Protokoll der Sitzung vom 07.10.2015

Auch die Ausnutzung als billige Arbeitskraft war Praxis in allen Heimen in der DDR; aber auch – hier muss ich Frau Lauterbach recht geben – in den westdeutschen Bundesländern gab es solche Verfehlungen. Das sollte man hierbei nicht vergessen.

Bezüglich der Behindertenheime gab es auch Kritik an dem Runden Tisch, dem Antje Vollmer vorstand. Sie galt als befangen, weil sie als Kirchenfrau nach Meinung von Betroffenen bewusst dieses Thema ausgeklammert haben soll – ich stelle es einmal so in den Raum. Diese Kritik gab es von den Betroffenen.

Die Hilfsfonds für Heimkinder – sie wurden eben schon erwähnt – hatten oder haben ganz schöne Lücken. Erstens ist der Betrag von 364 Millionen Euro, der dann wohl letztendlich ausgereicht wurde, sehr mickrig. Zweitens ist die Antragstellung vorbei; das heißt, wenn jemand jetzt einen Antrag stellen wollte, dürfte er es nicht, das ist seit 2014 nicht mehr möglich. 10 % der Summe gingen für die Verwaltung drauf; auch das kritisieren die Betroffenen. Hinzu kommt, dass nur Therapien, Sachleistungen und Ausgleichszahlungen für Rentenbeiträge ausgereicht wurden, aber keine Geldleistungen.

Der Beauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Menschen mit Behinderungen, Uwe Schummer, sieht hier genauso wie Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, eine Gerechtigkeitslücke. Die beiden aufge

legten Fonds haben, wie wir schon hörten, die Behinderten nicht berücksichtigt.

Dass der Bund 20 Millionen Euro einstellen möchte, haben wir schon gehört. Die Kirchen waren dafür. Die Länder – bis auf Bayern – haben, wie ich gelesen habe, bisher nicht zugesagt.

Es handelt sich nach den Angaben des Beauftragten um 24 000 Kinder in der Behindertenhilfe und um 8 900 Kinder in den psychiatrischen Einrichtungen, also insgesamt um rund 32 900. Die Zahl spielt auch nicht die Rolle.

Sie aber, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wollen erst eine wissenschaftliche Studie auflegen. Das ist eine tolle Sache; das kann man ruhig machen. Aber diese Studie kostet Zeit und viel Geld; der Gutachter freut sich darüber.

Dann wollen Sie einen Fonds auflegen. Aber was machen Sie, wenn das Geld alle ist?

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie noch einmal auf die Sensibilität dieses Themas hinweisen. Ein Behinderter hat ein ganz besonderes Leid. Er kann sich nicht wie andere irgendwann wieder im normalen Leben bewegen. Ich habe mir oft die Frage gestellt: Was sagt ein Behinderter, wenn er seine Situation betrachtet, auf die Frage: „Warum gerade ich?“ Das ist ein Leid, das niemand mildern kann.

Daher gehe ich mit, wenn gefordert wird, nicht auf den Unrechtsgedanken abzustellen; das wäre zu kompliziert. Wir sollten einfach Unterstützung geben – allen Behinderten in Heimen. Das kann einfach und unkompliziert geschehen. Das Leid kann durch nichts aufgehoben werden. Aber wir sollten wenigstens für eine materielle Sicherstellung sorgen, meine Damen und Herren.

Ich schlage vor, dass wir ein Gesetz wie das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz heranziehen; denn dieses Gesetz ist unkompliziert und leicht zu handhaben. Die Antragstellung ist einfach. Urteil oder Zeugenaussagen in irgendeiner Form, und dann wird das Geld gezahlt. Mit einem Fonds dauert das doch ewig. Viele der Behinderten sind viel zu alt, das heißt, sie sterben Ihnen weg und bekommen gar nicht mehr das Geld, das zu zahlen Sie vorhaben. Das dauert zu lange. Die Studie können Sie trotzdem noch erstellen lassen.

Dann zur Höhe des Geldes: Hier können wir nicht fragen, was es kostet. Hier muss das gezahlt werden, was nötig ist. Wir haben doch sehr viel Geld zur Verfügung; das haben wir doch in den letzten Monaten und insbesondere in den letzten Tagen so gehört. Mindestens 20 000 bis 30 000 Euro pro Behinderten könnten – und müssten – ohne Prüfung, nur weil er behindert und im Heim war, ausgereicht werden. Sie müssten zusätzlich monatlich mindestens ein Salär von 3 000 Euro zur Verfügung haben, um ihre Stellung in der Gesellschaft wenigstens einigermaßen sicherzustellen, unabhängig vom Geld.

