Protokoll der Sitzung vom 16.09.2015

Was unternimmt Sachsen also, um sicherzustellen, dass Menschenrechte und Mindeststandards an sozialen und Arbeitsrechten eingehalten werden? Wie steht es mit den im Zusammenhang mit Fluchtursachen gestellten Forderungen nach fairem Handel oder der Verpflichtung von Unternehmen zu einer Sozialcharta? Die Politik kann hier verbindliche Regelungen einführen. Also, worauf warten wir noch?

Noch immer sterben täglich zahlreiche Menschen auf lebensgefährlichen Fluchtrouten, die sie nur deshalb gewählt haben, weil ihnen die Abschottungspolitik Europas keine andere Wahl lässt.

Ebenso verlogen ist die Schlepperdebatte. Das Agieren Europas hat diesen Berufszweig überhaupt erst hervorgebracht. Auch nicht vergessen dürfen wir deutsche Waffenexporte, die Zerstörung ausländischer Märkte und die Sanierung der europäischen Ökonomie zulasten der Schwächsten.

Auch wir, auch unsere Politik tragen Schuld daran, dass momentan so viele Menschen auf der Flucht sind. Wir müssen endlich aufhören, Europa unabhängig von den jetzigen Flüchtlingsbewegungen zu betrachten. Wir müssen die Fließbandproduktion von Fluchtursachen beenden. Wir müssen die haarsträubende Dreistigkeit beenden, die jetzigen Ereignisse zu Paradebeispielen deutscher Hilfsbereitschaft umzudichten. So einfach ist das Ganze nicht.

Bemühen wir uns gemeinsam um eine Weiterentwicklung der Europäischen Migrationsagenda, und gestehen wir uns endlich ein, dass das Vorgehen der EU und deren Abschottungspolitik nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind.

(Beifall bei den LINKEN)

Möchte die AfD noch einmal das Wort nehmen? – Die Fraktion GRÜNE? – Möchte noch jemand von den Fraktionen zur Debatte reden? – Das ist nicht der Fall, meine Damen und Herren. Damit ist die 1. Aktuelle Debatte abgeschlossen.

(Staatsminister Markus Ulbig: Die Staatsregierung möchte noch etwas sagen!)

Oh, die Staatsregierung. Ich glaube, es ist schon das zweite Mal, dass ich Sie vergessen habe. Herr Minister, Entschuldigung!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Bei diesem Thema ist es selbstverständlich, dass ich für die Staatsregierung das Wort ergreife. Die Aktuelle Debatte spannt ja diesmal den Rahmen für das Thema Asyl deutlich weiter.

Ich denke, es ist gut und richtig, dass wir auch auf die europäische Ebene und auf die Bundesebene bei diesem Thema blicken – nicht um von den aktuellen Herausforderungen im Freistaat Sachsen ablenken zu wollen, sondern um deutlich zu machen: Wir werden diese Aufgabe nur bewältigen können, wenn es gelingt, auf europäischer Ebene und auf nationaler Ebene solidarisch voranzugehen und gemeinsame Antworten zu finden.

Jean-Claude Juncker hat in der vergangenen Woche gesagt: „Es fehlt an Europa und es fehlt an Union.“ Es waren aus meiner Sicht richtige Worte zu einem richtigen Zeitpunkt, denn das Thema Mangel an Solidarität in einer Staatengemeinschaft, deren Grundprinzip die Solidarität eigentlich sein sollte, war angezeigt. Jean-Claude Juncker hat es nicht bei der Kritik belassen, sondern er hat auch lobende Worte für das deutsche Engagement gefunden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das deutsche Engagement innerhalb Europas ist derzeit bemerkenswert, und das trotz der geltenden Regelungen. Er hat sich klar positioniert für ein Quotensystem, das eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge bedeuten würde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit dieser Zeit ist einiges passiert. Jeden Tag kommen mehr Menschen als je zuvor bei uns an, in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt, in allen Ländern und auch im Freistaat Sachsen. Es sind zwischen 500 und teilweise 700 pro Tag, um die Dimension noch einmal deutlich zu machen. Einerseits sind es diejenigen, die regulär zu uns kommen, und andererseits diejenigen, die aus München, aus Bayern im Sinne der entsprechenden Verteilung zu uns geschickt worden sind.

