Protokoll der Sitzung vom 16.09.2015

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Sehr richtig!)

Alle Forderungen des Europaparlaments und der Kommission nach einem Solidaritätsmechanismus hat

Deutschland abgeblockt. Warum? Weil Deutschland ein besonderer Profiteur der Dublin-III-Regelungen war,

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Ja, richtig!)

während von vornherein klar gewesen ist, dass Länder wie Malta, Griechenland, Italien oder Ungarn die Hauptlast von Dublin III tragen werden.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Sehr richtig!)

Deshalb sagen wir GRÜNEN: Die Dubin-III-Verordnung ist ein unsolidarisches, untaugliches und menschenfeindliches Instrument der Regulierung von Flucht,

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

und sie führt letztlich auch dazu, dass es ein florierendes Geschäft ist, die Rechtsverordnung zu umgehen. Ich denke hier zum Beispiel an Bulgarien, wo es gang und gäbe ist, Geld dafür zu nehmen, beispielsweise Fingerabdrücke nicht abgeben zu müssen. Deshalb ist die Abschaffung der Dublin-III-Verordnung für uns besonders wichtig.

Ein Wort noch zu Ungarn: Ungarn, Herr BaumannHasske, will keine Hilfe.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Na ja!)

Auch dies gehört zur Wahrheit. Ungarn will keine Flüchtlinge, und – das wissen wir seit Jahren – Ungarn hat eine undemokratische Regierung,

(Widerspruch bei der AfD)

eine Regierung, die die Meinungsfreiheit eingeschränkt und rassistische und antisemitische Hetze betrieben hat.

(Zuruf von der AfD: Ja!)

Ich möchte zum Abschluss noch einmal Herrn Orbán zitieren. Er bezeichnete in diesem Sommer die Massen illegaler Einwanderer als Bedrohung für die kulturelle Identität Europas, und er vertrat die Ansicht, Europa solle weiter den Europäern bleiben. Das ist Ungarn, und die Frage zu solchen Entwicklungen in der Europäischen Union wird nach Auffassung der GRÜNEN auch zur Nagelprobe in der europäischen Asyl- und Integrationspolitik werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Völliger Käse!)

Meine Damen und Herren, wir gehen nun in eine neue Runde. Es beginnt wieder die CDU; Herr Abg. Hartmann.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine sehr interessante

Betrachtung, die wir da gehört haben. Frau Zais, es mag Ihnen ja nicht gefallen, was die ungarische Regierung tut – mir gefällt vielleicht auch nicht alles –, aber sie als „undemokratisch“ zu definieren, damit wäre ich vorsichtig. Aber das ist nicht Thema unserer Debatte.

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Ich habe mir einiges sehr Interessante angehört und möchte es an Zahlen deutlich machen. Die Europäische Union hat 500 Millionen Einwohner, davon etwas über 80 Millionen in Deutschland, also circa 16 % aller Europäer in der Europäischen Union sind Deutsche. Um das einmal ins Verhältnis zu setzen, auch zu der Verantwortung, über die wir in einem europäischen Kontext zu einer Asyl- und Flüchtlingspolitik sprechen, und zu der Frage, wie sich das Thema entwickelt hat: 202 000 Asylbewerber im vergangenen Jahr mit einer Prognose von 250 000 für dieses Jahr, einer Korrektur auf 450 000 im Mai und 800 000 im August und einem Aufwuchs, den wir in den letzten Tagen verzeichnen konnten: 3 000 kamen allein in der vergangenen Woche nach Sachsen.

Nun höre ich wohl Ihre Worte von der LINKEN und der AfD und vernehme, was Sie alles beklagen und kritisieren – mit unterschiedlichem Fokus. Mir fällt dann immer der Vergleich mit der Münze ein, die zwei Seiten hat; aber je nachdem, wo man sitzt, sieht man halt nur die eine Seite, und eigentlich ist die Verantwortung, sie mal zu drehen, nämlich die Verantwortung gegenüber Asylsuchenden und Flüchtlingen auf der einen und dem eigenen Land und den Menschen, die hier leben, auf der anderen Seite.

(Beifall bei der CDU – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sie widersprechen mir!)

