Protokoll der Sitzung vom 19.11.2015

Herr Baumann-Hasske, Sie beziehen sich auf Freiheit, Verantwortung in Europa und beklagen, dass keine Äußerungen zum Mindestlohn kamen. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass das EU-Parlament vor wenigen Wochen dazu einen Beschluss gefasst hat. Mit Mehrheiten, auch Ihrer Fraktion, wurde beschlossen, dass es europaweite Mindeststandards für Löhne geben soll.

Generell gilt zu sagen, dass in der EU schon lange das Prinzip von Freiheit und Verantwortung verloren gegangen ist und durch die Prinzipien von Harmonisierung und sozialistischer Gleichmacherei ersetzt wurde. Das mag Ihnen nahestehen, uns aber nicht.

(Beifall bei der AfD)

Insofern brauchen wir in Europa mehr Wettbewerb. Wir brauchen gestärkte souveräne Nationalstaaten, die auf einem freien Binnenmarkt ihre Stärke beweisen können. Die geforderte Solidarität ist seit langen Jahren vorhanden. Es gibt diverse Fonds, über die auch schwächere EUStaaten unterstützt werden können. Insofern lehnen wir Ihren Antrag ab. Er trifft nicht den Kern der Probleme und er wird auch nicht helfen, Europa in der sozialen Frage friedlicher und stärker zu machen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Und nun die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Abg. Zschocke. Bitte sehr, Herr Zschocke, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist unstrittig, dass die soziale Dimension der EU nicht vernachlässigt werden darf. Darin sind wir uns hier alle einig. Meine Fraktion wird sich bei der Abstimmung trotzdem enthalten. Es wird nicht so recht klar, wie die vielen Anliegen, die im Antrag beschrieben sind, konkret umgesetzt werden sollen. Dabei ist der Antrag recht vage gehalten. Ich habe ihn weder für eine Diskussionsgrundlage gehalten, noch werden darin konkrete Handlungsfelder und Bedarfe genannt.

Ich greife zum Beispiel den Punkt Stärkung der Sozialpartner im Rahmen des europäischen Semesters heraus. Das europäische Semester wurde, wie Sie wissen, 2010 eingeführt, weil das bis dahin bestehende Verfahren nicht geeignet war, angemessen auf die andauernden Krisen in den einzelnen Mitgliedsstaaten zu reagieren. Seit 2011 sollen die einzelnen Mitgliedsstaaten ihre nationale Haushalts-, Wachstums- und Beschäftigungspolitik besser einander angleichen und gleichzeitig die Ziele der Europäischen Union berücksichtigen. Es steht außer Frage, dass das eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung, eine angemessene und frühzeitige Einbindung der Sozialpartner in das europäische Semester beinhalten muss.

Im Oktober 2013 haben deshalb die europäischen Sozialpartner eine gemeinsame Erklärung und einen konkreten Vorschlag abgegeben, wie das aussehen könnte. Unter anderem wurden die Kommission und der Rat aufgefordert sicherzustellen, dass die Regierungen der Mitgliedsstaaten die Sozialpartner auf nationaler Ebene angemessen in die Erstellung ihrer nationalen Reformprogramme einbeziehen. Das heißt, es ist bereits verpflichtend, die Stellungnahmen der Sozialpartner einzuholen. Das entspricht durchaus der Forderung nach einer frühzeitigen Einbindung. Die Voraussetzungen sind, muss man sagen, eigentlich geschaffen. Kritik gibt es immer wieder an der Umsetzung der Beteiligung. Der Schwerpunkt der Wirtschaft- und Finanzpolitik steht in keinem ausgewogenen Verhältnis zur Sozialpolitik.