Als Letztes noch ein Satz: Als ich den Antrag der GRÜNEN auf den Tisch bekam, dachte ich: Eigentlich ist es schade, dass die AfD den nicht eingereicht hat. – Aber kurz danach habe ich gedacht: Wunderbar, dass wir den Antrag nicht eingereicht haben. Er wäre nämlich abgelehnt worden. Zulasten der Behinderten hätten Sie den Antrag abgelehnt, nur weil er von uns gekommen wäre. Insofern ist es gut, dass Sie ihn eingebracht haben; denn wir können zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde in der Aussprache. Gibt es aus den Fraktionen Redebedarf für eine zweite Runde? – Das kann ich nicht feststellen. Ich frage die Staatsregierung. – Das Wort wird gewünscht von Frau Staatsministerin Klepsch. Sie haben jetzt das Wort, Frau Staatsministerin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, der vorliegende Antrag berührt ein sehr sensibles Thema. Es geht um Menschen, die als Minderjährige in Einrichtungen der Behindertenhilfe und der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie Leid und Unrecht erfahren mussten. Diese Menschen warten auf Hilfe- und Unterstützungsleistungen, weil sie von den Vereinbarungen zu den beiden Heimkinderfonds – Ost und West – ausgeklammert sind; denn in diesen ist festgelegt, dass die Leistungen nur für Unterbringungen in Jugendhilfeeinrichtungen oder Dauerheimen für Säuglinge und Kleinkinder gelten.

Angemessene Kompensationsleistungen für Psychiatrieopfer und Betroffene aus Einrichtungen der Behindertenhilfe wurden bereits in dem einschlägigen Bundestagsbeschluss vom 7. Juli 2011 eingefordert. Auch die Länder und der Freistaat Sachsen fordern, dass Benachteiligungen dieser Opfer gegenüber dem Bezugskreis der beiden Heimkinderfonds zu vermeiden sind. Dies, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ist nicht zuletzt eine Frage der Ethik, eine Frage der Moral. Insofern ist es aus meiner Sicht nachvollziehbar, ja es ist geradezu geboten, wenn Betroffenenverbände und Politiker immer wieder eine zügige Umsetzung anmahnen.

Nun kurz zum aktuellen Stand der Bemühungen um die Installation eines Hilfesystems. Folgendes möchte ich heute dazu mitteilen: Der Bund, die Länder und die Kirchen arbeiten stringent an einer Umsetzung. Es gab im Mai dieses Jahres einen Beschluss der Konferenz der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder. Damit haben sie sich gemeinsam zu ihrer Verantwortung bekannt, Wege der Aufarbeitung und der finanziellen Anerkennung des Leids sowie der Abmilderung der Folgeschäden zu finden.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, durch diesen Beschluss ist auch der Freistaat Sachsen politisch

und fiskalisch gebunden. Bei der Aufstellung des nächsten Doppelhaushalts – für 2017/2018 – werden entsprechende Gelder zu berücksichtigen sein.

In den letzten Wochen hat sich die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern noch einmal verdichtet. Eine länderübergreifende Arbeitsgruppe unter Federführung des BMAS hat unter Beteiligung der Kirchen einen umfassenden Lösungsvorschlag erarbeitet. Dieser wurde Anfang September der Konferenz der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder vorgelegt. Die Kernpunkte des heutigen Antrags sind bereits wesentlicher Teil dieses Lösungsvorschlags.

Geplant ist – die Abgeordnete Lauterbach hat bereits darauf hingewiesen – die Errichtung einer Stiftung „Anerkennung und Hilfe“. Dabei orientiert sich das Lösungskonzept eng an den beiden bestehenden Heimkinderfonds. Dennoch ist keine Kopie derselben geplant. Damit einher geht der Anspruch, den spezifischen Bedarfslagen dieser Opfer gerecht zu werden. Es gilt aber auch, aus den Erfahrungen der beiden Heimkinderfonds zu lernen.

Ja, es besteht Einigkeit zwischen dem Bund und den Ländern, dass eine wissenschaftliche Aufarbeitung, wie bereits mehrfach angesprochen, und die öffentliche Anerkennung Bestandteil der Stiftungsaktivitäten sein sollen. Dies gilt auch für die individuelle Anerkennung des erlebten Leids. Denn Herzstück des Vorschlags ist die Bereitstellung von individueller Hilfe und Unterstützung für die Betroffenen.

Anders als bei den beiden Heimkinderfonds gibt es aber den Vorschlag zur Zahlung einer pauschalen Geldzuwendung, um letztlich auch den bürokratischen Aufwand zu verschlanken und die Selbstbestimmung der Betroffenen hierbei zu stärken. Rentenersatzleistungen sind gleichfalls vorgesehen, sofern hierauf ein Anspruch besteht.