Das ist ein und dieselbe Münze – mit unterschiedlichen Perspektiven. Und dann kommen Sie und kritisieren, was hier so alles nicht geworden ist. Dazu möchte ich Ihnen schon einiges sagen: Wenn Sie sich offenen Auges und bewusst anschauen – das passt im Übrigen auch zu der Frage der blühenden Landschaften, der Frage, was Sie definieren –: Die erfolgreiche Entwicklung unseres Landes war vernehmbar. Wenn Sie nun auf die Asylthematik schauen, dann steht diese Staatsregierung wie der Bund und alle Bundesländer vor der Herausforderung, permanent neue Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Um einmal ein Bewusstsein zu definieren: Wir haben im August gesagt – das war das angepasste Unterbringungskonzept; das vom Sommer stand noch bei 5 000 Plätzen und war weiland mehr als die im vergangenen Jahr definierten 2 000 –, wir wollen 13 500 Plätze schaffen. Die Staatsregierung hat mittlerweile 15 000 Plätze geschaffen, und in einigen anderen Bundesländern kapitulieren mittlerweile die Landesregierungen, weil sie die Unterbringung nicht mehr gewährleisten können, unter anderem im Land Berlin. Dabei möchte ich nicht mit dem Finger auf irgendjemanden zeigen; aber daran wird deutlich, welche Herausforderungen vor uns stehen.

Ich kann Ihnen sagen, meine sehr geehrten Damen und Herren von den LINKEN: Schaffen Sie in Thüringen, dem Land, in dem Sie Verantwortung tragen, doch das Traumland. Zeigen Sie doch, wie das Ganze funktioniert, und kommen Sie dann aber bitte nicht auf die Idee, nur zu sagen: Der Bund muss bezahlen. Frau Zais, das beklage ich auch an Ihren Vorstellungen zur Frage der Finanzierbarkeit. Zum Schluss ist es alles Geld des deutschen Steuerzahlers. Es ist Geld, das Menschen und Unternehmen in diesem Land erwirtschaften, das wir einnehmen und verteilen. Es ist ein schlechter Stil zu sagen, es müssten mal die Kommunen unterstützt werden, denn die brauchen es. Ja, sie brauchen es. Aber der Freistaat zahlt. Das ist ein Unterschied zu anderen Bundesländern einschließlich jenen, in denen auch die GRÜNEN in der Verantwortung stehen, Frau Zais. Hier übernimmt der Freistaat eine große Verantwortung: allein 7 600 Euro Pauschale pro Jahr pro Asylbewerber, darüber hinaus erhebliche Investitionskosten, und wenn wir uns die Haushaltszahlen sowie die Verweildauer anschauen, so hat Sachsen neben Hessen die längste Verweildauer in Erstaufnahmeeinrichtungen. Zur Entlastung schickt man in Nordrhein-Westfalen die Menschen schon nach wenigen Tagen weiter.

(Zuruf der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Wir tragen hier eine Verantwortung, und dieser müssen wir im Ausgleich miteinander gerecht werden. Dabei hilft es nicht, sich nur hier hinzustellen und zu beklagen, was alles besser sein könnte, und Zeitschienen, Verantwortungsbereiche und die Gesamtmatrix völlig aus dem Auge zu verlieren. Sie machen sich an dieser Stelle des Verdachts schuldig, dass es dann doch eher politischer Klamauk als Verantwortung ist, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Damit bin ich am Schluss meiner Ausführungen. Worum es geht, ist, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden, Kommunen und Landkreise und Freistaat zusammen, und wenn sich der Bund dieser Verantwortung klar wird und wir gemeinsam an die Steuerung gehen. Aber neben der Steuerung der jetzigen Herausforderungen geht es um die Frage, wie wir die Asylpolitik überhaupt auf europäischer Ebene klären können – die Europäische Migrationsagenda –, weil wir ohne Antwort auf die Frage, wie die Rahmenbedingungen gestellt sind, nicht in die Zukunft gehen.

Ich schließe mit einem Blick auf die AfD: Vor-Ort-Hilfe: ja. Dort, wo sie möglich ist, werden auch wir sie wahrnehmen. Aber schauen Sie: Wie leisten Sie Vor-Ort-Hilfe in Krisen- und Kriegsgebieten, und was ist eigentlich –

Bitte zum Ende kommen.

