Meine Damen und Herren! Für die Aussprache ist folgende Reihenfolge vorgesehen: CDU, SPD, DIE LINKE, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn das Wort gewünscht wird. Wir beginnen mit der Aussprache. Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abg. Krasselt. Herr Krasselt, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir ein herzliches Willkommen den beiden Gebärdendolmetschern.
Gegenwärtig ist die Staatsregierung unter Federführung des sächsischen Sozialministeriums über eine interministerielle Arbeitsgruppe dabei, in fünf Arbeitsgruppen einen sächsischen Landesaktionsplan zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention zu erarbeiten.
Inklusion ist ein immer fortwährender Prozess, den es gilt, koordiniert und abgestimmt mit den Betroffenen immer besser und effizienter voranzubringen. In unserem Koalitionsvertrag ist zum Thema Inklusion genau das vereinbart. Ziel dieses Aktionsplanes ist es, strategische Ansätze und konkrete Handlungsmaßnahmen zur gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben in der Gesellschaft, den Zeitraum
Natürlich ist mit Hochdruck an der Erarbeitung dieses Planes zu arbeiten. Allerdings war der vereinbarte Termin zu seiner Vorlage mit dem 31. Dezember 2015 unrealistisch, wie wir heute wissen. Es waren gerade die Behindertenverbände, die mich schon vor einem Jahr baten, mehr Zeit zur Verfügung zu stellen und damit nicht zulasten der Qualität zu planen. Es ist ja gerade unser Ziel, so übergreifend unter Einbeziehung der Betroffenen und ihrer Verbände und natürlich externer Fachleute wie auch der kommunalen Spitzenverbände diesen Aktionsplan zu erarbeiten. Natürlich brauchen die Diskussionen untereinander und der gegenseitige Interessenausgleich Zeit, aber andererseits soll auch in absehbarer Zeit der Aktionsplan vorliegen.
Die Koalitionsfraktionen haben auch zu ihrer umfassenden Unterrichtung heute genau dazu einen Berichtsantrag in den Landtag eingebracht. Es soll damit erreicht werden, dass die Abgeordneten über den aktuellen Stand der Erarbeitung des sächsischen Landesaktionsplanes unterrichtet werden. Weitere Fragen sind: Auf welchen Grundlagen beruht die Erarbeitung des Planes? Sind die Betroffenen und ihre Verbände angemessen in die Planung einbezogen und ist das Erarbeitungstempo richtig gewählt? Gibt es darüber hinaus Mitwirkungsmöglichkeiten, und wie sehen diese aus? Welchen Arbeitsstand haben die
fünf thematisch arbeitenden Arbeitsgruppen erreicht und wie werden Querschnittsthemen behandelt? Wann kann realistisch mit der Vorlage des Landesaktionsplanes gerechnet werden?
Natürlich dürfen die Arbeiten zur Erstellung dieses Planes nicht zum Stillstand bei der weiteren Vertiefung der Inklusion in Sachsen führen. Auch in dieser Erarbeitungsphase gilt es, in geeigneter Weise Barrieren abzubauen; denn mehr Zeit für besser strukturierte und qualitativ höhere Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention darf nicht gleichzeitig Stillstand bedeuten. Deshalb ist auch die Frage zu beantworten, welche Maßnahmen in der Zwischenzeit Wirkung entfalten werden.
Mit dem 5. Bericht zur Lage der Menschen mit Behinderung liegt uns eine recht umfassende Situationsbeschreibung zum gegenwärtigen Status der Menschen mit Behinderung vor. Die Zahl 5 besagt dabei, dass es vier Vorgängerberichte – der erste ist aus dem Jahr 1994 – gibt. Waren es anfangs vielleicht erst Maßnahmen zur Erleichterung der Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung, so wurde mit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahre 2009 auch in Sachsen zunehmend von Inklusion und der Beseitigung von Barrieren gesprochen.
Sicher, mit unserem Landesaktionsplan gehört Sachsen nicht zur bundesdeutschen Avantgarde auf diesem Gebiet. Aber Menschen mit Behinderung haben auch in unserem Bundesland immer dazugehört. Auch deshalb habe ich auf den oben genannten 5. Bericht verwiesen, der das doch recht deutlich unterstreicht.
