Protokoll der Sitzung vom 17.09.2015

Klar ist: Dort, wo es zu Gewalt kommt, muss es Grenzen geben. Diese sind immer dort erreicht, wo ich Rechte anderer, insbesondere durch Gewalttaten, beschränke oder andere an Leib und Leben gefährde. Aber diese Debatte eignet sich nicht dazu, Klischees zu bedienen, und vor allem nicht, Städte in unserem Land zu diskreditieren. Der Rechtsextremismus, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eine wesentliche und zentrale Herausforderung, vor der wir in unserer Gesellschaft stehen. Die Zahlen zeigen, dass wir uns dieses Themas auch weiter intensiv annehmen müssen, so wie wir es auch in den letzten Jahren getan haben. Wer heute den „Focus“ gelesen hat, sieht, dass wir fast 40 Millionen Euro für die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ausgeben – und im Übrigen 400 000 Euro für die Auseinandersetzung mit dem Linksextremismus, um auch einmal über die Gewichtung der politischen Auseinandersetzung mit extremistischen Rändern zu sprechen, die – darin sind wir uns in diesem Hohen Hause einig – mit Sicherheit keine Existenzberechtigung in unserem Land haben sollten und dürfen.

(Beifall bei der CDU)

Der Rechtsextremismus zeigt sich auch in seiner Entwicklung steigend. Während wir 22 fremdenfeindliche Gewaltdelikte im Jahr 2012 und 36 im Jahr 2013 hatten, waren im Jahr 2014 63 Gewalttaten zu verzeichnen, –

Die Redezeit!

– in diesem Jahr weiter steigend.

In meinem zweiten Redebeitrag werde ich darauf weiter eingehen, und Sie erlauben mir, dann auch den Kontext zur Entwicklung der linksextremistischen Szene in unserem Land darzustellen, insbesondere mit Blick auf die Entwicklung in Leipzig.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Kollege Hartmann sprach für die CDU-Fraktion. Für DIE LINKE spricht nun Frau Köditz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Debatte hat mich schon überrascht; aber ich halte es trotzdem für notwendig, weil wir uns darüber klar werden müssen, dass wir es mit einer kontinuierlichen Entwicklung zu tun haben, der wir uns endlich einmal stellen müssen.

Mich hat in den letzten Wochen eigentlich eher erschreckt, wie doll sich manche erschrecken. Die Gewalt, die in Heidenau gegen Polizisten verübt worden ist, führte zu Erschrecken. Ich möchte einmal an den Oktober 2009 in Leipzig erinnern, als über tausend Nazis die Polizei angegriffen haben – mit Flaschen, Steinen, Feuerwerkskörpern und Eisenstangen. Der Leipziger Polizeipräsident Horst Wawrzynski wurde dabei verletzt. Das sind doch keine neuen Entwicklungen. Oder wem das Jahr 2009 schon zu lange her ist: Es war im Oktober 2014, als diese sogenannten Hooligans gegen Salafisten in Köln die Polizei massiv angegriffen haben: 59 verletzte Polizisten, mehrere Polizeiautos wurden demoliert. Diese Gewalt von rechts gegen Polizisten ist nicht neu.

(André Barth, AfD: Ein Polizeiauto wurde umgekippt!)

Worüber wir uns endlich unterhalten müssen, ist die Verbindung zwischen Naziszene und Teilen der Hooliganszene. Das haben wir über viele Jahre aus dem Blickfeld gelassen. Aber schon in Schneeberg vor knapp zwei Jahren war deutlich, dass es hier ein Zusammengehen, ein organisiertes Zusammengehen gibt. Dieses Thema in seiner Analyse und bei unseren Überlegungen, was zu tun ist, einfach dem Landesamt für Verfassungsschutz zu überlassen, wäre, glaube ich, grob fahrlässig; denn bei der Analysefähigkeit des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz ist spätestens seit dem Bekanntwerden der Verbrechen des NSU offensichtlich, dass dieses Landesamt dazu nicht in der Lage ist. Eine wirkliche Verbesserung in den letzten drei bzw. vier Jahren kann ich persönlich nicht feststellen.

Die Vernetzungen, die es derzeit gibt, werden nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Das Landesamt bleibt dabei, es hat seine Schubladen und dort muss alles reinpassen; dass der Gesamtbereich aber sehr vielfältig ist, wird immer

wieder übersehen. Die Problemlagen in Sachsen sind sehr vielfältig.

Wenn mich Journalistinnen oder Journalisten anrufen, dann frage ich immer, worum es denn heute geht. Geht es jetzt um die völkischen Siedler? Geht es um die NPD oder „Die Rechte“ oder den „Dritten Weg“, geht es um die Kameradschaften oder geht es um das Deutsche Polizeihilfswerk? Hierzu noch mal zur Erinnerung: Das Deutsche Polizeihilfswerk sind jene, die einen Gerichtsvollzieher sozusagen festgesetzt haben. Dieser Gerichtsvollzieher ist bis heute meines Wissens noch nicht wieder arbeitsfähig. Dann ergibt sich durch eine Kleine Anfrage die Erkenntnis, dass durch das Deutsche Polizeihilfswerk gegen 300 Personen ermittelt wird. Das ist keine kleine Spinnergruppe. Wir reden dort über 300 Personen, gegen die ermittelt wird, und das nicht wegen eines Delikts, sondern wegen mehrerer Delikte, also wie manchmal hier gesagt wird: Intensivtäter.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Carsten Hütter, AfD, steht am Mikrofon.)