Prof. Walter Hanesch von der TU Darmstadt kritisiert in diesem Zusammenhang, dass etwa die Beseitigung von Armut nur noch als Reduzierung von Langzeitarbeitslosigkeit definiert werde. Er spricht sich auch dafür aus, dass der nationale Sozialbericht künftig im Rahmen des europäischen Semesters erfolgen sollte. Auch das ist ohne Frage zu unterstützen

Meine Damen und Herren von der LINKEN! Sie beziehen sich in Ihrem Antrag auf eine Studie der Friedrich-EbertStiftung. Diese kam zu dem Ergebnis, dass die Einbeziehung der Sozialpartner in das europäische Semester durch folgende Maßnahmen gestärkt werden kann: Erstens müssen die Sozialpartner rechtzeitig und umfassend informiert werden, zweitens müssen sie in die Arbeitsprozesse der Ratsarbeitsgruppen systematisch einbezogen werden, drittens ist ihre Stellung im europäischen Semester von denen der Nichtregierungsorganisationen klar abzugrenzen und viertens muss sich die im europäischen Primärrecht festgelegte Bedeutung des sozialen Dialogs auf europäischer und nationaler Ebene in den länderspezifischen Empfehlungen widerspiegeln.

Wir haben auf Länderebene die Rückmeldung erhalten, dass die Sozialpartner durchaus angefragt und eingebunden werden, die Umsetzung aber oft deshalb nicht erfolgen kann, weil zum Beispiel keine Reisekosten erstattet werden.

Ein weiteres Beispiel: Das europäische Semester wurde mit großen Erwartungen als Frühwarnsystem für wirtschaftspolitische Fehlentwicklungen eingeführt. Im Jahr 2015 müssen wir aber aufpassen, dass es nicht vollends in die Bedeutungslosigkeit abrutscht. Die Reformempfehlungen werden in Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten verabschiedet und anschließend von diesen entweder nachrangig behandelt oder überhaupt nicht aufgegriffen.

Die Bundesregierung zum Beispiel hat sechs Empfehlungen aus Brüssel komplett ignoriert. Bei neun weiteren Reformen kann sie nur begrenzten Fortschritt berichten. Keine einzige Reformempfehlung wurde bisher vollständig umgesetzt. – So sieht es aus.

Die EU-Kommission hat bei der Bundesregierung bereits mehrfach angemahnt, dass insbesondere in der Steuerpolitik Korrekturbedarf herrsche; denn gerade Einkommensschwache bezahlen in der Bundesrepublik überdurchschnittlich hohe Abgaben. Die Umsetzung ist bis dato nicht erfolgt. Deshalb, meine Damen und Herren, verstehe ich es nicht ganz. Sie fordern die Staatsregierung auf, sich auf Bundes- und EU-Ebene dafür einzusetzen, eine stärkere Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern auf EU-, nationaler und regionaler Ebene zu erreichen. Es mach schon ein wenig den Eindruck, dass mit dem Antrag, den Sie hier vorlegen, der Bock zum Gärtner gemacht wird.

Vielleicht sollten wir wirklich erst einmal darüber diskutieren, welchen Handlungsbedarf es auf sächsischer Seite gibt und welche Verantwortung auf Bundesebene liegt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Redebedarf für eine zweite Runde wurde bereits angekündigt. Zunächst die Fraktion DIE LINKE. Bitte sehr, Frau Schaper, Sie haben das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Dr. Petry, Ihr eindimensionaler Vortrag ist zwar eigentlich nicht der Rede wert, dass man es kommentiert,

(Uwe Wurlitzer, AfD: Dann lassen Sie es doch einfach!)

aber vielleicht sollten Sie sich einmal wieder mit Ihrer Wählerschaft unterhalten, die ständig montags auf bunten Schildern beklagt, dass so viele Wirtschaftsflüchtlinge aus Europa kommen, zum Beispiel aus dem Kosovo und aus Serbien.

(Sebastian Wippel, AfD: Ach!)

In Artikel 3 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union heißt es explizit, dass die Ziele der Union auch die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung sind. Weiter heißt es, dass die soziale Gerechtigkeit, der soziale Schutz und die Gleichstellung von Frauen und Männern gefördert werden sollen. Die Solidarität der Generationen und der Schutz der Rechte der Kinder stehen ebenso im Fokus.