Der Landesaktionsplan kann für sich allein nicht alle berechtigten Forderungen der Menschen mit Behinderung aufnehmen, so wichtig und nötig er selbstverständlich ist. Inklusion, die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen, ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag.
Dazu ist es mehr als bisher erforderlich, die Barrieren in den Köpfen im Verhalten aller Bürgerinnen und Bürger abzubauen. Das können wir nur gemeinsam erreichen.
Heute geht es darum, die von mir genannten Fragen durch das zuständige Ministerium beantworten zu lassen und daraus gegebenenfalls weitere Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu dem Antrag; denn ich denke, die Beantwortung der Fragen ist für jeden in diesem Haus von großem Interesse.
Damit ist der Antrag durch Herrn Kollegen Krasselt von der CDU eingebracht. Jetzt schließt sich für die ebenfalls einbringende SPDFraktion Frau Kollegin Kliese an.
Jahre zurückblicken, in das Jahr 2009. Für die Geschichte der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ist das ein ganz besonderes Jahr gewesen. Die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention markiert eine Zäsur auf dem langen Weg von Menschen mit Behinderung in ein Leben, in dem sie als Subjekte und nicht länger als Objekte wahrgenommen werden. Der völkerrechtliche Grundstein ist seither gelegt. Das Wort Inklusion ist in aller Munde. Begriffe wie Empowerment oder Selbstbestimmtheit verbreiten sich. Für Menschen mit Behinderung und ihre Interessenvertreter begann 2009 eine neue Zeit.
Zwei Jahre später verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Präimplantationsdiagnostik. Es ist seither gesetzlich möglich auszuschließen, dass ein Kind mit Behinderung in die Welt gesetzt wird. Wie schmerzhaft muss es für Eltern von Kindern mit Behinderung sein, zu sehen, dass der Zeitgeist der UN-Behindertenrechtskonvention von einem fortwährenden Streben nach Selbstoptimierung überlagert wird. Auf die Welt kommen soll nur, wer gesund und stark genug dafür ist. Für alle anderen, so scheint es, ist unsere Gesellschaft nicht geschaffen. Das ist eine bittere Erkenntnis, mit der ich mich nicht zufriedengeben will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die völkerrechtliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderung geht leider nicht mit einer erhöhten gesellschaftlichen Akzeptanz einher. Das ist kein Automatismus. Das nun verbriefte Recht von Menschen mit Behinderung auf Arbeit beispielsweise steht einer steigenden Arbeitslosigkeit von Menschen mit Schwerbehinderung gegenüber. Das Recht auf selbstständiges Wohnen, das nun auch verbrieft ist, stößt in der Praxis fortwährend auf die Widerstände der Kostenträger.
Was können wir als Abgeordnete tun, um diesen Widerspruch zwischen Völkerrecht und Realität aufzulösen? Wir können so viel wie möglich Maßnahmen verabschieden, die Menschen mit Behinderung den Zugang in unsere Gesellschaft erleichtern. Ein Aktions- und Maßnahmenplan zur Umsetzung der UN-Behinderten
rechtskonvention ist dazu ein geeignetes Mittel. Ich bin froh, dass wir uns immerhin sechs Jahre nach der Ratifizierung hier in Sachsen darüber einig sind, dass er ein geeignetes Mittel ist. In der letzten Legislatur waren wir uns darin noch nicht einig.
Die Erarbeitung eines solchen Planes verläuft übrigens auch nicht ohne Barrieren. Menschen, die vorher noch nie mit dem Thema befasst waren, Menschen, die wenig Zeit haben, weil sie zum Beispiel Ehrenamtler sind, müssen alle gemeinsam zu Beschlüssen kommen. Das braucht Zeit, die wir ihnen und uns geben sollten. Ich freue mich zu sehen, dass durch den interministeriellen Charakter nun alle Ministerien mit dem Thema befasst sein müssen.