Eines hat sich in der vergangenen Woche auch klar und deutlich gezeigt: Sämtliche Bundesländer sind an die Grenzen ihrer Aufnahmekapazität gekommen. Deutschland hat deshalb temporär – ich will es an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen – innerhalb des bestehenden Schengen-Kodexes Grenzkontrollen wieder eingeführt. Ich wiederhole es: Das war aus meiner Sicht eine richtige,

klare Entscheidung, die uns eine Atempause verschafft, aber eben auch nicht mehr, meine Damen und Herren.

Auch in Sachsen wird derzeit durch die Bundespolizei sporadisch an der Grenze kontrolliert, und wenn es die Situation erfordert, wird das Kontrollsystem entsprechend ausgeweitet. Natürlich ist klar, dass das keine Dauerlösung sein kann und wird, denn die Reisefreiheit ist ein hohes Gut, und insbesondere wir im Osten wissen dies entsprechend zu schätzen.

Umso wichtiger ist es, dass auf europäischer Ebene endlich solidarisch angepackt wird und dass wir als Europäer gemeinsam eine Lösung finden, um den Schutzsuchenden zu helfen und unsere eigenen Werte zu schützen. Es gibt jetzt vernünftige Ansätze und Vorschläge, auch jene des Koalitionsausschusses in der letzten Woche. Dabei geht es um Unterstützung vor Ort und um Ausweitung der europäischen Entwicklungshilfe. Es geht um Krisenprävention und die Verstärkung der Visastellen in den entsprechenden Auslandsvertretungen. Es geht aber auch um Aufnahme- und Registrierungseinrichtungen – sogenannte Hotspots – in Europa, um eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsländer und um ein entsprechendes Verteilsystem.

Alles das sind wichtige Maßnahmen, aber den Worten müssen nun endlich Taten folgen. Worthülsen, wie wir sie vom ersten Treffen der Innenminister gehört haben, nützen für die Lösung dieses Problemes nichts.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Deshalb unterstütze ich den Bundesinnenminister, der jetzt klare Worte gefunden und eine deutliche Erwartungshaltung formuliert hat; denn es muss auch innerhalb des europäischen Systems darüber nachgedacht werden, welche Sanktionsmaßnahmen angewandt und in Gang gesetzt werden können. Wenn es mehrheitsfähig ist, 160 000 Menschen verpflichtend zu verteilen, dann muss das die Mehrheit entsprechend durchsetzen und es muss konsequent gehandelt werden.

Auch in Bezug auf die Unterstützung der Länder und Kommunen hat sich einiges bewegt und es ist deutlich geworden, dass es eine gemeinsame Aufgabe ist. Deshalb ist die Finanzierungszusage richtig. Ob sie ausreichend ist, werden wir in den nächsten Tagen und Wochen noch sehen.

Deshalb ist es wichtig, dass dieses Paket, welches am 24. September beschlossen wird, jetzt immer klarer sichtbar wird. Die Taskforce zur Beschleunigung der Verfahren – alle haben es angesprochen, aber es ist notwendig, dass es jetzt umgesetzt wird. Es geht um die Bereitstellung von Bundesliegenschaften. Ja, dabei hat sich auch etwas getan, auch in Sachsen. Wir sind in der Offiziersschule des Heeres. Es wird über weitere militärische Liegenschaften nicht nur gesprochen, sondern sie werden vorbereitet – zum Beispiel Frankenberg –, weil es notwendig ist. 40 000 sollen jetzt in vom Bund betriebenen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Das wird mit Sicherheit einen gewissen Puffer bringen. Es

sind zweimal 5 000 Warteräume vorgesehen, gerade im Süden, wo es im Moment nottut, dass die Menschen registriert und danach entsprechend verteilt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist richtig, dass die entsprechenden Maßnahmen auf europäischer Ebene und auf Bundesebene nicht nur besprochen, sondern umgesetzt werden.

Wir bei uns im Freistaat Sachsen arbeiten konzentriert und in der Staatsregierung gemeinsam als Team. Herr Hartmann hat es angesprochen: Wir sind derzeit dabei – wir haben es noch nicht erreicht –, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Erstaufnahmeeinrichtungskapazitäten bis in eine Größenordnung von 15 000 Erstaufnahmeeinrichtungsplätzen auszubauen. Das ist wirklich eine Dimension, die man sich vor wenigen Wochen noch nicht hätte vorstellen können. Da kann man kritisieren, wie man will, aber die 5 000 zur Jahresmitte waren eigentlich ursprünglich eine realistische Zahl, und jetzt sind wir dabei, eine dreimal so große Kapazität zu schaffen.

