. Niemand weiß, wo sie sind.

(Staatsminister Markus Ulbig: Sind sie weitergereist!)

Die Antwort auf eine meiner Kleinen Anfragen ergab, dass trotz steigender Flüchtlingszahlen bis zum 31. Juli in Sachsen lediglich 678 Asylbewerber abgeschoben worden sind. Gleichzeitig leben in Sachsen nunmehr 5 654 Asylbewerber, die nachweisbar ausreisepflichtig sind und von denen 2 266 einen Duldungsstatus haben.

Sehr geehrte Abgeordnete! Wundern Sie sich angesichts dieser Zahlen nicht, wenn die Akzeptanz für Flüchtlinge und Asylbewerber in der Bevölkerung weiter zurückgeht. Die AfD-Fraktion bejaht das Grundrecht auf Asyl in jedem Fall für wirklich politisch Verfolgte und für Bürgerkriegsflüchtlinge. Wenn in der Gesellschaft allerdings aufgrund Ihres politischen Versagens die Skepsis oder gar die Ablehnung gegenüber den wirklich Asylberechtigten sinkt, ist das auch ein Teil Ihrer Verantwortung.

Ich danke Ihnen recht herzlich.

(Beifall bei der AfD)

Frau Abg. Zais für die GRÜNEN, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Noch ein Blick nach Europa. Wer sich heute hinstellt – das macht eine ganze Reihe von deutschen Politikerinnen und Politikern – und eine solidarische Lösung, was die Aufnahme und die Verteilung von Flüchtlingen betrifft, verlangt, sollte nicht vergessen – daran möchte ich hier

noch einmal erinnern –, welche Rolle Deutschland bei den Dublin-III-Verhandlungen, die im Jahr 2013 abgeschlossen wurden, eingenommen hat.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Sehr richtig!)