In einem Land, in dem das Thema Behindertenpolitik lange Zeit auf sozialpolitische Fragen reduziert war, tut es gut, wenn auch das Innenministerium oder die Staatskanzlei darüber nachdenken müssen, wie wir Menschen mit
Behinderung den Zugang zu unserer Gesellschaft erleichtern können und wo wir sie ausschließen, vielleicht auch ohne es zu merken. Genau das ist Bewusstseinsbildung.
Nun gibt es sicherlich kritische Stimmen, weil es noch etwas länger dauert, als wir geplant hatten. Das verstehe ich, und ich kann Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich ihn auch gerne eher gehabt hätte. Bereits ein Jahr nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat es beispielsweise das Bundesland Rheinland-Pfalz vermocht, einen Aktions- und Maßnahmenplan zu verabschieden. Damals bin ich eigens mit meiner Kollegin Dagmar Neukirch und meiner Mitarbeiterin nach Mainz gereist.
Wir haben uns vom dortigen – übrigens hauptamtlich tätigen – Behindertenbeauftragten den Plan zeigen lassen, und wir fühlten uns ein wenig wie in einem inklusionspolitischen Schlaraffenland. Sachsen hingegen wird oftmals als Entwicklungsland für das Thema Inklusion bezeichnet. Das stimmt auch. Die Betonung möchte ich aber auf „Entwicklung“ legen und auf die Hoffnung, dass es sich entwickelt.
So nehme ich erfreut zur Kenntnis, dass der Stellenwert des Themas innerhalb der Staatsregierung durchaus gewachsen ist. Ich sehe das wache Interesse der Ministerin daran. Das allein wird nicht reichen. Ich sehe zudem noch viel Arbeit vor uns, gerade weil eine Menge aufzuholen ist. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, wir fangen ganz von vorn an. Das kann aber auch Vorteile haben.
Dass der Plan später vorgelegt wird als erhofft, verdammt uns alle nicht zur Untätigkeit. Was können wir Abgeordneten unterdessen tun, bis der Plan vorliegt? Wir können bei den nächsten Haushaltsverhandlungen darauf achten, dass diese Maßnahmen mit Geld untersetzt werden. Wir können Inklusion in unseren Bürgerbüros leben, indem wir Praktikantinnen und Praktikanten mit Handicap einstellen, im Plenum, indem wir die Dolmetscher im Präsidium nicht vergessen, in unseren Bürgersprechstunden, die wir barrierefrei abhalten sollten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir Menschen mit Behinderung in unsere Mitte nehmen, ist das nicht immer einfach und harmonisch. Sie sind auch nicht immer so niedlich wie der Junge mit Downsyndrom, den Sie aus der „Aktion Mensch“-Werbung kennen. Sie sind laut und leise. Sie sind begabt und eingeschränkt. Sie sind zornig und sanft. Sie sind wie wir.
Nach Frau Kollegin Kliese, SPD-Fraktion, spricht jetzt Herr Kollege Wehner für die Fraktion DIE LINKE.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kliese, vielen herzlichen Dank für die engagierten Worte – und doch: Das Jahr neigt sich seinem Ende zu, und
Was den vorliegenden Antrag betrifft, wird es wohl eher ein banges Hoffen. Viel Überraschendes gibt es nicht mehr zu erwarten, und die Vorfreude ist längst vorbei. Das Einzige, was bleibt, ist die Frage: Wann wird es wohl so weit sein, dass auch der Freistaat Sachsen endlich einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf den Weg bringen wird? Insofern eine kritische Stimme.
Mittlerweile haben uns nämlich in diesem Jahr von den ehemals noch vier ohne eigenen Aktionsplan verbleibenden Bundesländern zwei weitere überholt: BadenWürttemberg und Niedersachsen. Nun verbleiben nur noch zwei Bundesländer – Sachsen und SchleswigHolstein –, die als Schlusslichter die rote Laterne hochhalten.
Zur Erinnerung, meine Damen und Herren: In dem im Jahr 2014 beschlossenen Koalitionsvertrag haben Sie von der Koalition geschrieben: Von hoher Bedeutung ist für uns ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft. Die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten ist für alle Menschen ohne jede Diskriminierung zu gewährleisten und zu fördern. Zugleich verpflichteten Sie sich, gemäß der UN-BRK im Jahr 2015 unter Einbeziehung aller Akteure und der kommunalen Spitzenverbände einen Landesaktionsplan zur Umsetzung dieser Behindertenrechtskonvention zu erarbeiten.