Dies zum Konzept, welches somit in großen Teilen zwischen Bund, Ländern und Kirchen einvernehmlich abgestimmt ist.

In einem nächsten Schritt der Verhandlungen ist die schwierige Frage der Finanzierungsanteile zu klären. Hier müssen Bund und Länder, aber auch die Kirchen quasi noch Farbe bekennen. Diese und weitere Fragen werden in den nächsten Wochen zu klären sein. In Auswertung des Lösungsvorschlags der Bund-Länder-Arbeitsgruppe wird sich, wie bereits angesprochen, die Arbeits- und Sozialministerkonferenz Mitte November mit der Thematik befassen und – davon gehe ich aus – auch eine Beschlussfassung herbeiführen.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Errichtung eines Hilfesystems erfordert sowohl eine politische Entscheidung mit Augenmaß als auch eine Entscheidung, die den Ansprüchen der Betroffenen letztlich gerecht wird. Mein Haus wird sich weiterhin an den Gesprächen beteiligen, um das Thema voranzubringen. Gern werde ich berichten, wenn die ASMK darüber weiter beraten und einen Beschluss gefasst hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir kommen nun zur Abstimmung. Zunächst aber habe ich eine Frage an Sie, Herr Zschocke, Herr Piwarz und Herr Panter.

Der Änderungsantrag in der Drucksache 6/2973 ersetzt den Antrag in der Drucksache 6/2796, sodass ich nur noch über diesen Änderungsantrag abstimmen lassen brauche.

(Christian Piwarz, CDU: Richtig!)

Dann kommen wir zunächst zur Abstimmung über die Drucksache – –

(Christian Piwarz, CDU: Herr Präsident, zuerst das Schlusswort!)

Entschuldigung, es gibt ein Schlusswort. Herr Zschocke, bitte.

Ja, ich mache es ganz kurz. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! 25 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es eben nicht nur Grund zum Feiern, sondern es geht auch darum, Unrecht zu benennen, anzuerkennen und aufzuarbeiten, was bisher ein ziemliches Dunkelfeld war, wo wir alle nicht genau hingesehen haben, nicht genau hinschauen konnten aufgrund der Tatsache, dass Informationen und Erkenntnisse in diesem Bereich nicht sehr groß waren. Deshalb ist es wichtig, dass diese Studie durchgeführt wird, um mehr Licht ins Dunkel zu bekommen. Es geht tatsächlich um Leid, um Unrecht und menschenunwürdige Maßnahmen, und wir werden aufmerksam verfolgen, wie der Prozess weitergeht, zu dem Sie berichtet haben, Frau Ministerin.

Zur strafrechtlichen Verfolgung möchte ich ganz deutlich sagen, dass wir aus unserer Sicht noch einmal kritisch hinterfragt haben, inwiefern eine solche Forderung heutzutage noch aufrechterhalten werden kann, auch vor dem Hintergrund der möglichen Verjährung. Das ist juristisch umstritten. Wir wollten hier nicht die Diskussion um solche juristischen Streitfragen führen, denn es geht wirklich darum, mit der Stiftung eine Möglichkeit für Anerkennung und Hilfe für die Betroffenen zu schaffen, die jetzt leben. Es ist wirklich dringend an der Zeit. Je länger wir mit dieser Unterstützung warten, umso mehr kommt man in den Zeitraum, wo Menschen einfach nicht mehr leben. In diesem Sinne bitte ich um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Zschocke. Jetzt kommen wir zur Abstimmung. Wer der Drucksache 6/2973, dem gemeinsamen Änderungsantrag von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, seine Zustimmung geben möchte, zeigt das jetzt bitte an. – Vielen Dank. Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Stimm

enthaltungen? – Damit ist die Drucksache einstimmig angenommen, meine Damen und Herren, und eine weitere Abstimmung erübrigt sich.

Der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zum

Tagesordnungspunkt 10

Beschlussempfehlungen und Berichte des

Wahlprüfungsausschusses zu Wahleinsprüchen

Drucksachen 6/1622, 6/1623, 6/1624, 6/1625, 6/1626,

6/1627, 6/1628, 6/2634, 6/2635, 6/2636, 6/2637, 6/2772

Es ist keine Aussprache vorgesehen. Wünscht dennoch ein Abgeordneter das Wort? – Das vermag ich nicht festzustellen.

Meine Damen und Herren! Wir stimmen nun einzeln über die Beschlussempfehlungen des Wahlprüfungsausschusses ab.