– mit der Solidarität im Nahen Osten? Ich denke, Saudi-Arabien und auch die

Emirate hätten mehr Potenzial, als nur Moscheen zu schaffen, sondern auch Unterkünfte.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der AfD)

Wird von der SPD noch einmal das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Die Linksfraktion, bitte; Frau Klotzbücher.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die systematische Krise, in der sich die EU momentan befindet, muss ich Ihnen nicht beschreiben. Heute sind die Zeiten der politischen Akklamationen längst vorbei. Die aktuelle Situation erfordert – ja, darin stimme ich Ihnen größtenteils zu – zwingend Veränderungen, auch im bisherigen Regieren, und vor allem innovatives Herangehen auf allen Ebenen. Ein „business as usual“ bringt uns heute nicht mehr weiter.

Deshalb teilt auch die Fraktion DIE LINKE den grundlegenden Ansatz, Asyl und Migration als europäische Aufgabe voranzubringen. Auch teilen wir die Feststellung des Sächsischen Ausländerbeauftragten, Sachsen müsse alles dafür tun, die zuständigen Stellen zum Handeln zu bewegen, und sich um eine Neu- und Ausgestaltung der Europäischen Migrationsagenda bemühen. Natürlich kann Sachsen weder die Europäische Kommission noch den Rat ersetzen. Dennoch muss es seine Zurückhaltung und seine Beobachterrolle aufgeben und nach tatsächlichen Wegen der Einflussnahme suchen.

Für jene, die immer noch glauben, dass Sachsen erst auf eine Änderung des Primärrechtes warten müsse, bevor es aktiv werden könne, möchte ich hier drei Ebenen der Einflussnahme aufzeigen, mit denen Sachsen vielleicht auch beispielhaft für andere Regionen in Europa wirken könnte.

Erstens. Die Debatte um die Migrationsagenda muss konkret geführt werden. Die Regionen in Europa, auch Sachsen, haben positive Erfahrungen und kritische Schlussfolgerungen entwickelt, die offensiv in eine Debatte und auch in Konsultationen in der EU eingebracht werden müssen. Auch unser immer noch im Europaausschuss anhängiger Antrag zum gemeinsamen europäischen Asylsystem zielt genau darauf ab und wäre, wie vom Ausländerbeauftragten gefordert, eine hervorragende Möglichkeit, eine Initiative in Richtung EU zu starten.

(Beifall bei den LINKEN)

Zweitens. Wir müssen dem Egoismus der EU

Mitgliedsstaaten in Verteilungsfragen etwas entgegensetzen. Herr Tillich, machen Sie doch endlich Ihre engen Beziehungen zu Polen und Tschechien geltend und überzeugen Sie sie, sich in der Flüchtlingsfrage solidarischer zu zeigen!

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das wäre mal eine Idee!)

Auch sollten wir unsere Verbindungsbüros in Prag und Wrocław ersuchen, sich als Europäer aus Sachsen einzubringen und vor Ort Überzeugungsarbeit zu leisten. Wenn das nicht hilft, könnte man auch Papst Franziskus ersuchen, Einfluss auf die katholische Kirche in Polen und Tschechien zu nehmen. Stellen Sie sich einmal vor, der Papst würde an alle Pfarreien, religiösen Gemeinschaften, Klöster und Wallfahrtsorte Europas appellieren, auch nur eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen. Das Problem der Unterbringung wäre so gut wie gelöst.

(Beifall bei den LINKEN – Steve Ittershagen, CDU: Das hat der schon gemacht! – Weitere Zurufe von der CDU)

Drittens. Auch Sachsen muss natürlich dazu beitragen, Fluchtursachen zu vermindern. Laut einer Studie der Universität Maastricht belegt Deutschland einen Spitzenrang bei der unternehmerischen Ausbeutung und Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen im Ausland. Sachsen ist dabei leider keine Ausnahme. Hierfür sei beispielhaft die Herstellung der sächsischen Polizeiuniformen genannt, welche zum Hungerlohn von mazedonischen Näherinnen gefertigt werden.

Was unternimmt Sachsen also, um sicherzustellen, dass Menschenrechte und Mindeststandards an sozialen und Arbeitsrechten eingehalten werden? Wie steht es mit den im Zusammenhang mit Fluchtursachen gestellten Forderungen nach fairem Handel oder der Verpflichtung von Unternehmen zu einer Sozialcharta? Die Politik kann hier verbindliche Regelungen einführen. Also, worauf warten wir noch?