2015 ist so gut wie Geschichte. Nun wird uns mitgeteilt, dass eine abschließende Erstellung des Aktionsplanes im Jahr 2015 nicht möglich sei. Im Unklaren lassen Sie uns leider, wieso dies nicht möglich ist. Die von den Koalitionsfraktionen im Antrag selbst aufgeworfenen Fragen an ihre Staatsregierung lassen die vage Vermutung aufkommen, viel wurde noch nicht getan. Wenn wir heute fragen, auf welchen Grundlagen die Erarbeitung beruht und wie die Betroffenen und ihre Verbände einbezogen werden – aber hallo! Das sind doch die ersten Voraussetzungen, um überhaupt an die Erstellung eines Aktionsplanes zu gehen.
Meiner Fraktion erscheint das eher ein Schaufensterantrag zu sein, um Aktivitäten vorzugaukeln und den Fragen der in Sachsen lebenden 377 550 schwerbehinderten Menschen – Menschen mit Behinderung sind es übrigens viel, viel mehr, die auch noch hinzuzurechnen sind – nach der Umsetzung ihrer Rechte aus dem Weg zu gehen.
Meine Damen und Herren! Jeder elfte Sachse ist im Besitz eines gültigen Schwerbehindertenausweises, und circa 54 % davon sind älter als 65 Jahre. Wie lange soll es in Sachsen noch dauern, um endlich einen eigenen Aktionsplan auf den Weg zu bringen?
Ich verweise gern noch einmal auf meine Rede vom 30. April 2015 zu unserem Antrag, Drucksache 6/1384, mit dem es um die Erarbeitung eines sächsischen Aktionsplans zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit
Behinderung ging. Bereits im April habe ich Ihnen mit auf den Weg gegeben, die Erfahrungen der anderen Länder zu nutzen und das Handeln von Politik und Staat konsequent an Menschenrechten und den damit in der UN-Behindertenrechtskonvention zugrundegelegten staatlichen
Doch, meine Damen und Herren, ich möchte positiv hervorheben, dass bei der Erarbeitung des Landesaktionsplanes auch die Betroffenen selbst sowie die Selbsthilfeverbände, der Reha-Sportverband, der Blinden- und Sehbehindertenverband, die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, natürlich auch mein Verband, der Sozialverband VDK Sachsen von Anfang an mit einbezogen sind, wie auch die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, die Kommunalvertreter und – wie Frau Kliese schon sagte – Vertreter aus allen Ministerien.
Ich habe nach Rücksprache mit den Vertretern der Experten in eigener Sache den Eindruck, dass den verantwortlichen Vertretern der interministeriellen Arbeitsgruppe die Mitarbeit der betroffenen Verbände wichtig ist und dass deren Vorschläge respektiert werden. Das finde ich auch gut. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedanken.
Kritisch sehe ich aber, dass dieser Landesaktionsplan offenbar nur einer der Staatsregierung und auf dieser Ebene angesiedelt sein wird und dass sie tunlichst alles vermeiden und verhindern möchte, um auch andere Bereiche einzubeziehen, zum Beispiel die Kommunen, die Landkreise und die Privatwirtschaft. Maximal soll es da Sensibilisierungsangebote und Vorschläge geben. Herr Krasselt, wie ehrlich meinen Sie es denn mit der inklusiven Gesellschaft? Das kann nicht nur die Landesbehörde und die staatliche Einrichtung sein. Hier sind wir alle gemeinsam aufgefordert, die Barrieren in den Köpfen zu beseitigen. Da haben Sie recht. Ich denke nur, dass der Landesaktionsplan dazu konkrete Aussagen treffen muss.
Meine Damen und Herren! Der Zeitdruck ist enorm und lässt wenig Möglichkeiten eines qualifizierten Gedankenaustausches zwischen den Selbsthilfeverbänden zu. Getagt wird in der Regel alle zwei bis drei Wochen, und die entsprechenden zusammengestellten Unterlagen