Die Europäische Union fordert also ausdrücklich neben dem wirtschaftlichen territorialen Zusammenhalt auch den sozialen Zusammenhalt und die Solidarität der Mitgliedsstaaten.

Das bedeutet aber auch, dass dem Freistaat Sachsen zugestanden wird, direkt an der Gestaltung europäischer Politik mitzuwirken, wenn wir unser subsidiäres Handeln ernst nehmen wollen.

In Artikel 12 der Sächsischen Verfassung heißt es, dass eine grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit angestrebt wird. Neben dem Ausbau nachbarschaftliche Beziehungen sollen auch das Zusammenwachsen Europas und eine friedliche Entwicklung in der Welt gefördert werden. Demgemäß unterstützt der Sächsische Landtag aktiv die Stärkung der EU in den ihr übertragenen Kompetenzbereichen.

Beim Ausbau der sozialen Dimension der Europäischen Union hat er seine Aufgabe allerdings sträflich vernachlässigt. Das Thema soziale Ungerechtigkeit hat Europa, aber auch Deutschland bereits fest im Griff. Gerade in unserem Nachbarland Polen lässt sich dies gut zeigen.

Junge Menschen aus Polen wandern, wenn möglich, in europäische Bildungs- und Ballungszentren, in denen sie sich bessere Beschäftigungsverhältnisse trotz Wohnungsmangel und rasant steigenden Mieten erhoffen. Auch zu uns in den Freistaat kommen viele junge polnische Fachkräfte und werden dann oftmals in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gezwungen. Insbesondere in der Hotel- und Gastronomiebranche und in der Fleischwaren

industrie sind solche Fälle keine Ausnahme. Wenn solche jungen Fachkräfte aus Polen zum Beispiel nach Sachsen gehen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, dann bleiben in den ländlichen Gebieten Polens die ältere Bevölkerung oder auch kinderreiche Familien zurück.

Auch die Kluft zwischen Arm und Reich wächst in Polen wie in Deutschland unaufhörlich. Einerseits lässt sich eine Ballung der armen Bevölkerung beobachten: Enklaven in Armut in heruntergekommenen Stadtteilen mit Wohnverhältnissen, die heutigen Wohnstandards nicht mehr entsprechen. Andererseits entstehen abgeriegelte reiche Wohnsiedlungen, zum Beispiel in Warschau.

Die Prozesse des gesellschaftlichen Ausschlusses und der Isolation im städtischen Raum nehmen weiter zu. Hinzu kommen die räumliche Trennung, die Konzentration der Armut und die Verbindung zwischen Armut, Arbeitslosigkeit und niedrigem Bildungsstand.

Die Nivellierung der regionalen Ungleichheiten ist zwar eine der Prioritäten der Politik der Europäischen Union, die auch in Polen umgesetzt wird. Auf die Resultate dieser Programme und Maßnahmen warten die Polen allerdings bis heute.

Ein besonderes Merkmal der gegenwärtigen Armut ist die Verarmung und der drohende gesellschaftliche Ausschluss von Jugendlichen. Die hohe Arbeitslosigkeit ist eine der größten Herausforderungen für die junge polnische Generation. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Polen trotz einer leichten Erholung im Jahr 2015 immer noch bei 19,3 %.

Auch hier in Sachsen lassen sich solche Entwicklungen beobachten. So sind Kinder immer noch ein Armutsrisiko, und Erwerbseinkommen schützen nicht vor Armut.

Gerade deshalb ist es wichtig, dass sich die Staatsregierung auf Bundes- und EU-Ebene für eine Weiterentwicklung der sozialen Dimension in Europa einsetzt.

In Bezug auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern lässt sich in Polen ein besonders großer Handlungsbedarf erkennen.

Eine der charakteristischen Eigenschaften der Armut in Polen ist, dass von ihr zunehmend Frauen betroffen sind. Symptome für dieses Phänomen sind unter anderem die hohe Arbeitslosigkeit insbesondere derjenigen, die von Langzeitarbeitslosigkeit und den Schwierigkeiten, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren, betroffen sind.