Deshalb bitte ich nach wie vor um Unterstützung auch an allen Stellen bei uns im Freistaat Sachsen, weil weiterhin die klare Forderung gilt: Sie müssen auch vor Ort an Stellen untergebracht werden. Man kann sich bei diesem Thema nicht hinstellen und sagen, wir sind dafür, aber wenn es bei mir – in meiner Umgebung, in meinem Wahlbereich, in meiner Heimatstadt – darum geht, dass es dort passiert, dann habe ich aber ein Problem damit. So wird es nicht funktionieren, und das will ich an dieser Stelle noch einmal klar und deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN und der SPD)

Als letzter Punkt – auch das ist mir wichtig, weil es immer wieder durcheinandergebracht wird –: Wir haben derzeit eine ganze Menge an Erstaufnahmeeinrichtungen,

die temporär sind. Kollege Unland arbeitet daran, dass wir uns auf die drei Standorte in den großen Städten mit den bekannten Außenstellen konzentrieren. Und wir arbeiten daran – da bin ich auch Kollegin Klepsch dankbar –, dass wir in den drei großen Städten vollwertige Standorte bekommen. Das betrifft einerseits die Gesundheitsstrecke, andererseits die zentrale Ausländerbehörde und auch das BAMF, um die auch für uns mühsamen Transporte im Lande deutlich zu reduzieren.

Nachdem wir in der vergangenen Woche in Dresden die Gesundheitsstrecke angefahren haben, ist die Entscheidung auch im Leipziger Raum gefallen. Auch dort wird es eine solche geben, die in den nächsten Tagen aufgebaut und ans Netz genommen werden wird, sodass wir auch dort die Erstuntersuchung durchführen können und uns damit dem Ziel, an drei Standorten einen Vollservice hinzubekommen, annähern.

Ich will meine Rede beenden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es gibt eine ganze Menge zu tun. Auf allen Ebenen wird gearbeitet, aber eines will ich klar und deutlich sagen: Ich bin überzeugt davon, wir werden es nur in einem entsprechenden Rahmen bewältigen, wenn es auch auf europäischer Ebene eine Solidarität, eine Mitwirkung gibt und die Europäische Union sich als Gesamtheit verständigt, an diesem Thema mitzuwirken.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den LINKEN – Beifall bei der Staatsregierung)

Damit ist die 1. Aktuelle Debatte abgeschlossen.

Ich rufe auf die

2. Aktuelle Debatte

Alle Jahre wieder: Das Märchen vom reibungslosen Start ins neue Schuljahr

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Wir beginnen mit der einreichenden Fraktion. Es folgen danach CDU, SPD, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Frau Falken, Sie haben das Wort.

(Christian Piwarz, CDU: Jetzt beginnen wieder die Falken-Festspiele!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Geschichtenerzählen haben Sie schon tüchtig angefangen mit Ihrer Ministerin,

(Christian Piwarz, CDU: Sie hat doch noch gar nicht gesprochen!)

und ich möchte die Geschichten, die bisher in der Presse dargestellt worden sind, schon noch einmal aufklären, weil die Unterrichtsqualität im Freistaat Sachsen rapide abnimmt.

Wo liegen die Probleme? Wo liegt das größte Problem?

(Christian Piwarz, CDU: Ist das die Rede vom letzten Jahr?)

Das größte Problem liegt darin, dass die Staatsregierung und auch das Kultusministerium und die Ministerin nicht bereit sind, die Situation, die wir im Freistaat Sachsen zurzeit an den Schulen haben, überhaupt zu erkennen – oder sie wollen sie nicht erkennen.

Die verfehlte Personalpolitik im Freistaat Sachsen über zwei Jahrzehnte führt dazu, dass die Probleme an den Schulen im Freistaat Sachsen immer größer werden. Ich frage Sie, werte Kollegen der CDU und der SPD: In der Koalitionsvereinbarung haben Sie festgeschrieben, dass in diesem Jahr das Personalentwicklungskonzept, das seit vielen Jahren hier in diesem Hohen Hause gefordert wird – von meiner Fraktion, von meiner Partei –,

(Christian Piwarz, CDU: Vor allem von Ihnen, Frau Falken, das müssen Sie herausstellen!)

bisher immer noch nicht vorhanden ist. Das Schuljahr schönreden – das bringt es wirklich nicht.

(Fortwährende Zurufe des Abg. Christian Piwarz, CDU)