Nein, danke, Herr Präsident. – Es kann bei den Fragen der Journalistinnen und Journalisten aber auch um die Schnittmengen zwischen Nazis und Hooligans gehen, es kann um Facebockgruppen gehen, das Internet überhaupt, was sich dort entwickelt. Ich denke an die Kommentarspalten bei Nachrichtensendungen etc. Schauen Sie sich einmal an, was derzeit dort abläuft, was dort an rassistischer Hetze, an menschenverachtenden Kommentaren immer wieder zu lesen ist. Es kann aber auch um Oldschool-Society gehen. Das haben wir wahrscheinlich schon wieder vergessen. Im Mai wurde diese Gruppe sozusagen dann als – –

Die Redezeit geht zu Ende, Frau Kollegin.

Dann gestatten Sie mir noch, diesen Gedanken zu Ende zu führen. Die Oldschool-Society hat im Mai dieses Jahres Anschläge gegen Flüchtlingsheime vorbereitet.

Ich setze dann in der zweiten Runde fort.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Frau Köditz war das für die Fraktion DIE LINKE. Nun gibt es eine Kurzintervention am Mikrofon 6 durch Kollegen Fischer.

Was wir hier machen, ist wieder einmal das Bejammern von Problemen, die wir haben, ohne einen Lösungsansatz aufzuzeigen.

(Zuruf von den LINKEN)

Wenn jeder, der sich hier wortreich äußert – vielleicht auch die Antragsteller –, in den einschlägigen Internetfo

ren mit den Leuten diskutieren und Informationen richtigstellen sowie für Menschlichkeit und Toleranz werben würde, dann wären wir schon ein großes Stück weiter.

Deswegen möchte ich alle sächsischen Abgeordneten dringend ersuchen, mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit denen man reden kann – diese gibt es im Internet –, in den Dialog zu kommen, Informationen richtigzustellen und sich wirren Gerüchten und Lügen entgegenzustellen. Nur das ist der richtige Weg.

Ich gehe jetzt davon aus, dass ich diese Kurzintervention auf den Redebeitrag von Ihnen, Frau Kollegin, bezogen hat. Wollen Sie?

(Kerstin Köditz, DIE LINKE, schüttelt den Kopf. – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ich habe keinen Zusammenhang gesehen! – Valentin Lippmann, GRÜNE: Da war kein Zusammenhang!)

Gut, es gibt keine Reaktion auf diese Kurzintervention.

Wir gehen jetzt weiter in der Rednerliste und sind jetzt bei der SPD-Fraktion. Kollege Homann ergreift jetzt das Wort für seine Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir leben in einer extrem polarisierenden Zeit, und diese polarisierende Zeit zeigt Widersprüche auf, die auch in der Debatte zum Ausdruck kommen. Natürlich gibt es in Sachsen eine unglaubliche solidarische Leistung gegenüber Flüchtlingen –, etwas, das dieses Land an vielen Stellen in einem positiven Licht erscheinen lässt. Aber wir haben auch unglaubliche rassistische Ausschweifungen bis hin zu Pogromen. Wir haben beides – es ist ein Widerspruch –, aber beides ist gerade die Situation.

Wir dürfen das eine nicht schlechtreden und das andere nicht kleinreden. Ich sehe aber auch keine Notwendigkeit, mich zwischen einer der beiden Situationsbeschreibungen zu entscheiden, sondern beide sind richtig.

(Beifall bei der SPD)

Genauso ist es mit Heidenau. Heidenau ist ein Ort, an dem es Ausschreitungen gegeben hat, die wir in diesem Jahrtausend in Deutschland wahrscheinlich nicht mehr für möglich gehalten hätten. Es waren nicht nur Zugereiste, sondern auch ein Teil der regionalen Szene, vermischt mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt – mit einigen wenigen. Auch das ist Heidenau.

Heidenau ist aber auch Jürgen Opitz und auch eine Willkommensinitiative vor Ort, die vieles auf die Beine stellt. Es ist beides, und ich möchte mich zwischen beiden Analysen nicht entscheiden.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Ich halte beides für richtig. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir immer wieder, wie gestern, auch die Themen Asyl und Integration diskutieren. Ich finde es aber auch –

ich hoffe, das darf ich noch sagen als Regierungsabgeordneter – gut, dass die Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN Thema Rechtsextremismus noch einmal auf die Agenda gesetzt haben.

(Carsten Hütter, AfD: Weil sie auf dem linken Auge alle blind sind!)

Dass Sie sich ganz klar weit im rechten Lager vor Ort befinden, hat, glaube ich, die gesamte Bundesrepublik mitbekommen.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Ist schon klar!)

Weil diese Situation so widersprüchlich ist und so viele Facetten hat, müssen wir genau hinschauen, was hier passiert. Wenn man sich anschaut, was in Sachsen im letzten Jahr passiert ist – ich schlage jetzt bewusst den Bogen beginnend von der Pegida-Bewegung –, dann ist das, was wir in Sachsen erleben, keine Überraschung, und zwar nicht nur, weil wir die Strukturen dazu haben, die in den Neunzigerjahren ganz gezielt von Neonazis aufgebaut wurden, sondern auch, weil verschiedene Studien besagen, dass es nicht nur ein Problem mit organisierten Rechtsextremen gibt, sondern auch weitverbreitete Vorurteile: Chauvinismus, Rassismus, Antisemitismus, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt.

Teil dieser Analysen war es immer wieder: Es gibt einen Unterschied zwischen Vorurteile haben und Vorurteile ausleben. Auf einmal manifestieren sich aber diese Einstellungsmuster, die wir sonst nur aus Studien kennen, auf der Straße mit bis zu über 20 000 Teilnehmern bei Pegida.

(Zuruf der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Ich sage: Das sind nicht alles Nazis gewesen. Man muss aber auch sagen: Kein Nazi zu sein, bedeutet nicht, dass es okay ist, nur ein Rassist zu sein.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Na hallo! – Widerspruch bei der AfD – Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Ja, hallo!