Auch im Bereich des Einkommens, welches bei Frauen durchschnittlich 20 % bis 30 % niedriger ist als bei Männern, herrschen gravierende Mängel bei der europäisch angestrebten Gleichberechtigung.

Im Bereich der Renten, die im Fall der Frauen durchschnittlich 20 % niedriger sind als im Fall der Männer, lassen sich solche Unterschiede ebenso ausmachen. Insbesondere alleinerziehende Mütter und Frauen, die Haushalte führen, werden zum Armutsmanager der Familie. Auch hierbei können wir Parallelen zu Sachsen erkennen.

Polen ist nur ein Beispiel für ein junges Mitgliedsland. Die Verhältnisse wirken sich aufgrund der Nachbarschaft aber direkt auf uns aus.

Wie sieht es in den anderen Mitgliedsstaaten aus? Herr Baumann-Hasske hat es schon angeschnitten. In Griechenland und Spanien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 50 %. In Italien und Kroatien liegt sie derzeit bei mehr als 40 %. Deshalb ist unser Antrag wichtig. Er kommt auch zur richtigen Zeit; denn er zielt darauf ab, dass sich die Staatsregierung auf Bundes- und EU-Ebene dafür einsetzt, Fluchtursachen zu bekämpfen.

Denn wenn wir lebenswerte Bedingungen in den EUOstländern schaffen, kann das durchaus auch positive Auswirkungen auf deren Nachbarn Kosovo und Serbien haben. Wenn man nämlich sieht, dass die Jugendarbeitslosigkeit im Kosovo und in Serbien bei über 50 % liegt, verwundert es nicht, dass so viele junge Menschen aus diesen Ländern hierher nach Deutschland kommen. Es gilt auch zu bedenken, dass diese Länder anstreben, Mitglieder der EU-Staatengemeinschaft zu werden. Daher ist die EU bereits aktiv, was den Kapazitätsaufbau in allen Bereichen, so auch im Bereich Sozialpolitik, jedoch offenbar bislang nicht sonderlich erfolgreich macht.

Diesem Antrag ist daher in seiner Gänze eigentlich zuzustimmen, wenn man nicht so borniert wäre, denn er hilft dabei, sozialen Frieden innerhalb der EU und innerhalb Deutschlands zu wahren. Es wäre sehr bedauerlich, wenn Herr Baumann-Hasske recht behielte und die Staatsregierung damit überfordert wäre. Sie können heute ein Zeichen setzen, indem Sie diesem Antrag zustimmen und dadurch helfen, dass diesen Fremdenfeinden, die jeden Montag die Stadt oder die Städte für sich vereinnahmen, der Wind aus den Segeln genommen wird, anstatt mit fraglichen Äußerungen diese am rechten Rand pöbelnden Menschen auch noch aufzuheizen und anzuheizen und das hier wegzuwischen, als sei das alles nichts.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Frau Kollegin Schaper für die einbringende Fraktion DIE LINKE. – Für die CDU-Fraktion ergreift jetzt Kollege Schiemann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich immer ratloser geworden bin, nachdem ich die einreichende Fraktion hier vorn gehört habe.

Ich weiß nicht, ob der Sächsische Landtag dafür zuständig ist, die sozialen Unterschiede, die es in unserem Nachbarland, der Republik Polen, gibt zu lösen. Erster Punkt. Zweiter Punkt. Wir können sie ansprechen, sicher, aber dann bitte ich auch darum, dass Lösungsansätze gemacht werden. Wie wollen Sie in einem anderen Nationalstaat die sozialen Probleme lösen? Das müssen Sie auch

ansprechen. Ich habe von Ihnen keine Vorschläge dazu vernommen.

Ich habe erst gehört, dass harmonisiert werden soll. Was wollen Sie harmonisieren? Sollen die deutschen Standards, die wir im sozialen Bereich haben, niedriger werden, damit wir uns den anderen europäischen Staaten angleichen? Wo sollen wir uns treffen, an welcher Stelle soll das etwa passieren? Wo sollen die sozialen Leistungen bei uns geringer werden? Dazu haben Sie nichts gesagt.